Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.11.2000, Az.: 4 A 212/98

Anrechnung von Einkommen; Heimkosten; unverhältnismäßige Mehrkosten; Wahlrecht

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.11.2000
Aktenzeichen
4 A 212/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41897
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, höhere Heimkosten zu übernehmen, die bei dem von ihr beabsichtigten Wechsel des Pflegeheimes zu erwarten sind.

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Die Klägerin ist Rentnerin und lebt seit August 1996 in dem Alten - und Pflegeheim S. Sie erhielt bis zum 30. August 1998 Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I, seither erhält sie Leistungen nach der Pflegestufe II. Die von ihrem Einkommen nicht gedeckten Heimkosten übernimmt der Beklagte aus Sozialhilfemitteln. Mit Bescheid vom 19. Oktober 1998 gewährte er hierfür ab 1. Juli 1998 Hilfe zur Pflege in Höhe von rd. 260,- DM monatlich

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Am 9. Oktober 1998 teilte die Klägerin mit, dass sie beabsichtige, Anfang November in das Alten - und Pflegeheim W. in U. zu ziehen und beantragte die Kostenübernahme. Mit Bescheid vom 21. Oktober 1998 lehnte der Beklagte dies ab. Dem Wunsch der Klägerin könne nicht entsprochen werden, weil sich ihr Bedarf im Falle eines Umzuges von derzeit ca. 262,67 DM auf 966,29 DM erhöhen werde. Hiergegen erhob die Klägerin am 29. Oktober 1998 Widerspruch. Ein Wechsel in das W.  - Haus führe nicht zu unverhältnismäßigen Mehrkosten im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG. Bei der Beurteilung, ob derartige Mehrkosten entstehen, seien nicht - wie es der Beklagte - getan habe, die Heimkosten des bisherigen Heimes mit denjenigen des künftigen Heimes zu vergleichen. Vielmehr sei ein Vergleich der Kosten des künftigen Heimes mit den durchschnittlichen Heimkosten innerhalb eines größeren Bereiches, mindestens des Regierungsbezirkes oder des Einzugsbereiches eines überörtlichen Trägers vorzunehmen. Weiter müsse ihre konfessionelle Bindung berücksichtigt werden. Sie sei an dem W. - Haus interessiert, weil es dem Diakonischen Werk der ev. - luth. Landeskirche Hannover e.V. angehöre. Sie habe auch familiäre und soziale Bindungen in U. , so dass ihr ein Umzug die Pflege ihrer sozialen Beziehungen vereinfachen würde.

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Mit Bescheid vom 18. November 1998 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er wiederholte seine Auffassung, wonach ein Umzug zu unverhältnismäßigen Mehrkosten führen werde. Nachdem die Klägerin in die Pflegestufe II eingestuft sei, seien für sie monatliche ungedeckte Heimkosten in Höhe von 302,62 DM zu übernehmen. Im W.  - Haus seien monatliche ungedeckte Kosten in Höhe von 1.169,29 DM zu erwarten.

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Die Klägerin hat am 21. Dezember 1998 Klage erhoben. Ob der gewünschte Umzug mit unverhältnismäßigen Mehrkosten im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG verbunden sei, müsse anhand eines Vergleiches des in dem neuen Heim erhobenen Pflegesatzes mit dem durchschnittlichen Pflegesatz in vergleichbaren Fällen bezogen auf einen größeren Bereich ermittelt werden. Nur diese Beurteilungsweise sei mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar; denn sie führe zu einer gleichmäßigen Behandlung aller Fälle unabhängig vom Einkommen des Hilfeempfängers. Der Pflegesatz für die Pflegestufe II in dem W.  - Haus überschreite den landesweiten Mittelwert der vergleichbaren Pflegesätze lediglich um 16,7%. Diese Abweichung sei nicht unverhältnismäßig. Im Übrigen wünsche sie, die Klägerin, den Wechsel in das W. - Haus, weil es konfessionell gebunden sei. Es bestehe eine besondere seelsorgerische Betreuung und es fänden regelmäßig Andachten und Gottesdienste statt, an denen sie in einem nicht konfessionell gebundenen Pflegeheim nicht teilnehmen könne.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 1998 und seinen Widerspruchsbescheid vom 18. November 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die ungedeckten Aufwendungen für ihre Unterbringung in dem Alten - und Pflegeheim "W.  - Haus" in U.  zu übernehmen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist weiterhin der Auffassung, ein Umzug der Klägerin in das W.  - Haus werde zu unverhältnismäßigen Mehrkosten führen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hilfe zur Pflege (§ 68 BSHG) in Form der Übernahme der von ihrem Einkommen ungedeckten Heimkosten im Falle ihres Umzuges in das Alten - und Pflegeheim "W.  - Haus" in U. . Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass der Hilfebedarf der Klägerin im Alten - und Pflegeheim S.  angemessen erfüllt wird. Auch mit Rücksicht auf die Regelungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 2 Satz 1 BSHG kann nicht beanstandet werden, dass der Beklagte nicht bereit ist, die im W.  - Haus zu erwartenden höheren Kosten zu übernehmen. Nach den genannten Vorschriften haben sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles zu richten; Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG braucht der Träger der Sozialhilfe jedoch Wünschen nicht zu entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Ob Mehrkosten in diesem Sinne entstehen, beurteilt sich anhand eines Vergleiches der Kosten, die die Unterbringung unter Berücksichtigung des Wunsches des Hilfeempfängers erfordert mit denjenigen, die bei dessen Unterbringung in einer Einrichtung entstehen würden, ohne dass ein solcher Wunsch in Frage stünde (BVerwG, Urt. v. 22.1.1987 - 5 C 10.85 - BVerwGE 75, 343). Ausgangspunkt für den Kostenvergleich sind dabei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die durchschnittlichen Heimkosten, die in einem größeren Bereich für eine Person mit einem dem Bedarf der Klägerin entsprechenden Pflegebedarf entstehen würden. Vielmehr sind die Kosten der konkret gewünschten Hilfe den Kosten gegenüberzustellen, die durch die vom Sozialhilfeträger konkret angebotene Hilfe verursacht werden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.3.1997 - 6 F 755/95 -, FEVS 48, 86; Nds. OVG, Beschl. v. 23.8.2000 - 12 O 3062/00 -; a. A. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 3 Rdnr. 21). Diese Auslegung entspricht dem gesetzgeberischen Willen, wie er der Gesetzesbegründung zu der Neufassung des § 3 Abs. 2 BSHG zu ersehen ist (vgl. BTDrs. 10/347 S. 3 zu Nr. 21). Danach sollte mit der Ersetzung der Worte "unvertretbare Mehrkosten" durch die Worte "unverhältnismäßige Mehrkosten" der Gesichtspunkt der kostengünstigeren Hilfegewährung stärker als bisher betont werden. Dem Sozialhilfeträger sollte ermöglicht werden, einen Kostenvergleich zwischen der gewünschten Leistung und der von ihm angebotenen Leistung zu ziehen (vgl. auch VGH Bad.- Württ., Beschl. v. 14.3.1997 - 6 S 755/95 -, FEVS 48, 86).

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Bei dem Vergleich der Kosten ist dabei von den für den Sozialhilfeträger verbleibenden Nettoaufwendungen auszugehen, das heißt, das Einkommen des Hilfeempfängers ist zu berücksichtigen. Die Kammer folgt auch hier der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (a.a.O). Dieser hat ausgeführt:

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"Sozialhilferechtlich verhältnismäßig sind ihrem Wesen nach nur die unter Beachtung der Gesichtspunkte der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit zur Behebung einer menschenunwürdigen Notlage erforderlichen Kosten. Unverhältnismäßig sind deshalb von daher zumindest im Grundsatz bereits alle Kosten, die über der für den Träger der Sozialhilfe kostenmäßig günstigsten Bedarfsdeckung liegen. Hiervon ausgehend kann es bei dem gemäß § 3 Abs. 2 S. 3 BSHG anzustellenden Kostenvergleich zur Feststellung, ob eine Hilfegewährung entsprechend dem Wunsch des Hilfeempfängers "unverhältnismäßige Mehrkosten" erfordert, grundsätzlich auch nur darauf ankommen, welche Kosten (in welcher Höhe) der Träger der Sozialhilfe jeweils tatsächlich bei den gegenüberzustellenden Alternativen der Bedarfsdeckung übernehmen muß. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem weiter oben bereits zitierten Urteil vom 22.01.1987 - 5 C 10.85 - auch eindeutig ausgesprochen. Sowohl im Leitsatz dieser Entscheidung als auch in seinen Gründen werden allein die Kosten miteinander verglichen, die auf den Sozialhilfeträger zukommen bzw. zukämen. Allein eine solche Handhabung des Kostenvergleichs wird letztlich auch dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 BSHG gerecht, nach dem der Hilfesuchende versuchen muß, sich selbst zu helfen, bevor er Sozialhilfe in Anspruch nimmt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 06.08.1992 - 5 B 97.91 - a.a.O.). Für den Kostenvergleich zwischen der offenen/ambulanten Hilfe bzw. teilstationären Hilfe und der stationären Hilfe muß daher von den dem Sozialhilfeträger jeweils verbleibenden Nettoaufwendungen ausgegangen werden; die Regelungen über den Einkommenseinsatz nach den §§ 79ff. BSHG sind deshalb insoweit zu berücksichtigen (so wohl auch Hess. VGH, Beschl. v. 04.12.1990 - 9 TG 4614/88 -, NVwZ-RR 1991, 562ff.; Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O. § 3 RdNr. 23; Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Stand September 1996, § 3 RdNr. 20; a.A. OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.05.1990 - 4 M 44/90 -, FEVS 41, 68 und Mergler/Zink, BSHG, Stand August 1996, § 3 RdNr. 40)"

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Mithin sind hier die ungedeckten monatlichen Heimkosten in Höhe von 1.169,29 DM für die Pflegestufe II (bzw. vorher 966,29 DM für die Pflegestufe I), die im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung für eine Unterbringung im Alten- und Pflegeheim W. -Haus e. V. anzusetzen gewesen wären, mit den im Alten- und Pflegeheim S.  angefallenen ungedeckten monatlichen Heimkosten in Höhe von 302,62 DM für die Pflegestufe II (bzw. vorher 262,67 DM) zu vergleichen. Hieran gemessen, stellen sich die Kosten der von der Klägerin gewünschten Unterbringung als unverhältnismäßige Mehrkosten dar. Denn die von dem Beklagten zu übernehmenden Kosten würden sich durch den von der Klägerin gewünschten Wechsel des Pflegeheimes mehr als verdreifachen. Dass der Beklagte auf dieser Grundlage die Übernahme der Kosten abgelehnt hat, ist nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen.

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Der Vortrag der Klägerin, sie wünsche den Heimwechsel auch deswegen, weil sie im "W.  - Haus" mit einer besseren seelsorgerischen Betreuung rechnen könne, vermag hieran nichts zu ändern. Zwar soll der Hilfeempfänger nach § 3 Abs. 3 BSHG in einer solchen Einrichtung untergebracht werden, in der er durch Geistliche seines Bekenntnisses betreut werden kann. Diese Vorschrift stellt jedoch keine selbständige Regelung dar, sondern findet lediglich in den Grenzen des Abs. 2 Anwendung (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 11.2.1982 - 5 C 85.80 - BVerwGE 65, 52; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. § 3 Rn. 39.). Der Hilfeempfänger kann deswegen auch mit Rücksicht auf die Freiheit der Religionsausübung die Übernahme unverhältnismäßiger Mehrkosten nicht verlangen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.