Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 14.07.1999, Az.: 2 U 97/99

Ärztliche Feststellung der Invalidität im Rahmen der Unfallversicherung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
14.07.1999
Aktenzeichen
2 U 97/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29347
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0714.2U97.99.0A

Fundstellen

  • NVersZ 2000, 85-86
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 370-371
  • VersR 2000, 843 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Unfallversicherung: Ärztliche Feststellung der Invalidität.

Gründe

1

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger den unstreitig vorhandenen Bruch des Innenknöchels am linken Fuß durch den Unfall vom 04.05.1994 erlitten hat oder es sich um eine ältere oder jüngere, aus welchen Gründen auch immer nicht vom Versicherungsschutz bei der Beklagten erfasste Verletzung handelt. Es fehlt jedenfalls an der in § 8 II Abs. 1 Satz 1 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AUB 61) bestimmten Anspruchsvoraussetzung der ärztlichen Feststellung der Invalidität binnen 15 Monaten seit dem Unfalltag. Eine Invaliditätsfeststellung - zudem ohne konkrete kausale Beziehung zum Unfallereignis vom 04.05.1994 (!) - ist erstmals durch das unter dem Datum des 06.10.1995 erstellte Gutachten des Arztes Dr. B erfolgt. Die Frist zur bedingungsgemäßen ärztlichen Feststellung der Invalidität war zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichen.

2

Allerdings ist es anerkennt, dass die Berufung auf die Versäumung dieser Frist gemäß § 242 BGB treuwidrig sein kann (BGH VersR 1978, 1036, 1038; BGH VersR 1998, 175, 176 [BGH 19.11.1997 - IV ZR 348/96]; Grimm, Unfallversicherung, 2. Aufl., § 7 RdNr. 12; Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 7 AUB 88 RdNr. 14). Eine solche Treuwidrigkeit kommt u.a. dann in Betracht, wenn - wie dies vorliegend der Fall war - der Versicherer binnen der 15-Monats-Frist einen Sachverständigen mit der Überprüfung beauftragt, ob beim Versicherungsnehmer eine Invalidität eingetreten ist. Im Regelfall wird dann ein Versicherungsnehmer berechtigterweise annehmen dürfen, der Versicherer werde alles Weitere nunmehr von sich aus in die Wege leiten und die Frage der Berechtigung der Invaliditätsentschädigung einer Prüfung zuführen (OLG Köln, VersR 1995, 907 [OLG Köln 05.05.1994 - 5 U 129/93]; OLG Saarbrücken, VersR 1997, 956, 958 [OLG Saarbrücken 08.05.1996 - 5 U 508/95 36]; Prölss/Martin, a.a.O.).

3

Die besonderen Umstände des vorliegenden Falls gebieten jedoch eine andere Bewertung. Der Kläger begehrt eine Invaliditätsentschädigung auf Grund eines im linken Fuß vorhandenen Innenknöchelbruchs. Die Beklagte hat erstmals durch das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten des Dr. B vom 06.10.1995 von den Beschwerden des Klägers in dessen linken Fuß Kenntnis erlangt; denn darauf hat der Kläger erst bei seiner Untersuchung durch Dr. B am 11.08.1995, also auch nach Ablauf der 15-Monats-Frist, hingewiesen. Die vorangegangenen, vom Kläger bzw. seinem Hausarzt der Beklagten erteilten Informationen enthielten nicht einmal eine Andeutung dahin, dass auch nur die geringste unfallbedingte Verletzung im Bereich des linken Beins eingetreten war. Der Kläger hat im Gegenteil mit seiner Schadenanzeige und den der Beklagten vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diese geradezu in die Irre geführt. In der Schadenanzeige vom 27.05.1994 hat er auf die Frage nach den verletzten Körperteilen neben dem "Nacken" lediglich sein "rechtes Knieteil" angegeben In der der Beklagten vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 30.05.1994 ist neben dem Befund eines Halswirbelschleudertraumas nur eine Prellung des rechten Beins aufgeführt. Auch in dem ärztlichen Bericht des Hausarztes Dr. H vom 18.08.1994 wird insoweit nur eine Prellung des rechten Beins bzw. eine Schwellung des rechten Unterschenkels erwähnt.

4

Ein plausibler und billigenswerter Grund für die Tatsache, dass der Kläger die für ihn angeblich wesentlichen Beschwerden im linken Fuß verschwiegen und stattdessen lediglich die für einen Anspruch auf Invaliditätsentschädigung letztlich unerheblichen Beschwerden im rechten Bein angegeben hat, ist nicht ersichtlich. Das Gegenteil ist der Fall. Der Kläger trägt selbst vor, er habe unmittelbar nach dem Unfall starke Schmerzen im linken Fuß gehabt, das Bein bzw. der linke Fuß seien geschwollen gewesen, er habe eine Gipsschale tragen müssen und sei seit dem Unfall wegen des linken Fußes - und nicht etwa wegen des rechten Beins (!) - regelmäßig in physiotherapeutischer Behandlung gewesen. Er hat mithin den von ihm auch als solchen erkannten wesentlichen Kern seiner Verletzung verschwiegen und stattdessen für die Invaliditätsentschädigung im Ergebnis irrelevante Beschwerden an einer anderen Gliedmaße gegenüber der Beklagten angegeben. Unter diesen Umständen konnte er nach Treu und Glauben nicht erwarten, dass sich die Beklagte mit der Beauftragung des Sachverständigen Dr. B von sich aus die zur Beurteilung des Versicherungsfalls notwendigen Informationen bezüglich des linken Fußes verschaffen werde. Denn für eine Begutachtung des linken Beins bestand bis zum Ablauf der 15-Monats-Frist aus der Sicht der Beklagten kein Anlass, da die vom Kläger der Beklagten erteilten Informationen geradezu darauf angelegt waren, eine zum Unfallzeitpunkt zeitnahe Begutachtung des linken Fußes durch die Beklagte zu vermeiden.

5

Bei der im Rahmen des § 242 BGB gebotenen Gesamtwürdigung des Sachverhalts ist ferner zu berücksichtigen, dass der Kläger vor Ablauf der 15-Monats-Frist bereits anwaltlich vertreten war. Durch seinen Rechtsanwalt hat er ein fachorthopädisches Privatgutachten in Auftrag gegeben, welches unter dem 28.06.1994 - also noch vor dem Ende der am 04.08.1994 ablaufenden 15-Monats-Frist - fertig gestellt worden ist. Auch bei der dieser Begutachtung zu Grunde liegenden Untersuchung hat er indessen ausweislich des schriftlichen Gutachtens trotz umfangreicher Befragung seitens des Gutachters mit keinem Wort Beschwerden im linken Fuß erwähnt, obwohl er auf Grund dieser Beschwerden - und nicht solcher im rechten Bein (!) - zum damaligen Zeitpunkt seit über einem Jahr angeblich in ständiger physiotherapeutischer Behandlung gewesen ist. Ein Versicherungsnehmer, der in dieser Weise eine für die Invaliditätsentschädigung wesentliche Verletzung verschweigt und stattdessen eine unwesentliche Verletzung angibt, hat kein berechtigtes Vertrauen dahin, dass der Versicherer im Rahmen einer in die Wege geleiteten Begutachtung zu irgendeinem Zeitpunkt schon Kenntnis von der tatsächlich die Invalidität begründenden Verletzung erhalten werde.