Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 20.07.1999, Az.: 5 U 63/99

Bestehen eines Feststellungsinteresses als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage; Notwendigkeit der Feststellung der Testierfähigkeit für die Ungültigkeitserklärung eines Testaments; Verteilung der Beweislast bei der Testierunfähigkeit

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
20.07.1999
Aktenzeichen
5 U 63/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29336
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0720.5U63.99.0A

Amtlicher Leitsatz

Zulässigkeit einer Feststellungsklage - Testierfähigkeit bei nur über- wiegend wahrscheinlich fehlender Einsichtsfähigkeit - Zeugenvernehmung trotz erstinstanzlichen Einverständnisses mit Protokollverwertung.

Tatbestand

1

Die Parteien, Neffen neben weiteren Neffen und Nichten des unverheiratet und kinderlos 1995 im Alter von 88 Jahren verstorbenen Erblassers, streiten über die Grundlage der Erbfolge für den im Wesentlichen aus Grundbesitz im Werte von 663.000,00 DM und Geldforderungen in Höhe von 436.000,00 DM bestehenden Nachlass.

2

Der Kläger bezieht sich auf ein privatschriftliches Testament vom 15.10.1990, von dem nur noch ein von einem Bankangestellten gefertigter maschinengeschriebener Entwurf existiert, wonach der Kläger den Grundbesitz erhalten und das Barvermögen auf 13 Nichten und Neffen verteilt werden sollte. Am 19.02.1990 hatte der Erblasser dieses seit dem nicht mehr auffindbare Testament aus der amtlichen Verwahrung genommen.

3

Der Beklagte beruft sich auf das notarielle Testament vom 10.01.1992 - Urkundenrolle Nr. 18/92 des Notars H., Oldenburg, das ihn und 10 weitere Nichten und Neffen zu je 1/12 und zwei Großnichten zu je 1/24 zu Erben einsetzte und den Kläger nicht bedachte.

4

Im Erbscheinsverfahren hat der erkennende Senat durch Beschluss vom 21.01.1998 - 5 W 254/97 - die vom Landgericht angenommene Wirksamkeit dieses Testamentes bestätigt.

5

Der Kläger hält das notarielle Testament für unwirksam. Der Erblasser, der 1991 einen Schlaganfall erlitten hatte und für den anschließend eine Betreuung eingerichtet worden war, sei bei der Testamentserrichtung nicht mehr testierfähig gewesen. Der Notar habe im Gegensatz zu dem zuvor aufgesuchten Notar F., zu dem der Beklagte und andere Verwandte den Erblasser ebenfalls hingeschleppt hätten, jedenfalls dessen Demenz verkannt, durch die er nicht mehr fähig gewesen sei, eigene Willensentscheidungen frei von Einflüssen Dritter zu treffen.

6

Der Kläger begehrt mit der Klage Feststellung, dass der Beklagte nicht Erbe nach dem Testament von 1992 geworden ist.

7

Der Beklagte hält diesen Feststellungsantrag für unzulässig, bestreitet, dass das Testament von 1990 unterschrieben worden sei, und bekräftigt die Wirksamkeit des notariellen Testamentes.

8

Das Landgericht hat sachverständig beraten (Verwertung des im Erbscheinsverfahren erstatteten schriftlichen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Gutachters) nach Vernehmung des beurkundenden Notars sowie mit Zustimmung des Klägers erfolgter Verwertung der im Erbscheinsverfahren protokollierten Zeugenaussagen die Klage abgewiesen, da sich auch im Zivilprozess eine Testierunfähigkeit des Erblassers nicht habe feststellen lassen.

9

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren insgesamt weiter.

Gründe

10

Die Berufung ist zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

11

Die Bedenken der Berufungserwiderung gegen die Zulässigkeit der Klage greifen im Ergebnis nicht durch. Zwar trifft es zu, dass die übrigen Erben durch ein gerichtliches Erkenntnis in diesem Verfahren rechtlich nicht gebunden werden. Das erstrebte Urteil wäre jedoch infolge seiner Rechtskraft geeignet, jedenfalls im Verhältnis zu dem Beklagten die Unsicherheit am Recht des Klägers zu beseitigen, die durch das Testament von 1992 entstanden ist, sodass das Rechtsschutzinteresse an dieser Klage nicht verneint werden kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 256 Rdnr. 7).

12

Ein Kläger ist auch nicht generell gehalten, alle Personen zugleich zivilprozessrechtlich in Anspruch zu nehmen, wie für eine Durchsetzung der von ihm erhobenen Forderungen im Vollstreckungswege letztendlich erforderlich sein würde. Ein Verstoß gegen die allgemeine Redlichkeitspflicht und das prozessuale Missbrauchsverbot (vgl. dazu Zöller/Vollkommer a.a.O. Einleitung Rdnr. 56 und 57) ist in dem Entschluss des Klägers, sich zunächst an den Hauptkontrahenten des Erbscheinverfahrens zu wenden, nicht zu sehen. Schließlich wird das Feststellungsbegehren auch nicht durch die bessere Rechtschutzmöglichkeit einer Leistungsklage verdrängt, da diese noch von der Klärung der Frage abhängt, ob ein wirksames Testament von 1990 vorliegt. Dem Kläger geht es hier aber darum, zunächst die Bedenken gegenüber einer Erbrechtsposition aus dem Testament von 1992 auszuräumen.

13

Das Landgericht hat in der Sache rechts- und verfahrensfehlerfrei mit zutreffender ausführlicher Begründung den Beweis für eine Testierunfähigkeit des Erblassers bei Errichtung des notariellen Testamentes - womit der Kläger belastet ist - nicht als erbracht angesehen. Insoweit kann gemäß § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf die überzeugenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen (LGU 6 - LGU 10 1. Abs.), die sich der Senat zu Eigen macht, verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen werden. Dem vermag die Berufung nichts Erhebliches entgegenzusetzen.

14

Wie der Senat bereits in seinem das Erbscheinsverfahren betreffenden Beschluss ausgeführt hat, ist ein Erblasser wegen des Ausnahmetatbestandes von Geistesstörungen bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen und zwar selbst dann, wenn er unter Betreuung stand (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1996, 635). Verbleibende, trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht behebbare Zweifel an der Testierunfähigkeit gehen zu Lasten desjenigen, der sich auf die daraus hergeleitete Unwirksamkeit eines Testamentes beruft. Ein Anscheinsbeweis kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine Testierunfähigkeit vor und nach der Testamentserrichtung festgestellt ist. In solchen Fallgestaltungen kann derjenige, der Rechte aus dem Testament herleitet, dann durch Nachweis der ernsthaften Möglichkeit eines sog. lichten Intervalls diesen Anscheinsbeweis erschüttern. Die Feststellungslast verbleibt indes stets bei dem, der ein Testament angreift (allgemeine Ansicht, vgl. zum ganzen nur Palandt/Edenhofer, BGB, 58. Aufl., § 2229 Rdnr. 13 - 16 und § 2353 Rdnr. 31).

15

Nach den Erläuterungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und bei seiner Anhörung, die auch durch seine nachgereichte Stellungnahme nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht nicht in ihrer Stimmigkeit und Überzeugungskraft beeinträchtigt, sondern vielmehr insgesamt bestätigt werden, ist die gemäß § 286 ZPO erforderliche sichere Überzeugungsbildung des Gerichts von einer Testierunfähigkeit des Erblassers in einem definierbaren Zeitraum vor, bei oder nach Abfassung des notariellen Testamentes nicht möglich.

16

Das betrifft sicher die mentalen und kognitiven Fähigkeiten des Erblassers aber auch die emotionale Affizierbarkeit und Beeinflussbarkeit. Auch die bestehenden Zweifel an der Motivautonomie des Erblassers und damit an seiner Fähigkeit, nach der gegebenen Einsicht zu handeln im Sinne von § 2229 Abs. 4 BGB lassen lediglich den Schluss zu, dass der Erblasser zu dem fraglichen Zeitpunkt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit testierunfähig war. Die für eine entsprechende Feststellung notwendige volle Gewissheit ist daraus nicht zu erlangen. Dabei handelt es sich entgegen der Berufung nicht um eine Ermessensfrage. Ebenso wenig betrifft dies Fehler bei der Beweiswürdigung in dem Sinne, dass aus der Wahrscheinlichkeit der Testierunfähigkeit eine Testierfähigkeit festgestellt würde. Gerade auch unter Berücksichtigung der von den Zeugen geschilderten Eindrücke von dem Erblasser in dem relevanten Zeitraum nach dem Schlaganfall bestehen Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der freien Willensbildung; genauso bleiben aber Zweifel, die einem sicheren Schluss entgegenstehen, dass der Erblasser entgegen dem nach Überprüfung von dem Notar gewonnenen Eindruck nicht mehr testierfähig war.

17

Es besteht auch keine Möglichkeit, diese Zweifel durch eine weitere Aufklärung auszuräumen. Die dahingehenden Erwägungen der Berufung in Verbindung mit den behaupteten Verfahrensverstößen des Landgerichts greifen nicht durch.

18

Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.1998 (GA 115) ausdrücklich mit der Verwertung der protokollierten Zeugenaussagen im Erbscheinverfahren einverstanden erklärt. Zwar wird dadurch das Recht einer Partei, die unmittelbare Anhörung von Zeugen zu beantragen, nicht grds. ausgeschlossen (so bereits BGHZ 7, 116, 121 [BGH 14.07.1952 - IV ZR 25/52]; BGH VersR 1971, 177 ff; VersR 1992, 1028 ff).

19

Die erstmalig in der Berufungsinstanz beantragte Vernehmung von Zeugen in Abkehr von dem erstinstanzlich erklärten Einverständnis mit der urkundsbeweislichen Verwertung der Aussageprotokolle aus dem Erbscheinsverfahren ist jedoch grob nachlässig und mithin verspätet gem. §§ 528 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO, weil der Kläger nicht davon ausgehen konnte, das Landgericht werde über die protokollierten Zeugenaussagen zu einer für ihn günstigen Würdigung gelangen. Im Gegenteil hatte das Landgericht auf dieser Grundlage das Begehren des Klägers im Erbscheinsverfahren zurückgewiesen. Der erkennende Senat hat in seinem Beschluss vom 21.1.1998 ausdrücklich festgestellt, dass diese Entscheidung unter Einbeziehung der Beurteilung der Zeugenaussagen rechts- und verfahrensfehlerfrei ergangen ist. Es bestand daher für den Kläger kein Anhalt, der seine Auffassung, auf der Grundlage dieser protokollierten Zeugenaussage werde die von ihm behauptete Testierunfähigkeit festgestellt, als zumindest vertretbar hätte erscheinen lassen können (vgl. BGH MDR 1983, 301 f).

20

Im Übrigen hat sich der Kläger erstinstanzlich ausdrücklich und mehrfach zur Stützung seines Vorbringens eben auf den Text dieser Aussageprotokolle bezogen und in der Berufungsbegründung nur ganz allgemein die Vernehmung von Zeugen verlangt, ohne darzulegen, welche Behauptung damit bewiesen werden soll, die dann ggf. geeignet sein könnte, die Frage der Testierfähigkeit anders zu beurteilen. Sein Vorbringen ist daher nicht schlüssig und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Anhaltspunkte dafür, dass eine erneute Vernehmung von Zeugen durch das Prozessgericht zu anderen Ergebnissen mit der Möglichkeit einer abweichenden Beurteilung führen könnte, werden vom Kläger insgesamt nicht aufgezeigt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die in das Zeugnis des nicht vernommenen Andreas H. gestellten Behauptungen sind vom Landgericht zu Gunsten des Klägers unterstellt worden. Die vorgelegten Privatgutachten - ärztliche Beurteilungen von Dr. T. und Dr. D., wobei Dr. T. bei der Beweisaufnahme vor dem Landgericht anwesend war und dem Zeugen und dem Sachverständigen Vorhalte gemacht hat - sind bei der Sachverständigenbegutachtung ebenso zu Grunde gelegt worden wie bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung. Das gilt auch für die Aussage des Zeugen Dr. A. Die in sein Wissen gestellte Behauptung der Einnahme des Medikamentes Haldol über einen Zeitraum von Monaten hat dieser gerade nicht bestätigen können und wird durch die Aussage des Heimleiters O. widerlegt. Zudem beziehen sich die Beobachtungen von Dr. A. ebenso wie die der weiteren den Erblasser behandelnden Ärzte Dr. J. und Dr. B. auf einen anderen Zeitpunkt und lassen daher keine verlässlichen Schlüsse auf den Zustand des Erblassers im Zeitrahmen der Testamentserrichtung zu. Im Übrigen beruht die Feststellung, dass die Testierunfähigkeit nicht als bewiesen angesehen werden kann entgegen der Berufung keineswegs allein auf der Aussage des Notars H., sondern auf einer beanstandungsfreien umfassenden Würdigung aller Umstände.

21

Schließlich besteht kein Anlass zu der Annahme, durch Einholung eines weiteren Gutachtens sicherere Erkenntnismöglichkeiten im Hinblick auf eine Testierunfähigkeit des Erblassers gewinnen zu können. Mängel der stattgefundenen Sachverständigenbeurteilung sind nicht erkennbar und werden durch den bloßen Hinweis der Berufung auf fehlende Aussagen zum Grad der Demenz und nicht angewandte "operationalisierte Diagnosesysteme" nicht substantiiert dargetan.