Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 12.08.2009, Az.: 7 B 3145/09
Drittanfechtung einer Genehmigung nach § 29 Straßenverkehrsordnung (StVO) für eine Musikveranstaltung (Maschseefest 2009); Regelung der zumutbaren Lärmbelästigungen für die Bewohner der umliegenden Wohnquartiere einer Musikveranstaltung durch die sog. Freizeitlärmrichtlinie und der TA-Lärm
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 12.08.2009
- Aktenzeichen
- 7 B 3145/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 20622
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2009:0812.7B3145.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 29 StVO
- § 80 Abs. 5 VwGO analog
Verfahrensgegenstand
Teilanfechtung einer straßenverkehrsrechtlichen und straßenrechtlichen Erlaubnis
- Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung -
- Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 7. Kammer -
am 12. August 2009
beschlossen:
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Klage des Antragstellers vom 07. August 2009 (7 A 3124/09) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Juli 2009 aufschiebende Wirkung hat, soweit der Antragsteller darin die teilweise Aufhebung der dem Beigeladenen erteilten Erlaubnis hinsichtlich der Tage 12. bis 16. August 2009 begehrt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Gerichtskosten tragen der Antragsteller zu 4/9, die Antragsgegnerin und der Beigeladene jeweils zu 5/18.
Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers tragen die Antragsgegnerin und der Beigeladene jeweils zu 5/18. Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin und des Beigeladenen jeweils zu 4/9; im Übrigen tragen die Antragsgegnerin und der Beigeladene ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2009 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die Erlaubnis nach § 29 Straßenverkehrsordnung (StVO), vom 29. Juli bis zum 16. August 2009 die Veranstaltung "Maschseefest 2009" durchzuführen. Weiter heißt es in dem Bescheid u.a., im Rahmen dieser Veranstaltung würden Aufbauten für Musik-, Tanz- und Theaterdarbietungen im Uferbereich bzw. auf den Gehwegen genehmigt. Unter 4. "Lärmschutzauflagen" ist u.a. ausgeführt, der Einsatz und Betrieb elektroakustischer Verstärkeranlagen sei zugelassen; als Spielstätte sei u.a. zulässig die "Tempel-Bar" (Südufer). Da das Maschseefest mit rund 2.5 Mio. Besuchern eines der größten Volksfeste im norddeutschen Raum und damit ein Ereignis von erheblichem überregionalen und gesamtstädtischen Interessen sei, könne der Veranstalter hinsichtlich der einzuhaltenden Immissionsrichtwerte an folgenden Tagen gemäß Nds. Freizeitlärmrichtlinie i.V.m. TA-Lärm von einer von 22:00 Uhr auf 23:00 Uhr hinausgeschobenen Nachtzeit u.a. an den Tagen Sonnabend 08. August, Sonntag 09. August, Mittwoch 12. August, Freitag 14. August, Sonnabend 15. August und Sonntag 16. August Gebrauch machen. An den Tagen 02. August, 09. August und 16. August sei die Bühne "Irisches Dorf/Tempel-Bar" davon ausgenommen, an diesen Tagen ende der Betrieb mit Life-Musik um 22:00 Uhr. An den Tagen mit herausgezogener Nachtruhe seien elektroakustische Musikdarbietungen und Ansprachen von 10:00 Uhr bis maximal 23:00 Uhr möglich, Sonntags jedoch erst ab 11:00 Uhr bis maximal 23:00 Uhr; an allen anderen Tagen seien elektroakustische Musikdarbietungen und Ansprachen bis maximal 22:00 Uhr zulässig; bei allen Musikdarbietungen seien stets angemessene Pausen einzulegen. An der Bühne "Irisches Dorf" werde die Beschallungslautstärke auf 93 dB(A) (Taktmaximalpegel) in einer Entfernung von 20 m vor der Bühne begrenzt; das Bühnenhaus (mit Lautsprechertürmen) solle rückseitig mit einer schweren Folie abgehängt werden.
Der Antragsteller bewohnt als Mieter eine Dachgeschosswohnung in dem Gebäude C. im Gebiet der Beigeladenen. Die Entfernung zwischen diesem Gebäude und der Bühne "Tempel-Bar" beträgt nach - von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen nicht bestrittenen - Angaben des Antragstellers ca. 500 m Luftlinie. Das Grundstück C. liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 606, der den gesamten Planbereich als allgemeines Wohngebiet festsetzt.
Der Kläger erhob am 07. August 2009 bei dem erkennenden Gericht Klage (7 A 3124/09) mit den Anträgen,
die Genehmigung für das Maschseefest 2009 insoweit aufzuheben, als dass diese Genehmigung am 08. August 2009, am 09. August 2009, am 10. August 2009, am 11. August 2009, am 12. August 2009, am 13. August 2009, am 14. August 2009, am 15. August 2009 und am 16. August 2009 den Einsatz elektro-akustischer Verstärkeranlagen an der Bühne "Irisches Dorf/Tempel-Bar" nach 20:00 Uhr gestattet, hilfsweise, die Genehmigung für das Maschseefest 2009 insoweit aufzuheben, als dass diese Genehmigung am 08. August 2009, am 09. August 2009, am 10. August 2009, am 11. August 2009, am 12. August 2009, am 13. August 2009, am 14. August 2009, am 15. August 2009 und am 16. August 2009 den Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen an der Bühne "Irisches Dorf/Tempel-Bar" in Abweichung von den für allgemeine Wohngebiete maßgebenden Immissionsrichtwerten nach der unter dem 05. Mai 1995 vom Länderausschuss für Immissionsschutz verabschiedeten "Freizeitlärmrichtlinie" gestattet,
weiterhin hilfsweise,
die Beklagte unter Aufhebung der Maschseefest-Genehmigung 2009 zu verpflichten, in dieser Genehmigung als Lärmschutzauflage anzuordnen, dass an der Bühne "Irisches Dorf/Tempel-Bar" beim Einsatz elektroakustischer Verstärkeranlagen die für allgemeine Wohngebiete maßgebenden Immissionsrichtwerte nach der unter dem 05. Mai 1995 vom Länderausschuss für Immissionsschutz verabschiedeten "Freizeitlärmrichtlinie" zu beachten sind.
Die Antragsgegnerin bestritt/bestreitet, dass dieser Klage aufschiebende Wirkung zukommt.
Der Antragsteller hat am 10. August 2009 bei dem erkennenden Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, ungeachtet der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 07. August 2009 (7 A 3124/09) seien die elektroakustischen Verstärkeranlagen bei der streitgegenständlichen Bühne "Irisches Dorf/Tempel-Bar" auch am 08. und am 09. August 2009 zum Einsatz gekommen. Weder die Antragsgegnerin noch die Beigeladene beachteten die aufschiebende Wirkung der bezeichneten Klage.
Der Antragsteller beantragt,
festzustellen, dass die vom Antragsteller am 07. August 2009 erhobene Klage (7 A 3124/09) gegen die dem Beigeladenen erteilte straßenverkehrsrechtliche und straßenrechtliche Genehmigung vom 13. Juli 2009 aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie führt aus, der vom Antragsteller am 07. August 2009 erhobenen Anfechtungsklage komme keine aufschiebende Wirkung i.S.d. § 80 Abs. 1 VwGO zu, weil sie unzulässig sei. Eine Anfechtungsklage sei unzulässig, weil die unter Ziff. 4 der streitgegenständlichen Erlaubnis enthaltenen Lärmschutzauflagen zu Gunsten des Antragstellers wirkten. Dem Beigeladenen würden umfangreiche Beschränkungen zum Standort und den Betriebszeiten der Spielstätte auferlegt; die zugelassenen Betriebszeiten bezweckten eine Begrenzung der Lärmbelastung für die Anwohner, weil der Betrieb nicht darüber hinausgehen dürfe. Dem Antragsteller fehle es an der Klagebefugnis, weil er sich nicht auf eine drittschützende Norm berufen könne. Insbesondere § 22 Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) räume dem Antragsteller kein individuell wahrnehmbares Recht ein. Der Antragsteller habe als Drittbetroffener nicht das Recht, zwischen der vollständigen Anfechtung des zu Gunsten eines Anderen ergangenen Verwaltungsaktes und der Verpflichtungsklage auf Erlass einer Nebenbestimmung zu wählen; vielmehr sei er regelmäßig auf letztgenannte Klageart beschränkt. Der Antragsteller habe sich vor Erhebung der Klage nicht an sie - der Antragsgegnerin - gewandt. Wenn es dem Antragsteller um eine Verschärfung der Lärmminderungsmaßnahmen gehe, entspreche die bloße Aufhebung der Lärmschutzauflagen nicht seinem Rechtsschutzziel.
Der Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er tritt den Ausführungen der Antragsgegnerin bei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie der Gerichtsakten zu dem Az.: 7 A 3124/09 und der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig (§ 80 Abs. 5 VwGO analog) und teilweise begründet.
Die Anfechtungsklage, die der Antragsteller am 07. August 2009 erhoben hat, hat mit dem Hauptantrag grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da die Antragsgegnerin und der Beigeladene die aufschiebende Wirkung der Klage verneinen, kann der Antragsteller zulässigerweise die im Entscheidungsausspruch getroffene Feststellung begehren.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Beigeladenen bewirkt die Klage des Antragstellers nicht etwa deshalb keine aufschiebende Wirkung, weil sie offensichtlich unzulässig ist. Entsprechend dem Wortlaut des § 80 Abs. 1 VwGO ist grundsätzlich die Zulässigkeit und (erst recht) die Begründetheit der Klage eines Dritten gegen einen Ver- waltungsakt nicht Voraussetzung für den Eintritt der aufschiebenden Wirkung. Allerdings ist dieser Grundsatz dahingehend einzuschränken, dass ein offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelf eines Dritten keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. OVG Berlin- Brandenburg , Beschl. v. 08.02.2007 - 2 S 39.06 -, NuR 2007, 441, m.w.N.). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) in Fällen einer Drittanfechtung evident fehlt, weil offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte gegeben ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Die Antragsgegnerin selbst geht davon aus, dass - um unzumutbare Lärmbelästigungen für die Bewohner der umliegenden Wohnquartiere zu vermeiden - die Auftrittszeiten und der bei den Musikdarbietungen verursachte Lärmpegel begrenzend geregelt werden müssen. Sie selbst beruft sich bei dieser Regelung auf die sogenannte Freizeitlärmrichtlinie und der TA-Lärm. Hierbei handelt es sich (i.V.m. den Vorschriften des BImSchG) um drittschützende Normen.
Die Klage ist auch nicht etwa deshalb offensichtlich unzulässig, weil etwa als statthafte Klageart nur eine Verpflichtungsklage in Betracht kommt. Die erkennende Kammer folgt nicht der Auffassung der Antragsgegnerin, dass die in dem Erlaubnisbescheid enthaltenen Lärmschutzauflagen für den Antragsteller ausschließlich eine begünstigende bzw. für den Beigeladenen ausschließlich belastende Wirkung entfalten. Zwar ziehen die Lärmschutzauflagen zeitliche Grenzen für die an bestimmten Tagen gestatteten Musikdarbietungen und wird die Beschallungslautstärke auf der streitgegenständlichen Bühne begrenzt; umgekehrt erlauben sie aber dem Beigeladenen auch, elektroakustische Verstärkeranlagen einzusetzen, nach 20:00 Uhr Musikdarbietungen in bestimmter Lautstärke zu veranstalten und von der hinausgeschobenen Nachtzeit i.S.d. der Freizeitlärmrichtlinie i.V.m. der TA-Lärm von 22:00 Uhr auf 23:00 Uhr Gebrauch zu machen. Die streitgegenständliche Erlaubnis räumt damit dem Beigeladenen eine Rechtsposition ein, die - im Sinne einer Klagebefugnis - den Antragsteller/Kläger belastet. Ob diese Belastung wiederum in rechtswidriger Weise in geschützte Rechte des Antragstellers eingreift, ist eine Frage der Begründetheit der Klage und daher an dieser Stelle nicht zu prüfen. Die dem Beigeladenen erteilte Erlaubnis ist hinsichtlich der streitgegenständlichen Bühne "Temple Bar" auch dergestalt "teilbar", dass die geplanten Musikveranstaltungen um 20:00 Uhr enden bzw. ab 20:00 Uhr keine elektroakustischen Verstärkeranlagen eingesetzt werden (vgl. P. Stelkens/U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Komm. z. VwVfG, 6. Aufl., 2001, Rdnr. 101 zu § 36 VwVfG; Janßen in: Obermeier, Komm. z. VwVfG, 3. Aufl. 1999, Rdnr. 52 zu § 36 VwVfG). Dem Antragsteller ist nicht anzusinnen, die Erlaubnis insgesamt anzugreifen, wenn er sich lediglich durch einen Teil rechtswidrig in seinen Rechten beeinträchtigt sieht. Die Stimme in der Kommentarliteratur, die die Antragsgegnerin für ihre Rechtsauffassung in Bezug nimmt, befasst sich mit der - hier nicht einschlägigen - Problematik der Drittanfechtung im Hinblick auf Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse; dies weisen die dort wiederum in Bezug genommenen Entscheidungen insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts aus.
Da allerdings die Tage 08. bis 11. August 2009, hinsichtlich derer der Antragsteller mit seiner Klage ebenfalls die teilweise Aufhebung der dem Beigeladenen erteilten Erlaubnis begehrt, bereits vergangen sind, besteht insoweit kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr) für die Klage und ist der Antrag offensichtlich unzulässig.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da der Antrag hinsichtlich 5 Tagen erfolgreich und bezüglich 4 Tagen abzulehnen ist, obsiegt der Antragsteller zu 5/9. Es entspricht der Billigkeit, dass der Antragsteller entsprechend seinem Unterliegen auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt, weil dieser sich mit der Antragstellung einem Prozessrisiko ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung findet ihre rechtliche Grundlage in den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
Soweit über den Sachantrag entschieden worden ist, steht den Beteiligten die Beschwerde gegen diesen Beschluss an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ... zu.
...
RiVG Wagstyl ist verhindert zu unterschreiben Schulz-Wenzel
Gonschior