Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 15.04.1997, Az.: 2 U 35/97

Beweisführung für vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung allein durch Vorlage des Antragsformulars; Anforderungen an Darlegungslast des Versicherers für Vergleichsberuf in der Versicherung gegen Berufsunfähigkeit (BUZ-Versicherung)

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
15.04.1997
Aktenzeichen
2 U 35/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21754
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0415.2U35.97.0A

Amtlicher Leitsatz

Auge und Ohr: Keine Beweisführung für vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung allein durch Vorlage des Antragsformulars. Anforderungen an Darlegungslast des Versicherers für Vergleichsberuf in der BUZ-Vers.

Tatbestand

1

Die Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf die geltendgemachte Berufsunfähigkeitsrente sowie auf Freistellung von der Beitragszahlung hinsichtlich der bei der Bekl. unterhaltenen Lebensversicherung.

2

1.

Die Bekl. ist nicht wirksam gem. § 7 Nr. 3 der vereinbarten AVB bzw. gem. § 16 Abs. 2 S. 1 VVG wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung der Kl. vom Versicherungsvertrag zurückgetreten. Das LG hat insoweit die Beweislast verkannt.

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Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt der Agent des Versicherers als dessen Auge und Ohr. Daraus folgt, dass die Beweislast dafür, dass ein VN im Zuge der Antragstellung eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen begangen hat, stets beim Versicherer liegt. Steht - wie vorliegend - fest, dass nicht der Antragsteller, sondern der Agent das Formular ausgefüllt hat, so lässt sich allein mit der Vorlage des ausgefüllten Antragsformulars nicht mehr beweisen, dass der VN seiner Obliegenheit nicht in weiterem Umfang nachgekommen ist, sofern dieser - was vorliegend ebenfalls der Fall ist - substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben.

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Eine Obliegenheitsverletzung ist in derartigen Fällen nicht schon damit bewiesen, dass das ausgefüllte Formular in der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht den Tatsachen entspricht; es muss hinzukommen, dass der Tatrichter die Überzeugung gewinnt, der VN habe entgegen seiner substantiierten Behauptung den Agenten nicht mündlich zutreffend über seinen Gesundheitszustand unterrichtet (z.B. BGH VersR 88, 234 = NJW 88, 973; VersR 89, 833). Daraus folgt ferner, dass der Versicherer seinen Rücktritt nicht darauf stützen kann, dass der Antragsteller einen gefahrerheblichen Umstand entgegen § 16 Abs. 1 S. 1 VVG nicht angezeigt habe, wenn er im Antragsformular zwar ausdrücklich danach gefragt hat, die entsprechende Frage dem Antragsteller aber durch das Verhalten des Versicherungsagenten nicht oder nicht ausreichend zur Kenntnis gebracht worden ist (BGH r + s 94, 444; VersR 96, 1529 = r + s 96, 469).

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Aufgrund der im ersten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme steht jedoch vorliegend nicht fest, dass der Versicherungsvertreter der Bekl. hinsichtlich des Rückenleidens der Kl. überhaupt diese entsprechend den Fragen im Antragsformular ausreichend befragt bzw. die Kl. falsche Angaben gemacht hat. Es ist zumindest nicht widerlegt, dass die Kl. - wie ihr Ehemann bekundet hat - dem Versicherungsvertreter bei Antragsaufnahme mitgeteilt hat, dass sie wegen des Rückenleidens nicht in krankengymnastischer Behandlung stehe und dass auch schon früher wegen des Rückens ein Computertomogramm aufgenommen worden sei. Ferner ist nicht widerlegt, dass der Versicherungsvertreter der Bekl. darauf geäußert hat, dass dazu keine näheren Angaben im Versicherungsantrag gemacht werden müssten, weil infolge der Beantwortung der Fragen seitens der Bekl. ohnehin Akteneinsicht genommen würde.

Entscheidungsgründe

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2.

Die Kl. ist auch berufsunfähig. Gem. § 2 Nr. 3 der Vertragsbedingungen gilt ein VN unwiderlegbar u.a. dann als berufsunfähig, wenn er sechs Monate lang ununterbrochen infolge Krankheit, die ärztlich nachzuweisen ist, vollständig oder teilweise außer Stande gewesen ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben. Diese Voraussetzungen liegen hier insoweit unstreitig vor, als die Kl. vom 12.6.1995 bis Ende 1996 ununterbrochen krankgeschrieben gewesen ist und der dieser Krankschreibung zu Grunde liegende Zustand fortdauert.

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Die Bekl. kann die Kl. auch nicht auf eine andere ihr zumutbare Tätigkeit verweisen. Die Bekl. hat ihrer Darlegungslast hinsichtlich der von ihr genannten Vergleichsberufe nicht genügt. Für einen schlüssigen Vortrag des Versicherers ist es insoweit erforderlich, dass dieser den von ihm beanspruchten Vergleichsberuf bezüglich der ihn jeweils prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) näher konkretisiert. Nur dann kann und muss der VN das Bestreiten von Berufsunfähigkeit mit substantiierten Beweisangeboten bekämpfen, die nicht als Ausforschungsversuch zu werten sind, sondern denen nachgegangen werden muss. Soweit der Versicherer - als Ausgangspunkt für das Aufzeigen von Vergleichsberufen - auf die Kenntnis der Ausgestaltung des bisherigen Berufs angewiesen ist, kann er diesem Anliegen ausreichend mit einer Unterrichtungsobliegenheit in seinen Versicherungsbedingungen Rechnung tragen (vgl Senat OLGR 97, 4 m.w.N.).

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Diesen Maßstäben wird der Vortrag der Bekl. nicht gerecht. Sie hat zu den von ihr behaupteten Vergleichsberufen schriftsätzlich nichts vorgetragen. Im ersten Rechtszug hat sie allerdings kommentarlos Ausführungen des Diplomverwaltungswirts K. überreicht; im zweiten Rechtszug hat sie dem Senat noch "Blätter zur Berufskunde" vorgelegt. dass dies kein ordnungsgemäßer schriftsätzlicher Vortrag ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Der Senat ist auch nicht verpflichtet, sich aus den Unterlagen der Bekl. etwas Passendes herauszusuchen und sich daraus einen bisher nicht vorhandenen schriftsätzlichen Vortrag selbst zusammenzustellen (BVerfG NJW 94, 2683; BGHZ 22, 254 = VersR 57, 64; Zöller/Greger, ZPO 20. Aufl. § 130 Rdn. 1 a und § 253 Rdn. 12 a).