Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.11.2000, Az.: 4 A 110/99
Umverteilung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 28.11.2000
- Aktenzeichen
- 4 A 110/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41871
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 AsylVfG
Tatbestand:
Die Klägerinnen sind jugoslawische Staatsangehörige und stammen aus der Provinz Kosovo. Die Klägerin zu 1. ist im Jahre 1975 geboren, die Klägerinnen zu 2. und 3. in den Jahren 1992 und 1996. Sie reisten im Januar 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragten die Anerkennung als Asylberechtigte. Im Rahmen ihres Asylverfahrens gab die Klägerin zu 1. an, dass ihr Ehemann am Krieg im Kosovo teilnehme. Sie habe ihn seit September 1998 nicht mehr gesehen. Ihre drei Brüder lebten seit den Jahren 1991/92 in Deutschland, ihre Mutter seit 1994 oder 1995. Den Asylantrag der Klägerinnen lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 24. Februar 1999 ab. Die Klägerinnen erhoben hiergegen Klage, über die noch nicht entschieden ist.
Die Klägerinnen wurden nach Niedersachsen verteilt und mit Bescheid vom 11. März 1999 dem Landkreis Soltau - Fallingbostel zugewiesen.
Am 11. Februar 1999 beantragte die Klägerin zu 1. für sich und ihre Töchter die Umverteilung nach Hamburg. Dort lebe ihr Schwager mit seiner Familie, der bereit und in der Lage sei, sie zumindest vorübergehend bei sich aufzunehmen. Sie, die Klägerinnen, hätten erhebliche, auch gesundheitliche Probleme.
Mit Bescheid vom 4. Juni 1999 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es seien keine Gründe im Sinne von § 51 AsylVfG geltend gemacht worden. Die Anzahl der Personen, die in der beklagten Stadt einen Asylantrag stellten, überschreite die in § 45 AsylVfG vorgesehene Quote erheblich. Daraus resultierten starke verwaltungstechnische, ordnungspolitische und finanzielle Belastungen. Die privaten Interessen der Klägerinnen müssten demgegenüber zurücktreten. Im Rahmen der gleichmäßigen finanziellen und sozialen Belastung aller Bundesländer durch den Aufenthalt von Asylbewerbern könne nur in besonderen Einzelfällen, in denen eine nicht zu vertretende Härte vorliege, eine Umverteilung ermöglicht werden. Eine solche Härte liege hier nicht vor. Der Schwager der Klägerin zu 1. gehöre nicht zur Kernfamilie. Die vorgetragene gesundheitliche Beeinträchtigung sei durch ärztliche Atteste nicht belegt. Außerdem sei eine Umverteilung aus medizinischen Gründen nur möglich, wenn die medizinische Versorgung am Aufenthaltsort nicht möglich sei oder der Antragsteller auf die Hilfe von Familienangehörigen angewiesen sei. Depressionen und Angstzustände stellten keine besondere Härte dar, weil nahezu alle Asylbewerber darunter litten. Die erforderliche Hilfe und Unterstützung durch Angehörige könnten die Klägerinnen auch bei Besuchen erhalten.
Die Klägerinnen haben am 23. Juni 1999 Klage erhoben. Die Klägerin zu 1. habe in ihrem Antrag fälschlicherweise von ihrem Schwager gesprochen. Tatsächlich wohne ihr Bruder mit Familie in Hamburg. Die Klägerin zu 1. leide unter erheblichen psychischen Problemen, die sich bereits körperlich auswirkten. Sie sei besonders dadurch belastet, dass ihr der Aufenthaltsort ihres Ehemannes unbekannt sei. Deswegen benötige sie die Aufnahme in familiäre und vertraute Verhältnisse. Auch die Klägerinnen zu 2. und 3. litten unter gesundheitlichen Problemen. Die Klägerinnen legen zwei Atteste des die Klägerin zu 1. behandelnden Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vor, sowie ein Schreiben der Leiterin des Kindergartens, den die Klägerin zu 2. besucht hat.
Der Klägerinnen beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 4. Juni 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, einer Umverteilung nach Hamburg zuzustimmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen könnten die erforderliche Unterstützung auch durch professionelle Hilfe, insbesondere des Amtes für soziale Dienste erhalten. Eine Verteilung nach Hamburg sei nicht gerechtfertigt, zumal die Verwandten auch nur eine vorübergehende Aufnahme zugesichert hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Es hat auch die Ausländerakte des Landkreises Soltau - Fallingbostel vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Nach § 51 Abs. 1 AsylVfG ist der Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen ledigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auch durch länderübergreifende Verteilung Rechnung zu tragen, sobald der Ausländer, wie die Klägerinnen, nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Die länderübergreifende Verteilung erfolgt auf Antrag des Ausländers. Über den Antrag entscheidet die zuständige Behörde des Landes, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist. Die Entscheidung über die beantragte Verteilung ist grundsätzlich in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt. Dieses Ermessen ist jedoch insoweit gebunden, als in den von § 51 Abs. 1 AsylVfG erfassten Fallgestaltungen im Regelfall eine länderübergreifende Verteilung zu erfolgen hat. Allerdings ist eine abweichende Entscheidung in atypischen Fällen nicht ausgeschlossen (Kanein/Renner, Ausländerrecht, 7. Auflage, § 51 AsylVfG Rn. 5; Sächs.OVG, Beschl. v. 7.4.1999 - A 4 S 78/98 -).
Im Falle der Klägerinnen liegen humanitäre Gründe im Sinne von § 51 Abs. 1 AsylVfG vor, der durch eine länderübergreifende Verteilung zu ihrer Familie nach Hamburg Rechnung zu tragen ist. Die Klägerin zu 1. hat durch die Vorlage zweier Atteste des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. zur Überzeugung der Einzelrichterin nachgewiesen, dass sie vor dem Hintergrund einer psychosomatisch gefärbten depressiven Reaktion an einer akuten, therapiebedürftigen Schmerzsymptomatik leidet, die eine Zusammenführung mit ihrer Familie gebietet. Ausweislich der Bescheinigung des städtischen Kindergartens Soltau, den die Klägerin zu 2. besucht, zeigt auch die Klägerin zu 2. Anzeichen einer frühzeitigen Art von Depression als Folge des Verlustes des gewohnten Umfelds und der Familiensicherheit. Die sehr junge Mutter, die Klägerin zu 1., sei deutlich überfordert, ihrem Kind genügend Hilfestellung zu bieten, weil sie selbst einen unsicheren, depressiven und verängstigten Eindruck mache. Aus allem ergibt sich, dass die Klägerinnen aus psychischen Gründen auf eine Unterstützung durch ihre Familienangehörigen angewiesen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1,83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.