Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.11.2000, Az.: 4 A 107/98
Bagatellgrenze; Kostenerstattung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.11.2000
- Aktenzeichen
- 4 A 107/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41894
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 BSHG
- § 111 Abs 2 S 2 BSHG
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung für Sozialhilfeleistungen, die sie der Hilfeempfängerin C. H. und deren Tochter S. H. in dem Zeitraum vom 20. März 1995 bis zum 19. März 1997 erbrachte.
Die Hilfeempfängerinnen hatten in U. gewohnt. Von dort aus zogen sie zunächst für eine Nacht in das Frauenhaus in L. , danach, am 20. März 1995, in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin. Auf ihren Antrag erhielten sie von der Klägerin seit diesem Zeitpunkt Hilfe zum Lebensunterhalt. Mit Schreiben vom 27. April 1995 bat die Klägerin den Beklagten um Anerkennung seiner Kostenerstattungspflicht. Mit Schreiben vom 24. Mai 1995 erkannte die Stadt U. für den Beklagten den Kostenerstattungsanspruch ab dem 20. März 1995 bis zum 19. März 1997 an. Unter dem 29. Oktober 1996 forderte die Klägerin die für Frau H. und ihre Tochter in der Zeit vom 20. März 1995 bis zum 19. März 1996 geleistete Sozialhilfe in Höhe von insgesamt 30.239,02 DM von dem Beklagten an. Dabei fasste sie die beiden Hilfeempfängerinnen gezahlten Leistungen zusammen, eine personenbezogene Abrechnung erfolgte nicht.
Hiergegen wandte sich der Beklagte. Er war der Auffassung, § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG in der ab dem 1. August 1996 geltenden Fassung sei erst ab diesem Zeitpunkt anwendbar. Für den davor liegenden Zeitraum sei eine Aufstellung der erbrachten Leistungen im Hinblick auf die einzelnen Haushaltsmitglieder erforderlich.
Dem trat die Klägerin entgegen. Mangels einer Übergangsregelung finde § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG auch auf Alt-Fälle Anwendung. Eine personenbezogene Aufschlüsselung der Abrechnung sei entbehrlich.
Am 11. Juli 1997 hat die Klägerin Klage erhoben, in der sie ihre Rechtsansicht weiter vertritt. Nach Entscheidungen der Spruchstellen für Fürsorgestreitigkeiten erfasse die zum 1. Januar 1994 in Kraft getretene Erhöhung der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG auch alle vor diesem Zeitpunkt entstandenen aber noch nicht abgewickelten Rechtsverhältnisse. Das Gleiche müsse für die Neufassung des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG gelten, weil auch hier keine Übergangsregelung geschaffen worden sei. Der vorliegende Erstattungsfall sei vor Inkrafttreten der Neuregelung nicht vollständig abgewickelt gewesen, so dass § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG (n.F.) bereits gelten müsse. Inwieweit die Bagatellgrenze bezogen auf die einzelnen Haushaltsmitglieder erreicht worden sei, sei deswegen unerheblich und eine Aufschlüsselung der Kostenforderung nach den einzelnen Personen der Haushaltsgemeinschaft sei entbehrlich. Die erbrachten Aufwendungen seien entsprächen auch weitgehend dem Gesetz ( § 111 Abs. 1 BSHG). Dies gelte allerdings nicht für Hotelkosten in Höhe von 1.250,- DM (in dem Zeitraum vom 5. Juni 1995 bis zum 30. Juni 1995) und für Krankenkassenleistungen in Höhe von 516,42 DM. Im Hinblick auf diese Kostenpositionen reduziert die Klägerin ihre Forderung.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, die für Frau C. H. und S. H. ab dem 20. März 1995 bis zum 19. März 1997 aufgewendeten Sozialhilfeleistungen zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Zentrale Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten habe in ihrer Entscheidung vom 13. Februar 1997 die von der Klägerin zitierte Rechtsauffassung ausdrücklich aufgegeben und entschieden, dass die Bagatellgrenzenregelung des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG kein Verfahrensrecht darstelle. Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen sei damit unzulässig. Dies müsse auch für die ab 1. August 1996 in Kraft getretene Regelung des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG gelten, die damit nur auf die diesem Zeitpunkt nachfolgenden Leistungszeiträume Anwendung finde. Für den davor liegenden Zeitraum müsse die Klägerin die Kosten für jede Person separat aufschlüsseln. Weiter habe die Klägerin bei der Bewilligung der Leistungen gegen den Interessenswahrungsgrundsatz nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG verstoßen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge der Klägerin und des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), bleibt ohne Erfolg.
Sie ist bereits unzulässig, soweit es den Zeitraum vom 20. März 1996 bis zum 19. März 1997 betrifft. Insoweit fehlt es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin. Dem Grunde nach hat die Stadt U. für den Beklagten seine Kostenerstattungspflicht durch das Schreiben vom 24. Mai 1995 anerkannt und zwar für den gesamten Zeitraum vom 20. März 1995 bis zum 19. März 1997. Es besteht deshalb - wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen - lediglich Streit über die Höhe des Kostenerstattungsbegehrens. Dieses hat die Klägerin vor Klageerhebung aber lediglich für den Zeitraum vom 20. März 1995 bis zum 19. März 1996 im Einzelnen beziffert. Für die nachfolgende Zeit vom 20. März 1996 bis zum 19. März 1997 fehlt es demgegenüber an einer konkreten Kostenanforderung. Dementsprechend hat der Beklagte auch noch keine Entscheidung darüber getroffen hat, ob und in welcher Höhe er zur Erstattung der konkret von der Klägerin in diesem Zeitraum aufgewendeten Kosten bereit ist. Insoweit war Klage mithin noch nicht geboten.
Soweit die Klägerin im Wege der Leistungsklage die Erstattung der mit Schreiben vom 29. Oktober 1996 angeforderten Kosten verlangt, die sie für die Hilfeempfängerinnen in dem Zeitraum vom 20. März 1995 bis zum 19. März 1996 aufgewendet hat und die sie im Rahmen des Klageverfahrens auf 28.472,60 DM reduziert hat, ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Ein derartiger Anspruch der Klägerin besteht nicht. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt allein § 107 Abs. 1 BSHG in Frage. Danach ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsortes verzieht und wenn sie innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Die Verpflichtung entfällt, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren ist und endet spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Aufenthaltswechsel (§ 107 Abs. 2 BSHG).
Auch wenn die Voraussetzungen der Vorschrift dem Grunde nach unstreitig vorliegen, ist der Beklagte berechtigt, die Erstattung zu verweigern. Es entspricht allgemeinen Grundsätzen des Sozialleistungsrechts, dass derjenige, der Leistungen begehrt, alle für die Leistungsgewährung erforderlichen Tatsachen anzugeben und auf Anfrage des Leistungsträgers erforderliche Auskünfte zu erteilen hat, anderenfalls kann der Leistungsträger die Leistung versagen, soweit die Leistungsvoraussetzungen nicht nachgewiesen sind (vgl. §§ 60, 66 SGB I). Diese Erwägungen gelten entsprechend für das Erstattungsverhältnis zwischen unterschiedlichen Leistungsträgern (vgl. auch VG Stade, Urt. v. 25.11.1998 - 1 A 1019/98 -). Der dem Grunde nach erstattungspflichtige Leistungsträger kann nämlich nur in Kenntnis der maßgebenden Umstände des Einzelfalles erkennen und entscheiden, in welchem Umfang er gemessen an § 111 BSHG zur Kostenerstattung verpflichtet ist.
Hier hat die Klägerin nicht alle für die Beurteilung des Kostenerstattungsanspruches erforderlichen Tatsachen mitgeteilt; denn sie hat bislang keine Abrechnung vorgelegt, aus der zu ersehen wäre, welche der Leistungen in welcher Höhe für welche der Hilfeempfängerinnen erbracht worden sind. Eine solche personenbezogene Abrechnung wäre aber erforderlich gewesen, um den Umfang der Kostenerstattungspflicht des Beklagten bestimmen zu können. Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG sind Kosten unter 5.000,- DM, bezogen auf einen Zeitraum der Leistungsgewährung von bis zu zwölf Monaten, außer in den Fällen einer vorläufigen Leistungsgewährung nach § 97 Abs. 2 Satz 3 BSHG nicht zu erstatten. Da jeder Hilfeempfänger einen eigenen Hilfeanspruch hat und deshalb für jeden Hilfefall ein gesonderter Kostenerstattungsanspruch entsteht, gilt die Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG in Bezug auf den Gesamtaufwand für jeden einzelnen Hilfeempfänger (vgl. Mergler/Zink, BSHG § 111 Rn. 30). Allerdings bestimmt die durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. I S. 1088) eingefügte und am 1. August 1996 in Kraft getretene Regelung des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG, dass die Begrenzung auf 5.000,- DM abweichend von Satz 1 für die Haushaltsmitglieder zusammen gilt, wenn die Kosten für die Mitglieder eines Haushaltes im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG zu erstatten sind. Diese Vorschrift ist für den vorliegend umstrittenen Zeitraum vom 20. März 1995 bis zum 19. März 1996 jedoch nicht anwendbar. § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG findet mangels einer Übergangsregelung Anwendung lediglich auf Kostenerstattungsansprüche, die vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens an, d.h. ab dem 1. August 1996, entstanden sind (VG Stade, Urt. v. 25.11.1998 - 1 A 1019/98 -, so auch Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. § 111 Rn. 30, Bräutigam, in Fichtner [Hrsg] BSHG, § 111 Rn. 17, Schoch, in LPK - BSHG § 111 Rn. 17, a.A. VG Dessau, Urt. v. 25.9.1997 - A 2 K 175/97 -, Mergler/Zink, BSHG § 111 Rn. 6a, 30a). Da Kostenerstattungsansprüche nach § 107 BSHG entstehen, wenn die Leistungen an den Hilfeempfänger erbracht werden und nicht erst, wenn sie geltend gemacht werden, stellte die Anwendung des § 111 Abs. 2 Satz 2 BSHG auf vor dem 1. August 1996 liegende Zeiträume einen Eingriff in abgeschlossene Tatbestände dar, der nach allgemeinen rechtstaatlichen Grundsätzen unzulässig wäre (vgl. auch Schiedsspruch der Zentralen Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten v. 13.2.1997 - B 26/96 - ZfF 1997, 84 und vom 12.2.1998 - B 162/96 - ZfF 1998, 108).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.