Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.05.2011, Az.: L 8 AY 31/11 B ER
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.05.2011
- Aktenzeichen
- L 8 AY 31/11 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 23666
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0527.L8AY31.11B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 11.03.2011 - AZ: S 15 AY 14/11 ER
Fundstelle
- ZfSH/SGB 2011, 601-602
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 11. März 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zur verpflichten, ihm vorläufig Leistungen gemäß § 2 Abs 1 AsylbLG, hilfsweise gemäß § 3 AsylbLG inklusive Krankenversicherungsschutz zu gewähren.
Der 1976 in Algerien geborene und im Jahre 2001 nach Deutschland eingereiste Antragsteller wird hier nach erfolglosem Asylverfahren ausländerrechtlich (§ 55 AuslG bzw nunmehr § 60a AufenthG) geduldet. Sein Aufenthalt ist auf Niedersachsen beschränkt. Unter "Nebenbestimmungen" enthält die Duldung unter anderem die Regelungen: "Vorübergehender Aufenthalt in der Stadt Bremen ist erlaubt." und "Der Wohnsitz ist in der Gemeinde Schwanewede, Landkreis Osterholz, zu nehmen".
Der Antragsteller wohnt jedoch nicht in Schwanewede, sondern bei seiner Lebensgefährtin, Frau D., in Bremen. Frau D. ist deutsche Staatsangehörige und erwartet ein Kind von dem Antragsteller (voraussichtlicher Geburtstermin im Juli 2011).
Nachdem deutlich geworden war, dass der Antragsgegner ihm ohne Wohnsitznahme in Schwanewede keine Leistungen nach dem AsylbLG (vom Antragsteller formell beantragt am 10. Februar 2011) gewähren würde, hat der Antragsteller am 13. Januar 2011 bei dem Sozialgericht (SG) Stade den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem eingangs genannten Inhalt beantragt. Das SG Stade hat den Rechtsstreit an das örtlich zuständige SG Bremen verwiesen. Das SG Bremen hat die Stadtgemeinde Bremen beigeladen und den einstweiligen Rechtsschutzantrag des Antragstellers mit Beschluss vom 11. März 2011 abgelehnt. Der Antragsteller habe weder gegen den Antragsgegner noch gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach § 2 oder hilfsweise § 3 AsylbLG. Der Antragsgegner sei gegenwärtig nicht örtlich zuständig. Nach Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung der ausländerrechtlichen Duldung richte sich die örtliche Zuständigkeit nicht weiterhin nach § 10a Abs 1 Satz 1 AsylbLG, sondern nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort. Der Antragsteller halte sich aber nach eigenen Angaben derzeit nicht im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners auf, sondern in Bremen. Die Beigeladene sei zwar als diejenige Behörde, in deren Bereich sich der Antragsteller gegenwärtig tatsächlich aufhalte, gemäß § 10a Abs 1 Satz 2 AsylbLG örtlich zuständig. Jedoch sei ihre Leistungspflicht gemäß § 11 Abs 2 AsylbLG beschränkt auf die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe, weil sich der Antragsteller in Bremen unter Verstoß gegen seine Wohnsitzauflage und damit unerlaubt aufhalte. Die unabweisbar gebotene Hilfe umfasse nicht die von dem Antragsteller begehrten Leistungen nach § 2 oder hilfsweise § 3 AsylbLG. Sie würden sich hier auf Rückreisekosten in den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners unter Einschluss dringender Verpflegungskosten für die Reise beschränken.
Dagegen hat der Antragsteller am 14. März 2011 Beschwerde eingelegt. Sein gegenwärtiger tatsächlicher Aufenthalt in Bremen stelle nach seine Auffassung kein "unerlaubtes Wohnen" dar. Wegen der bevorstehenden Geburt seines Kindes mit deutscher Staatsangehörigkeit sei ihm zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft unter Beachtung von Artikel 6 GG und Artikel 8 EMRK eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Er habe bei dem Verwaltungsgericht Bremen auch ein Verfahren zur Erteilung einer "Zweitduldung" durch die Beigeladene anhängig gemacht. Bis dahin sei ihm zumindest ein Krankenversicherungsschutz zu gewähren. Wegen des Einkommens seiner Lebensgefährtin würden sich weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wohl bereits rechnerisch nicht ergeben. Von einem "unerlaubten Wohnen" in Bremen könne auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil weder die Ausländerbehörde noch das Verwaltungsgericht Bremen ausländerrechtliche Bedenken gegen seine Erwerbstätigkeit in Bremen hätten. Er sei nunmehr in Bremen bei dem E. als Zeitungszusteller geringfügig beschäftigt, nachdem der Antragsgegner die Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit nicht gestattet" in der Duldung gestrichen habe. Ihm gehe es nach wie vor in erster Linie um einen Krankenversicherungsschutz.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das SG Bremen hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 ZPO).
Der Antragsteller hat den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Gegen den Antragsgegner hat der Antragsteller weder einen Anspruch auf so genannte Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG noch einen Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und auch keinen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach § 4 Abs 1 AsylbLG, weil der Antragsgegner für die Gewährung dieser Leistungen nicht die nach § 10a Abs 1 AsylbLG örtlich zuständige Behörde ist. Nach wie hier rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung ist die asylverfahrensrechtliche Zuweisungsentscheidung gegenstandslos geworden, so dass die örtliche Zuständigkeit sich nicht weiterhin nach § 10a Abs 1 Satz 1 AsylbLG richtet, sondern gemäß § 10a Abs 1 Satz 2 AsylbLG nach dem tatsächlichen Aufenthaltsort (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 17. Januar 2006 L 20 B 11/05 AY ER und vom 27. Oktober 2006 L 20 B 52/06 AY ER, juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 1. August 2006 L 7 AY 3106/06 ER-B, juris; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 10a AsylbLG Rdnr 9; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 10a AsylbLG Rdnr 6; a. A.: Groth, jurisPK-SGB XII, § 10a AsylbLG Rdnr 20). Der Antragsteller hat seinen tatsächlichen Aufenthaltsort nicht im Gebiet des Antragsgegners. Er hält sich vielmehr im Gebiet der beigeladenen Stadtgemeinde Bremen auf.
Der Antragsteller hat auch gegen die Beigeladene keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen nach §§ 2 Abs 1, 3, 4 Abs 1 AsylbLG. Die Beigeladene ist zwar nach § 10a Abs 1 Satz 2 AsylbLG für die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG zuständig, weil der Antragsteller sich tatsächlich in ihrem Bereich aufhält. Da der Antragsteller aber unter Verstoß gegen eine ausländerrechtliche räumliche Beschränkung gemäß § 61 Abs 1 Satz 2 AufenthG in Gestalt der Wohnsitzauflage "Der Wohnsitz ist in der Gemeinde Schwanewede, Landkreis Osterholz, zu nehmen." in Bremen wohnt, darf ihm die Beigeladene als für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Behörde gemäß § 11 Abs 2 AsylbLG nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe leisten. Dazu gehören die von dem Antragsteller begehrten Leistungen nicht. Zu der "unabweisbar gebotenen Hilfe" im Sinne von § 11 Abs 2 AsylbLG gehört in der Regel diejenige Hilfe, die dem Leistungsberechtigten mangels eigener Mittel und Möglichkeiten zu gewähren ist, damit er so schnell wie möglich an den rechtmäßigen Aufenthaltsort zurückkehren kann. Dazu gehören primär die notwendigen Reisekosten sowie dringend erforderliche Verpflegungskosten. Nur wenn Gründe vorliegen, die einen Verbleib am Ort des tatsächlichen Aufenthalts zwingend erfordern oder eine Rückkehr in das Gebiet der räumlichen Beschränkung unzumutbar erscheinen lassen, kann die unabweisbar gebotene Hilfe auch weitergehende Leistungen umfassen, die bis zu den regulären Leistungen reichen können (vgl zum Vorstehenden: Groth, aaO., § 11 AsylbLG Rdnr 33ff mwN). Solche Gründe hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Er begehrt in erster Linie "Krankenversicherungsschutz". Dass seine anfänglich (Januar 2011) angegebenen länger andauernden Zahnschmerzen noch fortbestehen, ist nicht vorgetragen und eher unwahrscheinlich. Unabhängig davon verlangt die Sicherstellung einer (zahn-) ärztlichen Behandlung des Antragstellers nicht dessen Verbleib in Bremen. Nimmt er seinen Wohnsitz entsprechend der ihm erteilten Auflage in Schwanewede, hat er Bedürftigkeit vorausgesetzt gegen den Antragsgegner gemäß § 4 Abs 1 AsylbLG einen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit. Ebenso wenig ist glaubhaft gemacht, dass die Unterstützung seiner schwangeren Lebensgefährtin zwingend erfordert, dass der Antragsteller bei ihr in Bremen wohnt. Warum eine auch intensive Unterstützung durch den Antragsteller nicht ausreichend möglich sein soll, wenn er entsprechend der Wohnsitzauflage im nicht fernen Schwanewede wohnt, hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich.
Auf Artikel 6 GG und Artikel 8 EMRK kann der Antragsteller sich nicht erfolgreich berufen, solange das erwartete gemeinsame Kind mit seiner deutschen Lebensgefährtin noch nicht geboren ist. Im Übrigen ist es an dem Antragsteller, gegen die Wohnsitzauflage vorzugehen und unter Vorlage gültiger Identitätspapiere bei der Geburt seiner Tochter eine Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Solange die Wohnsitzauflage wirksam ist und ihm weder für das Gebiet der Beigeladenen eine "Zweitduldung" noch eine Aufenthaltserlaubnis (nach § 25 Abs 5 AufenthG) erteilt ist, bleibt die Reduzierung der Leistungen durch § 11 Abs 2 AsylbLG bestehen.
Selbst wenn man davon ausgeht, § 11 Abs 2 AsylbLG ließe hier ganz ausnahmsweise auch die Gewährung der vom Antragsteller begehrten Leistungen nach §§ 2 Abs 1, 3 und 4 Abs 1 AsylbLG zu, hat der Antragsteller einen Anspruch auf solche Leistungen dennoch nicht glaubhaft gemacht. Denn nach seinem Vorbringen ist es eher wahrscheinlich, dass er bei der gebotenen (§ 2 Abs 1 AsylbLG iVm §§ 19, 20 SGB XII; § 7 Abs 1 Satz 1 und 2 AsylbLG iVm § 20 SGB XII) Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens seiner mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Partnerin nicht hilfebedürftig ist. Er hat selbst mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 11. April 2011 vorgetragen, ihm sei "mindestens ein Krankenversicherungsschutz zu gewähren, denn wegen des Einkommens der Lebensgefährtin dürften sich weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bereits rechnerisch nicht ergeben." Selbst wenn danach ein Anspruch auf Finanzierung einer Krankenversicherung nicht ausgeschlossen sein mag, so ist doch (auch) insoweit ein Anordnungsgrund eine die besondere Eilbedürftigkeit der Sache begründende Notlage nicht glaubhaft gemacht. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Antragsteller zur Behandlung einer akuten Erkrankung oder Schmerzzustandes einer ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung (einschließlich der in § 4 Abs 1 Satz 1 AsylbLG genannten Versorgung) bedarf, die nicht von seiner Lebensgefährtin finanziert werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.