Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.07.2016, Az.: 10 A 7229/13
Datenschutz; NIVADIS; personenbezogene Daten; polizeiliche Datenverarbeitung; Polizeiliches Informationssystem; Vorgangsbearbeitungssystem; Vorgangsverwaltung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 07.07.2016
- Aktenzeichen
- 10 A 7229/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43262
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 39 Abs 3 S 2 SOG ND
- § 39 Abs 3 S 1 SOG ND
- § 38 Abs 1 SOG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Dient eine Anwendung zur Datenverarbeitung wie das Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS mehreren Zwecken (hier: der Dokumentation polizeilichen Handelns und der Strafverfolgungsvorsorge) und begründen diese Zwecke unterschiedlich hohe Anforderungen an die Speicherung personenbezogener Daten, sind die strengeren Anforderungen maßgeblich.
2. Die Rechtsgrundlage der Speicherung personenbezogener Daten richtet sich nach der Herkunft der jeweiligen Daten. Im Zusammenhang mit präventivpolizeilichen Maßnahmen erhobene Daten sind nach § 38 Abs. 1 Nds. SOG zu speichern, im Rahmen der Strafverfolgung erhobene Daten nach Maßgabe des § 39 Abs. 3 Nds. SOG.
3. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass personenbezogene Daten im Rahmen der Verfolgung von Straftaten erhoben oder erlangt worden sind, ist für die Speicherung personenbezogener Daten § 39 Abs. 3 Nds. SOG maßgeblich.
4. Lässt sich aufgrund von § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG keine Prognose dahin treffen, dass die Speicherung personenbezogener Daten wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person zur Verhütung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person erforderlich ist, steht das nicht der Speicherung des Vorgangs selbst zum Zweck der Dokumentation polizeilichen Handelns entgegen. Die personenbezogenen Daten des Betroffenen sind aus dem Vorgang jedoch vollständig und dauerhaft zu entfernen.
Tenor:
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird verpflichtet, im VBS NIVADIS die personenbezogenen Daten des Klägers aus allen Einträgen zu den Vorgängen 201100000169, 201100550026 und 201400387176 zu löschen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/8 und die Beklagte zu 5/8.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht der jeweilige Kostengläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Speicherung seiner personenbezogenen Daten im polizeilichen Vorgangs- und Bearbeitungssystem (VBS) NIVADIS; er begehrt (weitere) Auskunft über die Speicherung personenbezogener Daten zu seiner Person in diesem System und nachgehend die Löschung der zu seiner Person gespeicherten Daten.
Die Beklagte betreibt das elektronische Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS (Niedersächsisches Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informationssystem). Dabei handelt es sich um ein informationstechnisches System für die Vorgangsbearbeitung auf der Basis einer objektrelationalen Datenbank. Die physikalische Speicherung erfolgt in Rechenzentren des landeseigenen Betriebes IT.Niedersachsen.
Als Informationsobjekte sieht die Verfahrensbeschreibung sowohl objektive Eigenschaften von Personen (Name, Wohnort, Straße) oder Sachen (PKW, LKW, Waffe etc.) als auch ereignisbezogene Einschätzungen der Polizei (Täter, Opfer, Beschuldigter, Verursacher, Zeuge etc.) vor. Die Informationsobjekte werden einzeln in einer großen Datenbank gespeichert und durch relationale Verknüpfungen (Beziehungsobjekte) zu Datensätzen zusammengeführt.
Die Auswertung der Datenbank erfolgt einerseits zur Vorgangsbearbeitung; gespeichert werden hier laufende Vorgänge und abgeschlossene Vorgänge, die zur Straftatenverhütung vorgehalten werden und aufgrund einer individuellen Wiederholungsprognose auch personenbezogene Daten enthalten. An die Phase der Vorgangsbearbeitung schließt sich andererseits eine Speicherung zur Vorgangsverwaltung und Dokumentation polizeilichen Handelns an. Dabei werden personenbezogene Daten in abgeschlossenen Vorgängen, die zur Straftatenverhütung im Vorgangsbearbeitungssystem gespeichert worden waren, weiter gespeichert; ist mangels hinreichender Gefahrenprognose keine weitere Auswertung mehr im Vorgangsbearbeitungssystem erfolgt, stehen die Daten grundsätzlich nur noch anonymisiert und ohne personenbezogene Daten zur Verfügung. Diese Anonymisierung erfolgt über eine Begrenzung der Zugriffsrechte auf die personenbezogenen Daten. Diese bleiben bis zur physikalischen Löschung gespeichert und können unter Umständen recherchiert und angezeigt werden.
Die Bedienung des VBS NIVADIS erfolgt über eine Benutzerschnittstelle mit einem Übersichtsbildschirm, der die eigenen Vorgänge des Benutzers und seiner Gruppe, den Verlauf bearbeiteter Vorgänge und ein Navigationsmenü zeigt. Über den Menüpunkt „Abfragen“ können Vorgänge nach Grunddaten – Vorgangsnummern, Zuständige Dienststellen, Aktenzeichen der Strafverfolgungsbehörden und Vorgangsstatus – und nach Inhalten durchsucht werden. Dabei ist der Grund der Recherche („Strafverfolgung/Gefahrenabwehr/OWi-Verfolgung“, „Vorgangsnachweis/-verwaltung/Dokumentation behördlichen Handelns“ oder „zweckdurchbrechende Maßnahme“) mit einem Auswahlmenü anzugeben. Ist der Vorgang anonymisiert, wird dies bei einer Recherche mit dem Zweck „Strafverfolgung/Gefahrenabwehr/OWi-Verfolgung“ angezeigt. Der Vorgang wird gleichwohl bei einer Suche über den Namen eines (anonymisierten) Beteiligten als Treffer angezeigt und ist mit dem Kurzsachverhalt einsehbar. Wird eine zweckdurchbrechende Maßnahme gewählt, müssen der anordnende Beamte und das Datum der Anordnung eingegeben werden; der Zugriff wird protokolliert.
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm gemäß § 16 Abs. 1 NDSG Auskunft darüber zu erteilen, welche Daten bzw. Informationen zu seiner Person in den Systemen der Beklagten gespeichert sind und verarbeitet wurden oder werden.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass im Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS sein Vorname und Nachname, Geburtsdatum, Geburtsort und seine Anschrift zum Zeitpunkt des jeweiligen Ereignisses gespeichert seien. Für einige der Einträge sei sie nicht die datenschutzverantwortliche Stelle. Dem Schreiben war eine tabellarische Aufstellung von insgesamt 21 Datensätzen zu zehn Vorgangsnummern beigefügt, die nach Vorgangsnummer, Dienststelle, Aktenzeichen der Strafverfolgungsbehörde, Delikt, Rolle des Betroffenen, Geschehensverlauf, Endabgabedatum, Datensatzstatus, Löschdatum und Löschfrist aufgeschlüsselt ist. Konkrete Ausführungen zu einzelnen Vorgängen enthielt das Schreiben nicht.
Eine weitere Auskunft lehnte die Beklagte ab. Die Datensätze seien im VBS NIVADIS nurmehr zum Zweck der Vorgangsverwaltung und Dokumentation polizeilichen Handelns gespeichert. Nach der jeweiligen Endabgabe an die Staatsanwaltschaft dienten die Daten nur noch der Dokumentation behördlichen Handelns, der Vorgangsverwaltung und dem -nachweis. Eine Verarbeitung für andere Zwecke dürfe grundsätzlich nicht mehr erfolgen. Nach Abschluss der Vorgangsbearbeitung würden die Vorgangsgrunddaten in den Auskunftsdatenbestand übernommen. Die physikalischen Löschungsfristen richteten sich nach der niedersächsischen Aktenordnung.
Per E-Mail bat der Kläger am 20. Dezember 2012 um Hinweis, was er tun müsse, um die vollständigen Einträge zu dem Vorgang 201200577002 vom 5. Mai 2012 einsehen zu können. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit Schreiben vom 11. Januar 2013 mit, der Vorgang sei bereits archiviert. In einen solchen Vorgang dürfe nur unter den Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nds. SOG Einsicht genommen werden. Die (zweckdurchbrechende) Nutzung der Daten sei nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder zur Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung zulässig. Eine Einsichtnahme in den Vorgang sei daher nicht möglich.
Auf neuerliche Rückfrage des Klägers teilte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Februar 2013 mit, dass der Vorgang am 5. Mai 2012 als „sonstiges Ereignis“ gespeichert sei. Für eine weitergehende Einsicht müssten die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nds. SOG vorliegen. Die dem Kläger mitgeteilten Daten seien nur für den Bearbeiter des Schreibens als behördlichen Datenschutzbeauftragten überhaupt sichtbar.
Beigefügt war eine Bildschirmkopie, die der Ansicht eines mit normalen Berechtigungen versehenen Polizeibeamten entsprechen sollte. Dort ist als Kurzinfo zu dem Vorgang 201200577002 folgender Eintrag erkennbar:
SO – [geschwärzt] FESTZ 08.05.2012 D. Mitfahndungsersuchen PK E. KED
Der Kläger hat am 18. Oktober 2013 Klage erhoben mit dem Antrag,
1. ihm Auskunft darüber zu erteilen, ob und welche personenbezogenen Daten zu seiner Person die Beklagte im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS in den „weiterführenden Angaben über die amtliche Kurzbeschreibung hinaus“ gespeichert hat,
2. die Beklagte nach Gewährung vollständiger Auskunft zu verpflichten, die zu seiner Person gespeicherten personenbezogenen Daten aus dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS zu löschen,
3. festzustellen, dass die Aufnahme und die weitere (bisherige) Speicherung personenbezogener Daten des Klägers in NIVADIS rechtswidrig war.
Er hält die Verweigerung einer Auskunft darüber, ob und welche Daten zu seiner Person die Beklagte in NIVADIS in den „weiterführenden Angaben über die amtliche Kurzbeschreibung hinaus“ gespeichert habe, für rechtswidrig. Er habe einen Anspruch darauf, zu wissen, welche Informationen die Beklagte über ihn gespeichert habe. Dieser Anspruch sei nicht von den Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nds. SOG abhängig.
Die Speicherung personenbezogener Daten allein zum Zweck der Vorgangsverwaltung in NIVADIS sei rechtswidrig, weil dieser Zweck weder in § 38 Nds. SOG noch in § 39 Nds. SOG normiert sei.
Nach Klageerhebung sind zu zwei weiteren Vorgängen personenbezogene Daten des Klägers im VBS NIVADIS gespeichert worden; diese Vorgänge hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Die Eintragungen zu sechs Vorgängen sind zwischenzeitlich nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen physikalisch gelöscht worden. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit hinsichtlich der Auskunft zu diesen Eintragungen und deren Löschung übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Kurz vor der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Auskunft zu den noch nicht gelöschten Vorgängen ergänzt und mitgeteilt, welche Kurzsachverhalte zu den Vorgängen gespeichert waren. Sie hat außerdem Bildschirmausdrucke vorgelegt, die eine Detailansicht der noch im VBS NIVADIS gespeicherten Vorgänge aus der Ansicht eines mit einfachen Rechten ausgestatteten Bearbeiters jeweils mit dem Recherchezweck „Vorgangsnachweis/-verwaltung/Dokumentation behördlichen Handelns“ und dem Recherchezweck „Strafverfolgung/Gefahrenabwehr/OWi-Verfolgung“ abbilden.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte ausgeführt, dass die abgedruckten Detailansichten nicht den gesamten Datenbestand darstellten. In der Regel sei im VBS NIVADIS der gesamte Vorgang zu einer Vorgangsnummer abgelegt, also ggf. auch Zeugenvernehmungen, Verfügungen etc.
Der Kläger hat vor diesem Hintergrund an seinem Klagantrag festgehalten und begehrt die Vorlage der gesamten Vorgänge – allenfalls bereinigt um die personenbezogenen Daten Dritter. Nachdem die Beklagte dies zugesichert hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit auch insofern für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
nachdem die Beklagte über die Vorgänge 201100000169, 201100550026 und 201400387176 Auskunft erteilt hat, die Beklagte zu verpflichten, die in den Vorgängen enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers aus dem polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS zu löschen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger habe gegenwärtig keinen Anspruch auf Löschung der noch gespeicherten personenbezogenen Daten. Die Speicherung sei rechtmäßig erfolgt und bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfristen zum Zwecke der Vorgangsverwaltung und Dokumentation polizeilichen Handelns weiter erforderlich.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
II. Mit dem noch zur Entscheidung des Gerichts gestellten Begehren ist die Klage zulässig. Sie ist als Verpflichtungsklage statthaft, denn nach der Rechtsprechung der Kammer ist die Ablehnung der (sofortigen) Löschung personenbezogener Daten ein Verwaltungsakt und die Löschung im Wege der Verpflichtungsklage zu erstreiten. Der Kläger hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis, denn er hat er sein Begehren mit hinreichender Klarheit bereits vorgerichtlich an die Beklagte herangetragen. Die Eintragung zum Vorgang 201400387176 ist zwar erst nach Klageerhebung gespeichert worden; insofern genügt aus Sicht der Kammer die Verteidigung der Beklagten gegen das Löschungsbegehren hinsichtlich der bereits streitgegenständlichen Vorgänge, um ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen.
III. Die Klage ist auch begründet. Der die Löschung ablehnende Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 2012 erweist sich als rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5, Abs. 1 VwGO).
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Löschung seiner personenbezogenen Daten aus den streitbefangenen Vorgängen aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 2 Abs. 6 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes – NDSG – i. V. m. §§ 48, 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG. Danach sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Das ist hier der Fall.
Rechtsgrundlage für die Errichtung und den Betrieb des Vorgangsbearbeitungssystems NIVADIS und die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten in diesem System sind die allgemeinen Bestimmungen über die polizeiliche Datenverarbeitung in den §§ 30, 31, 38, 39 Abs. 3 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung – Nds. SOG –.
1. Nach § 38 Abs. 1 Nds. SOG kann die Polizei im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben (der Gefahrenabwehr) Daten speichern, verändern und nutzen, die sie zum gleichen Zweck erhoben hat.
Soweit die Polizei personenbezogene Daten im Rahmen der Verfolgung von Straftaten über eine tatverdächtige Person und in Zusammenhang damit über Dritte rechtmäßig erhoben oder rechtmäßig erlangt hat, darf sie nach § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG auch solche Daten zu Zwecken der (allgemeinen) Gefahrenabwehr speichern, verändern oder nutzen. Erhöhte Anforderungen gelten nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG, wenn diese Daten für den besonderen Zweck der Verhütung von Straftaten gespeichert, verändert oder genutzt werden. Zu diesem Zweck darf die Polizei die (im Rahmen der Verfolgung von Straftaten erhobenen oder erlangten) Daten nur speichern, verändern oder nutzen, wenn dies wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person zur Verhütung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person erforderlich ist.
Ist nach diesen Maßstäben der rechtliche Rahmen der Speicherung nicht eindeutig bestimmbar, weil weder die Herkunft der einzelnen Einträge noch der Zweck ihrer Speicherung und jeweiliger Zugriffe nachvollziehbar dokumentiert sind, geht die Kammer davon aus, dass an die weitere Speicherung die jeweils höchsten in Frage kommenden rechtlichen Anforderungen zu stellen sind (vgl. Urteil der Kammer vom 26.3.2015 – 10 A 9932/14 –, juris). Der Einwand der Beklagten, dass nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 13.1.2013 – 11 LC 470/10 –) die Speicherung zum Zwecke der Vorgangsverwaltung und -dokumentation einem zulässigen Zweck der allgemeinen Gefahrenabwehr im Sinne des § 38 Abs. 1 Nds. SOG diene, greift vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung zu kurz. Denn zum Zweck der Dokumentation und Verwaltung polizeilichen Handelns ist eine Speicherung personenbezogener Daten bereits unter den Anforderungen des § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG zulässig, die niedriger sind als die Anforderungen an die Speicherung zur Straftatenverhütung gem. § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG. Dazu, dass das VBS NIVADIS auch dem Zweck der Straftatenverhütung dient und für die Speicherung personenbezogener Daten zu diesem Zweck grundsätzlich der Maßstab des § 39 Abs. 3 Nds. SOG anzulegen ist, hat sich das Nds. Oberverwaltungsgericht nicht geäußert.
2. Für jeden der streitbefangenen Vorgänge ist danach anzunehmen, dass die Speicherung personenbezogener Daten darin, entsprechend dem Zweck des VBS NIVADIS, das (auch) zur Verhütung von Straftaten betrieben wird und die Datenquelle für das Auswertungssystem NIVADIS-Auswertung bildet (vgl. Anlage 1 zur LT-Drs 16/2770), der Straftatenverhütung dient. Dies hat auch die Beklagte durch ihre Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt. Soweit die Beklagte die personenbezogenen Daten des Klägers im Rahmen der Verfolgung von Straftaten über eine tatverdächtige Person und in Zusammenhang damit über Dritte rechtmäßig erhoben oder rechtmäßig erlangt hat, bestimmt sich der rechtliche Maßstab für die weitere Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers daher nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG.
3. Dass die personenbezogenen Daten des Klägers im Rahmen der Verfolgung von Straftaten erhoben oder erlangt worden sind, ist im Zweifel anzunehmen, sobald hierfür Anhaltspunkte bestehen und nicht das Gegenteil klar erkennbar ist. Das folgt aus der Überlegung, dass die erhöhten Anforderungen an die Wiederholungsprognose nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG nur für Daten im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG gelten, die im Rahmen der Verfolgung von Straftaten erhoben oder erlangt worden sind. Anhaltspunkte für die rechtliche Einordnung eines Vorgangs bieten dabei vor allem Angaben über den Ausgang oder das Aktenzeichen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, aber auch die dem Vorgang zugewiesene Ereigniskategorie und die aktenführende Dienststelle.
Ausgehend von diesen Maßstäben sind alle streitgegenständlichen Einträge nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG zu beurteilen (a.); dessen Voraussetzungen an die Speicherung personenbezogener Daten sind nicht erfüllt (b.).
a. Bei dem Vorgang Nr. 201100000169 ergibt sich die Zuordnung zum Zweck der Strafverfolgung schon aus der Angabe eines Aktenzeichens der Staatsanwaltschaft. Der Vorgang ist außerdem als „BR“ – Brandermittlung – geführt und von der für Brandermittlungen zuständigen Stelle der Beklagten endbearbeitet worden, der Kriminalfachinspektion 1.2 des Zentralen Kriminaldienstes.
Entsprechendes gilt – mit Ausnahme der Nennung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens – für den Vorgang Nr. 201100550026. Auch dieser Vorgang wurde als „BR“ – Brandermittlung – geführt und von der Kriminalfachinspektion 1.2 des Zentralen Kriminaldienstes endbearbeitet. Der Einwand der Beklagten, dass die Beamten der KFI 1.2 den Ereignisort möglicherweise gar nicht aufgesucht haben, sondern lediglich Beamte des Einsatz- und Streifendienstes vor Ort waren, greift demgegenüber nicht durch. Denn zum einen erfolgt die Speicherung des Vorgangs, das heißt die Entscheidung über den Verbleib der Daten im polizeilichen Auskunftssystem und die Erfassung des Klägers in seiner jeweiligen Rolle (hier: im Vorgang Nr. 201100000169 Geschädigter, im Vorgang Nr. 201100550026 Verursacher) nicht durch die Beamten vor Ort, sondern durch die nachträgliche Bearbeitung des Vorgangs durch die bearbeitende Dienststelle. Zum anderen wird die Vermutung, dass die endbearbeitende Stelle den Vorgang auch im Wesentlichen bearbeitet hat, nicht durch die bloße Möglichkeit erschüttert, dass Beamte einer anderen Organisationseinheit parallel oder auch als einzige Beamte vor Ort eingesetzt waren. Es ist hier auch keine polizeiliche Aufgabe neben der Strafverfolgung ersichtlich, die die Anwesenheit der Polizei erfordert hätte. Die Abwehr von Gefahren durch Brände und die Hilfeleistung bei Unglücksfällen obliegen gem. § 1 Abs. 1 NBrandSchG den Gemeinden und Landkreisen.
Der Vorgang zu Nr. 201400387176 schließlich ist als „ST“ – Straftat – anlässlich einer Sachbeschädigung geführt, an die Staatsanwaltschaft zu einem UJs-Aktenzeichen abgegeben worden und damit klar dem Zweck der Strafverfolgung zuzuordnen.
b. Bei keinem der streitgegenständlichen Vorgängen ist erkennbar, dass die Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers zur Verhütung gleichartiger Straftaten der tatverdächtigen Person erforderlich ist.
Bei dem Vorgang Nr. 201100000169 ist der Kläger als Geschädigter geführt; seine personenbezogenen Daten sind daher als die eines Dritten im Sinne von § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG erhoben worden. Angesichts des Umstandes, dass kein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte – es handelte sich um einen Kellerbrand in der Silvesternacht 2010/2011, der vermutlich durch einen Knallkörper ausgelöst worden war –, lässt sich keine Prognose treffen, dass die Speicherung personenbezogener Daten wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person zur Verhütung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person überhaupt erforderlich war. Erst recht gilt dies für die personenbezogenen Daten des Klägers, der hier lediglich als Geschädigter geführt ist.
Bei dem Vorgang Nr. 201100550026 ist der Kläger zwar als Verursacher geführt, jedoch nicht als Tatverdächtiger. Bereits diese Rolle lässt ebenso wie der Kurzsachverhalt – brennender Inhalt eines Kochtopfs – keine Prognose zu, dass die Speicherung seiner personenbezogenen Daten zur Verhütung gleichartiger künftiger Straftaten durch ihn oder andere erforderlich ist.
Nichts anderes gilt bei dem Vorgang Nr. 201400387176, bei dem der Kläger wiederum nicht als Tatverdächtiger geführt ist, sondern als zu überprüfende Person.
4. Hinsichtlich des Verpflichtungsausspruchs sieht das Gericht Anlass zu der Klarstellung, dass die Beklagte durch das Urteil nicht verpflichtet ist, die Vorgänge insgesamt zu löschen. Insoweit mag der allgemein-polizeiliche Zweck der Vorgangsverwaltung und -dokumentation die weitere Speicherung tragen. Die Beklagte muss lediglich die personenbezogenen Daten des Klägers aus dem Vorgang wirksam entfernen, diesen also über die bloße Zugriffssteuerung hinaus grundlegend anonymisieren. Das Gericht geht angesichts der von der Beklagten dargestellten Funktionsweise des VBS NIVADIS davon aus, dass eine derartige Anonymisierung durch eine Löschung der Beziehungsobjekte, d. h. die Lösung der relationalen Verknüpfung zwischen den einzelnen Informationsobjekten bezüglich des Klägers und des Vorfalls, möglich ist.
Darüber, dass die Beklagte die Verpflichtung zur Anonymisierung erst dann zu befolgen hat, wenn die Beklagte die bereits zugesicherte vollständige Auskunft erteilt hat, bestand zwischen den Beteiligten bereits bei der Aufnahme des Klagantrags in der mündlichen Verhandlung Einigkeit, so dass die Kammer von einer diesbezüglichen Klarstellung im Tenor abgesehen hat.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Dabei geht die Kammer zunächst davon aus, dass die Anträge einander gleichwertig sind und bei der Berechnung der Obsiegens- bzw. Unterliegensquoten nach den betroffenen (insgesamt zwölf) Vorgängen differenziert werden kann, weil die einzelnen Eintragungen jeweils für den Vorgang einheitlich beurteilt werden. Daraus ergeben sich Quoten von 1/12 je Antrag und Vorgang, mithin 24/24, die sich auf den Kläger zu 9/24 und die Beklagte zu 15/24 wie folgt verteilen:
Hinsichtlich des erledigten Teils des Rechtsstreits trägt der Kläger für beide Anträge die Kosten, soweit bei Eintritt der Erledigung die Klage unzulässig war, weil die Beklagte für drei von zwölf Vorgängen nicht die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle war (6/24).
Soweit die Klage anfänglich zulässig war, trägt die Kosten hinsichtlich des erledigten Teils die Beklagte, soweit sie dem Antrag zu 1.) abgeholfen hat, indem sie zugesagt hat, vollständige Auskunft über die personenbezogenen Daten des Klägers zu erteilen (3/12). Entsprechend sind auch die zwischenzeitlich gelöschten Einträge zu berücksichtigen, weil die Beklagte auch hinsichtlich dieser Einträge die begehrte Auskunft zunächst verweigert und damit Anlass zur Klageerhebung gegeben hat (6/12).
Soweit durch die zwischenzeitliche Löschung der ursprünglich auf Löschung aller Daten gerichtete Klagantrag zu 2.) erledigt ist, tragen die Kosten die Beteiligten jeweils zur Hälfte, weil die Kammer die ursprünglichen Erfolgsaussichten des Löschungsbegehrens als offen betrachtet. Denn die Rechtmäßigkeit der Speicherung der personenbezogenen Daten als Vorfrage des Löschungsanspruchs kann bei bereits gelöschten Daten nicht mehr vollumfänglich geprüft werden. Das betrifft sechs von zwölf Vorgängen (jeweils 3/12).
Soweit schließlich im streitig entschiedenen Teil der Kläger obsiegt, trägt die Beklagte die Kosten in Anlehnung an § 154 Abs. 1 VwGO (3/12). Den bei Klageerhebung gestellten Feststellungsantrag zu 3.) hat die Kammer schon nicht streitwerterhöhend berücksichtigt, weil er materiell in der Entscheidung über die Löschung der Datensätze aufgegangen ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
V. Die Zulassung der Berufung beruht auf § § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124 a Abs. 1 VwGO. Die Kammer misst der (weiteren) Klärung des rechtlichen Rahmens der Speicherung von im Rahmen der Verfolgung von Straftaten erhobenen oder erlangten personenbezogenen Daten in polizeilichen Auskunftssystemen zur Straftatenverhütung grundsätzliche Bedeutung bei.
Dagegen sieht die Kammer keine Abweichung von der Entscheidung des Nds. Oberverwaltungsgericht vom 30. Januar 2013 – 11 LC 470/10 –, in der ein Anspruch auf Löschung aus dem Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS im Hinblick auf den Zweck der Vorgangsverwaltung und Dokumentation abgewiesen worden ist. Denn das Oberverwaltungsgericht hat die Speicherung lediglich am Maßstab allgemeiner Zwecke der Gefahrenabwehr im Sinne des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG geprüft. Zu der Frage, ob die Speicherung auch der Verhütung von Straftaten im Sinne von § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG dient und den insofern zu stellenden Anforderungen genügt, hat sich das Oberverwaltungsgericht nicht verhalten und entsprechend auch keinen Rechtssatz aufgestellt, von dem die Kammer abweichen könnte.