Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.03.1986, Az.: 6 A 70/85

Genehmigungsbedürftigkeit einer Garage; Korrekte Ausübung des Eingriffsermessens; Beseitigungsanordnung wegen Rechts- oder Ordnungswidrigkeit; Errichtung einer Garage auf zwei verschiedenen Grundstücken

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.03.1986
Aktenzeichen
6 A 70/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 14644
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1986:0310.6A70.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - AZ: 2 VG A 106/83

Verfahrensgegenstand

Aufhebung einer Abrißverfügung.

Prozessführer

des Landwirts ...

Prozessgegner

den Landkreis ...

In der Verwaltungsrechtssache
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Taegen,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Lemmel und
die Richterin am Verwaltungsgericht Franz, sowie
die ehrenamtlichen Richter Ronshausen und Schild
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 31. Januar 1985 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 21. Juni 1982 zu Nr. 1 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 21. März 1983 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Kostenentscheidung ist für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 1.500,00 DM abwenden, sofern nicht der Kläger in derselben Höhe Sicherheit leistet oder hinterlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung des Beklagten, einen Teil seiner Garage abzureißen.

2

Der Kläger und der Beigeladene sind Eigentümer von Grundstücken, die zwischen der im Norden verlaufenden Straße ... und der im Süden verlaufenden Straße ... liegen. Ursprünglich waren die beiden Grundstücke durch einen etwa 3 m breiten Fußweg ... voneinander getrennt. Das Grundstück des Klägers trug die Flurstücksnummer 59, das Grundstück des Beigeladenen die Nr. 123/58. Nach der Durchführung von Vermessungsarbeiten im Jahre 1978 erwarb der Kläger von der Gemeinde ... im Austausch gegen eine andere Fläche die .... Sein Grundstück besteht jetzt aus den Flurstücken 59/4 (hervorgegangen aus dem früheren Flurstück 59) und dem Flurstück 126/6 (...). Das Grundstück des Beigeladenen erhielt die Flurstücksnummer 58/5.

3

Der Beigeladene hat sein Grundstück mit Kaufvertrag vom 10. September 1981 von der Erbengemeinschaft ... erworben. Auf dem Grundstück steht unmittelbar auf der Grenze zur ... ein über 100 Jahre altes Fachwerkhaus. Bei den Vermessungsarbeiten im Jahre 1978 wurde festgestellt, daß das Grundstück des Beigeladenen zwischen der Straße ... und der Nordwestecke des Hauses auf etwa 10 m Länge etwa 50 cm tief in die ... hineinragt. Nach dem Vorbringen des Klägers einigte er sich mit dem Vertreter der Erbengemeinschaft ... daß diese etwa 4 qm große Fläche seinem Grundstück zugeschlagen werden sollte. In der Abmarkungsniederschrift vom 21. November 1978 heißt es hierzu:

In Erweiterung des Vermessungsantrages vom 17.10.1978 wurde das Flurstück 123/58 zerlegt und damit die Grenze von 5 nach 6 begradigt. Die Beteiligten verpflichteten sich, die Kosten einer etwa notwendigen Änderung der Vermessung zu tragen und die notwendigen behördlichen Genehmigungen nachzureichen.

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Außerdem heißt es in dem Protokoll:

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Die Beteiligten verzichteten auf die Wiederherstellung und Abmarkung der künftig fortfallenden - in der Skizze rot überhakten - Grenze und erklärten: "Wir erkennen den Katasternachweis als maßgebend an".

6

In der Skizze ist die westliche Grenze des Flurstücks 123/58 im Bereich zwischen dem Wohnhaus und der Straße ... rot überhakt. - Die genannte 4 qm große Fläche ist in der Folgezeit nicht ins Eigentum des Klägers gelangt. Der Beigeladene ist gegenwärtig zu einer Eigentumsübertragung auch nicht bereit.

7

Mit Bauschein vom 31. Juli 1980 genehmigte der Beklagte dem Kläger den Neubau eines Einfamilienhauses auf seinem Grundstück. In der Baugenehmigung ist das Baugrundstück als Flurstück 59 bezeichnet. In der Baugenehmigung heißt es weiter:

Das zugekaufte Grundstück ... muß Grundbuch mit dem Flurstück 59 der Flur 11 vereinigt werden. Die Grenzabstände nach § 7 NBauO müssen eingehalten werden.

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Im genehmigten Lageplan im Maßstab 1: 1.000 ist die Garage im Bereich der ... in Grenzbebauung zum Flurstück 123/58 eingezeichnet. Die östliche Seitenwand ist gradlinig eingezeichnet. Sie stößt im Süden an die Mitte des Wohnhauses des Beigeladenen und im Norden an die nach Westen verspringende (ursprüngliche) Flurstücksgrenze. Bei genauem Hinschauen kann man feststellen, daß die Garage in ihrer Mitte zur nordwestlichen Ecke des Wohnhauses des Beigeladenen einen kleinen Zwischenraum einhält. Wegen einer Grundrißänderung erteilte der Beklagte am 14. Januar 1982 einen Nachtrag zur Baugenehmigung vom 31. Juli 1980. Hinsichtlich des Standortes der Garage ist keine Änderung vorgenommen worden.

9

Der Kläger errichtete zunächst sein Wohnhaus und begann dann mit dem Bau der Grenzgarage. Bei der Errichtung der östlichen Wand orientierte er sich an der Verlängerung der westlichen Seite des Hauses des Beigeladenen. Die Wand wurde infolgedessen etwa zur Hälfte auf dem Grundstück des Beigeladenen errichtet.

10

Mit Verfügung vom 21. Juni 1982 forderte der Beklagte den Kläger unter Nr. 1 auf, die Garagenostwand, die auf dem Flurstück 58/5 errichtet worden sei, sofort abzubrechen; die Garagenwand sei auf der Grenze des Flurstücks 126/6 zu errichten. Er forderte den Kläger ferner unter Nr. 2 auf, die Bauarbeiten an der Garage sofort einzustellen. Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung ... mit Bescheid vom 21. März 1983 als unbegründet zurück.

11

Mit der Klage hat sich der Kläger weiter gegen die Beseitigungsanordnung gewandt. Er hat beantragt,

12

die Ziffer 1 der Verfügung des Beklagten vom 21. Juni 1982 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... vom 21. März 1983 aufzuheben.

13

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Mit Urteil vom 31. Januar 1985 hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.

15

Mit der Berufung macht der Kläger weiterhin geltend: Es sei zwar richtig, daß die Voraussetzung des § 4 Abs. 1 Satz 1 NBauO nicht erfüllt sei. Auch könne eine Baulast nicht bestellt werden, weil sich der Beigeladene gegen Treu und Glauben weigere, eine solche Baulast zu bestellen. Aus der Baugenehmigung vom 31. Juli 1980 und dem Nachtrag vom 14. Januar 1982 ergebe sich, daß das hier streitige Teilstück des Nachbarflurstücks mit der Garagenostwand überbaut werden sollte.

16

Durch die Zurücknahme eines Teils der Ostwand würde die Breite der Garage so verringert werden, daß sie nicht mehr zum Parken von Personenkraftwagen der Mittelklasse benutzt werden könnte. Sie würde zu schmal werden. Nach Westen könne die Garage nicht verschoben werden, weil hier das genehmigte Wohnhaus errichtet worden sei. Hierin liege eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Härte, so daß eine Ausnahmegenehmigung erteilt werden müsse. Im übrigen hätte der Beklagte bei sorgfältiger Überprüfung des Bauantrages feststellen können und müssen, daß die Ostwand der Garage auf dem noch im Eigentum des Beigeladenen stehenden Teilstück des Flurstücks 58/5 habe errichtet werden sollen. Die Garagenostwand sei daher weder formell noch materiell illegal.

17

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils nach dem Klagantrag zu erkennen.

18

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

19

Er weist darauf hin, daß in den im Baugenehmigungsverfahren beigebrachten Lageplänen der in Rede stehende Grenzversprung nicht dargestellt gewesen sei. Dem Kläger müßten als Landwirt auch die gesetzlichen Voraussetzungen bekannt sein, die zur Eigentumserlangung an Grundstücken notwendig seien. Die Garagengrenzwand sei teilweise unzulässig auf einem fremden Grundstück ausgeführt worden. Die Voraussetzungen für eine Befreiung lägen nicht vor.

20

Der Beigeladene enthält sich einer Stellungnahme.

21

Zwischen dem Beigeladenen und dem Kläger ist ein zivilrechtlicher Rechtsstreit beim Oberlandesgericht in ... anhängig (3 U 171/83). In diesem Rechtsstreit verlangt der Beigeladene vom Kläger insbesondere, daß er die etwa 4 qm große Fläche östlich der ehemaligen ... wieder in den früheren Zustand zurückversetze. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz ist das Verfahren im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit ausgesetzt worden.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des landgerichtlichen Verfahrens 5 O 517/82 = 3 U 171/83 sowie auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung ... Bezug genommen.

Gründe

23

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts ist zu ändern. Die Verfügungen des Beklagten und der Bezirksregierung ... sind aufzuheben, weil die Anordnung des Beklagten, die Garagenostwand teilweise abzubrechen, rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

24

Als Rechtsgrundlage für die Beseitigungsanordnung kommt nur § 89 Abs. 1 NBauO in Betracht. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen dem öffentlichen Baurecht widersprechen, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Wiederherstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. Entgegen der Auffassung des Klägers sind hier zwar die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben:

25

Die streitige Garage ist gegenwärtig nicht genehmigungsfähig; sie ist auch nicht vom Beklagten genehmigt worden. Die angefochtenen Bescheide sind jedoch fehlerhaft, weit sie nicht erkennen lassen, daß der Beklagte von dem ihm eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO).

26

Die Garage ist so, wie sie der Kläger gebaut hat, gegenwärtig nicht genehmigungsfähig. Denn sie steht auf zwei unterschiedlichen, nicht durch Baulast vereinigten Grundstücken, nämlich auf dem dem Kläger gehörenden Flurstück 126/6 und auf dem Flurstück 58/5, das dem Beigeladenen gehört. Dies hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 NBauO zutreffend dargestellt; darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, daß die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht gegeben sind.

27

Der Kläger hätte ohne weiteres anders bauen können. Der von ihm behauptete Irrtum über die östliche Grundstücksgrenze kann nicht zur Anwendung des § 86 NBauO führen, weil aus ihm keine objektive, sich aus den Besonderheiten des Grundstücks ergebende Härte abgeleitet werden kann.

28

Die Garage ist auch nicht etwa im Widerspruch zum materiellen Baurecht vom Beklagten genehmigt worden. Allerdings sind die genehmigten Bauvorlagen unzulänglich. Entgegen der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 2 BauVorlVO hat der Kläger einen Lageplan mit einem kleineren Maßstab als 1: 500, nämlich mit dem Maßstab 1: 1000, verwendet. In diesem Lageplan ist der Versprung an der östlichen Grenze kaum zu erkennen. Bei genauem Hinschauen sieht man jedoch, daß die Garage in der Bauzeichnung nicht auf das Grundstück des Beigeladenen (Flurstück 58/5) reicht. Auf den Schutz der erteilten Baugenehmigung kann sich der Kläger deshalb nicht berufen.

29

Die angefochtenen Verfügungen lassen jedoch nicht erkennen, daß der Beklagte oder die Widerspruchsbehörde das durch § 89 NBauO eingeräumte Eingriffsermessen korrekt ausgeübt haben.

30

Die Verfügung vom 21. Juni 1982 enthält überhaupt keine Aussage die auf eine Ermessensausübung durch den Beklagten schließen läßt. Auch der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung vom 21. März 1983 beschränkt sich letztlich auf die Überprüfung der Frage, ob die Voraussetzungen für ein Einschreiten gegeben waren; daß zusätzlich eine Ermessensentscheidung zu treffen war, kann allenfalls aus der Miedergabe des Gesetzestextes entnommen werden. Nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG soll die Begründung von Ermessensentscheidungen jedoch auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

31

Allerdings haben sich Inhalt und Umfang der Begründung des Verwaltungsaktes nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfall es zu richten (BVerwG, Beschl. v. 28.08.1980 - BVerwG 4 B 67.80 -, BauR Bd. 6 S. 69). Für das öffentliche Baurecht genügt es regelmäßig, wenn die Bauaufsichtsbehörde zum Ausdruck bringt, daß der beanstandete Zustand wegen seiner Rechts- oder Ordnungswidrigkeit beseitigt werden müsse (BVerwG, a.a.O.). Das gilt jedoch nur für den Regelfall. Wenn aber ein Fall so geartet ist, daß ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme, d.h. der hier (ausnahmsweise) in Kauf zu nehmenden Duldung eines rechts- oder ordnungswidrigen Zustandes, bestehen, so ist ein Abwägen des "Für und wider" erforderlich (BVerwG, a.a.O., S. 71). Der Beklagte scheint beim Erlaß der angefochtenen Beseitigungsanordnung angenommen zu haben, daß es sich hier um einen Regelfall bauaufsichtsbehördlichen Einschreitens handele. Von diesem Ausgangspunkt her ist die fehlende Erläuterung der Ermessensentscheidung zwar nicht als formeller Verstoß gegen das Begründungsgebot zu rügen. Das Fehlen einer (erkennbaren) Ermessensbetätigung stellt aber einen Ermessensfehler dar, wenn - wie hier - konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme bestehen (vgl. BVerwG, a.a.O.).

32

Bei der Prüfung der Frage, ob gegen den Kläger bauaufsichtsbehördlich eingeschritten werden solle, hätte der Beklagte zunächst berücksichtigen müssen, daß ein Grund für die materiell rechtswidrige Errichtung der Garage vom Beklagten selbst durch die Erteilung einer unklaren und in sich widersprüchlichen Baugenehmigung (mit) gesetzt worden ist. Zwar gestattete die Baugenehmigung nicht die Errichtung der Garage auf dem Grundstück des Beigeladenen, weil die Garage in der Bauzeichnung nicht auf das Flurstück 58/5 reicht, wie oben ausgeführt worden ist. Andererseits ist aus der Bauzeichnung aber auch deutlich, daß die östliche Garagenwand keinen Versprung aufweist. Die durch textliche Festsetzung in der Baugenehmigung aufgestellte Forderung, die Grenzabstände der NBauO einzuhalten, ist damit objektiv nicht erfüllbar. Denn wegen des Versprunges der Grenze muß beim Bau einer Garage mit einer durchgehend geraden östlichen Außenmauer notwendigerweise ein Zwischenraum entstehen. Im Bereich dieses Zwischenraumes ist deshalb durch die vom Beklagten genehmigte Zeichnung eine mit den Abstandsvorschriften gerade nicht übereinstimmende Bebauung genehmigt. Denn es liegt weder ein unmittelbarer Anbau an der Grenze noch ein Abstand von mindestens 1,50 m (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 NBauO) vor. Vielmehr wäre ein nicht mehr betretbarer, feuchter und nicht reinigungsfähiger Zwischenraum zwischen der Garage und dem Wohnhaus des Beigeladenen entstanden, der nicht unwesentliche Auswirkungen auf die Außenmauern beider Gebäude gehabt hätte. Einen derartigen Zustand wollen die Abstandsvorschriften der NBauO aber gerade verhindern (Beschl. d. Sen. v. 09.01.1985 - 6 OVG B 172/84 -). Bei der Errichtung der Garage mußte der Kläger daher zwangsläufig in irgendeiner weise von der Baugenehmigung abweichen oder gegen das öffentliche Baurecht verstoßen.

33

Im Rahmen der Ermessensbetätigung hätte weiter geprüft werden müssen, ob und in welchem Umfang die Garage des Klägers nach der vom Beklagten verlangten Änderung überhaupt noch benutzbar wäre. Der Beklagte hat sich bis heute keine hinreichende Klarheit darüber verschafft, wie stark die Interessen des Klägers durch eine Änderung der Garage betroffen würden.

34

Die zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen streitige Frage, ob die Garage nach der geforderten Veränderung noch als Garage nutzbar bleiben würde, ist vom Beklagten nicht (erkennbar) geprüft worden. Das Ergebnis der Prüfung wäre hier aber Voraussetzung für eine sachangemessene Ermessensbetätigung gewesen. Denn der Beklagte mußte die Frage der Benutzbarkeit der Garage zumindest bedenken, nachdem er durch die Erteilung der Baugenehmigung - ungeachtet der erwähnten Unklarheiten - jedenfalls grundsätzlich eine funktionstüchtige Garage im Grenzbereich zugelassen hatte.

35

Schließlich hätte der Beklagte erwägen müssen, ob nicht eventuell deshalb von einem Einschreiten gegen den Kläger abzusehen sei, weil Kern des Konfliktes hier nicht ein Widerspruch zum öffentlichen Baurecht, sondern eine privatrechtliche Streitigkeit zweier Nachbarn ist. Der Verstoß gegen das öffentliche Baurecht, nämlich die Errichtung der Garage auf zwei verschiedenen Grundstücken, würde sich durch eine Vereinbarung der beiden Nachbarn auch heute noch ohne weiteres ausräumen lassen. Die Verletzung des eher als formelle Ordnungsvorschrift anzusehenden § 4 Abs. 2 NBauO tritt in ihrer Bedeutung hinter dem zivilrechtlichen Streit der Nachbarn zurück. Durch den Erlaß der angefochtenen Abbruchverfügung hat der Beklagte faktisch für den Beigeladenen Partei ergriffen und zugleich eine Entscheidung oder auch nur eine Schlichtung des Zivilrechtsstreits zwischen dem Beigeladenen und dem Kläger zu dessen Gunsten unmöglich gemacht. Denn nach dem Teilabbruch der Garage wäre dem Zivilrechtsstreit die Grundlage entzogen. Da angesichts der Vereinbarung des Klägers mit dem Rechtsvorgänger des Beigeladenen im Jahre 1978 immerhin die Möglichkeit bestehen kann, daß der Beigeladene den Überbau nach § 912 BGB zu dulden hat, erscheint eine solche mittelbare Einwirkung auf den Zivilrechtsstreit als zumindest problematisch. Zwar darf die Bauaufsichtsbehörde grundsätzlich auch dann gegen bauordnungswidrige Zustände vorgehen, wenn sie damit gleichzeitig in einen zivilen Rechtsstreit eingreift. Sie muß aber in einem solchen Fall, jedenfalls wenn der Streit schwerpunktmäßig im privatrechtlichen Bereich liegt, auch überlegen, ob sie von einem Einschreiten absieht und den sie bedrängenden Nachbarn auf den Privatrechtsweg verweist.

36

Unter diesen besonderen Umständen erweist sich deshalb die fehlende - nicht erkennbare - Ermessensbetätigung des Beklagten als Verstoß gegen § 114 VwGO. Der Klage ist daher stattzugeben.

37

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Die Revision ist, nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 137, 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 31. Januar 1985 für beide Rechtszüge auf 4.000,00 DM (i.W.: viertausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Taegen
Dr. Lemmel
Franz