Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.06.2016, Az.: 7 A 3932/15
Klagebefugnis; Schutzstreifen; Schutzzweck; Zeichen 340
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.06.2016
- Aktenzeichen
- 7 A 3932/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43122
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich als Radfahrer (Satz 1 seiner Klagebegründung) gegen die seitens der Beklagten entlang der „D. straße“ (Teilstrecke der ehemaligen Ortsdurchfahrt der B443) in E., einem Stadtteil der Beklagten, angebrachte Schutzstreifenmarkierung (Zeichen 340 „Schutzstreifen für Radfahrer“).
Im Jahre 2011 ließ die Beklagte ein Radverkehrskonzept erarbeiten, das für die „D. straße“ als Führungsform die Markierung von Schutzstreifen - eine unterbrochene Schmalstrichmarkierung (Verhältnis Strich/Lücke 1:1) auf der Fahrbahn - für Radfahrer vorschlug. Eine in dieser Straße im Jahre 2011 durchgeführte Verkehrszählung habe einen DTV-Wert von 7.193 ergeben. Da die Ortsdurchfahrt für Lkw gesperrt sei, seien für den Schwerlastverkehr keine Zahlen ermittelt worden. Der ortsansässige landwirtschaftliche Verkehr werde als gering eingestuft; allerdings seien keine Zahlen erhoben worden. In der „D. straße“ gelte überwiegend die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h; auf dem Streckenabschnitt zwischen dem Grundstück „D. straße 28“ und der Einmündung der Straße „F.“ sei ein Tempolimit von 30 km/h angeordnet.
Unter dem 04. März 2015 wurde die auf dieser Grundlage vorgenommene Detailplanung für die Anlegung von Schutzstreifen entlang der „D. straße“ in beiden Fahrtrichtungen zwischen dem Beginn der Ortsdurchfahrt und der Kreuzung mit der „G. straße“ durch die Beklagte als Straßenverkehrsbehörde genehmigt; im Juni 2015 wurden die streitgegenständlichen Schutzstreifen markiert.
Der Kläger hatte bereits während der Planungsphase in mehreren E-Mails an die Beklagte insbesondere kritisiert, dass die Schutzstreifen nicht auf beiden Seiten der Ortsdurchfahrt jeweils durchgehend angelegt würden bzw. wegen der Enge der Fahrbahn nicht derart angelegt werden könnten, und dass die Schutzstreifen nicht durchgehend eine ausreichende bzw. den Standards der ERA entsprechende Breite aufwiesen.
Der Kläger hat am 03. August 2015 Klage bei dem erkennenden Gericht erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführen lässt, die streitgegenständlichen Schutzstreifen unterschritten die in den einschlägigen technischen Regelwerken vorgesehenen Mindestmaße ebenso wie die dazwischen liegende Fahrbahn. Im Übrigen würden Mindestmaße kombiniert, was ebenfalls nicht zulässig sei. Auch habe die Beklagte ihr Ermessen nicht ausgeübt. Da die Schutzstreifen nicht auf ganzer Länge der Ortsdurchfahrt beidseitig vorhanden seien, entstünden für Fahrradfahrer gefährliche Situationen. Gerade wegen des Schutzstreifens glaubten Kraftfahrer jetzt, sie könnten sich trotz Gegenverkehrs noch irgendwie am Radfahrer „vorbeiquetschen“. Die Verkehrsunfallforschung habe festgestellt, dass Schutzstreifen es provozierten, dass Kraftfahrer ohne genügenden seitlichen Abstand Fahrradfahrer überholten. Zum Schutzstreifen werde auch der Rinnstein gezählt. Dort bildeten jedoch Pflastersteine Längskanten, die eine Gefahrenquelle darstellten; der Schutzstreifen weise daher keine geeignete Oberfläche auf.
Der Kläger beantragt,
die Schutzstreifenregelung (Verkehrszeichen 340) in beiden Richtungen auf der „D. straße“ in der Ortsdurchfahrt des Stadtteils E. der Beklagten zwischen dem Beginn der Ortsdurchfahrt und der Kreuzung mit der „G. straße“ aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die entsprechenden Markierungen auf der Fahrbahn zu entfernen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen. Sie ist der Ansicht, dem Kläger fehle die Klagebefugnis.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage bleibt ohne Erfolg, weil sie unzulässig ist.
Der Kläger verfügt (bereits) nicht über die erforderliche Klagebefugnis.
Gemäß § 42 VwGO kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden (Abs. 1); soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein (Abs. 2). Diese sog. Klagebefugnis ist gegeben, wenn unter Zugrundelegung des Klagevorbringens eine Verletzung des geltend gemachten Rechts möglich erscheint. Diese Möglichkeit ist für den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts grundsätzlich gegeben, weil ein unrechtmäßiger staatlicher Freiheitseingriff jedenfalls die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit beeinträchtigen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.07.2003 - 2 BvL 1/99 u.a. -, BVerfGE 108, 186 <208> und juris; BVerwG, Urt. v. 15.03.1988 - 1 A 23.85 -, BVerwGE 79, 110 <114> und juris; BVerwG, Urt. v. 18.10.2015 - 2 C 23/14 -, juris). An der Klagebefugnis fehlt es, wenn die vom Kläger geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen kann (st.Rspr.: vgl. zuletzt Urt. v. 10.10.2012 - 6 C 36/11 -, BVerwGE 144, 284 und juris).
So liegt der Fall hier, denn es ist nichts dafür erkennbar, dass der Kläger durch die Schutzstreifenmarkierung in beiden Richtungen auf der „D. straße“ (Ortsdurchfahrt des Stadtteils E. der Beklagten) zwischen dem Beginn der Ortsdurchfahrt und der Kreuzung mit der „G. straße“ in eigenen Rechten verletzt sein könnte.
Der Kläger greift die besagte Schutzstreifenregelung allein in seiner Eigenschaft als Radfahrer an. Radfahrer werden jedoch durch eine Anordnung, auf der Fahrbahn einen Schutzstreifen anzubringen, nicht mit einem Ge- oder Verbot belastet. Vielmehr wird ein Ge- bzw. Verbot ausschließlich den Lenkern sonstiger Fahrzeuge, die sich auf der mit einem Schutzstreifen versehenen Fahrbahn mit einem Fahrzeug bewegen oder dort parken wollen, auferlegt. Kraftfahrer sind daher klagebefugt (vgl. u.a. VG Köln, Urt. v. 08.09.2014 - 18 K 6983/13 -, juris).
Das Fehlen der Klagebefugnis für Radfahrer gegen eine zu ihrem Schutz ergangene Leitlinienmarkierung in Gestalt des Zeichens 340 „Schutzstreifen für den Radverkehr“ ergibt sich hingegen aus Folgendem:
Bei der Anordnung eines Schutzstreifens handelt es sich um ein Richtzeichen nach § 42 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung -StVO-. Gemäß § 42 Abs. 2 StVO hat, wer am Verkehr teilnimmt, die durch Richtzeichen nach Anlage 3 zur StVO angeordneten Ge- und Verbote zu befolgen. Zu den Richtzeichen zählen auch die Markierungen (Abschnitt 8 der Anlage 3), so auch die Leitlinien (Zeichen 340). Schutzstreifen sind ein Unterfall der Leitlinien. Zwar heißt es in Nr. 1 der Erläuterungen zu Zeichen 340, wer ein Fahrzeug führt, darf Leitlinien nicht überfahren, wenn dadurch der Verkehr gefährdet wird. Daraus könnte sich ein Ge- bzw. Verbot auch für Radfahrer ergeben, die Schutzstreifen nur bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen zu überfahren. Die speziellen Ge- und Verbote, die aus der Markierung von „Schutzstreifen für den Radverkehr“ folgen, sind aber in den Nrn. 2 und 3 der Erläuterungen zu Zeichen 340 geregelt. Danach darf, wer ein Fahrzeug führt, auf der Fahrbahn durch Leitlinien markierte Schutzstreifen für den Radverkehr nur bei Bedarf überfahren; der Radverkehr darf dabei nicht gefährdet werden (Nr. 2). Nach Nr. 3 darf, wer ein Fahrzeug führt, auf durch Leitlinien markierten Schutzstreifen für den Radverkehr nicht parken.
Aus dem Regelungszusammenhang, insbesondere aus Satz 2 zu Nr. 2, wonach der Radverkehr „dabei“ - d. h. beim Überfahren der Schutzstreifen - nicht gefährdet werden darf, ergibt sich, dass ein Schutzstreifen ausschließlich dem Zweck dient, den Radverkehr vor Gefährdungen zu schützen, die von anderen Fahrzeugen ausgehen (vgl. hierzu: König in: Hentschel et al., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., Rdnr. 181a zu § 42 StVO). Daher richten sich die aus dem „Schutzstreifen für den Radverkehr“ folgenden Ge- und Verbote nicht an (die) Radfahrer, sondern an die Führer anderer Fahrzeuge.
Dieses Ergebnis wird durch die Begründung zur Änderungsverordnung vom 07.08.1997 (VkBl 97, 690) bestätigt. Danach muss der Radverkehr, wenn ein Schutzstreifen markiert ist, diesen (bereits) entsprechend dem in § 2 Abs. 2 StVO normierten (allgemeinen) Rechtsfahrgebot benutzen (zitiert nach Hentschel et al., a.a.O., Rdnr. 150 zu § 42 StVO; vgl. auch Ternig, „Fahrradfahrer in der StVO“, DAR 2002, S. 105, 111; Janker, „Schutzstreifen für Radfahrer“, DAR 2006, 68, 70). Es besteht also keine aus der Schutzstreifenmarkierung - zusätzlich zum Rechtsfahrgebot - folgende Pflicht des Radverkehrs, sich (nur) innerhalb des Schutzstreifens zu halten. Vielmehr hat auch der Radverkehr bereits aufgrund des § 2 Abs. 2 StVO „möglichst weit rechts zu fahren“ (vgl. B., Recht für Radfahrer, 3. Aufl., S. 108; König in: Hentschel et al., a.a.O., Rdnr. 70 zu § 2 StVO).
Aus den Verwaltungsvorschriften zur StVO -VwV-StVO- ergibt sich nichts anderes. In Nr. I 5 zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO sind zwar Regelungen zur Mindestbreite der Fahrbahn abzüglich des Schutzstreifens und zur Mindestbreite des Schutzstreifens getroffen. Diese richten sich aber an die Straßenverkehrsbehörde.
Eine individuelle Rechtsposition kann der Kläger auch nicht aus einem grundrechtlichen Abwehranspruch ableiten. Denn von der Anordnung der Schutzstreifen bzw. diesen selbst geht kein der Beklagten zurechenbarer Grundrechtseingriff zum Nachteil des Klägers aus. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang geltend macht, es entstünden für Radfahrer gefährliche Situationen, weil die Schutzstreifen nicht auf ganzer Länge der Ortsdurchfahrt beidseitig vorhanden seien, kann daraus eine Klagebefugnis nicht abgeleitet werden. Die von dem Kläger beschriebenen Gefahren für Radfahrer auf dem streitigen Streckenabschnitt der „D. straße“, die seiner Auffassung nach aus der Enge und der Beschaffenheit der Fahrbahn herrühren, bestünden auch dann, wenn die Schutzstreifen dort nicht markiert wären.
Soweit der Kläger behauptet, die Markierung von einseitigen, alternierenden Schutzstreifen - wie vorliegend - rufe besondere Gefahren für Radfahrer hervor, weil sie provozierten, dass Kraftfahrzeugführer beim Überholen nicht den notwendigen Abstand einhielten, findet dies jedenfalls keine Stütze in dem neuesten, vom Kläger angeführten wissenschaftlichen Schrifttum. Das „Gutachten zum Einsatz und zur Wirkung von einseitigen, alternierenden und beidseitigen Schutzstreifen auf schmalen Fahrbahnen innerorts“ - in Auftrag gegeben von der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg e.V. - aus dem Oktober 2013 kommt zu dem Ergebnis, auf Strecken mit einseitigen und alternierenden Schutzstreifen stünden den positiven Veränderungen negative Einflüsse gegenüber, die das Ergebnis des gesamten Streckenabschnittes neutralisierten (ebenda, S. V f). Weiter heißt es in dem Gutachten (ebenda, S. 51), die Überholabstände stiegen mit verminderter Fahrbahnbreite an; dies könne streckenübergreifend beobachtet werden. Bei der Betrachtung der Überholabstände zeige sich kein örtliches Muster, welches auf den Einsatz von einseitigen und/oder alternierenden Schutzstreifen zurückzuführen sei. Bei einseitigen und alternierenden Schutzstreifen differierten die Ergebnisse der unterschiedlichen Strecken trotz ähnlicher Streckencharakteristik teilweise erheblich. Diese Aussagen vermögen keine Klagebefugnis des Klägers zu begründen.
Danach ist die Klage bereits als unzulässig abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.
Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Frage, ob eine Schutzstreifenmarkierung (Zeichen 340) eigenständig - neben dem Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO - die Pflicht des Radverkehrs regelt, sich (nur) innerhalb des Schutzstreifens zu halten, in der obergerichtlichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung noch ungeklärt ist.