Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 06.05.1997, Az.: 5 U 162/96

Behandlungsfehlerhaftigkeit, an Stelle der Pankreaskopfresektion die hergebrachte Pankreasschwanzresektion zu wählen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
06.05.1997
Aktenzeichen
5 U 162/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21718
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0506.5U162.96.0A

Fundstellen

  • ArztR 1998, 123
  • MedR 1998, 25
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 37-38

Amtlicher Leitsatz

Anfang der 90er-Jahre war es nicht behandlungsfehlerhaft, an Stelle der Pankreaskopfresektion die hergebrachte Pankreasschwanzresektion zu wählen - Substantiierung der Passivlegitimation.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Ersatz materieller und immaterieller Schäden (Kapital und Rente) sowie Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden im Zusammenhang mit einer teilweisen Entfernung der Bauspeicheldrüse (Pankreas-Links-Resektion) im Krankenhaus der Beklagten zu 1) durch den Beklagten zu 2) - Leitender Arzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin - mit seinem Assistenzarzt, dem Beklagten zu 5), und dem Beklagten zu 3) - Leitender Arzt der Chirurgie - mit seinem Assistenzarzt, dem Beklagten zu 4). Die Beklagte zu 6) ist Lieferantin für Blutplasma.

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Der Kläger leidet seit 1982 an Pankreatitisschüben. Anlässlich einer stationären endoskopischen Gangdarstellung (ERCP) Ende 1989 trat nach einer Papillotomie mit spontanem Abgang eines linsengroßen weißen Steins sofortige Schmerzfreiheit ein. Bei der wegen erneuter Schmerzen erfolgten Aufnahme im Krankenhaus der Beklagten zu 1) am 14.5.1990 ergaben die erhobenen Befunde diagnostisch eine chronisch kalzifizierende (verkalkende) Pankreatitis mit nachgewiesenem Pankreas Divisum. Da eine endoskopische Kanülierung der Nebenpapille wegen Verengung ausschied, wurde der Kläger am 22.5.1990 zur Anlage einer äußeren Darmfistel (Pancreatio-Jejunostomie) in die Chirurgie verlegt. In den vom Kläger unterzeichneten Merkblättern zur Drainageoperation an der Bauchspeicheldrüse und zu der Anästhesie werden u.a. Infektions- und Blutungsrisiken mit evtl. notwendig werdenden Bluttransfusionen und die Möglichkeit einer Operationsausdehnung auf die Milz angesprochen.

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In dem Operationsbericht vom 29.5.1990 ist u.a. Folgendes festgehalten:

"Es liegen erhebliche Verwachsungen vor. Es scheint ein subakuter chronischer, entzündlicher Prozess des Pankreas zu bestehen. Eingehen in die Bursa omentalis. Hierbei ist erkennbar, dass im Bereich des Prankreasschwanzes stark entzündliche Verwachsungen vorliegen. Durch Narben scheint das Pankreas am Übergang Korpus-Schwanz obliteriert zu sein. Der gesamte Bereich Pankreasschwanz und Milz ist in einem Konglomerattumor entzündlicher Genese verwachsen. Bei diesem Befund kommt eine angestrebte Pancreatio-Jejunostomie nicht in Frage, sondern die einzig sinnvolle Maßnahme ist die Links-Resektion des Pankreas. Bei anschließender Pankreas-Links-Resektion unter Mitnahme der Milz und Anlage einer Pancratico-Jejunostomie trat ein erheblicher Blutverlust auf, so dass mehrere Bluttransfusionen erforderlich waren. Wegen diffuser Blutung aus dem linksseitigen Retroperitoneum erfolgte eine Tamponade der linken Bauchhöhle."

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Der Kläger hat behauptet, die gesamten Behandlungen nach der Operation vom 29.5.1990 seien durch ärztliche Behandlungsfehler und durch mit dem HCV-Virus kontaminiertes Blutplasma bedingt. Fehlerhaft sei insbesondere die Resektion des Pankreasschwanzes und der Milz im entzündeten Gebiet gewesen, die den Blutverlust mit der Notwendigkeit von Bluttransfusionen verursacht hätte. Er sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass Bluttransfusionen mit der Möglichkeit des Vorhaltes von Eigen- oder Verwandtenblut erforderlich werden könnten.

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Das Landgericht hat sachverständig beraten die Klage abgewiesen. Die Operation sei auf Grund des intraoperativen Situs nach dem medizinischen Wissensstand von 1990 indiziert gewesen und fehlerfrei nach ausreichender präoperativer Aufklärung durchgeführt worden.

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Mit der dagegen eingelegten und nur gegen die Beklagten zu 1) - 5) durchgeführten Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren unter Reduzierung der Schmerzensgeldvorstellung auf mindestens 50.000,00 DM Kapital und 500,00 DM Monatsrente weiter.

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Unter ergänzender Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen bekräftigt er einen Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung. Die Operateure hätten das falsche Operationsverfahren gewählt; Methode der Wahl sei bereits damals die Pankreaskopfresektion gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

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Zu Recht hat das Landgericht auf Grund der Aufklärung der medizinischen Zusammenhänge durch den Sachverständigen mit seinem eingehend mündlich erläuterten schriftlichen Gutachten die Klage abgewiesen. Danach lassen sich weder Defizite bei der Behandlung und der Aufklärung noch der erforderliche Zusammenhang vom Behandlungsgeschehen - insbesondere der

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Pankreasoperation vom 29.5.1990 - und dem Beschwerdebild feststellen. Die Angriffe der Berufung greifen demgegenüber nicht durch. Für eine weiter gehende sachverständige Abklärung bzw. Erläuterung besteht kein Anlass.

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Eine Haftung der Beklagten zu 2) und 5) begegnet bereits deswegen Zweifeln, weil Versäumnisse aus dem Bereich der Anaesthesie, für die der Chefanaesthesist und sein Assistent einzutreten hätten, nicht näher problematisiert werden und auch sonst kein weiterer Anhalt für etwaige

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Behandlungsfehler oder Aufklärungsmängel ersichtlich ist, für die die Anaesthesisten einzustehen hätten.

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Das Gleiche gilt im Ergebnis für den Beklagten zu 4) Hinblick auf Vorwürfe betreffend die Tätigkeit eines Assistenzchirurgen.

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Jedenfalls vermögen aber die von der Berufung weiterhin geltend gemachten zentralen Vorwürfe betreffend Wahl und Durchführung der unter der Leitung des Beklagten zu 3) vorgenommenen Pankreas-Links-Resektion weder vertragliche noch deliktische Ersatzansprüche des Klägers zu begründen.

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Die ursprünglich nach den präoperativen Befunderhebungen angestrebte Anlage einer Darmfistel ließ sich unstreitig nach dem intraoperativ vorgefundenen Zustand der beteiligten Organe, wie er in dem Operationsbericht niedergelegt ist, nicht mehr durchführen. Fehlleistungen bei der präoperativen Diagnostik und weiteren Operationsvorbereitung sind nach Auswertung der Krankenunterlagen durch den Sachverständigen nicht festzustellen und auch nicht - wie die Berufung meint - aus dem bloßen Umstand abzuleiten, dass der Situs nach Eröffnung des Bauchraumes sich anders darstellte, als er zu erwarten war.

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Das Beschwerdebild indizierte jetzt einen resizierenden Eingriff.

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Insoweit hat der Sachverständige zwar in seinem schriftlichen Gutachten und auch bei der mündlichen Erläuterung angegeben, dass bereits im Operationszeitraum eine Pankreaskopfresektion als Verfahren erster Wahl der vorgenommenen Resektion im Schwanzbereich vorzuziehen gewesen wäre. Er hat aber ebenso klar ausgeführt, dass das vom Beklagten zu 3) gewählte Verfahren nicht falsch gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt lagen dem Sachververständigen zufolge lediglich die 1987 veröffentlichten Operationsverfahren im Kopfbereich nach Frey vor. Erst Studien aus den Jahren 1992 bis 1995 haben statistisch den Vorteil von Drainageverfahren vor rein resizierenden Verfahren belegt. Demgegenüber ist es nicht als fehlerhaft im Sinne eines Abweichens von dem geschuldeten medizinischen fachärztlichen Standard zu bewerten, wenn der Beklagte zu 3) sich für die jedenfalls bis dahin in solchen Fällen anerkannte Behandlungsmethode entschied, die er bei einem der damals führenden Pankreaschirurgen Deutschlands gelernt hatte und die er gerade für Krankheitsbilder dieser Art im Interesse einer Minimierung des Risikos für den Patienten voll beherrschte. Dementsprechend hält der Beklagte zu 3) nach wie vor das von ihm gewählte Verfahren für geeigneter, da die Voraussetzungen für eine Duodenum erhaltende Pankreaskopfresektion - Sekretableitung aus dem Pankreasschwanz in die anastomisierte Dünndarmschlinge - mangels eines durchgängigen Prankreasganges im Pankreasschwanz nicht vorgelegen hätten.

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Diesem medizinischen Streit brauchte der Senat jedoch nicht weiter nachzugehen. Denn auch der Sachverständige hält das gewählte Verfahren für noch vertretbar. Angesichts des von ihm dargelegten Wandels Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre in den medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnissen über das zu empfehlende operative Eingriffsverfahren bei Bauchspeicheldrüsenentzündungen ist es dem Beklagten zu 3) nicht als fehlerhaftes Vorgehen anzulasten, wenn er sich für ein anerkanntes Verfahren entschied, selbst wenn ein anderer Fachkollege dies nur als gerade noch vertretbar bzw. angängig qualifiziert. Der vom Kläger erhobene Vorwurf widersprüchlicher und nur unter dem Druck des Beklagten zu 3) gefälligkeitshalber erfolgter Äußerungen bei der mündlichen Begutachtung gegenüber der schriftlichen ist nicht gerechtfertigt.

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Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch alle anderen Beanstandungen des Klägers als unbegründet.

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Es ist eine Frage der Einschätzung im konkreten Einzelfall, ob in einen entzündlichen Bereich der Bauchspeicheldrüse hineinoperiert werden soll; dass dem Beklagten zu 3) als den dafür verantwortlichen chirurgischen Operationsleiter diesbezüglich eine Fehleinschätzung vorzuwerfen sein könnte, hat der Sachverständige gerade nicht bestätigt. Auch der Vorwurf fehlender Effizienz des Operationsverfahrens insbesondere in Bezug auf die Schmerzlinderung verliert angesichts der - wie ausgeführt - als behandlungsfehlerfrei zu billigenden Entscheidung des Chirurgen ebenso seine Bedeutung wie der, die Entfernung von Pankreasschwanz und Milz sei unverständlich. Der Sachverständige hat zu Letzterem sogar ausdrücklich hervorgehoben, dass die Mitnahme der Milz angesichts der intraoperativ vorgefundenen Gefäßversorgung und Überwucherung mit einem Konglomerattumor schlechthin unvermeidbar war. Nicht bestätigen konnte der Sachverständige schließlich, dass es bei der von ihm favorisierten Methode nicht zu erheblichen Blutverlusten mit der Notwendigkeit von Bluttransfusionen gekommen wäre, so dass insoweit auch der Ursachenzusammenhang offen geblieben ist. Operationsfehler hat der Sachverständige nach Auswertung aller Krankenunterlagen nicht feststellen können. Sie lassen sich - entgegen der Ansicht der Berufung - daher auch nicht durch die dokumentierten Blutungen aus der Nierenkapsel stützen. Der Vorhalt, präoperativ sei der Frage der Gerinnungsfähigkeit unzureichend nachgegangen worden, entbehrt jeglicher Grundlage. Die Erhebung eines Gerinnungsstatus gehört laut Sachverständigem zu den Selbstverständlichkeiten und ist auch bei dem Kläger durchgeführt worden und hat keinen Hinweis auf vermehrte Blutungsneigungen ergeben.

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Schließlich erweisen sich auch die Aufklärungsrügen insgesamt als haltlos. Zu Recht hat das Landgericht die dokumentationsgerechte Eingriffsaufklärung für die in Aussicht genommene Operation als ausreichend angesehen. Auch der Kläger erhebt dagegen keine ernsthaften Einwände. Die vermisste Unterrichtung über die Möglichkeit einer Kopfresektion als angebliche Operationsmethode der Wahl und die - von der Berufungserwiderung erheblich bestrittene - Möglichkeit von Eigen- bzw. Verwandtenblutspenden verfängt bereits deswegen nicht, weil ein ganz anderer Eingriff geplant war, für den diese Aufklärungen nicht geschuldet waren. Abgesehen davon übersieht der Kläger in diesem Zusammenhang, dass es gerade offen ist, worauf die HCV-Infektion und Erkrankung an Diabetes mellitus beruht. Erleichterungen für den von ihm zu führenden Beweis der Kausalzusammenhänge stehen ihm nicht zur Seite. Das gilt auch für die Sekundärfolgen, bei denen das Beweismaß des § 287 ZPO gilt. Insoweit fehlt es an den feststehenden Anknüpfungstatsachen. Laut Sachverständigem ist letztlich ungeklärt, ob der Diabetes auf die Grunderkrankung Pankreatitis oder die Resektion zurückzuführen ist. Für eine hohe Wahrscheinlichkeit des Eingriffszusammenhangs fehlt es aber an dem erforderlichen Auftritt der Krankheit in der postoperativen Jahresfrist. Entsprechende Krankheitswerte hat der Sachverständige in den Krankenunterlagen nicht vorgefunden. Auch der Kläger muss insoweit selbst einräumen, dass die Krankheit erst "später" erkannt worden ist.