Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 13.07.1999, Az.: 5 U 54/99

Regelungen und Rechtsfolgen im Rahmen eigenhändiger Testamente; Zahlungsverpflichtung im Nacherbfall; Beschwerung der Erben; Ausgleichspflicht des Nacherben gegenüber seinen Geschwistern; Auslegung des Erblasserwillens bei weitestgehender freier Verfügungsbefugnis

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
13.07.1999
Aktenzeichen
5 U 54/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29323
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0713.5U54.99.0A

Fundstellen

  • FamRZ 2000, 852-853 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJWE-FER 1999, 299
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 375-376

Amtlicher Leitsatz

Keine Ausgleichspflicht bei Vermögenserwerb unter Lebenden an Stelle des angeordneten Erwerbs im Erbweg.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt ihren Bruder aus einem Vermächtnis des 1985 verstorbenen Vaters in Anspruch.

2

Das privatschriftliche Testament vom 1.3.1983, in dem der Erblasser unstreitig seine Ehefrau als befreite Vorerbin und den Beklagten als Nacherben einsetzte, hat folgenden Wortlaut:

"Mein Testament

Nach meinem Ableben (Tod) ist mein Wille!

Mein Vermögen, Grund, Gebäude, Inventar und Geld und alles, was meine Frau, meine Schwester Berta und ich zusammen erwirtschaftet haben, an meine Frau, übergeht. Es ist mein Wille, dass nach dem Ableben meiner Frau unser ganzer Besitz an meinen Sohn Helmut, übergeht, als Erbe wird. Von dem noch vorhandenen Bargeld erhalten meine Kinder Marlis-Waltraud, Hans und Helga je 1/4 Teil des Geldes. Vom anderen geerbten Vermögen verpflichte ich, meine gesamten Kinder jeweils 1/10 Teil als Bargeld Anteil auszuzahlen (Gleitwert). Alle 4 Kinder haben eine Aussteuer erhalten!

P.S.

Meine Schwester Berta soll bis zum Lebensende die ganze Oberwohnung, worin sie jetzt wohnt, kostenlos behalten und hat auch das Nutznießrecht. Für dieses mache ich meinen Sohn Helmut verantwortlich".

3

Den Grundbesitz veräußerte die 1997 verstorbene Mutter gemäß Vertrag vom 25.7.1990 - UR.-Nr. 231/90 des Notars Beimesche, Lingen - an den Beklagten. Der vereinbarte Kaufpreis von 150.000,- DM sollte durch Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts gezahlt werden.

4

Die Klägerin ist der Ansicht, der Vater habe in dem Testament festlegen wollen, dass die Geschwister in jedem Fall von dem Wert des Grundbesitzes, den sie mit 778.733,50 DM angibt, 1/10 in bar erhalten sollten, und begehrt Zahlung von 70.000,- DM.

5

Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung von Zeugen abgewiesen, da es sich nach den Zeugenaussagen nicht davon hat überzeugen können, ob sich das Vermächtnis auf das Grundvermögen zum Zeitpunkt des Todes des Vaters oder auf das noch beim Tode der Mutter vorhandene Grundvermögen bezieht. Eine Auslegung des Testamentes ergebe das Letztere.

6

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren insgesamt weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

8

Zu Recht hat das Landgericht einen Vermächtnisanspruch der Klägerin gem. § 2174 BGB, der allein Gegenstand ihrer geltend gemachten Forderung ist, verneint. Ein solcher Anspruch sollte nach dem Testament von 1983 erst im Zeitpunkt des Nacherbfalls entstehen. Gemäß Satz 5 des Testamentes sollte der Beklagte aber nur mit einer Zahlungsverpflichtung hinsichtlich des Grundbesitzes beschwert sein, wenn dieser zu dem "anderen geerbten Vermögen" gehört. Nur das von ihm ererbte Vermögen bildet nach dieser Regelung die vom Erblasser erkennbar vorgenommene Rechtfertigung für seine Anordnung einer gewissen Ausgleichspflicht des Nacherben gegenüber seinen Geschwistern.

9

Jede andere Beurteilung bedeutete für den Nacherben die Möglichkeit einer Zahlungsverpflichtung, auch wenn er nichts Ausgleichspflichtiges im Erbwege erhalten hätte. Eine solche Regelung ist aber mit dem die letztwillige Verfügung bestimmenden Erblasserwillen nicht zu vereinbaren, der mit dem angeordneten Übergang seines ganzen Besitzes über seine Ehefrau auf nur ein Kind - den Beklagten - eine klare Regelung zu Gunsten dieses Abkömmlings dokumentiert. Die Abhängigkeit einer Ausgleichszahlung von ererbtem Vermögen ist möglich und nachvollziehbar. Sie korrespondiert mit der in § 2169 Abs. 1 BGB enthaltenen Wertung, dass sich Vermächtnisse im Zweifel nur auf Gegenstände beziehen, die zur Zeit des Erbfalls zum Nachlass gehören. Die erbrechtliche Stellung der übrigen Abkömmlinge findet ihren Schutz lediglich im Pflichtteilsrecht.

10

Dass dem Beklagten als Nacherben eine Ausgleichsverpflichtung gegenüber seinen Geschwistern auferlegt werden sollte, weil der Erblasser seine Ehefrau als Vorerbin eingesetzt hat, ist nicht ersichtlich. Eine Belastung des Nacherben mit einem Vermächtnis wegen einer Drittbegünstigung - der Vorerbin - will nicht einmal die Klägerseite für sich in Anspruch nehmen.

11

Aber auch eine Ausdehnung der Vermächtnisanordnung auf Vermögen, das der Nacherbe auf andere Weise - wie hier durch lebzeitige Übertragung der Mutter - erhalten hat, ist in dem Regelungsgehalt des Testamentes selbst nicht angelegt. Ein solcher Erblasserwille kann auch den Zeugenaussagen mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen vollen richterlichen Überzeugung nicht entnommen werden.

12

Nicht ganz zu Unrecht merkt die Berufung allerdings die lediglich kurze Wendung an, die das angefochtene Urteil den Zeugenaussagen zuteil werden lässt. Zutreffend ist aber das Ergebnis. Den Zeugenaussagen ist, unabhängig davon, welchem "Lager" sie zuzuordnen sind, gemein, dass aus ihnen lediglich unverbindliche Kommentare und Einschätzungen zu Äußerungen der Eltern zu entnehmen sind, soweit sie überhaupt einen Tatsachensubstrat enthalten. Die von der Berufung aus den ihr günstig erscheinenden Aussagen gezogene Konsequenz, dass alle Geschwister einen Anteil an dem Vermögen ihres Vaters haben sollten, ist so mit dem Testament selbst nicht zu vereinbaren. Darüber hinaus ist die rechtliche Verbindlichkeit und Bestimmbarkeit eines dahingehenden Erblasserwillens in Bezug auf eine derartige Zahlungsverpflichtung des Nacherben nicht feststellbar.

13

Feststeht allein, und das wird auch von der Berufung über die Zeugin Waltraud Wolters nicht in Frage gestellt, sondern eher bekräftigt, dass die Mutter mit dem Vermögen des Vaters machen können sollte, was sie wollte. Das bestätigt den auch dem Testament zu entnehmenden Erblasserwillen der weitestgehenden freien Verfügungsbefugnis der Ehefrau, was eine Veräußerung an den Beklagten einschließt, ohne dass daraus die übrigen Kinder Rechte ableiten könnten. Denn die Grenzen, die einer befreiten Vorerbin in der Verfügungsmöglichkeit gesetzt sind, wirken nur gegenüber dem Nacherben, nicht aber gegenüber den übrigen Abkömmlingen (arg. e. § 2113 BGB).

14

Ein Rechtsgrund, aus dem die Klägerin einen Vermächtnisanspruch herleiten könnte, ist daher nicht ersichtlich. Eine Korrektur dieses Ergebnisses, das sich aus dem wirksamen Testament und dem ihm zu Grunde liegenden Erblasserwillen ergibt, kann auch nicht über die Grundsätze von Treu und Glauben gem. § 242 BGB erfolgen. Denn es besteht kein durchgreifender Anhalt, der die Veräußerung des Grundbesitzes durch die gegenüber ihren anderen Kindern in ihrer Verfügung völlig freien Mutter als treuwidrig oder missbräuchlich erscheinen lassen und daher eine andere Beurteilung der Vermächtnisanordnung gebieten könnte.