Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.11.2000, Az.: 4 A 57/97

Abhilfe; Asylbewerberleistungsgesetz; Rechtsbehelfsbelehrung; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
28.11.2000
Aktenzeichen
4 A 57/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41902
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Kläger wenden sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und die Rücknahme der zu Grunde liegenden Bewilligungsbescheide.

2

Die Hilfeleistungen erhielten sie zusammen mit ihren Kindern in dem Zeitraum vom 1. Juli 1994 bis zum 31. Januar 1995 von der namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Stadt S. . Im Jahr 1996 stellte die Stadt S.  fest, dass der Kläger zu 1. in dem genannten Zeitraum zusätzlich eine Verletztenrente in Höhe von monatlich 1.234,- DM bezogen hatte. Mit Bescheid vom 30. September 1996 hob die Stadt S. die Bewilligungsbescheide auf und forderte die Kläger auf, einen Betrag in Höhe von 8.901,20 DM zu erstatten. Der Bescheid erging ausdrücklich im Namen und im Auftrag des Beklagten. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsmittelbelehrung lautet wie folgt:

3

"Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Widerspruch erhoben werden, über den der Landkreis D entscheidet. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stadt S. , Poststraße 12, 19614 S. , einzulegen. Die Widerspruchsfrist ist auch dann gewahrt, wenn der Widerspruch direkt beim Landkreis D, Harburger Straße 2 - 4, 29614 S. , eingelegt wird."

4

Der Bescheid wurde am 2. Oktober 1996 zugestellt. Am 25. Dezember 1996 erhoben die Kläger Widerspruch. Der Widerspruch sei fristgerecht, weil die dem Bescheid vom 30. September 1996 beigefügte Rechtsmittelbelehrung unrichtig sei.

5

Mit Bescheid vom 18. März 1997 wies die Bezirksregierung L. den Widerspruch als unzulässig zurück.

6

Am 21. April 1997 haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor:

7

Die Rechtsbehelfsbelehrung sei unrichtig, weil sie ausführe, der Widerspruch sei bei der Stadt S.  zu erheben. Nach § 10 AsylbLG sei aber der Beklagte als örtlicher Träger der Sozialhilfe zur Wahrnehmung der Aufgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständig. Dementsprechend sei auch der Bescheid vom 30. September 1996 in seinem Namen und Auftrag ergangen und gelte damit als ein Bescheid des Beklagten. Es sei weiter nicht darauf hingewiesen worden, dass der Widerspruch auch bei der Widerspruchsbehörde, nämlich der Bezirksregierung L. , habe erhoben werden können. Die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung habe sich auch ausgewirkt. Sie, die Kläger, hätten nämlich Hemmungen gehabt, sich in S.  zu beschweren. Die Leistungen seien auch zu Recht erbracht worden. Die von dem Kläger zu 1. bezogene Verletztenrente habe dieser stets als eine Art Schmerzensgeld für den Verlust an Lebensqualität angesehen. Als solches hätte die Rente gemäß § 77 BSHG nicht als Einkommen berücksichtigt werden dürfen. Der Bescheid vom 30. September 1996 sei auch deswegen rechtswidrig, weil er dem Individualisierungsgrundsatz nicht Rechnung trage.

8

Die Kläger beantragen,

9

den Bescheid der Stadt S. vom 30. September 1996 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung L. vom 18. März 1997 aufzuheben.

10

Der Beklagte beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Die dem Bescheid vom 30. September 1996 beigefügte Rechtsmittelbelehrung entspreche den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Stadt S.  Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

14

Die Klage hat keinen Erfolg.

15

Zu Recht hat die Bezirksregierung L. den Widerspruch der Kläger vom 25. Dezember 1996 als unzulässig zurückgewiesen, weil die Kläger die in § 70 Abs. 1 VwGO geregelte Frist versäumt haben. Danach ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat (§ 70 Abs. 1 Satz 1  VwGO). Die Frist wird auch gewahrt, wenn der Widerspruch bei der Behörde eingelegt wird, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat (§ 70 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

16

Diese Frist wurde mit Bekanntgabe des Bescheides vom 30. September 1996 an die Kläger am 2. Oktober 1996 in Lauf gesetzt. Die Regelungen der § 70 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 58 VwGO stehen dem nicht entgegen. Nach § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben, oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs - außer in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz, die hier nicht vorliegen - innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig.

17

Die dem Bescheid der Stadt S. vom 30. September 1996 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthält die in § 58 Abs. 1 VwGO vorgesehenen Angaben vollständig und zutreffend. Insbesondere ist richtigerweise die Stadt S. als diejenige Behörde bezeichnet, an die der Widerspruch zu richten ist. Zutreffend ist ebenfalls, dass der Widerspruch fristwahrend auch bei dem Beklagten erhoben werden kann. Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch bei der Behörde zu erheben, die den Bescheid erlassen hat. Hier hat die Stadt S. den Bescheid auf der Grundlage der Satzung des Beklagten über die Heranziehung der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Samtgemeinden, sowie des Gemeindefreien Bezirks Osterheide für die Durchführung der Aufgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 19. Januar 1999 - Heranziehungssatzung - (in Kraft getreten mit Wirkung vom 1. Juli 1994) namens und im Auftrag des Beklagten erlassen. Der Bescheid ist damit rechtlich dem Beklagten zuzuordnen; die gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung über Zuständigkeiten und Kostenträgerschaft nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (i.d.F. vom 24.2.1995, NdsGVBl. S. 42) begründete Zuständigkeit des Beklagten für die Erfüllung der Aufgaben bleibt unberührt. Der Beklagte ist demnach auch die Behörde, die im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO den Bescheid erlassen hat. Dennoch ist die Stadt S. ebenfalls zur Entgegennahme der Widersprüche und zur Durchführung der Abhilfeprüfung (§ 72 VwGO) ermächtigt. Die Heranziehung der kreisangehörigen kommunalen Körperschaften durch die genannte Satzung erstreckt sich nämlich auf sämtliche mit der Aufgabenwahrnehmung zusammenhängende Maßnahmen, mit Ausnahme der Durchführung von Klageverfahren. Nach § 2 Abs. 1 der Heranziehungssatzung sind die herangezogenen Gemeinden zu allen Verfahrenshandlungen ermächtigt, wie sie sich sinngemäß aus der jeweiligen Heranziehungsvereinbarung über Sozialhilfeleistungen ergeben. Die entsprechende Vereinbarung zwischen dem Beklagten und der Stadt S.  vom 13. März 1991 sieht dabei vor, dass die Stadt Widersprüche entgegenzunehmen und über eine Abhilfe zu entscheiden hat. Dies lässt sich § 6 Abs. 2 der Vereinbarung entnehmen, wonach die Heranziehungsgemeinde dem Beklagten die Akten mit einer Stellungnahme zur Entscheidung vorlegt, wenn sie einem Widerspruch nicht abhelfen kann. Der Umstand, dass der Beklagte Klagegegner im Sinne des § 78 VwGO ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung, denn die Heranziehung der Städte und Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erstreckt auf die Durchführung von Klageverfahren nicht (§ 2 Abs. 1 der Heranziehungssatzung i.V. mit § 3 Abs. 2 der Vereinbarung zwischen dem Beklagten und der Stadt S. über die Heranziehung zu den Aufgaben des Beklagten als örtlichem Träger der Sozialhilfe).

18

Ohne Einfluss auf den Lauf der Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 VwGO bleibt, dass in der Rechtsbehelfsbehelfsbelehrung unzutreffend ausgeführt ist, der Beklagte werde über den Widerspruch entscheiden. Dieser Zusatz ist nämlich nicht geeignet, die Einlegung des Rechtsbehelfs zu erschweren. Auch macht es die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unvollständig, dass in ihr kein Hinweis enthalten ist, die Widerspruchsfrist könne auch gewahrt werden, indem der Widerspruch an die Behörde gerichtet wird, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat. Ein derartiger Hinweis ist nicht erforderlich (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 11. Auflage1998, § 58 Rn. 11).

19

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.