Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.05.2011, Az.: L 13 AS 178/10

Einstiegsgeld kann den bei der Aufnahme einer Tätigkeit arbeitslosen Hilfebedürftigen zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit gewährt werden; Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Eingliederungsleistungen bei fehlender Arbeitslosigkeit und Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
25.05.2011
Aktenzeichen
L 13 AS 178/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 23664
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0525.L13AS178.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 30.03.2010 - AZ: S 29 AS 1409/07

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Einstiegsgeld kann Hilfebedürftigen gewährt werden, die bei Aufnahme der Tätigkeit arbeitslos sind. Wer am Tage der Antragstellung eine selbständige Tätigkeit bereits aufgenommen hat - die Aufnahme der Tätigkeit entspricht regelmäßig dem Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung - erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr.

  2. 2.

    Einstiegsgeld wird "zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit" gewährt. Insoweit ist eine Prognose erforderlich. Bei der Einschätzung muss sich ergeben, dass die Zahlung des Einstiegsgeldes irgendwann dazu führen wird, dass der Leistungsempfänger den Status der Hilfebedürftigkeit verlassen kann. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 30. März 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen die Ablehnung der Gewährung von Einstiegsgeld.

2

Der 1971 geborene Kläger bezog - in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau sowie seinen 1996, 1998 und 2004 geborenen Töchtern - seit 01. Januar 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Jahr 2006 wurde ein weiteres Kind, und zwar ein Sohn geboren. Mit Bescheid vom 2. März 2007 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft im Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 30. September 2007 einen monatlichen Leistungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.602,13 EUR; wegen der Aufteilung und Errechnung im Einzelnen wird auf den dem Bescheid beiliegenden Berechnungsbogen verwiesen. Mit Änderungsbescheid vom 23. Mai 2007 wurden die Leistungen ab dem 1. Juli 2007 an die zu diesem Zeitpunkt erhöhte Regelleistung (1.608,13 EURO) angepasst.

3

Am 4. Mai 2007 beantragte der Kläger, zunächst mündlich im Rahmen einer Vorsprache, die Gewährung von Einstiegsgeld. Er legte in der Folgezeit hierzu Unterlagen vor. In einem mit "Konzept und Geschäftsidee" überschriebenen Schriftstück vom 30. Mai 2007 teilte er mit, seit dem 1. Mai 2007 laufe - in Hamburg-Harburg - eine Kfz-Selbsthilfewerkstatt, zugleich mit An- und Verkauf von Automobilen, auf seinen Namen. Die Erfahrung des Vorbesitzers, der sein Geschäft 23 Jahre erfolgreich geführt habe, garantiere den Erfolg. Den Kundenstamm könne er übernehmen, auch übe er nur Tätigkeiten aus, für die eine Ausbildung nicht erforderlich sei. Fachliche Kenntnisse für kleinere Reparaturen sowie Autopflege und -kosmetik habe er sich selbst angeeignet. Die Gewerbeanmeldung trägt das Datum des 30. April 2007 und weist als Beginn der angemeldeten Tätigkeit den 1. Mai 2007 aus. Aus dem Lebenslauf des Klägers ist ersichtlich, dass er in der J. zunächst als Bauer gearbeitet hatte, dann nach der Übersiedlung nach K. im Jahre 1996 bis 2001 sowie dann wieder ab 2003 arbeitslos war, zwischendurch hatte er zwischen 2001 und 2003 in einem Museum gearbeitet. Der Kläger fügte ferner eine Unternehmensplanung für die Jahre 2007 bis 2010, erstellt durch den Diplom-Kaufmann und Steuerberater L., bei. Dieser erwartete prognostisch ein Betriebsergebnis für die restlichen Monate des Jahres 2007 in Höhe von insgesamt 1.784,00 EUR sowie für die Folgejahre ein Ergebnis in Höhe von jährlich bis zu 5.224,00 EUR. In seiner Stellungnahme vom 6. Juni 2007 bejahte er die Realisierbarkeit des Aufbaus einer tragfähigen Existenzgründung mit dem genannten Vorhaben.

4

Mit Bescheid vom 3. Juli 2007 lehnte der Beklagte die Gewährung von Einstiegsgeld gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 und § 29 SGB II mit der tragenden Begründung fehlender fachlicher Eignung und Berufserfahrung seitens des Klägers ab und meinte, außerdem sei die geplante Tätigkeit nach den mitgeteilten Unterlagen nicht tragfähig. Der Kläger legte Widerspruch ein und verwies darauf, er verfüge durchaus über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten, zudem dürften im konkreten Tätigkeitsbereich keine übermäßig hohen Anforderungen gestellt werden. Der Erfolg eines Autohändlers werde neben weiteren Faktoren stark von Verhandlungsgeschick und Beziehungen geprägt. Im Rahmen des Betriebs der Autoselbsthilfewerkstatt erziele er seine wesentlichen Einnahmen durch Vermietung von Hebebühnen und Arbeitsgruben, selbst führe er keine Arbeiten durch, die man im engeren Sinne als Autoreparaturen einordnen könne. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit folge aus dem Vorhandensein eines festen Kundenstammes des bereits zuvor als Selbsthilfewerkstatt genutzten Betriebsgeländes, weiter sei es im Geschäftsleben durchaus nicht ungewöhnlich, wenn in der Anfangsphase einer unternehmerischen Betätigung keine hohen Gewinne erzielt würden. Ergänzend übersandte der Kläger auf Anforderung des Beklagten seine Gewinn- und Verlustrechnungen für die Monate Mai bis Juli 2007, die im Juli 2007 einen Gewinn in Höhe von 570,63 EUR, in den Monaten davor Verluste, auswiesen. Der Steuerberater L. erwartete gemäß Schreiben vom 10. August 2007 für die verbleibenden Monate des Jahres 2007 einen monatlichen Gewinn in Höhe von 400,00 EUR.

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Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2007 als unbegründet zurück. Zur tragenden Begründung führte er aus, es sei fraglich, ob der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung am 4. Mai 2007 arbeitslos gewesen sei. Nach § 16 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) seien Arbeitslose solche Personen, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stünden, eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchten, die dabei den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stünden, und sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hätten. Diese Voraussetzungen seien immer dann nicht gegeben, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige eine mehr als 15 Wochenstunden umfassende Beschäftigung oder entsprechende selbständige Tätigkeit ausübe. Aus den eingereichten Unterlagen sei ersichtlich, dass die selbständige Tätigkeit des Klägers hauptberuflichen Charakter habe und er diese nach eigenen Angaben bereits am 1. Mai 2007 aufgenommen habe, wie sich auch aus der Gewerbeanmeldung vom 30. April 2007 ergebe. Daher sei er ab dem 1. Mai 2007 nicht mehr arbeitslos im Sinne des § 29 SGB II i. V. m. §§ 16, 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III gewesen. Nur die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Tätigkeit, nicht aber deren Fortführung könne bezuschusst werden. Die Bewilligung von Einstiegsgeld scheide hier grundsätzlich aus, da die Förderung einer bereits ausgeübten Selbständigkeit beantragt werde. Dem Kläger sei es zuzumuten gewesen, seinen Antrag auf Bewilligung von Einstiegsgeld vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu stellen, offensichtlich habe der Kläger seinen Entschluss zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit aber bereits unabhängig von der Bewilligung des Einstiegsgeldes gefasst.

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Der Kläger, der am 1. Oktober 2007 seine Gewinn- und Verlustrechnung für August 2007 mit einem ausgewiesenen Ergebnis in Höhe von 188,42 EUR vorlegte, hat am 4. Oktober 2007 Klage erhoben und hat gemeint, seine Tätigkeit sei wirtschaftlich tragfähig. Bereits im Juli 2007 sei ein positives Ergebnis zu verzeichnen gewesen. Die Tätigkeit bedürfte außerdem keinerlei besonderer Fähigkeiten. Weiterhin sei darauf hinzuweisen, dass er die Tätigkeit nicht bereits am 1. Mai 2007 aufgenommen habe. Er habe zunächst lediglich Vorbereitungsmaßnahmen dahingehend durchgeführt, dass er mit seiner selbständigen Tätigkeit zeitnah habe beginnen können, nämlich die Anmietung und Herrichtung der Räumlichkeiten und des Betriebsgeländes, die Anschaffungen entsprechender Werkzeuge "und dergleichen". Im Rahmen dieser Vorbereitungsmaßnahmen habe er am 4. Mai 2007 auch den Antrag auf Bewilligung von Einstiegsgeld gestellt. Die Vorbereitungsmaßnahmen hätten 15 Wochenarbeitsstunden nicht überstiegen. Aber auch dann, wenn er seine selbständige Tätigkeit bereits am 1. Mai 2007 in vollem Umfange aufgenommen habe, könne nicht formal auf den Tag der Antragstellung abgestellt werden. Die Formulierung in § 29 Abs. 1 SGB II "bei Aufnahme" bedeute nur, dass die Antragstellung in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Tätigkeit stehen müsse. Dies zeige im Übrigen auch ein Vergleich mit der Vorschrift des § 324 Abs. 1 SGB III, dessen Formulierung, dass die Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht werden könnten, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründeten Ereignisses beantragt worden seien, sich in § 29 Abs. 1 SGB II nicht wiederfinde. Die Tätigkeit sei auch geeignet, ihn - den Kläger - dauerhaft und nachhaltig von den Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zu lösen. Nach der betriebswirtschaftlichen Auswertung für September 2007 habe er in diesem Monat ein vorläufiges Ergebnis in Höhe von 821,22 EUR erzielt. Die Prognoseentscheidung des Beklagten im Bescheid vom 3. Juli 2007 sei demgegenüber wenig substantiell. Im Zeitpunkt der Antragstellung sei eine positive Prognose berechtigt gewesen, die spätere Entwicklung - insbesondere bezogen auf den Eintritt der Finanzkrise im September 2008 - stehe dem nicht entgegen. Der Beklagte könne auch nicht erwarten, dass ein neugegründetes Unternehmen innerhalb von wenigen Monaten hochprofitabel werde, immerhin habe er, der Kläger, zunächst durchweg Gewinne erwirtschaftet.

7

Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat eine Stellungnahme der Unternehmensberatung M. vom 9. November 2007 vorgelegt, wonach die Unterlagen des Klägers keine positive Entwicklung erkennen ließen und innerhalb von fünf Jahren keinesfalls eine von Leistungen Dritter unabhängige Lebensführung durch das Vorhaben ermöglicht werden könne. Die aus der Planung ersichtlichen Gewinne stabilisierten sich im Bereich von 430,00 EUR monatlich, Umsatzzahlen des Vorbesitzers seien nicht belegt und die Werkstattmiete erscheine unangemessen hoch. Das Vorhaben erscheine nicht erfolgversprechend. Ferner meint der Beklagte, er habe aufgrund der zeitlichen Abläufe - insbesondere der späten Antragstellung - keine Möglichkeit gehabt, sich rechtzeitig fachlich über das Vorhaben zu erkundigen. Eine bessere Prognoseentscheidung für die Zukunft sei im Juli 2007 aufgrund des Sachverhalts nicht möglich gewesen. Die Prognoseentscheidung habe erst getroffen werden können, als der Kläger längst selbständig tätig gewesen sei, zumal auch der Steuerberater des Klägers erst am 6. Juni 2007 seine eigene Stellungnahme verfasst habe. Ergänzend hat der Beklagte auf die wirtschaftliche Entwicklung der selbständigen Tätigkeit des Klägers bis Ende 2008 verwiesen. Diese Zahlen rechtfertigten die Bewilligung von Einstiegsgeld ebenfalls nicht; der Kläger und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen befänden sich seit Anbeginn der selbständigen Tätigkeit im Mai 2007 durchgängig im Bezug von ergänzenden Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Das Einstiegsgeld diene aber originär nicht der Wirtschaftsförderung von Selbständigen, sondern setze voraus, dass sich das Einkommen des Hilfebedürftigen aus der Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit auf so hohem Niveau bewege, dass kein weiterer Hilfebedarf mehr bestehe und weitere Hilfeleistungen nicht mehr zu erbringen seien.

8

Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Klage durch Urteil vom 30. März 2010 mit der tragenden Begründung abgewiesen, bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 SGB II (in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung - § 29 SGB II a. F. -) seien nicht erfüllt, da der Kläger im Sinne der §§ 16 Abs. 1, 119 Abs. 1 SGB III nicht arbeitslos gewesen sei, weil seine bereits seit dem 1. Mai 2007 - vor Antragstellung am 4. Mai 2007 - ausgeübte Tätigkeit hauptberuflichen Charakter gehabt habe. Darüber hinaus sei die Zahlung von Einstiegsgeld nicht zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit des Klägers und zu dessen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich gewesen. Hierfür erforderlich sei eine Prognose betreffend die Perspektive, dass der Hilfebedürftige aufgrund objektiver Anhaltspunkte in der Lage sei, aus der aufzunehmenden Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit auch ohne Leistungen nach dem SGB II den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Aufgrund der verfügbaren Erkenntnisse habe der Beklagte zu Recht nicht zu der Einschätzung gelangen können, dass der Kläger in absehbarer Zukunft ein Gewerbe führen könne, welches ihn von Hilfeleistungen unabhängig machen könne. Zudem habe die von der Beklagten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens eingeholte Einschätzung des Gründungsvorhabens durch die Unternehmensberatung Fuß und Willkomm die Annahme der Beklagten bestätigt.

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Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. April 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Mai 2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht er sich auf seinen gesamten erstinstanzlichen Vortrag und betont insbesondere nochmals, er habe vor dem Datum der Antragstellung lediglich Vorbereitungsmaßnahmen durchgeführt. Es sei eine Prognoseentscheidung zu treffen gewesen, die nachträgliche Entwicklung insbesondere aufgrund der allgemeinen Finanzkrise im Herbst 2008 und der negativen Auswirkungen der sog. Abwrackprämie auf den Handel mit gebrauchten Kleinwagen sei im Jahre 2007 unvorhersehbar gewesen und insoweit nicht zu berücksichtigen. Die Stellungnahme der Unternehmensberatung M. bestehe aus Vermutungen. Die für die Monate August und September 2007 ausgewiesenen Gewinne hätten die Prognose gerechtfertigt, dass eine Beseitigung der Hilfebedürftigkeit zu erwarten gewesen sei, die Planung sei insoweit weit übertroffen worden. Er - der Kläger - betreibe die Selbsthilfewerkstatt auch heute noch. Das zeitliche Fenster von zwei Arbeitstagen (2. und 3. Mai 2007) könne im Übrigen nicht ernsthaft als Argument dafür herangezogen werden, dass der Kläger bereits ungeachtet der Gewährung des Einstiegsgeldes zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit entschlossen gewesen sei; die Tätigkeiten vor dem 4. Mai 2007 seien lediglich Vorbereitungshandlungen gewesen. Er habe die Möglichkeit des Erhalts von Einstiegsgeld in seine Erwägungen, ob er sich selbständig machen solle, mit einbezogen. Von ihm könne auch nicht verlangt werden, dass er eine geplante Tätigkeit wieder aufgebe, wenn das Einstiegsgeld nicht gewährt werde.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

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das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 30. März 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Juli 2007 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2007) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seinen Antrag auf Bewilligung von Einstiegsgeld unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er beruft sich erneut darauf, auf den Antrag vom 4. Mai 2007 habe mit der Gewährung von Einstiegsgeld die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit des Klägers nicht mehr gefördert werden können, da diese bereits am 1. Mai 2007 aufgenommen worden sei und der Kläger demnach zum Zeitpunkt der Antragstellung, unabhängig von der Gewährung von Einstiegsgeld, bereits zur Aufnahme der Erwerbstätigkeit entschlossen gewesen sei. Darüber hinaus sei die Zahlung von Einstiegsgeld auch nicht zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit und zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich gewesen, was sich aus der vorliegenden Prognose des Steuerberaters L. vom 26. Juni 2007 ergebe; auf diesen Unterlagen basiere im Wesentlichen auch die Stellungnahme der Unternehmensberatung M. vom 9. November 2007. Im Übrigen setze § 29 SGB II a. F. die Beantragung von Einstiegsgeld durch den Hilfebedürftigen zeitlich vor seiner Entscheidung auf Aufnahme der selbständigen Tätigkeit voraus.

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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG), aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 3. Juli 2007 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2007) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

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Nach § 29 Abs. 1 SGB II a. F. - diese hier wegen § 66 Abs. 1 SGB II noch zu prüfende Vorschrift ist mit Ablauf des 31. Dezember 2008 außer Kraft getreten und durch die im Wesentlichen inhaltsgleiche Bestimmung des § 16 b Abs. 1 SGB II ersetzt worden - konnte zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die arbeitslos sind, bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich war. Das Einstiegsgeld konnte auch erbracht werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfiel.

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Wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 17. September 2007 zutreffend dargelegt hat, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 SGB II a. F. im Falle des Klägers nicht erfüllt.

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Im Zeitpunkt der Antragstellung am 4. Mai 2007 war der Kläger nicht mehr arbeitslos im Sinne des § 29 SGB II i. V. m. §§ 16, 119 Abs. 3 Satz 1 SGB III, sondern er übte bereits eine auf Vollzeittätigkeit ausgerichtete selbständige Beschäftigung aus. Werden die Leistungen erst beantragt, wenn die Tätigkeit bereits aufgenommen ist, ist das Merkmal der Arbeitslosigkeit nicht mehr erfüllt (Thie, in: Münder (Hrsg.), LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 16b Rn. 4, m. w. N.; s. ferner die Nachweise bei Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand Dezember 2010, § 16b Rn. 75). Die Leistungen werden bei Aufnahme der Tätigkeit Hilfebedürftigen gewährt, "die arbeitslos sind", wie der Gesetzeswortlaut voraussetzt. Die hiergegen vorgebrachten Bedenken (Spellbrink, in: Eicher/ders., SGB II, 3. Aufl. 2008, § 29 Rn. 14; ihm zustimmend Hengelhaupt, aaO., § 16 b Rn. 76) sind an allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken ausgerichtet und überzeugen in Anbetracht des klaren Gesetzeswortlauts nicht. Zudem ist der Zweck des Einstiegsgeldes als "Instrument zur Förderung der Aufnahme selbständiger Tätigkeiten" (Spellbrink, aaO., Rn. 4) dann nicht mehr zu erreichen, wenn ein Hilfebedürftiger zur Aufnahme dieser Tätigkeit nicht nur bereits entschlossen ist, sich selbständig zu machen, sondern diesen Entschluss - wie der Kläger - auch bereits in die Tat umgesetzt hat. Auch unter diesem Aspekt besteht kein Anlass zu einer Auslegung, die sich mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht oder nur noch schwerlich in Einklang bringen lässt. Wer eine selbständige Tätigkeit bei Antragstellung bereits aufgenommen hat - die Aufnahme der Tätigkeit entspricht regelmäßig dem Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung - erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nicht mehr (Thie, aaO., Rn. 8). Das Einstiegsgeld soll dem Hilfebedürftigen einen Anreiz für die Aufnahme einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit bieten (BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 3/05 R - juris Rn. 16, mit Verweis auf BT-Drucks. 15/1516 S. 59; Hengelhaupt, aaO., § 16 b Rn. 54). Eine Bewilligung scheidet insoweit grundsätzlich aus, wenn die Förderung einer bereits ausgeübten Erwerbstätigkeit beantragt wird (BSG, Urteil vom 23. November 2006, aaO.; Marschner, in: Estelmann (Hrsg.), SGB II, Stand März 2011, § 16 b Rn. 30).

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Der Begriff der Arbeitslosigkeit ist in §§ 16 Abs. 1, 119 Abs. 1 SGB III i. d. F. des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleitungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I, 2848) definiert. Arbeitslosigkeit setzt danach Beschäftigungslosigkeit, Eigenbemühungen zur Beendigung der Beschäftigungslosigkeit, die Verfügbarkeit in subjektiver wie objektiver Hinsicht sowie schließlich die Arbeitslosmeldung voraus, worauf das Bundessozialgericht im Übrigen auch für Eingliederungsleistungen nach dem SGB II abgestellt hat (BSG, Urteil vom 23. November 2006, aaO., juris Rn. 16). Nach dem Gesamtbild des zur Entscheidung stehenden Einzelfalles war der Kläger bei Antragstellung aber nicht mehr arbeitslos, vielmehr war er bereits, wenn auch erst seit wenigen Tagen, als selbständiger Unternehmer tätig, er war mithin weder beschäftigungslos noch arbeitsuchend.

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Dass der Kläger zunächst lediglich Vorbereitungsmaßnahmen durchgeführt haben will, ist aufgrund der Anmeldung des Gewerbes bereits zum 1. Mai 2007 weder plausibel, noch ist dies von ihm in hinreichender Weise nachgewiesen worden. Er geht selbst von der Möglichkeit aus, auch dann, wenn er seine selbständige Tätigkeit bereits am 1. Mai 2007 in vollem Umfange aufgenommen habe, könne nicht formal auf den Tag der Antragstellung abgestellt werden. Aus dieser Aussage ergibt sich zunächst, dass der Kläger sich selbst hinsichtlich seiner Behauptung, sich zu jener Zeit allein auf Vorbereitungsmaßnahmen beschränkt zu haben, keineswegs sicher ist; zudem trifft seine Schlussfolgerung nicht zu, es könne nicht formal auf den Tag der Antragstellung abgestellt werden, da er in diesem Falle - wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid zutreffend dargelegt hatte - bei Antragstellung nicht mehr arbeitslos war. Arbeitslosigkeit ist aber nach § 29 Abs. 1 SGB II a. F. gesetzliche Voraussetzung für die Möglichkeit der Gewährung von Einstiegsgeld. Daher lassen sich für die Leistungsart des Einstiegsgeldes auch die allgemeinen Grundsätze der Leistungen zur Eingliederung gemäß § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. den Bestimmungen des SGB III nicht deckungsgleich übertragen. Soweit etwa die Möglichkeit besteht, eine Fahrkostenbeihilfe noch nach Arbeitsbeginn zu beantragen, wenn sie auch im Bereich des SGB II erst ab Antragstellung bewilligt werden kann (so zutreffend - unter Hinweis auf § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II - LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Dezember 2008 - L 12 AS 2069/08 - juris Rn. 21), ist dies aufgrund des nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut bestehenden Tatbestandsmerkmals der Arbeitslosigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung nicht auf die Leistungsart des Einstiegsgeldes übertragbar. Dies entspricht auch dem Zweck des Einstiegsgeldes, zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit eine Erleichterung der Entscheidung für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu bieten; das Einstiegsgeld dient nicht dazu, bei einem bereits gefassten und in die Tat umgesetzten Beschluss, eine Tätigkeit aufzunehmen, lediglich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Antragstellers zu verbessern.

22

Die Argumentation des Klägers mit dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 SGB II a. F. ("bei Aufnahme" bedeute nur, dass die Antragstellung in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der Tätigkeit stehen müsse) überzeugt den Senat vor diesem Hintergrund - der Entschluss des Klägers zur Übernahme der Selbsthilfewerkstatt war bereits gefasst, auch hatte er bereits begonnen, diesen aktiv in die Tat umzusetzen und war als Gewerbetreibender auch bereits angemeldet - ebenso wenig wie der vom Kläger bemühte Vergleich mit der Vorschrift des § 324 Abs. 1 SGB III, denn der eindeutige Wortlaut des § 29 Abs. 1 SGB II a. F. setzt u. a. auch die Arbeitslosigkeit des Antragstellers bei derartige Leistungen voraus; demgegenüber hat § 324 Abs. 1 SGB III einen gänzlich anderen Anwendungsbereich und erlaubt Schlussfolgerungen für die Auslegung des § 29 Abs. 1 SGB II a. F. weder in die eine noch in die andere Richtung (zur generellen Unanwendbarkeit der §§ 323 ff. SGB III im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Dezember 2008 - aaO.).

23

Darüber hinaus - und dies stellt eine selbständig tragende Erwägung der Entscheidung des Senats dar - fehlt es hier an einem weiteren Tatbestandsmerkmal des § 29 Abs. 1 SGB II a. F., dessen Vorliegen Voraussetzung dafür ist, dass dem Beklagten eine Ermessensentscheidung überhaupt erst eröffnet wird. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB II wurde das Einstiegsgeld nämlich "zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit" gewährt. Hieraus folgt, dass die Förderung nicht gewährt werden kann, wenn die Tätigkeit keinerlei berechtigte Chance und Hoffnung zuließ, dass sie auf Dauer dazu führen würde, dass der Hilfebedürftige und gegebenenfalls die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unabhängig von Leistungen nach dem SGB II würden leben können; vielmehr musste erkennbar sein, dass sich aus der Tätigkeit in absehbarer Zukunft Einkommen - in ausreichender Höhe - erzielen ließen (vgl. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2010 - L 19 AS 60/09 - juris Rn. 18; Marschner, aaO., § 16 b Rn. 22; Hengelhaupt, aaO., § 16 b Rn. 101 f.; Spellbrink, aaO., § 29 Rn. 18; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Februar 2008 - L 26 B 107/08 AS ER - juris Rn. 4; ferner Beschluss des Senats vom 14. März 2011 - L 13 AS 30/11 B). Insoweit war eine Prognose erforderlich. Bei der Einschätzung musste sich ergeben, dass die Zahlung des Einstiegsgeldes irgendwann dazu führen würde, dass der Leistungsempfänger den Status der Hilfebedürftigkeit verlassen konnte (LSG Nordrhein-Westfalen, aaO.; Senatsbeschluss vom 4. Juli 2008 - L 13 B 46/08 AS -, sowie LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. September 2006 - L 9 AS 392/06 ER -).

24

Die berechtigte Hoffnung, in Zukunft könne ein ausreichender Gewinn erzielt werden, um die Hilfebedürftigkeit des Leistungsempfängers und der Bedarfsgemeinschaft zu beenden, musste als tatbestandliche Voraussetzung einer Ermessensentscheidung spätestens im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung vorliegen, denn spätere Entwicklungen können eine Ermessensentscheidung rückwirkend nicht eröffnen. Diese berechtigte Hoffnung lässt sich aus den vorgelegten Unterlagen indes nicht ableiten, worauf der Beklagte im Ausgangsbescheid vom 3. Juli 2007 zutreffend abgestellt hat. Die weitere Entwicklung nach 2007 ist für die Entscheidung nicht von maßgeblicher Bedeutung. Wie auch bei Ermessensentscheidungen selbst, ist bei Prognoseentscheidungen für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in Hinblick auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen, ob ein Ermessen überhaupt eröffnet ist, der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - hier dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2007 - maßgebend. Eine Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände scheidet bei Ermessensentscheidungen denknotwendig aus, sofern sie nicht eine Ermessensreduzierung auf Null bedingen; dies ist indes nach den vorliegenden Unterlagen eindeutig nicht der Fall. Die Behörde kann eine Ermessensentscheidung nämlich nur auf der Grundlage der Tatsachen treffen, die bei Erlass ihres Bescheides auch vorgelegen haben (Hk-SGG, 3. Aufl. 2009, § 54 Rn. 102). Bei Prognoseentscheidungen gilt - wenn auch aus anderen Gründen - Entsprechendes: Denn eine Prognose lässt sich ebenfalls nur aufgrund der zur Zeit ihrer Vornahme verfügbaren Erkenntnisse treffen, ob sie richtig oder falsch war, zeigt sich erst später. Zum maßgeblichen Zeitpunkt (September 2007) stand dem Beklagten indes allein eine Gewinnprognose zur Verfügung, aus welcher sich die ernsthafte Chance einer Überwindung von Hilfebedürftigkeit unter keinem vertretbaren Blickwinkel ableiten ließ. Eine positive Erfolgsprognose darzulegen, ist zudem Sache des Klägers (vgl. Senatsbeschluss vom 24. Februar 2011 - L 13 AS 22/11 B -).

25

Eine - aufgrund der Ablehnung der beantragten Leistung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 in Betracht kommende - Beurteilung des Streitfalles nach §§ 16 b SGB II führt zu keinen abweichenden Ergebnissen, da die genannten Tatbestandsmerkmale, die im Falle des Klägers nicht erfüllt sind und die folglich einer Gewährung von Einstiegsgeld entgegenstehen, in § 16 b Abs. 1 SGB II in unveränderter Form übernommen worden sind.

26

Da sich das Urteil des SG Lüneburg vom 30. März 2010 aus den genannten Gründen als richtig erweist, bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.