Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 23.04.1997, Az.: 2 U 5/97

Voraussetzungen für die Kündigung eines Ingenieurvertrags durch den Arbeitgeber aus wichtigem Grund bei mängelbedingtem Leistungsverzug des Arbeitnehmers; Begriff des "wichtigen Grundes"; Notwendigkeit einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung bei Vorliegen eines Leistungsverzuges

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
23.04.1997
Aktenzeichen
2 U 5/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0423.2U5.97.0A

Fundstellen

  • IBR 1998, 444 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 241-242

Amtlicher Leitsatz

Voraussetzungen für die Kündigung eines Ingenieurvertrags durch den AG aus wichtigem Grund bei mängelbedingtem Leistungsverzug des AN, aber Nachbesserungsfähigkeit der Mängel.

Gründe

1

1.

Das beklagte Land hatte keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Ingenieurvertrags. Ein wichtiger Grund liegt nur vor, wenn einem Vertragsteil die Fortsetzung des Vertrags unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Parteien nicht zugemutet werden kann (BGH ZfBR 1997, 36; Locher/Koeble/Frik, HOAI, 7. Aufl., Einl. Rn. 145, 146; Pott/Dahlhoff, HOAI, 7. Aufl., § 5 Rn. 13 b; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 8. Aufl., Rn. 945). In der Regel ist ein schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Architekten bzw. Ingenieurs erforderlich. Ein solches wird etwa bei einem groben Vertragsbruch z.B. durch "Provisionskungelei" mit Handwerkern angenommen (BGH NJW 1977, 1915) oder bei einer gröblichen Gefährdung des Vertragszwecks durch schwere Mängel der erbrachten Leistungen (BGH NJW 1975, 825).

2

Dagegen begründen Meinungsverschiedenheiten über behauptete oder tatsächliche Mängel während der Planung keineswegs zwingend immer einen wichtigen Grund zur Kündigung. Entstehen insoweit Kontroversen zwischen den Parteien, hat der Bauherr grundsätzlich sein Missfallen an den Leistungen des Auftragnehmers zum Ausdruck zu bringen; ein wichtiger Grund zur Kündigung kann in der Regel nur bei schweren Planungsfehlern angenommen werden oder im Fall einer Weigerung des Auftragnehmers, auf die Wünsche des Bauherrn einzugehen (OLG München, BauR 1991, 650, 652 [OLG München 16.01.1990 - 9 U 4275/89]; OLG Düsseldorf BauR 1992, 679).

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Vorliegend hat sich im Zeitpunkt der Kündigung die bisherige Leistung des Klägers zwar als mangelhaft dargestellt. Die Mängel waren jedoch nachbessserungsfähig und nicht derart bedeutend, dass festgestellt werden kann, dass ein Festhalten am Vertrag für das beklagte Land unzumutbar gewesen ist. Dies gilt jedenfalls unter Berücksichtigung des gesamten Ablaufs der vertraglichen Beziehungen bis zur Kündigung seitens des beklagten Landes, insbesondere unter Berücksichtigung der dem Kläger anlässlich der Besprechung vom 15.11.1991 eingeräumten Frist zur Nachbesserung bis zum 15.01.1992.

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a)

Die vom Kläger am 17.10.1991 überreichten Verdingungsunterlagen, die gegenüber den ursprünglich gefertigten Unterlagen geringfügig korrigiert waren, wiesen zwar Mängel auf. Diese sind jedoch nicht als derart schwer wiegend zu bewerten, dass ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers berechtigt gewesen wären. Der Senat legt dabei die Feststellungen des im ersten Rechtszug erstellten Gutachtens des Sachverständigen E vom 04.03.1996, auf das wegen aller Einzelheiten verwiesen wird, sowie die Angaben des Sachverständigen bei seiner Anhörung vor dem Landgericht am 17.10.1996 zugrunde. Gegen die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen bringt die Berufung nichts Erhebliches vor. Danach steht insbesondere Folgendes fest: Die durch die Baumaßnahme u.a. auch an den Kläger gestellten Anforderungen sind außergewöhnlich hoch gewesen. Dies beruhte zunächst wesentlich darauf, dass es sich um eine Grundsanierung eines der größten sog. "Jahrhundertbauwerke" der Küstenregion (Bauzeit 1907 - 1913) gehandelt hat. Zu bedenken ist, dass wesentliche Bauteile, die instand zu setzen waren, sich ständig unter Wasser befanden und folglich nur eine beschränkte Zugänglichkeit bestand. Viele Maßnahmen der Instandsetzung konnten in vollem Umfang hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit erst während der Bauzeit erkannt werden. Auch war es nicht möglich, die einzelnen Arbeitsschritte exakt wie bei einer Neubaumaßnahme von vornherein festzulegen. Dementsprechend haben die vorbereitenden Untersuchungen und Planungen sich über einen langen Zeitraum, nämlich von 1983 bis 1990, erstreckt. Eine besondere zusätzliche Schwierigkeit für den Kläger resultierte daraus, dass er die Leistungen der Leistungsphasen 6 und 7 des § 55 Abs. 2 HOAI erbringen musste, ohne dass Ausführungspläne erstellt worden waren. Es bedurfte aus diesem Grund - für die Beklagte erkennbar - einer sorgfältigen und dauernden Kooperation zwischen den Bearbeitern der Leistungsphasen 1 - 4 - also den Mitarbeitern des Hafenamtes - und dem Kläger als dem neuen Bearbeiter der Leistungsphase 6. Auch aus der berechtigten Sicht des beklagten Landes war mithin eine von vornherein mängelfreie Ausarbeitung seitens des Klägers nicht zu erwarten. Tatsächlich sind die vom Kläger erbrachten Teilleistungen der Leistungsphase 6 zwar mit Mängeln behaftet gewesen, jedoch sind sie als brauchbar und als in sich geschlossene Teilleistung zu bewerten. Unter Berücksichtigung der vorhandenen Mängel hat der Kläger etwa 50 % der in Leistungsphase 6 geschuldeten Arbeiten mängelfrei erbracht, wobei die Nachbesserung der vom beklagten Land gerügten Mängel ihm innerhalb angemessener Frist möglich gewesen wäre.

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b)

Unter Berücksichtigung aller Umstände war es dem beklagten Land zumindest bis zum 15.01.1992 zumutbar abzuwarten, ob der Kläger eine mangelfreie Leistung erbringen würde. Zwar ist der Kläger mit der Erstellung einer solchen Leistung in Verzug geraten, da gemäß § 5 des Ingenieurvertrags eine Fertigstellung bis Ende Oktober 1991 vereinbart war. Bei der Bewertung dieses Verhaltens des Klägers ist jedoch zu berücksichtigen, dass er innerhalb der vereinbarten Frist eine immerhin teilweise brauchbare Leistung erbracht hatte. Zu bedenken ist weiter, dass im Fall des Leistungsverzugs auch nach der allgemeinen gesetzlichen Regelung dies allein grundsätzlich kein Rücktrittsrecht vom Vertrag begründet, sondern gemäß § 326 Abs. 1 BGB eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung erforderlich ist, um dem Schuldner Gelegenheit zur Nachholung der geschuldeten Leistung zu geben. Eine solche Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung ist vorliegend niemals erfolgt.

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Zu berücksichtigen ist weiter, dass das beklagte Land anlässlich der Besprechung vom 15.11.1991 dem Kläger eine Frist bis zum 15.01.1992 zur Fertigstellung der Ausschreibungsunterlagen eingeräumt hat. An dieser Frist muss sich das Land nach Treu und Glauben festhalten lassen, da ein sachlicher Grund für eine vorzeitige Kündigung des Vertrags nicht vorliegt. Die Berufung trägt allerdings vor, dass das beklagte Land sich in Zeitnot befunden habe. Dieser in keiner Weise substantiierte Vortrag ist angesichts der Erklärungen des beklagten Landes in der Besprechung vom 15.11.1991 und im Schreiben vom 02.12.1991 nicht nachvollziehbar. In der genannten Besprechung hat das Land beim Kläger den berechtigten Eindruck erweckt, dass keine besondere Eile geboten sei. In dem vom Kläger dazu unter dem Datum des 26.11.1991 gefertigten Protokoll, dessen inhaltliche Richtigkeit das beklagte Land mit Schreiben vom 11.12.1991 insoweit ausdrücklich bestätigt hat, heißt es u.a. vielmehr: "Die Ausschreibung soll am 01.02.1992 verschickt werden.

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Die Verschiebung kommt insofern auch gelegen, da a) deichbehördlich noch zusätzliche Forderungen gestellt werden, b) die Ergebnisse der Schieneninspektion noch in die Ausschreibung einfließen sollen." Das beklagte Land hat sodann mit Schreiben vom 02.12.1991 nochmals zumindest den Eindruck erweckt, dass besondere Eile nicht geboten sei. In dem genannten Schreiben wird nämlich nicht etwa eine unverzügliche Bearbeitung der Unterlagen angemahnt. Es heißt dort vielmehr im Gegenteil: "Bevor Sie mit der Überarbeitung der Unterlagen beginnen, halte ich eine weitere Besprechung für erforderlich. Ich schlage hierfür den 9.12., 10.00 Uhr, vor." Die in der anschließenden Besprechung vom 09.12.1991 gesetzte Frist bis zum 16.12.1991 für die bis zu diesem Zeitpunkt gefertigten Teile der Ausschreibungsunterlagen bzw. die im Schreiben vom 12.12.1991 gesetzte Frist zum genannten Termin für die Vorlage "einer in den wesentlichen Teilen überarbeiteten Verdingungsunterlage" ist aufgrund der vorgenannten Umstände für den Kläger überraschend und ohne sachliche Rechtfertigung erfolgt. Zu Recht hat er deshalb der Fristsetzung mit Schreiben vom 10. und 13.12.1991 widersprochen. Angesichts der Ausführungen des Sachverständigen zur Schwierigkeit und zum Umfang der geschuldeten Leistung besteht auch kein Zweifel daran, dass eine Nachbesserung zwar bis zur ursprünglich gesetzten Frist zum 15.01.1992, nicht jedoch innerhalb weniger Tage möglich gewesen wäre.

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Der Vortrag der Berufung, der Kläger sei aufgrund zwei weiterer Ingenieuraufträge seinerzeit zur Mängelbeseitigung gar nicht in der Lage gewesen, ist ebenfalls nicht geeignet, eine Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Die Behauptung ist mangels Substantiierung und geeigneter Beweisantritte unerheblich. Die Beurteilung der damaligen Leistungsfähigkeit des Klägers bedürfte der Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Behauptung, der Kläger habe zwei weitere, größere Aufträge gehabt, beinhaltet jedoch ersichtlich keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen zur sachverständigen Überprüfung. Dafür wären vielmehr zumindest detaillierte Angaben zum Umfang und zur Struktur des Betriebs des Klägers und zu den aufgrund der weiteren Aufträge im fraglichen Zeitraum zu erbringenden Arbeiten notwendig gewesen. Auf diese Erfordernisse hat der Kläger in seiner Berufungserwiderung zutreffend hingewiesen.

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2.

Das Landgericht hat die Höhe des Anspruchs zutreffend auf der Grundlage des § 8 Ziff.2 der AVB ermittelt. Danach hat bei einer Kündigung, die der Auftraggeber vertreten muss, der Auftragnehmer einen Anspruch auf volle Vergütung der erbrachten Leistungen und auf die vereinbarte Vergütung unter Abzug der ersparten Aufwendungen für die nicht erbrachten Leistungen; letztere sind dabei mit 40 von 100 festgelegt.

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Diese Klausel ist wirksam. Zwar kann eine derartige Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen § 11 Nr. 5 b und § 10 Nr. 7 AGBG verstoßen (BGH ZfBR 1997, 36 ff), da sie den Auftraggeber unangemessen benachteiligt. Die Unwirksamkeit einer derartigen Klausel nach dem AGBG setzt jedoch voraus, dass der Auftragnehmer Verwender der Klausel ist (Mistrate, ZfBR 1997, 9, 10); denn das AGBG bezweckt nur den Schutz des Vertragspartners desjenigen, der die Allgemeinen Geschäftsbedingungen gestellt hat (Münch.Komm.-Kötz, BGB, 3. Aufl., § 1 AGBG Rn. 9; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 7. Aufl., § 1 Rn. 29). Gestellt worden im Sinn von § 1 AGBG sind die AVB hier jedoch ausdrücklich vom beklagten Land. Für die Annahme, dass der Kläger möglicherweise auch die Einbeziehung der AVB gewünscht hat, ist nichts vorgetragen und nichts ersichtlich. Der Kläger hat im Gegenteil mit Schreiben vom 08.04.1991 dem beklagten Land ein Angebot auf Vertragsabschluss ohne Bezugnahme auf irgendwelche Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemacht.