Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.04.1997, Az.: 5 U 11/97
Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes bei übersehener Halswirbelfraktur ohne Dauerschaden und zögerlichem Regulierungsverhalten; Übersehen eines inkompletten Querschnittsyndroms
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 22.04.1997
- Aktenzeichen
- 5 U 11/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 21782
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1997:0422.5U11.97.0A
Fundstellen
- DAR 1997, 314 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 1997, 294-295 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
15.000,00 DM Schmerzensgeld bei übersehener Halswirbelfraktur ohne Dauerschaden und zögerlichem Regulierungsverhalten
Tatbestand
Der Kläger nimmt den beklagten Landkreis als Träger des Kreiskrankenhauses ... auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.
Am 04.06.1994 hatte der Kläger einen Verkehrsunfall, bei dem er u.a. eine Trümmerfraktur des 7. Halswirbels erlitt. Diese Verletzung wurde bei seiner Aufnahme im Krankenhaus des Beklagten übersehen. Deshalb wurde er bereits am 06.06.1994 wieder aus der stationären Behandlung entlassen, obwohl bei ihm ein inkomplettes Querschnittssyndrom bestand. Erst ein von dem Kläger hinzugezogener Arzt stellte diese Verletzung fest. Daraufhin erfolgte am 26.06.1994 im Evangelischen Krankenhaus in ... eine sofortige operative Behandlung, bei der Wirbelkörpertrümmer aus dem Spinalkanal entfernt und der gebrochene Wirbel mit einem Beckenkammspan des Klägers wieder aufgebaut und durch eine Metallplatte stabilisiert wurde.
Der Beklagte hat im Juli 1996 an den Kläger einen Betrag von 3.000,00 DM als Ausgleich für die Beeinträchtigungen gezahlt, die er durch das Nichterkennen der Verletzung im Krankenhaus erlitten hat. Mit seiner Klage hat der Kläger einen weiteren Betrag von 17.000,00 DM geltend gemacht, den das Landgericht ihm zugesprochen hat. Der Beklagte hält das ausgeurteilte Schmerzensgeld für übersetzt. Der Schaden des Klägers bestehe allein in einer Verzögerung der Rückbildung des neurologischen Defizits um ein bis zwei Monate. Angesichts dessen sei das vorprozessual gezahlte Schmerzensgeld von 3.000,00 DM keinesfalls unangemessen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, dass er seit der Entlassung aus dem Krankenhaus unter den erheblichen Beeinträchtigungen eines inkompletten Querschnittssyndroms gelitten habe. Zudem habe sich die Notoperation kompliziert gestaltet, weil der gebrochene Wirbel bereits in Fehlstellung verwachsen gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten hat nur in geringem Umfang Erfolg. Auch nach Auffassung des Senats ist ein deutlich über den Vorstellungen des Beklagten liegendes Schmerzensgeld gerechtfertigt, das der Senat insgesamt auf 15.000,00 DM bemessen hat. Unter Berücksichtigung der vorprozessual gezahlten 3.000,00 DM ergibt sich daher ein weiterer Anspruch des Klägers in Höhe von 12.000,00 DM.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes war zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger 3 Wochen unter den erheblichen Begleiterscheinungen eines inkompletten Querschnittssyndroms gelitten hat, weil die Untersuchung im Krankenhaus des Beklagten nicht mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt worden ist. Infolge des Eindringens von Wirbelkörperteilen in den Spinalkanal kam es zu gravierenden neurologischen Ausfällen, die sich insbesondere in Form hochgradiger Lähmungserscheinungen und Sensibilitätsstörungen an Armen und Beinen bemerkbar machten. Die dadurch hervorgerufenen Symptome führten sogar dazu, dass ihn sein Hausarzt für betrunken hielt und deshalb eine Behandlung ablehnte. Auch wenn ein feststellbarer Dauerschaden auf Grund des Behandlungsfehlers nicht zurückgeblieben ist, bedeutete dieser Zustand für den Kläger eine erhebliche Belastung, auch in psychischer Hinsicht, da der weitere Krankheitsverlauf für ihn unübersehbar war und schwere Folgen befürchten ließ.
Ferner musste sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auswirken, dass die später erfolgte Operation gegenüber einem rechtzeitig vorgenommenen Eingriff komplizierter und für den Kläger belastender war. Da der gebrochene Wirbel bereits in Fehlstellung verkapselt und verwachsen war, musste die Bruchstelle wieder eröffnet und dem Kläger ein Beckenkammspan zum Wiederaufbau des Wirbelkörpers entnommen werden. Dies wäre nicht erforderlich gewesen, wenn der Kläger sofort operiert worden wäre.
Schließlich war zu Gunsten des Klägers auch das zögerliche Regulierungsverhalten des Beklagten zu bewerten. Der Beklagte hat, obgleich eindeutig ein Behandlungsfehler vorlag, für den der Chefarzt sich entschuldigt und die Haftung dem Grunde nach anerkannt hatte, über zwei Jahre gewartet, bis er überhaupt einen Betrag an den Kläger gezahlt hat. Diese Verzögerung ist ebensowenig verständlich wie die Schreiben des Beklagten vom 2.11. und 06.12.1994, mit denen eine Zinszusage abgelehnt und für den Fall einer Klageerhebung eine negative Feststellungsklage angedroht worden ist.
Nach alledem erschien dem Senat ein weiteres Schmerzensgeld von 12.000,00 DM als angemessen. Diesen Betrag hat der Beklagte seit der Fristsetzung mit Schreiben des Klägervertreters vom 23.11.1994 gemäß §§ 284, 288 BGB zu verzinsen. Insoweit war das angefochtene Urteil auf die Anschlussberufung des Klägers hin zu ändern.