Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 06.05.2011, Az.: L 3 KA 9/11 B ER
Vorgaben in § 84 Abs. 6 S. 2 SGB V über die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und nach Krankheitsarten sind verbindlich; Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung; Anwendbarkeit der Richtgrößenvereinbarungen bei einem Verordnungsregress wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens im Jahr 2003
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 06.05.2011
- Aktenzeichen
- L 3 KA 9/11 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 17082
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0506.L3KA9.11B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 22.12.2010 - AZ: S 65 KA 865/10 ER
Rechtsgrundlagen
- § 106 Abs. 5a SGB V
- § 296 Abs. 3 SGB V
- § 84 Abs. 6 S. 2 SGB V
Fundstelle
- NZS 2012, 22
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Vorgaben in § 84 Abs. 6 S. 2 SGB V, wonach die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmt werden sollen, setzen verbindliches Recht, von denen die Parteien der Richtgrößenvereinbarungen nur in atypischen Fällen abweichen dürfen.
- 2.
Im Jahr 2003 musste diese Vorschrift noch nicht angewendet werden, weil § 296 Abs. 3 SGB V in der seinerzeit geltenden Fassung eine Übermittlung solcherart gegliederter Verordnungsdaten noch nicht ermöglichte. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 22. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst tragen.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 9.756,34 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Richtgrößenregress.
Die Antragsteller nahmen im Jahr 2003 als Mitglieder einer allgemeinmedizinischen Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in Peine an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Die Geschäftsstelle der Prüfungseinrichtungen für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit in der vertragsärztlichen Versorgung teilte ihnen mit Schreiben vom 4. Juni 2007 mit, dass sie im Jahr 2003 die - nach Mitgliedern/Familienangehörigen (M/F) und Rentnern (R) gegliederten - Richtgrößen für Arzneimittel mit 60,18 % um mehr als 25 % überschritten hätten und daher gemäß § 10 Abs 3 der Richt- größenvereinbarung (RGV) von Amts wegen eine Richtgrößenprüfung einzuleiten sei. Der vorläufig errechnete Nettoregress belaufe sich auf 92.140,04 Euro.
In ihrer Stellungnahme vom 15. August 2007 wandten die Antragsteller ein, in dieser Summe sei eine Vielzahl patientenbezogener, medikament- und diagnosenbedingter sowie in Struktur und medizinischem Versorgungsaufwand begründeter Praxisbesonderheiten noch nicht berücksichtigt worden. Ihrem Schreiben fügten sie auf mehr als 400 Seiten Listen mit Patienten und Arzneimitteln bei, die verschiedenen Krankheitsbildern und Therapien zugeordnet waren.
Der Prüfungsausschuss Niedersachsen setzte mit Bescheid vom 13. November 2007 einen Regress in Höhe von 66.065,47 Euro fest, wobei er zugunsten der Antragsteller Praxisbesonderheiten in Höhe von insgesamt 98.913,57 Euro berücksichtigte.
Hiergegen legten die Antragsteller am 11. Dezember 2007 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie zunächst auf 14 Anlagen weitere Besonderheiten ihrer Praxis an (zB die Behandlung von Alten- und Pflegeheimpatienten, ua mit Sondennahrung) bzw verwiesen auf ihrer Ansicht nach unzutreffend berücksichtigte freiwillig versicherte Rentner. In der Sitzung vor dem Antragsgegner am 5. August 2010 legten sie auf ca 500 Seiten (ua) erneut Listen mit Patienten und Arzneimitteln zur Dokumentierung ihrer Praxisbesonderheiten vor, außerdem Listen von Verordnungen, die am Wochenende ausgestellt worden seien, Patienten, für die mehrere Versicherungsnummern angegeben worden seien und schließlich Internet- und Zeitschriftenauszüge zu Therapieempfehlungen.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 gab der Antragsgegner dem Widerspruch teilweise statt und reduzierte den Regress auf 39.025,34 Euro. Dabei brachte er zunächst 15.045,63 Euro der Verordnungssumme wegen fehlerhaften Datenbestands bzw "sonstiger Entlastungen" in Abzug (unrichtige Pharmazentralnummern (PZN), Behandlungen zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung, Hilfsmittel; Einordnung von freiwillig versicherten Personen ab 65 Jahren in die Gruppe "R"). Die Anerkennung fehlerhafter Daten wurde dagegen abgelehnt in Hinblick auf fiktive Verordnungsdaten bzw Daten am Monatsanfang/Monatsende, Sonderkennzeichen-PZN und Versichertennummern, denen die Antragsteller keinen Versichertennamen hätten zuordnen können. Weiterhin erkannte der Antragsgegner Praxisbesonderheiten im Wert von insgesamt 115.763,69 Euro (darunter acht Versicherte mit besonders hohem Versorgungsbedarf) an. Im Hinblick auf die Versorgung von ca 150 Versicherten in einem Altenheim ging der Antragsgegner von einem Schwerpunkt in der Arbeit der Antragsteller aus und erkannte Arzneimittel als Praxisbesonderheiten an, die bei der Therapie dieser Patientenklientel typischerweise eingesetzt würden. Weitere von den Antragstellern vorgetragene Schwerpunkte, zB bei der Verordnung von Sondennahrung, hätten sich im Rahmen der vorgenommenen Auswertung der Verordnungsdaten nicht widergespiegelt. Einen Antrag, die sofortige Vollziehung des Bescheids wegen des Vorliegens einer unbilligen Härte für die Antragsteller anzuordnen, lehnte der Antragsgegner ab.
Gegen diesen Bescheid haben die Antragsteller am 19. November 2010 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und gleichzeitig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragt. Zur Begründung haben sie die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt, weil die in der Sitzung vom 5. August 2010 überreichten Anlagen vom Antragsgegner bis zu der bereits am 6. August 2010 getroffenen Entscheidung über die Aussetzung der sofortigen Vollziehung - in der bereits der verbleibende Regressbetrag festgesetzt worden war - nicht hätten durchgearbeitet werden können. Der Entscheidung lägen außerdem erhebliche Datenfehler zugrunde, nämlich Verordnungen von Feier- oder Wochenendtagen, an denen die Praxis der Antragsteller nicht geöffnet gewesen sei. Außerdem seien Originalrezepte über Sondennahrung mit einem Verordnungsvolumen von über 60.000 Euro nicht erfasst worden, die hinter den PZN-Sonderkennzeichen stehenden Rezepturen seien nicht ersichtlich und es bestünden Versichertennummern, denen kein Versichertenname zugeordnet werden könne. Schließlich habe der Antragsgegner die Praxisbesonderheit der Behandlung von Altenheimpatienten nicht ausreichend berücksichtigt und weitere Praxisbesonderheiten -Versicherte mit besonderem Versorgungsbedarf, Einsatz besonderer Medikamente, Sondennahrung - übersehen. Weiterhin stelle die sofortige Vollziehung der Regressentscheidung aus wirtschaftlichen Gründen eine unbillige Härte dar.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 abgelehnt. Der angefochtene Bescheid sei weder aufgrund der behaupteten Datenfehler noch wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs offenbar rechtswidrig. Über die bereits vom Antragsgegner anerkannten Besonderheiten hinausgehende Praxisbesonderheiten seien nicht zu berücksichtigen gewesen. Schließlich lägen auch keine Umstände vor, die eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz der Antragsteller und damit das Vorliegen einer unbilligen Härte belegten.
Gegen den am 27. Dezember 2010 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 27. Januar 2011 Beschwerde vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung haben sie zunächst im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Außerdem haben sie geltend gemacht, dass in der RGV entgegen § 84 Abs 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) keine Einteilung der Richtgrößen nach Altersgruppen vorgenommen worden sei. Am Vorliegen eines Härtefalls halten sie im Beschwerdeverfahren nicht fest.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 22. Dezember 2010 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 19. November 2010 anzuordnen,
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Beschluss des SG für zutreffend. Die Regelung des § 84 Abs 6 S 2 SGB V könne noch nicht umgesetzt werden, weil weder die dafür notwendige Änderung des § 296 SGB V noch eine Änderung des Vertrags über den Datenaustausch auf Datenträgern (Anl 6 zu den Bundesmantelverträgen) erfolgt sei.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
II. Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 19. November 2010 anzuordnen.
1. Nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen ganz oder teilweise anordnen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Über das "Ob" einer Anordnung entscheidet das Gericht dabei auf der Grundlage einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufschiebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts abzuwägen ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl, § 86b Rn 12 ff mwN). Die Privatinteressen überwiegen regelmäßig, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Bescheids zu einer unbilligen Härte für den Antragsteller führen würde. Damit lehnt sich der Senat in den Fällen der Festsetzung von Honorarrück- oder sonstigen Regressforderungen bei der hier zu treffenden Abwägung wegen der insoweit grundsätzlich vergleichbaren Interessenlage an die Kriterien des § 86a Abs 3 S 2 SGG an.
Vorliegend hat die Klage der Antragsteller keine aufschiebende Wirkung. Dies ergibt sich für die Jahre 2002 und 2003 aus Artikel 3 § 2 S 4 des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes ((ABAG) vom 19. Dezember 2001, BGBl I 3773). Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber allgemein zum Ausdruck gebracht, dass der Sofortvollzug von Richtgrößenregressen im allgemeinen Interesse liegt.
Vom Sofortvollzug war im vorliegenden Fall nicht abzusehen. Da die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ausdrücklich klargestellt haben, dass sie das Eintreten unbilliger Härten bei Vollziehung des angefochtenen Bescheids nicht befürchten, ist hierfür allein entscheidend, ob - nach summarischer Prüfung - gegenwärtig ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Antragsgegners vom 21. Oktober 2010 bestehen. Dies ist zu verneinen.
2. a) Rechtsgrundlage für die Berechtigung des Antragsgegners, einen Vertragsarzt wegen seiner Verordnungen aufgrund einer Überschreitung von Richtgrößen in Regress zu nehmen, sind ab dem Jahr 2002 die §§ 84 Abs 6, 106 Abs 5a SGB V wie sie idF des ABAG vom 19. Dezember 2001 (aaO.) anzuwenden sind. Gemäß § 84 Abs 6 S 1 SGB V haben die Beigeladene zu 1. und die Kassen(verbände) unter dem 13. November 2003 die RGV für das Jahr 2003 getroffen, die rückwirkend zum 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist (§ 14 Abs 1 RGV).
Die verspätete Vereinbarung und Veröffentlichung (im Niedersächsischen Ärzteblatt (NdsÄBl) 2004, Heft 3, S 73 ff) steht der Anwendbarkeit der RGV für 2003 nicht entgegen, auch wenn die Richtgrößen nach § 84 Abs 6 S 3 SGB V die Vertragsärzte bei ihren Entscheidungen über die Verordnungen von Arznei- und Verbandmitteln nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot leiten sollen und sich aus dieser Steuerungsfunktion die Notwendigkeit ergibt, Richtgrößen bereits vor Jahresbeginn zu vereinbaren (Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2500 § 106 Nr 11). Denn nach der Rechtsprechung des BSG (aaO.) ist die rückwirkende Inkraftsetzung von Richtgrößen nur insoweit rechtswidrig, als die neuen Richtgrößen die Rechtsposition der Vertragsärzte verschlechtern. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil die Richtgrößen für 2003 höher sind als die für das Vorjahr vereinbarten. So waren für praktische Ärzte/Allgemeinmediziner (Fachgruppe 80) Richtgrößen für die Gruppe M/F in Höhe von 33,56 Euro pro Behandlungsfall und für die Gruppe R in Höhe von 114,96 Euro pro Fall vereinbart, für 2002 dagegen nur solche von 31,87 Euro bzw 108,86 Euro (Anl 1 der RGV 2002, NdsÄBl 2002, Heft 7, S 90). Die schließlich in der Änderungsvereinbarung zur RGV 2003 vom 15. November 2005 (NdsÄBl 2007, Heft 5, S 72) festgesetzten Richtgrößen sind mit 34,03 Euro bzw 116,17 Euro sogar nochmals erhöht worden. Daher bestehen keine Bedenken, wenn letztere der vorliegenden Richtgrößenprüfung zugrunde gelegt worden sind.
Die genannten, lediglich nach Versichertengruppen gegliederten Richtgrößen sind vorliegend auch anzuwenden, obwohl die Vertragsparteien der RGV damit nicht den Vorgaben des § 84 Abs 6 S 2 SGB V nachgekommen sind. Nach dieser mit dem ABAG zum 31. Dezember 2001 in Kraft getretenen Vorschrift (vgl Artikel 4 ABAG) sollen die Vertragspartner die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen und darüber hinaus auch nach Krankheitsarten bestimmen. Hiermit soll eine auf die Einzelpraxis stärker ausgerichtete Berücksichtigung der medizinischen Behandlungserfordernisse erreicht werden (vgl Begründung zu Artikel 1 Nr 3 ABAG, BT-Drs 14/6309 S 9). Die Fassung als Soll-Vorschrift bedeutet nicht, dass es der Gestaltungsfreiheit der Parteien der RGV überlassen bleibt, ob sie diese Vorgaben umsetzen oder nicht. Angesichts der Konkretheit des Normbefehls läge es fern, die Vorschrift im Sinne eines bloßen Programmsatzes zu verstehen (vgl zu einer solchen Konstellation zB BSG, Urteil vom 3. März 1999 - B 6 KA 18/98 R - juris). Entsprechend den Grundsätzen für die Auslegung von Soll-Vorschriften (vgl BSG SozR 3-2500 § 101 Nr 2 mwN) ist vielmehr davon auszugehen, dass das Gesetz für den Regelfall eine strikte Bindung entfaltet und Abweichungen hiervon nur in atypischen Fällen gestattet sind (ebenso: Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: April 2011, § 84 Rn 128; Freudenberg in: jurisPK-SGB V, § 84 Rn 94). Die Gliederung der Altersgruppen ist - entsprechend § 84 Abs 7 S 5 SGB V - in den Rahmenvorgaben, die am 31. Januar 2002 zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Bundesverbänden der Krankenkassen vereinbart worden sind (DÄ 2002, A-1540), durch Festsetzung von vier Gruppen (0 - 15 Jahre, 16 - 49 Jahre, 50 - 64 Jahre sowie 65 Jahre und älter) vorgenommen worden.
Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in § 84 Abs 6 S 2 SGB V war den Vertragspartnern der vorliegenden RGV jedoch nicht möglich, weil der Gesetzgeber für das Jahr 2003 noch nicht die hierfür erforderlichen verfahrens- und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen geschaffen hatte. Maßgeblich ist insoweit § 296 SGB V. Nach dessen Absatz 3 in der 2003 noch geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (GSG; BGBl I 2266) hatten die Krankenkassen Art, Menge und Kosten der verordneten Arznei- und Verbandmittel nur getrennt nach Mitgliedern und Rentnern sowie deren Angehörigen für die Durchführung der Richtgrößenprüfungen zu übermitteln. Daten für die genannten Altersgruppen mussten dagegen nicht zur Verfügung gestellt werden, so dass die Grundlagen für die Festsetzung entsprechender Richtgrößen - und für deren anschließende arztbezogene Prüfung - nicht vorhanden waren. Auf welcher Grundlage es den Vertragspartnern in Bayern gleichwohl möglich war, bereits in der RGV für 2002 Richtgrößen für (sechs) Altersgruppen festzusetzen (vgl Bayerisches LSG, Urteil vom 25. November 2009 - L 12 KA 16/08 - juris) kann hierbei offen bleiben; denn angesichts der 2003 noch geltenden Fassung des § 296 Abs 3 SGB V stand der Verzicht auf eine Altersgliederung in Niedersachsen jedenfalls nicht im Widerspruch zum geltenden Recht. Erst mit dem zum 1. Januar 2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 (GMG; BGBl I 2190) ist § 296 SGB V an die jetzige Fassung des § 84 Abs 6 S 2 SGB V angepasst worden und ermöglicht nunmehr die Übermittlung auch altersgruppenbezogener Daten.
b) Zu Unrecht berufen sich die Antragsteller im Beschwerdeverfahren weiterhin darauf, der Antragsgegner habe bei der Ermittlung des Verordnungsumfangs unrichtige Daten zugrunde gelegt. Soweit sie rügen, die Prüfgremien hätten Verordnungen berücksichtigt, die auf Feier- oder Wochenendtage datiert seien, an denen ihre Praxis nicht geöffnet gewesen sei, ist ihr Vortrag unerheblich. Wie der Senat wiederholt in Eilverfahren der vorliegenden Art entschieden hat (vgl zB Beschluss vom 29. November 2010 - L 3 KA 64/09 B ER) ist das genaue Verordnungsdatum kaum relevant, weil die Richtgrößenprüfung jahresbezogen erfolgt. Es ist deshalb unproblematisch, dass die elektronische Erfassung von zB unlesbaren Verordnungsdaten ggf zum Abrechnungs- bzw Einlesedatum oder unter einem fiktiven Datum erfolgt und damit uU auch in die sprechstundenfreie Zeit des verordnenden Vertragsarztes fallen kann. Allein anhand der erfassten Verordnungsdaten ergibt sich daher kein Anhaltspunkt für fehlerhaft berücksichtigte Arzneimittelverordnungen zu Lasten der Antragsteller.
Wenn die Antragsteller weiterhin geltend machen, die Prüfgremien hätten Originalrezepte über Sondennahrung mit einem Verordnungsvolumen von über 60.000 Euro nicht erfasst, wird schon nicht hinreichend deutlich, inwieweit sie sich hierdurch beschwert fühlen. Denn nicht erfasste Verordnungen können sich grundsätzlich auch nicht auf die Höhe des festgesetzten Regresses auswirken. Ebenso bleibt unklar, warum die Rechtmäßigkeit der Regressfestsetzung davon abhängen soll, ob die Prüfungsausschüsse die unter Sonder-PZN geführten Rezepturen genauer benennt. Soweit die Antragsteller außerdem vortragen, einzelnen Versicherungsnummern könnten sie keinen ihrer Behandlungsfälle zuordnen, kann offen bleiben, ob hiermit ein rechtserheblicher Einwand formuliert worden ist. Denn allein die wenigen hiervon betroffenen Einzelfälle könnten die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht rechtfertigen.
c) Ob die zahlreichen bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Praxisbesonderheiten vom Antragsgegner zu berücksichtigen waren, muss angesichts des damit verbundenen erheblichen Streit- und Datenumfangs dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (in diesem Sinne bereits Senatsbeschluss vom 29. November 2010 aaO. und Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 10. September 2009 - L 7 KA 154/09 B ER - juris). Anhaltspunkte dafür, dass insoweit bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung des Antragsgegners bestehen, liegen nicht vor. Der Senat hat wiederholt darauf hingewiesen (zuletzt mit Beschluss vom 21. Februar 2011 - L 3 KA 100/10 B ER), dass Praxisbesonderheiten - dh aus der Zusammensetzung der Patienten eines Vertragsarztes herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Fachgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 27; Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 79/03 R - juris) - vom betroffenen Vertragsarzt substantiiert vorgetragen werden müssen. Dieser muss spezielle Strukturen aufzeigen, etwa indem er die bei ihm schwerpunktmäßig behandelten Erkrankungen aufzählt und mitteilt, welcher Prozentsatz seiner Patienten ihnen jeweils zuzuordnen ist und welcher Aufwand an Arzneimitteln für die Therapie der konkreten Erkrankung erforderlich ist (vgl hierzu Clemens in: jurisPK-SGB V, § 106 Rn 120 mwN). Die Auflistung einzelner Patienten mit schweren Erkrankungen oder von bestimmten Arzneimitteln, die als solche bereits als Praxisbesonderheiten geltend gemacht werden, dürfte insoweit kaum ausreichen. Die als Besonderheit angeführte Behandlung von 150 Patienten in Altenheimen ist vom Antragsgegner als Praxisbesonderheit anerkannt worden. Soweit die Antragsteller den Umfang der hierbei konkret zu ihren Gunsten berücksichtigten Arzneimittel rügen, kann dies angesichts des den Prüfgremien bei der Würdigung von Praxisbesonderheiten zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 11) jedenfalls nach summarischer Prüfung im Eilverfahren nicht zur Annahme der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 21. Oktober 2010 führen. Wenn die Antragsteller geltend machen, die Verordnung von Sondennahrung hätte als Praxisbesonderheit anerkannt werden müssen, ist es zumindest gegenwärtig nachvollziehbar, wenn der Antragsgegner davon ausgegangen ist, dass in der diesbezüglich geltend gemachten Therapie von lediglich 22 Patienten (bei fast 8.000 Behandlungsfällen im Jahr 2003 insgesamt) noch kein besonderer Schwerpunkt zu sehen ist. Im Übrigen ist die Verordnung von Sondennahrung auch keine der in Anl 3 zur RGV 2003 aufgelisteten regelmäßig als Praxisbesonderheit anzuerkennenden Indikationsgebiete.
d) Schließlich rügen die Antragsteller zu Unrecht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil der Antragsgegner den Inhalt des am 5. August 2010 überreichten Anlagenordners nicht bis zum 6. August 2010 habe zur Kenntnis nehmen können. Insoweit stützen sich die Antragsteller auf eine bloße Vermutung. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den am 5. August 2010 überreichten Anlagen nicht um gänzlich neuen Vortrag handelt, sondern um die Vertiefung bereits im schriftlichen Verwaltungsverfahren vorgelegten Vorbringens.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm den §§ 154 Abs 2 und 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm den §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1, 53 Abs 2 Nr 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Sie folgt der Ziffer IX.15.3 des Streitwertkatalogs für die Sozialgerichtsbarkeit (NZS 2009, 491, 495), wobei der Senat in ständiger Rechtsprechung in Fällen der vorliegenden Art von einem Viertel der streitbefangenen Regressforderung ausgeht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).