Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 13.07.1999, Az.: 12 UF 79/99

Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen selbst schon Rente beziehenden Kindes; Bestimmung des eigenen angemessenen Bedarfs eines Unterhaltsverpflichteten im Verhältnis zu seinen Eltern; Selbstbehalt bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegen ihre Kinder

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
13.07.1999
Aktenzeichen
12 UF 79/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29332
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0713.12UF79.99.0A

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2000, 40-41

Amtlicher Leitsatz

Leistungsfähigkeit des nach § 91 BSHG in Anspruch genommenen selbst schon Rente beziehenden Kindes

Tatbestand

1

Der klagende Landkreis (im Folgenden Kläger) nimmt den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Unterhalt für dessen Mutter in Anspruch.

2

Der Beklagte ist neben seinem Bruder G... O... ein Sohn der Frau E... O.... Dieser zahlt der Kläger seit dem 01. November 1997 laufend Hilfe zur Pflege. Dies teilte er dem Beklagten durch Rechtswahrungsanzeige vom 28. Oktober 1997 mit. Der Beklagte ist seit 1993 Rentner. Er erhält monatliche Einkünfte in Höhe von rund 3.100,- DM. Zusammen mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau bewohnt er ein im gemeinsamen Eigentum stehendes lastenfreies Einfamilienhaus.

3

Mit dem Vorbringen, er habe der Mutter des Beklagten von November 1997 bis Anfang September 1998 Leistungen in Höhe von insgesamt rund 12.800,- DM und ab September monatlich laufend rund 510,- DM erbracht, hat der Kläger den Beklagten auf Zahlung rückständiger Beträge von insgesamt 7.438,35 DM für die Zeit von November 1997 bis Dezember 1998 sowie ab Januar 1999 monatlich 396,61 DM laufenden Unterhalt in Anspruch genommen. Der Bruder des Beklagten erfülle seine Unterhaltspflicht durch die in einem Übergabevertrag vom 03. Juli 1964 übernommene Zahlungsverpflichtung in Höhe von monatlich 30,- DM.

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Der Beklagte ist der Klage unter Hinweis auf seine laufenden Belastungen, die Notwendigkeit von Reparaturrücklagen und eine dann bei Berücksichtigung eines angemessenen Selbstbehalts fehlende Leistungsfähigkeit entgegengetreten.

5

Durch das am 14. April 1999 verkündete Urteil hat das Amtsgericht - Familiengericht - L... die Klage abgewiesen.

6

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.

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Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens beantragt er, das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn für die Zeit ab 01. November 1997 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 246,- DM zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

10

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.

12

Einem Erfolg des Rechtsmittels steht bereits entgegen, dass der Kläger es sich versagt hat, die Bedürftigkeit der Mutter des Beklagten darzulegen. Da der Kläger seine Rechtsposition aus dem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 91 BSHG ableitet, obliegt es wie jedem anderen Unterhaltsberechtigten zunächst ihm, im Einzelnen darzustellen, dass das verfügbare Einkommen sowie vorhandenes Vermögen des Unterhaltsberechtigten nicht genügen, um den eigenen Unterhaltsbedarf zu decken (§ 1602 Abs.1 BGB). Dieser Darlegungslast ist der Kläger nicht bereits durch die Leistung von Sozialhilfe enthoben, weil zwischen dieser und der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht erhebliche Wertungsunterschiede bestehen (vgl. zur Darlegungslast bereits Senatsurteil vom 12. März 1991, FamRZ 1991, 1347). dass zu dem Sparvermögen seiner Mutter konkreter Sachvortrag fehlt, hat der Beklagte bereits in seiner Klageerwiderung zu Recht bemängelt, sodass spätestens damit für den Kläger ein deutlicher Hinweis auf die fehlende Schlüssigkeit seines Vorbringens verbunden war. Aber auch unabhängig davon kommt ein Unterhaltsanspruch aus § 1601 BGB mangels ausreichender Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht in Betracht. Zur Zahlung von Unterhalt ist nicht verpflichtet, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen Unterhalt nur unter Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts aufbringen könnte ( 1603 Abs. 1 BGB). Diese Voraussetzungen sind bei dem zurechenbaren Einkommen des Beklagten von insgesamt 3.600,- DM gegeben.

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Dem Beklagten stehen laufende Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung in Höhe von insgesamt rund 3.100,- DM zur Verfügung. Daneben ist ihm nach ständiger Rechtsprechung ein Vorteil für mietfreies Wohnen zuzurechnen, soweit ein zurechenbarer Mietwert die Belastungen übersteigen. Auch wenn die Zurechnung darauf beruht, dass dieser Wohnvorteil dem Kapitalertrag aus Vermögen entspricht, ist die Höhe des Wohnwertes gleichwohl nicht nach einer bei Fremdvermietung erzielbaren Miete, sondern nach dem verfügbaren Einkommen zu bemessen. Um eine gleichmäßige Behandlung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen, müssen Grundlage der Berechnung die ersparten Mietaufwendungen des Beklagten sein. Während bei einer Ehewohnung nach der Scheidung der Ehe auf Grund der nunmehr veränderten eigenen Lebensverhältnisse im Allgemeinen eine Vermietung oder sogar eine Veräußerung zumutbar sein mögen und sich aus diesem Gesichtspunkt die Zurechnung des tatsächlichen Mietwertes rechtfertigt, gilt dies in aller Regel nicht bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegenüber ihren Kindern. Hier ist der wirtschaftliche Vorteil unabhängig von der Größe der zur Verfügung stehenden Wohnfläche und dem auf dem Wohnungsmarkt zu realisierenden Mietwert zu bestimmen.

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Tatsächliche Einnahmen sind mit dem Wohnen im eigenen Haus nicht verbunden, sodass der Kapitalwert eines Hausgrundstücks das zur Verfügung stehende Einkommen und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsverpflichteten nicht beeinflusst. Eine anderweitige Verwertung von selbst genutztem Grundbesitz hätte eine die eigene Lebensführung grundlegende Beeinträchtigung zur Folge. Dies widerspräche der Wertung des Gesetzes, das in § 1603 Abs. 1 BGB dem auf Unterhalt in Anspruch genommenen Verwandten die für die eigene angemessene Lebensführung notwendigen Mittel belassen will. Demnach ist bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegenüber ihren Kindern eine auf Erzielung höherer Einkünfte gerichtete anderweitige Nutzung von Grundbesitz unzumutbar, zumal dem Unterhaltsverpflichteten ein anerkennenswertes Interesse am Erhalt des Kapitals als zusätzliche Sicherung für die eigene Altersvorsorge zuzubilligen ist. Selbst nach sozialhilferechtlichen Regeln kann im Allgemeinen die Verwertung von selbstgenutztem Grundbesitz nicht verlangt werden (§ 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG). Hinzu kommt, dass der Beklagte nicht Alleineigentümer des Hausgrundstücks ist. Da seine Ehefrau zu Unterhaltsleistungen für ihre Schwiegermutter nicht herangezogen werden kann und auch durch die geltend gemachten Ansprüche keine Einschränkung ihrer eigenen Lebensführung hinnehmen muss (BGH FamRZ 1991, 182 [185]), ist für die Bemessung des Wohnvorteils allein auf den Miteigentumsanteil des Beklagten abzustellen. Unter Beachtung des nach der Rechtsprechung als angemessen angesehenen Mietwertes von 1/4 bis 1/3 des verfügbaren Einkommens (Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 6. Aufl. Rn. 772) und unter Berücksichtigung der üblichen Hauskosten ist der dem Beklagten selbst zuzurechnende Wohnwert jedenfalls mit keinem höheren Betrag als 500,- DM anzusetzen.

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Das sich damit errechnende Gesamteinkommen von 3.600,- DM genügt gerade zur Deckung des angemessenen Bedarfs der vorrangig zu berücksichtigenden eigenen Familie. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 12. März 1991 (FamRZ 1991, 1347) ausgeführt hat, kann es bei der vielfältigen Gestaltung der Lebensverhältnisse für die Bestimmung des eigenen angemessenen Bedarfs eines Unterhaltsverpflichteten im Verhältnis zu seinen Eltern keine festen Tabellensätze geben. An dieser Auffassung hält der Senat ungeachtet der nach der Änderung der gerichtlichen Zuständigkeiten im Unterhaltsrechts zu beobachtenden Bestrebungen fest, auch für diesen Fall Richtlinien zum Selbstbehalt aufzustellen. Es steht nur fest, dass der nach der Düsseldorfer Tabelle bzw. den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien anderer Oberlandesgerichte gegenüber volljährigen Kindern bestehende angemessene Selbstbehalt deutlich zu erhöhen ist. So hat bereits der Bundesgerichtshof im Urteil vom 26. Februar 1992 ausgeführt, dass sich nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge für die Heranziehung nicht gesteigert Unterhaltspflichtiger deutlich über den so genannten "großen" Selbstbehalt hinausgehende Freibeträge ergeben (NJW 1992, 1393 [1305]). Nunmehr hat der Verein einen Zuschlag von 20 % zu dem angemessenen Bedarf gegenüber volljährigen Kindern empfohlen (FamRZ 1995, 1333 Rn. 114). Das Landgericht Düsseldorf hat einen Zuschlag von zumindest 30 % für angemessen erachtet (FamRZ 1998, 50). Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat in seinen Anmerkungen zu der vom 01. Juli 1998 an geltenden Düsseldorfer Tabelle (NJW 1998, 1471; unverändert NJW 1999, 1846; s. auch OLG Bremen FamRZ 1998, 1090) 2.250,- DM zu Grunde gelegt, was bei dem Ausgangsbetrag von 1.800,- DM einem Zuschlag von 25 % entspricht. Soweit in anderen Leitlinien ein erhöhter Selbstbehalt bei Unterhaltsansprüchen von Eltern gegen ihre Kinder vorgesehen ist, ist allgemein ebenfalls ein Zuschlag von 25 % auf den Selbstbehalt üblich (vgl. z.B. Unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate in Bayern, FamRZ 1999, 773 [776]). Wenn auch die zitierten Empfehlungen und Richtlinien keine Bindungswirkung haben, geben sie doch wichtige Anhaltspunkte für den allgemein als angemessen anzunehmenden Eigenbedarf. Hieraus lässt sich jedenfalls eine Grenze ableiten, bei deren Unterschreiten der angemessene Bedarf des Unterhaltsverpflichteten nicht mehr gewahrt ist. Im Übrigen besteht kein Widerspruch zu der Auffassung des Senats, weil es sich dabei um Mindestbeträge handelt, die im Einzelfall dann erheblich überschritten werden können, wenn der Unterhaltspflichtige weitere anerkennenswerte Belastungen substantiiert darlegt. Zu beachten ist auch, dass in den erwähnten Richtlinien als Ausgangspunkt der Berechnung ein ohnehin schon gegenüber volljährigen Kindern erhöhter Selbstbehalt zu Grunde gelegt wird. Ob unter diesen Umständen die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bewertungsansätze für den Bezirk des Oberlandesgerichts Oldenburg übernommen werden können oder der dort genannte Selbstbehalt generell als Mindestbetrag zu gelten hat, mag hier dahinstehen. Denn da nach Auffassung des Senats bei der Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber ihren Eltern der angemessene Eigenbedarf bei einem Zuschlag von weniger als 25 % auf den so genannten "großen" Selbstbehalt keinesfalls mehr gewahrt ist, fehlt es hier an der Leistungsfähigkeit des Beklagten selbst dann, wenn man als Ausgangspunkt den geringeren Selbstbehalt von 1.500,- DM zu Grunde legt. Selbst dann kann der Beklagte gegenüber seiner Mutter einen angemessenen Eigenbedarf von gerundet wenigstens 1.900,- DM in Anspruch nehmen.

16

Für die über keine eigenen Einkünfte verfügende Ehefrau des Beklagten ist die Berücksichtigung eines Unterhaltsbedarfs von 1.500,- DM angemessen. Beide Eheleute haben an den durch das Familieneinkommen geprägten Lebensverhältnissen gleichen Anteil. Dieser für eine auseinander brechende Ehe geltende Grundsatz muss erst recht für intakte Familienverhältnisse gelten. Daher rechtfertigen nur die mit dem Zusammenleben verbundenen Ersparnisse in der Lebensführung einen geringfügigen Abschlag. Auch hierbei können nicht die für Unterhaltspflichten aus geschiedenen Ehen entwickelten Berechnungsmethoden unkritisch übernommen werden, weil - wie bereits ausgeführt - der andere Ehepartner durch die geltend gemachten Unterhaltsansprüche keine Einschränkung seiner eigenen Lebensstellung hinnehmen muss. Daher ist es angemessen, den Bedarf des in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten entsprechend dem sich aus der Düsseldorfer Tabelle ergebenden Verhältnis mit knapp 80 % des dem Unterhaltspflichtigen zuzubilligenden Selbstbehalts zu berücksichtigen. Dies entspricht hier dem Betrag von gerundet wenigstens 1.500,- DM.

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Neben diesem dem Beklagten für den allgemeinen Lebensbedarf der Familie zu belassenden Betrag sind aber - nicht aus dem Selbstbehalt aufzubringende - Sparleistungen als weitere Belastung zu berücksichtigen. Soweit sich diese in einem angemessenen Rahmen bewegen, handelt es sich nicht um "Freibeträge" oder eine einseitige Vermögensbildung zu Lasten des Unterhaltsberechtigten. Es entspricht vielmehr einer vernünftigen Haushaltsführung, Rücklagen für größere Anschaffungen, Reparaturen oder auch zunehmend notwendige Zuzahlungen bei Heilbehandlungen zu bilden. Die Zahlung von Unterhalt für die Eltern darf nicht dazu führen, dass für Rücklagen keine Mittel mehr zur Verfügung stehen und unerwartet auftretende Ausgaben zur Aufnahme eines Kredites zwingen. Die damit verbundenen Mehrbelastungen könnten eine spürbare, über die durch § 1603 Abs. 1 BGB gezogenen Grenzen hinausgehende Einschränkung der eigenen Lebensführung bewirken. Soweit das verfügbare Einkommen solche Sparleistungen ermöglicht, sind diese daher in einer im Verhältnis zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen vertretbaren Größenordnung als sonstige Verpflichtung leistungsmindernd zu berücksichtigen. Dies hat auch der Bundesgerichtshof ausdrücklich gebilligt (BGH NJW 1992, 1393 [1394]).

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Der von dem Beklagten hierfür geltend gemachte Betrag von monatlich 250,- DM ist bei den gegebenen Einkommensverhältnissen offensichtlich angemessen, sodass bei einem Eigenbedarf von wenigstens 3.650,- DM kein für Unterhaltszwecke freies Einkommen verbleibt. Es bedarf demnach keiner Vertiefung mehr, in welchem Umfang von dem Beklagten dargelegte Beiträge für Versicherungen neben dem allgemeinen Selbstbehalt als gesonderte Belastung zusätzlich berücksichtigt werden können.

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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

20

Es bestehen keine Gründe, die Revision zuzulassen.