Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 27.05.1997, Az.: 5 U 3/97

Anforderungen an die Darlegungslast und Beweislast in Arzthaftungsprozessen; Nachweis der Beachtung der ärztlichen Aufklärungspflicht; Darlegungslast bei der Berücksichtigung einer hypothetischen Einwilligung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
27.05.1997
Aktenzeichen
5 U 3/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21794
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0527.5U3.97.0A

Fundstellen

  • OLGReport Gerichtsort 1998, 15-17
  • VersR 1998, 1156-1157 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Für die Substantiierung reicht die Vermutung auf Behandlungsfehler beruhender Folgen - Aufklärungszweifel bedingen die Anhörung des Arztes - Darlegungslast bei hypothetischer Einwilligung.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für materielle Schäden in Anspruch.

2

Am 26.07.1994 stellte sich die Klägerin wegen Durchblutungsstörungen, insbesondere im rechten Beinbereich, in der gefäßchirurgischen Sprechstunde des Beklagten zu 1) vor, der Chefarzt der entsprechenden Abteilung des Beklagten zu 3) ist. Nach eingehender Untersuchung ergab sich für den Beklagten zu 1) der Verdacht auf Morbus Raynaud. Zwecks näherer Abklärung wurde die Klägerin am folgenden Tag von dem Beklagten zu 2), dem Chefarzt der radiologischen Abteilung des Beklagten zu 3), angiographiert. Da sich die klinische Diagnose bestätigte, hielten die Beklagten zu 1) und 2) eine perkutane Sympathektomie unter CT-Kontrolle für geboten. Diese wurde nach Einwilligung der Klägerin am 02.08.1994 vom Beklagten zu 2) durchgeführt. Bereits am folgenden Tag wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen. Wegen einer im rechten Oberschenkel verspürten Hitze und eines geschwollenen Lymphknotens stellte sie sich am 12.08.1994 erneut beim Beklagten zu 2) vor, der ein Kontroll-CT durchführte. Dies ergab keine Besonderheiten.

3

Die Klägerin hat behauptet, seit der Behandlung träten in ihrem rechten Bein erhebliche Schmerzen und Beschwerden auf, die nur durch Bewegung etwas zu lindern seien. Diese Beeinträchtigungen seien durch die Sympathektomie verursacht worden. Entweder seien beim Setzen der Spritze Nerven geschädigt worden oder es bestehe eine Unverträglichkeit gegen die injizierte Alkohollösung. Über die Risiken der Behandlung und über mögliche Alternativen sei sie nicht aufgeklärt worden.

4

Die Beklagten haben ein arztfehlerhaftes Verhalten bestritten. Die Sympathektomie sei medizinisch geboten gewesen und ordnungsgemäß durchgeführt worden. Vor der Behandlung habe der Beklagte zu 1) die Klägerin umfassend über die in Frage kommenden Maßnahmen und die damit verbundenen Risiken informiert.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Vortrag der Klägerin keinen Behandlungsfehler erkennen lasse und die auf Grund der Zeugenvernehmung anzunehmende unzureichende Aufklärung nach eigenen Angaben der Klägerin nicht relevant geworden sei.

6

Entscheidungsgründe: Die zulässige Berufung der Klägerin führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

7

Das Landgericht hat eine Haftung der Beklagten zu 2) und 3) für einen Behandlungsfehler mit der Begründung abgelehnt, dem Vortrag der Klägerin könne nicht entnommen werden, was sie den Beklagten letztlich zum Vorwurf machen wolle. Dass bei der Injektion Nervenäste verletzt worden seien, stelle lediglich eine Vermutung dar und sei im Übrigen eine unvermeidbare Komplikation. Damit hat das Landgericht die Anforderungen an die Substantiierungspflicht überspannt und eine unbegründete medizinische Beurteilung abgegeben.

8

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, sie habe seit der Behandlung vom 02.08.1994 ununterbrochen erhebliche Schmerzen und Beschwerden im rechten Bein; es sei davon auszugehen, Dass beim Setzen der Spritze Nerven beschädigt worden seien. Zur Begründung hat sie sich auf einen Arztbericht von Prof. Dr. R., N. Krankenhaus S., vom 21.11.1994 berufen, der es für durchaus wahrscheinlich hält, dass eine Läsion der sensiblen Nerven durch die Alkoholinstillation mitbedingt ist. Auf die Auflage des Landgerichts hin, den Behandlungsfehlervorwurf zu konkretisieren, hat sie dann vorgetragen, die Beschwerden könnten nur auf einer Unverträglichkeit zu dem Alkohol oder auf nicht ordnungsgemäßes Setzen der Spritze zurückzuführen sein. Dieses Vorbringen ist hinreichend substantiiert, insbesondere auch einer Beweiserhebung zugänglich. Nach ständiger Rechtsprechung sind an die Substantiierungspflicht des Patienten nur maßvolle und verständige Anforderungen zu stellen, weil ihm nicht nur die genaue Einsicht in das Behandlungsgeschehen, sondern auch das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Prozess-Stoffes fehlt (Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., S. 220 m.w.N.). Es muss dementsprechend ausreichen, wenn der Patient die Vermutung eines arztfehlerhaften Verhaltens auf Grund der Folgeerscheinungen gewinnt. Eine vorherige sachverständige Abklärung kann von ihm nicht verlangt werden.

Entscheidungsgründe

9

Die Feststellung des Landgerichts, bei den von der Klägerin behaupteten erheblichen und dauernden Beschwerden handele es sich um eine unvermeidbare Komplikation der Sympatektomie, findet in dem bisherigen Verfahren keine hinreichende Grundlage. Insoweit bedarf es vielmehr sachverständiger Beratung.

10

Auch die Ausführungen des Landgerichts zu der von der Klägerin geltend gemachten Verletzung der Aufklärungspflicht sind nicht frei von Verfahrensfehlern. Das gilt einmal, soweit das Landgericht eine hinreichende Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen und unterschiedliche Risiken verneint hat. Dabei hat es dem ausführlichen Vorbringen der Beklagten, wonach bereits der Beklagte zu 1) die Klägerin umfassend aufgeklärt hat, keine hinreichende Beachtung geschenkt und insbesondere auch die entsprechende Dokumentation in den Krankenunterlagen übersehen. Da eine Aufklärung dokumentiert und durch Mitarbeiter das generelle Bemühen des Beklagten zu 1) um eine sachgerechte Aufklärung belegt ist, durfte das Landgericht die Beklagten nicht für beweisfällig erklären, ohne den § 448 ZPO anzuwenden und - wie auch beantragt - den Beklagten zu 1) als Partei zu vernehmen (vgl. BGH VersRecht 1985, 361, 362; Steffen a.a.O. Seite 164).

11

Zum anderen kann dem Landgericht nicht darin gefolgt werden, Dass das Aufklärungsversäumnis der Beklagten keine Haftung auslöse, weil die Klägerin auch bei Aufklärung über Behandlungsalternativen und damit verbundene Risiken ihre Einwilligung nicht versagt hätte. Die Beklagten hatten sich bislang gar nicht auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin berufen. Das wäre aber die Voraussetzung dafür gewesen, Dass das Landgericht dieser Frage überhaupt nachgeht (vgl. BGH NJW 1994, 2414, 2415) [BGH 14.06.1994 - VI ZR 260/93]. Der vorliegende Prozess-Stoff bot daher für die Beurteilung der hypothetischen Einwilligung keine Grundlage.

12

Zudem ergibt die auf Frage des Gerichts abgegebene Erklärung der Klägerin, sie hätte die Sympatikusblockade machen lassen, wenn die Diagnose Morbus Raynaud richtig gewesen wäre, was sie bezweifle, keine unbedingte hypothetische Einwilligung, sondern enthält eine Einschränkung, die durchaus den Schluss zulässt, dass sie vor der Behandlung andere Ärzte konsultiert hätte. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Zurückweisung ihres Vorbringens als verspätet, ist ebenfalls verfahrensfehlerhaft, weil von Seiten der Klägerin vorher kein Anlass bestand, diese Frage anzusprechen. Auch ist nicht ersichtlich, Dass ihr Vorbringen insoweit überhaupt bestritten worden ist.

13

Nach alledem bietet das bisherige Verfahren keine ordnungsgemäße Grundlage für eine Entscheidung. Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden, weil es den Verlust einer Instanz gleich kommt, wenn die Beweisaufnahme zu ganz wesentlichen Teilen erstmals im zweiten Rechtszug durchgeführt werden müsste. Der Rechtsstreit war daher gemäß §§ 539, 540 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.