Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.05.2011, Az.: L 2 R 524/10

Eigentum; Erwerbsleben; Erwerbsminderung; Haft; JVA; Rente; Rentenanwartschaft; Strafgefangener; Strafvollzug; versicherungsrechtliche Voraussetzungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
18.05.2011
Aktenzeichen
L 2 R 524/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45117
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 27.05.2010 - AZ: S 11 R 87/07

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der für die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente maßgebliche Fünfjahreszeitraum ist unter Berücksichtigung des grundrechtlich gewährleisteten Eigentumsschutzes an Rentenanwartschaften um Zeiten einer Inhaftierung zu verlängern, soweit insbesondere aufgrund sowohl vorausgegangener als auch nachfolgender Zeiten der Beschäftigung bzw. vergleichbarer Zeiten der Wille zur weiteren Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung belegt und damit eine fortbestehende Nähe zum aktiven Erwerbsleben dokumentiert ist.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 27. Mai 2010 und der Bescheid der Beklagten vom 3. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2007 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin ab September 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren und ihre Bescheide vom 16. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2005 und vom 4. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2006 zurückzunehmen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am 21. Oktober 1962 geborene Klägerin begehrt eine Erwerbsminderungsrente.

Die Klägerin nahm von 1978 bis 1980 ohne Abschluss an einer Ausbildung zur Verkäuferin teil. In späteren Jahren war sie als Bürokraft berufstätig. Etwa 1990 erkrankte sie an einem bösartigen Tumor der linken Brustdrüse. Der Tumor konnte brusterhaltend vollständig entfernt werden; diesbezüglich blieben Nachsorgeuntersuchungen bislang unauffällig.

Vom 19. April 1999 bis 19. März 2004 war die Klägerin in der JVA I. inhaftiert. Während der Haftzeit übte sie als Freigängerin ein sozialversicherungspflichtiges vollschichtiges Beschäftigungsverhältnis als Bürokraft vom 5. Juni bis 24. Juli 2000 und vom 1. August 2000 bis zum 31. Juli 2002 aus. Vom 25. bis 31. Juli 2000 sind für sie Pflichtbeiträge aufgrund von Arbeitslosigkeit entrichtet worden. Während der übrigen Haftzeiten war die Klägerin in der JVA mit Gefangenenarbeiten befasst, dafür sind keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden.

Nach der Haftentlassung der Klägerin sind für diese ab dem 20. März 2004 bis jedenfalls Ende 2006 Pflichtbeiträge bedingt durch Arbeitslosigkeit entrichtet worden.

Am 23. August 2004 wurde die Klägerin aufgrund eines Plattenepithelcarcinoms der Cervix uteri operiert. Es schlossen sich weitere Operationen, strahlenmedizinische und chemotherapeutische Behandlungen an.

Am 9. November 2004 stellte die Klägerin einen ersten Erwerbsminderungsrentenantrag und gab an, dass sie aufgrund der Krebserkrankung keine Arbeiten mehr verrichten könne. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2005 wegen Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab.

Einen Überprüfungsantrag der Klägerin vom 17. Oktober 2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2006 ab.

Am 29. August 2006 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente und teilte mit, dass sie bedingt durch die Krebserkrankung allenfalls noch drei Stunden täglich Büroarbeiten verrichten könne.

Die Beklagte holte ein internistisches Gutachten von Dr. J. vom 6. Oktober 2006 ein. Die Klägerin gab an, dass sie vermutlich als Folge der Strahlentherapie an einer chronischen Diarrhoe mit bis zu zehn wässrigen Stühlen täglich und an einer nächtlichen Stuhlinkontinenz leide. Seit dem Auftreten der Tumorerkrankung im Jahr 2004 sei sie nur noch in ärztlicher Behandlung und fühle sich durch die Folgeerkrankung psychisch sehr belastet. Sie könne sich nicht vorstellen, überhaupt noch irgendwie zu arbeiten. Sie befinde sich seit zwei Jahren in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Bei zunehmenden Schmerzen der Fingergelenke sei 2005 eine chronische Polyarthritis diagnostiziert worden. Dr. J. empfahl eine weitere psychologische und orthopädische Begutachtung und ging bereits aus der Sicht seines Fachgebietes nur noch von einem drei- bis unter sechsstündigem Leistungsvermögen unter Vermeidung insbesondere von Publikumsverkehr, Stress und Zeitdruck aus.

Der medizinische Dienst der Beklagten nahm daraufhin nach Aktenlage eine seit August 2004 fortbestehende dauerhafte Erwerbsminderung an. Mit Bescheid vom 3. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2007 lehnte die Beklagte auch den erneuten Erwerbsminderungsrentenantrag wegen Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab.

Zur Begründung der am 20. März 2007 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Nichtentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen für die während der Haftzeit von ihr verrichteten Gefangenenarbeiten einen Systemfehler darstelle, der ihr nicht zum Nachteil gereichen dürfe. Sie sei oft unfähig, noch irgendetwas zu machen. Die Blase könne sie fast nur noch mit dem Katheter entleeren.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte, eine Auskunft der K. Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (L.) vom 14. April 2008 und eine Auskunft des Zeugen M. vom 5. Juni 2008 eingeholt, bei dem die Klägerin zeitweilig ab Februar 2006 in geringfügigem Umfang als Hauswirtschafterin tätig war.

Mit Urteil vom 27. Mai 2010, der Klägerin zugestellt am 3. September 2010, hat das Sozialgericht Bremen die Klage abgewiesen. Der Leistungsfall der Erwerbsminderung sei in medizinischer Hinsicht bereits im August 2004 eingetreten; seinerzeit habe die Klägerin jedoch nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt.

Mit der am 4. Oktober 2010 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, dass ihr die Haftzeit nicht rentenschädigend angelastet werden dürfe. Jedenfalls lasse der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht eine Bewertung in dem Sinne zu, dass der Leistungsfall der Erwerbsminderung erst im August 2006 eingetreten sei. Sie habe seinerzeit noch einmal versuchen wollen, wieder in ein normales Arbeitsleben zurückzukehren. Zumindest spreche der Bezug von Leistungen nach dem SGB II für ihre zwischenzeitliche Arbeitsfähigkeit.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 27. Mai 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 3. November 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2007 aufzuheben und

2. die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab September 2004 und zur Rücknahme ihrer Bescheide vom 16. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2005 und vom 4. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2006 zu verpflichten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten erfüllt die Klägerin bereits seit August 2004 die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, ohne jedoch bezogen auf einen solchen Leistungsfall die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt zu haben. Diesbezüglich komme keine vom Wortlaut des § 43 SGB VI abweichende Auslegung der gesetzlichen Vorgaben zugunsten der Klägerin in Betracht. Auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass die Nichteinbeziehung von Strafgegangenen in die Sozialversicherung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI seit September 2004 und damit gestützt auf § 44 SGB X zugleich auf Rücknahme der in den vorausgegangenen Verwaltungsverfahren erlassenen einen solchen Anspruch ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 16. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2005 und vom 4. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2006.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert im Sinne einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Voraussetzung für einen solchen Rentenanspruch ist nach den genannten gesetzlichen Vorgaben des Weiteren, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hatte. Zu den danach maßgeblichen Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zählen nach § 55 Abs. 2 SGB VI auch freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten, Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder 4 SGB VI genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten, und Beiträge für Anrechnungszeiten, die ein Leistungsträger mitgetragen hat.

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich nach § 43 Abs. 4 SGB VI um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Berücksichtigungszeiten, Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach § 43 Abs. 4 Nummer 1 oder 2 liegt, und Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung. Die vorstehend genannten Zeiten sind nur zu berücksichtigen, soweit sie nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind.

Die vorstehend erläuterte Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (§ 43 Abs. 5 SGB VI). Ein solcher Tatbestand (§ 53 Abs. 1 SGB VI) ist jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht gegeben.

1. Der Antrag der Klägerin vom 29. August 2006 auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente war zugleich als Antrag auf Überprüfung der vorausgegangenen Rentenablehnungs- (und Überprüfungs-)Bescheide vom 16. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2005 und vom 4. November 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2006 gemäß § 44 SGB X zu werten; im Zweifel muss nämlich jeder Leistungsträger davon ausgehen, dass ein Antragsteller alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zustehen könnte (vgl BSG vom 11. November 1987 - 9a RV 22/85 - und U.v. 17. Februar 2005 - B 13 RJ 1/04 R).

2. In medizinischer Hinsicht erfüllte die Klägerin seit Ende August 2004 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Unter Auswertung insbesondere auch des einleuchtenden Gutachtens von Dr. J. vom 6. Oktober 2006 geht die Beklagte selbst zutreffend davon aus, dass die Klägerin so schwer erkrankt ist, dass sie seit dem 23. August 2004 fortlaufend nicht einmal mehr täglich drei Stunden auch nur leichte Tätigkeiten verrichten kann und dass diesbezüglich eine Besserung als unwahrscheinlich einzuschätzen ist. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens vermag der Senat dieser Einschätzung nur beizutreten. Den nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erforderlichen (ersten) Rentenantrag hatte die Klägerin am 9. November 2004 gestellt.

3. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 43 SGB VI erfüllt die Klägerin auch bezogen auf den im August 2004 eingetretenen Leistungsfall die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

a) Allerdings erfüllte die Klägerin im Zeitpunkt des Auftretens der schweren Krebserkrankung im August 2004 bei einer allein am Wortlaut ausgerichteten Anwendung der vorstehend dargelegten gesetzlichen Regelungen des § 43 SGB VI nicht die erforderlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. In den vorausgegangenen 5 Jahren von August 1999 an wies die Klägerin lediglich 32 Monate mit Pflichtbeiträgen und nicht die vom Gesetz geforderte Mindestzahl von 36 Pflichtbeitragsmonaten auf. Die diesbezüglich festzustellenden Fehlzeiten begründen nach dem Gesetzeswortlaut auch keinen Verlängerungstatbestand im Sinne von § 43 Abs. 4 SGB VI. Das Gesetz sieht nicht vor, dass Haftzeiten als solche als rentenrechtliche Zeiten zu berücksichtigen sind. Insbesondere begründet die Verrichtung von Gefangenenarbeit innerhalb einer Haftanstalt kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI (BSG, U.v. 26. Mai 1988 - 5/5b RJ 20/87 - SozR 2200 § 1246 Nr 157). Weder die Verrichtung entsprechender Gefangenenarbeit noch die Inhaftierung als solche beinhaltet nach dem Gesetzeswortlaut einen Aufschubzeittatbestand im Sinne von § 43 Abs. 4 SGB VI.

Rentenrechtliche Zeiten kann der Strafgegangene während der Haftzeit nur zurücklegen, soweit ihm ausnahmsweise die Möglichkeit eröffnet wird, als Freigänger außerhalb der Vollzugsanstalt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu begründen. Der Klägerin ist eine entsprechende Möglichkeit nur für einen Teil ihrer Haftzeit eingeräumt worden. Das zeitliche Ausmaß der ihr eröffneten Möglichkeit zur Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit während der Haftzeit war im Ergebnis so gering, dass dessen ungeachtet die verbleibenden Fehlzeiten bewirkt haben, dass sie auch im August 2004 ausgehend vom Gesetzeswortlaut noch nicht wieder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfüllte.

Soweit für die Klägerin aufgrund des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II in der Zeit ab August 2004 weitere Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden, hilft ihr dies im Ergebnis nicht weiter. Allerdings wäre bei einem Eintritt einer rentenrechtlichen Erwerbsminderung im Zeitraum ab Dezember 2004 schon nach dem Gesetzeswortlaut die vorstehend erläuterten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt gewesen; da in der Folgezeit das Rentenkonto der Klägerin in den jeweils vorausgegangenen 60 Kalendermonaten mindestens 36 Monate mit Pflichtbeiträgen aufwies.

Die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zu einem Zeitpunkt erst nach Eintritt des Versicherungsfalls in medizinischer Hinsicht begründet jedoch nach den gesetzlichen Vorgaben keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente. Das Gesetz stellt in § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI nach seinem klaren Wortlaut vielmehr ausdrücklich darauf ab, dass der bzw. die Versicherte in den letzten fünf Jahren "vor" Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufgewiesen haben muss. Dementsprechend kann diese Bedingung nicht dadurch erfüllt werden, dass erst nach Eintritt einer Erwerbsminderung zu einem späteren Zeitpunkt 36 der dann zurückliegenden 60 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt sind.

b) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens lässt sich auch in keiner Weise objektivieren, dass der Leistungsfall einer Erwerbsminderung erst nach August 2004 aufgetreten sein könnte.

aa) Ausgehend auch von den eigenen Angaben der Klägerin ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zunächst davon auszugehen, dass im August 2004 jedenfalls ein erster Leistungsfall einer vollen Erwerbsminderung eingetreten ist.

Auch die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie in einem ersten Zeitraum nach der Diagnose der Krebserkrankung im August 2004 von jedenfalls mehr als 26 Wochen Dauer in keiner Weise am Erwerbsleben mehr hat teilnehmen können. Sie hat selbst mit der Stellung des ersten Erwerbsminderungsrentenantrages geltend gemacht, dass sie aufgrund der Krebserkrankung keine Arbeiten mehr verrichten könne. Diese damalige Selbsteinschätzung leuchtet nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens in jeder Hinsicht ein. Damit war sie ab August 2004 krankheitsbedingt "auf nicht absehbare Zeit" (vgl. zur maßgeblichen Frist von 26 Wochen: BSG, U.v. 23. März 1977 - 4 RJ 49/76 - SozR 2200 § 1247 Nr 16) im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auch nur täglich dreistündig erwerbstätig zu sein.

bbb) Für die Zeit ab etwa Herbst 2006 geht die Klägerin wiederum - insoweit in Übereinstimmung mit der Bewertung der Beklagten - von dem Fehlen einer Erwerbsfähigkeit in dem Sinne aus, dass ihr nicht einmal körperliche leichte Tätigkeiten auch nur arbeitstäglich dreistündig zuzumuten sind. Diese übereinstimmende Einschätzung beider Beteiligten leuchtet angesichts der Schwere des Krankheitsbildes ohne Weiteres ein.

cc) Hiervon ausgehend wäre ein erst nach August 2004 eingetretener Leistungsfall nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sich das seit Herbst 2006 festzustellende aufgehobene Leistungsvermögen nicht als kontinuierliche Fortsetzung eines bereits im Zeitraum seit der Erstdiagnose der Krebserkrankung im August 2004 aufgehobenen Leistungsvermögens darstellt, sondern wenn es nach einem ersten Leistungsfalls im August 2004 in der Folgezeit, etwa im Herbst 2006, einen weiteren Leistungsfall gegeben hätte.

Eine Bewertung des Krankheitsverlaufs in einem solchen Sinne wäre jedoch nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sich nach der ersten jedenfalls mehr als sechsmonatigen Phase der im August 2004 diagnostizierten Krebserkrankung der Gesundheitszustand der Klägerin (a) in der Folgezeit in einem solchen Maße wieder stabilisiert hätte, dass sie nicht nur kurzfristig erneut in der Lage gewesen wäre, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder wettbewerbsfähig in einem Umfang von mindestens drei Arbeitsstunden täglich auszuüben, ehe (b) nach einer solchen Stabilisierungsphase sich der Gesundheitszustand dauerhaft erneut in einem solchen Maße verschlechterte, dass ihr eine solche Tätigkeit nicht mehr zuzumuten war.

Die Klägerin selbst trägt nicht substantiiert eine entsprechende zeitlich nachfolgende gesundheitliche Stabilisierung vor. Ihr Hinweis auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II hilft in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht weiter, weil insbesondere auch unter Berücksichtigung der erstinstanzlich eingeholten Auskunft der BAGIS nichts dafür ersichtlich ist, dass der Bewilligung entsprechender Leistungen eine nachvollziehbare medizinische Feststellung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin zugrunde gelegen hat.

Für eine entsprechende zwischenzeitliche Stabilisierungsphase etwa im ersten Halbjahr 2006 lassen sich auch anderweitig keinerlei Anhaltspunkte objektivieren. Soweit die Klägerin (ausweislich des aktenkundigen Haushaltsschecks ohnehin nur zu einem Monatsentgelt von 68 €) im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung zeitweise im Haushalt des Zeugen M. tätig war, hat sie ausweislich dessen Angaben vom 5. Juni 2008 die Beschäftigung nur in einem zeitlich sehr begrenzten Rahmen von täglich ein bis zwei Stunden ausgeübt; selbst bei dieser sehr geringfügigen Arbeitsbelastung traten überdies häufiger Fehlzeiten auf. Auch von Seiten der Klägerin wird nicht geltend gemacht, dass diese Auskunft inhaltlich unzutreffend sein könnte und dass sie in einem größeren zeitlichen Ausmaß gearbeitet habe.

Vielmehr hat die Klägerin selbst gegenüber dem Gutachter Dr. J. im Oktober 2006 ausgeführt, dass sie sich seit dem Auftreten der Tumorerkrankung im Jahr 2004 nur noch in ärztlicher Behandlung befinde und sich durch die Folgeerkrankung psychisch sehr belastet fühle. Sie könne sich nicht vorstellen, überhaupt irgendwie zu arbeiten.

Auch die Stellungnahme des die Klägerin seit März 2005 kontinuierlich behandelnden Nervenarztes N. vom 22. Mai 2008 spricht gegen die von der Klägerin geltend gemachte Stabilisierung im Sinne der Wiedererlangung einer Erwerbsfähigkeit etwa im ersten Halbjahr 2006. Der Nervenarzt weist in dieser Stellungnahme auf schwer wiegende Erkrankungen der Klägerin in Form rezidivierender depressiver Symptome vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsstörung auf Borderlineniveau hin. Hinzu komme eine Sehnervenentzündung, die den Verdacht auf eine beginnende multiple Sklerose begründe. Bei dieser Ausgangslage leuchtet es ohne Weiteres ein, wenn der Facharzt N. in seiner o.g. Stellungnahme die Erwerbsfähigkeit der Klägerin dahingehend einschätzt, dass diese im gesamten Behandlungszeitraum nur während kurzzeitiger Stabilisierungsphasen zur auch dann nur stundenweise Verrichtung einer Tätigkeit für wenige Tage oder allenfalls wenige Wochen in der Lage gewesen sei, wohingegen die Erwerbsfähigkeit im Übrigen völlig aufgehoben gewesen sei.

Damit korrespondiert im Übrigen auch die Einschätzung der Ärztin der Agentur für Arbeit I. Dr. O. vom 17. August 2006, wonach die Klägerin seinerzeit ein schwerst eingeschränktes körperliches und auch psychisches Leistungsvermögen aufgewiesen hat.

Jedenfalls unter Einbeziehung der von dem Nervenarzt N. beschriebenen schwerwiegenden psychiatrischen Leistungseinschränkungen lässt sich die Wiedererlangung eines auch nur dreistündigen Leistungsvermögens auch nicht auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. J. stützen. Seine Einschätzung eines mehr als dreistündigen, wenngleich unter sechsstündigen Leistungsvermögens bezieht sich allein auf die in internistischer Hinsicht festzustellen Leistungseinschränkungen; von einer Gesamtbewertung des Leistungsvermögens unter Einbeziehung auch der auf orthopädischem und psychiatrischem Gebiet festzustellenden weitergehenden (erheblichen) Einschränkungen hat Dr. J. ausdrücklich abgesehen und ausdrücklich auf die Notwendigkeit entsprechender weiterer Begutachtungen hingewiesen.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann der Senat dahingestellt bleiben lassen, ob unter Berücksichtigung insbesondere der Regelung des § 43 Abs. 3 SGB VI und der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum verschlossenen Teilzeitarbeitsmarkt (vgl BSG, B.v. 11. Dezember 1969 - GS 4/69 - E 30, 167) nicht sogar die Wiedererlangung eines sechsstündigen Leistungsvermögens während einer Stabilisierungsphase für die Annahme eines erst später eingetretenen Leistungsfalls erforderlich wäre.

c) Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 14 GG darf es jedoch für Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht bei einer allein am Gesetzeswortlaut ausgerichteten Interpretation der gesetzlichen Vorgaben sein Bewenden haben. Unter Berücksichtigung der mit der Ausgestaltung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verfolgten gesetzgeberischen Ziele und namentlich der von der Klägerin bereits vor ihrer Inhaftierung erworbenen grundrechtlich geschützten Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente ist auch die Zeit der Inhaftierung unter Berücksichtigung der durch die Umstände des vorliegenden Falls dokumentierten fortbestehenden Nähe zum aktiven Erwerbsleben als Aufschubzeittatbestand im Sinne von § 43 Abs. 4 SGB VI zu berücksichtigen.

aa) Die Klägerin hat seit 1978 ganz überwiegend rentenrechtliche Zeiten, und zwar schwerpunktmäßig Pflichtbeitragszeiten, zurückgelegt. Nicht belegt sind im Zeitraum zwischen April 1988 und ihrer Inhaftierung lediglich die Zeiten April bis Dezember 1991 und Dezember 1994. Im Zeitpunkt ihrer Inhaftierung hätte die Klägerin im Falle des Eintritts einer Erwerbsminderung unproblematisch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt (vgl. auch den von der Beklagten mit Schriftsatz vom 3. Februar 2011 vorgelegten Versicherungsverlauf).

Entsprechende Anwartschaften der Versicherten auf Erwerbsminderungsrenten bilden nach feststehender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechtspositionen, die den Schutz der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG genießen (vgl. BVerfG, B.v. 8. April 1987 - 1 BvR 564/84, 1 BvR 684/84, 1 BvR 877/84, 1 BvR 886/84, 1 BvR 1134/84 - E 75, 78, Juris-Rz. 60 mwN).

bb) Das Gesetz hat seinem Wortlaut nach der Klägerin keine Möglichkeit eröffnet, diese grundrechtlich geschützte Rentenanwartschaft aufrechtzuerhalten. Dies hatte unter Heranziehung des Gesetzeswortlauts zur Folge, dass der Klägerin trotz der vor der Inhaftierung erworbenen Rentenanwartschaft kein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente mehr zustand, als der Leistungsfall in medizinischer Hinsicht im August 2004 eintrat.

Nach dem Wortlaut des § 43 SGB VI hätte die Klägerin die Anwartschaft zunächst dadurch aufrechterhalten können, dass sie im weitergehenden Umfang eine versicherungspflichtige Beschäftigung während der Haftzeit ausgeübt und damit eine mehr als insgesamt 24 von jeweils 60 Kalendermonaten umfassende (und damit anwartschaftsvernichtend wirkende) Lücke vermieden hätte. Als Häftling konnte die Klägerin jedoch nur mit Zustimmung der Anstaltsleitung eine Erwerbstätigkeit außerhalb der Haftanstalt ausüben, dabei war sie auf den örtlichen Arbeitsmarkt im räumlichen Einzugsbereich der Haftanstalt und den dort für Häftlinge in Betracht kommenden Beschäftigungsmöglichkeiten begrenzt. Die ihr unter diesen Gesichtspunkten noch offen stehenden Möglichkeiten zur Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung hat die Klägerin während der Haftzeit bereits ausgeschöpft.

Sie hatte auch keine Möglichkeit, nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI anwartschaftserhaltende Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI zurückzulegen. Die Möglichkeit einer Arbeitslosigkeit während einer fortdauernden Inhaftierung nimmt die Rechtsprechung nur ausnahmsweise in Fällen an, in denen der Inhaftierte zuvor bereits eine rechtswirksame abstrakte Gestattung seitens der Anstaltsleitung erteilt worden war, als Freigänger einer Arbeit auf der Grundlage eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt nachzugehen; die Aufnahme lediglich in eine "Warteliste für Freigänger" reicht hingegen nicht aus (BSG, U.v. v. 21. November 2002 - B 11 AL 9/02 R - SozR 3-4100 § 103 Nr 24). Eine solche abstrakte Gestattung ist der Klägerin nicht erteilt worden.

Da die Klägerin schon nicht arbeitslos im Rechtssinne war, erfüllte sie seinerzeit auch nicht die Voraussetzungen eines Aufschubzeittatbestandes nach § 43 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI.

Für Fallgestaltungen der vorliegenden Art sieht das Gesetz auch keine Möglichkeit vor, die Erwerbsminderungsrentenanwartschaft durch die Zahlung freiwilliger Beiträge zu erhalten. Namentlich bestand im vorliegenden Fall auch in Anwendung der Übergangsvorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI eine solche Möglichkeit schon deshalb nicht, weil die Klägerin am 1 Januar 1984 und damit zu dem nach dieser Vorschrift maßgeblichen Stichtag nicht die allgemeine Wartezeit gemäß §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Seinerzeit verfügte sie ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Versicherungsverlaufs lediglich über 57 Beitragsmonate. Überdies weist dieser Versicherungsverlauf frühere Beitragslücken insbesondere im Zeitraum Dezember 1983 bis März 1988 auf, aufgrund derer sie auch in Anwendung der Übergangsvorschrift des § 241 Abs. 2 SGB VI nach erfolgter Inhaftierung keine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Erwerbsminderungsrentenanwartschaft während der Haftzeit durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge mehr hatte.

cc) Mit dem durch die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Anwartschaften der Klägerin auf eine Erwerbsminderungsrente ist es nicht im Einklang zu bringen, dass sie die bereits vor der Inhaftierung erworbene Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente bedingt durch ihre Haftzeit ersatzlos und ohne Abwendungsmöglichkeit verloren hat. Zur Vermeidung eines solchen verfassungswidrigen Ergebnisses bedarf es der verfassungskonformen Auslegung des § 43 Abs. 4 SGB VI im Sinne einer Erhaltung der Erwerbsminderungsrentenanwartschaften. Eine Verlängerung des nach der erläuterten Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI maßgeblichen Fünfjahreszeitraumes auch durch Haftzeiten ist verfassungsrechtlich geboten, soweit aufgrund sowohl vorausgegangener als auch nachfolgender Zeiten der Beschäftigung (bzw. aufgrund vergleichbarer Zeiten einer durch entsprechende Meldungen bei der Arbeitsverwaltung belegten Arbeitssuche) und ggf. auch durch das Verhalten des Versicherten während der Haft der Wunsch zur weiteren Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung belegt ist. In solchen Fallgestaltungen ist der Versicherte nach den Gesamtumständen ungeachtet der Inhaftierung in der gebotenen Gesamtbetrachtung noch dem aktiven Erwerbsleben mit der Folge zuzurechnen, dass während des haftbedingten Lückenzeitraumes ein hinreichender innerer Zusammenhang zum aktiven Erwerbsleben fortbesteht (vgl. zu diesen Kriterien bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen sog. Überbrückungstatbestände: BSG, U.v. 1. Februar 2001 - B 13 RJ 37/00 R - SozR 3-2600 § 58 Nr 16).

Der Versicherungsschutz im Falle der Erwerbsminderung ist ein wesentlicher Teil der von der gesetzlichen Rentenversicherung zu erbringenden Leistungen. Für den Versicherten ist die Frage, ob er im Versicherungsfall bei Eintritt einer Erwerbsminderung einen Rentenanspruch hat, von erheblicher, typischerweise sogar von existentieller Bedeutung. Der Fortfall solcher Ansprüche ist für den dadurch Betroffenen wesentlich einschneidender als andere gesetzliche Eingriffe (BVerfG, B.v. 8. April 1987, aaO, Juris-Rz. 64).

Anders als in den vom BVerfG in seinem Beschluss vom 8. April 1987 (aaO) beurteilten Sachverhaltsgestaltungen wird das Fortbestehend der Anwartschaft in Fällen der vorliegenden Art nicht allein von erneuten und weiteren Beitragsleistungen abhängig gemacht, die Erwerbsminderungsrentenanwartschaft wird den Betroffenen vielmehr (in der Diktion des BVerfG, aaO, Juris-Rz. 61) "total" entzogen.

Die Betroffenen haben lediglich die Chance, dass sie nach Haftende erneut Beitragszeiten in einem für die Wiedererlangung einer entsprechenden Anwartschaft hinreichenden Ausmaß erwerben können. Nur wenn sie nach der Haftentlassung und vor Eintritt der Erwerbsminderung in hinreichendem Ausmaß weitere Pflichtbeitragszeiten zurücklegen und auf diesem Wege noch erneut eine Erwerbsminderungsrentenanwartschaft dem Grunde nach erwerben, können die Betroffenen bei Eintritt eines entsprechenden Leistungsfalls eine Erwerbsminderungsrente beanspruchen (bei der Berechnung deren Höhe dann nach Maßgabe der §§ 64 ff. SGB VI alle im Laufe des Versichertenlebens zurückgelegte Beitragszeiten zu berücksichtigen wären). Gelingt ihnen hingegen nach dem Verlust entsprechender Anwartschaften vor Eintritt einer Erwerbsminderung nicht erneut die Wiederbegründung einer solchen Erwerbsminderungsrentenanwartschaft durch die Zurücklegung hinreichend ausgedehnter Pflichtbeitragszeiten, dann bleibt ihnen dauerhaft eine Erwerbsminderungsrente verwehrt. Vor dem Anwartschaftsverlust geleistete Beitragszeiten können dann lediglich noch bei der Alters- und Hinterbliebenenrente berücksichtigt werden.

Entsprechenden Chancen im Sinne der Neubegründung einer Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente lassen sich naturgemäß nicht mehr realisieren, wenn - wie im vorliegenden Sachverhalt bedingt durch die schwere Krebserkrankung - bereits vor ihrer Wiedererlangung eine dauerhafte Erwerbsminderung eintritt.

Dem Gesetzgeber ist bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen grundsätzlich eine weite Gestaltungsfreiheit zuzubilligen. Die Grenzen dieser Freiheit werden allerdings durch die Eigentumsgarantie vorgegeben. Der Gesetzgeber darf eigentumsrechtlich geschützte Positionen nicht beliebig umgestalten. Vielmehr sind Regelungen, die zu Eingriffen in solche Positionen führen, nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Dementsprechend müssen die Eingriffe zur Erreichung des jeweils vom Gesetzgeber angestrebten Zieles geeignet und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (BVerfG, B.v. 8. April 1987, aaO, Juris-Rz. 62 mwN).

In Fallzusammenhängen der vorliegenden Art würde die Grenze zu einer "übermäßigen" Belastung der betroffenen Versicherten auch unter Berücksichtigung der mit der Einführung der erläuterten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen angestrebten Stabilisierung der finanziellen Grundlage der Rentenversicherung (vgl. auch dazu BVerfG, B.v. 8. April 1987, aaO, Juris-Rz. 68) überschritten, wenn (unter den genannten Voraussetzungen einer fortbestehenden Nähe zum aktiven Arbeitsleben) die Inhaftierung zum endgültigen und vollständigen Verlust von Anwartschaften auf eine Erwerbsminderungsrente führen würde, die der Betroffene bereits vor Haftbeginn durch eigene Beitragsleistungen erworben hat.

(1) In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass die Verfassung keinen Anspruch auf eine allgemeine Gleichstellung einer Haftzeit mit einer Beitragszeit gibt. Von Verfassungs wegen ist der Gesetzgeber lediglich berechtigt, aus Resozialisierungsgründen die Verrichtung von Pflichtarbeit auch in der Weise anzuerkennen, dass er die Gefangenen in den Schutz der sozialen Sicherungssysteme einbezieht. Das Grundgesetz zwingt jedoch nicht zu einer Ausdehnung des Sozialversicherungsschutzes auf Pflichtarbeit im Strafvollzug. Die Verfassung weist diesbezüglich vielmehr die Ausgestaltung der Sozialordnung (vgl. Art. 20 Abs. 1 GG) und die Entscheidung über die Gewährung bestimmter Vergünstigungen dem Gesetzgeber als sozialstaatliche Aufgabe zu (BVerfG, U.v. 1. Juli 1998 - 2 BvR 441/90, 2 BvR 493/90, 2 BvR 618/92, 2 BvR 212/93, 2 BvL 17/94 - BVerfGE 98, 169, Juris-Rz. 135 f.; ihm folgend: BSG, U.v. 06. Mai 2010 - B 13 R 118/08 R - Juris-Rz. 26).

Eine Gleichstellung der Haftzeit mit einer Beitragszeit im vorstehend angesprochenen Sinne begehrt die Klägerin jedenfalls im Berufungsverfahren jedoch gar nicht. Auch aus ihrer jedenfalls nunmehrigen Sicht ist hinzunehmen, dass bei einer Rentenberechnung die Zeiten der Gefangenenarbeit innerhalb der JVA nicht als Beitragszeiten rentensteigernd zu berücksichtigen sind. Die Klägerin wendet sich vielmehr noch allein dagegen, dass die mit der Inhaftierung verbundenen rentenrechtlichen Nachteile sich nicht in dem Fehlen weiterer rentensteigernder Beitragszeiten erschöpfen, sondern darüber hinaus auch zur Vernichtung der bereits vor der Inhaftierung aufgrund der von ihr zuvor aufgebrachten erheblichen Beitragsleistungen erworbenen Erwerbsminderungsrentenanwartschaften führen sollen.

Mit einem solchen Entzug von bereits vor der Haftzeit erworbenen Rentenanwartschaften hat sich das BVerfG in seiner o.g. Entscheidung vom 1. Juli 1998 nicht befassen müssen. Gegenstand der damaligen verfassungsrechtlichen Prüfung war vielmehr allein die (im Ergebnis vom BVerfG verneinte, für den vorliegenden Fall aber nicht maßgebliche) Frage, ob der Gesetzgeber von Verfassungs wegen gehalten sei, die Inhaftierung und insbesondere die während ihrer zu erbringende Gefangenenarbeit rentenrechtlich als einen rentenanwartschaftsbegründenden Sachverhalt auszugestalten.

Bei seiner damaligen Entscheidung hat das BVerfG entscheidend auch die Erwägung herangezogen, dass die Gefangenen sich auch bei angemessenerer Vergütung von Gefangenenarbeit eine ins Gewicht fallende rentenrechtliche Anwartschaft zumeist nur dann "erarbeiten" könnten, wenn sie auf der Basis eines fiktiven Arbeitsentgelts versichert würden (BVerfG, aaO, Juris-Rz. 136). Gerade diese Argumentation verdeutlicht, dass das BVerfG in seiner damaligen Entscheidung einen schon im Ausgangspunkt anders gelagerten Prüfungszusammenhang zu beurteilen hatte. Das BVerfG (aaO) hat in seiner o.g. Entscheidung nach Maßgabe des seinerzeit zur Prüfung gestellten Sachverhaltes im Ergebnis lediglich einen verfassungsrechtlichen Anspruch der Strafgefangenen auf eine rentensteigernde Berücksichtigung von Haftzeiten im Sinne des "Erarbeitens" einer Rentenanwartschaft verneint.

Die davon zu unterscheidende - im vorliegenden Fall ausschlaggebende - Frage, ob die Haftzeit zur Vernichtung von zuvor bereits erworbenen dem Schutz des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG unterfallenden (Erwerbsminderungs-)Rentenanwartschaften führen darf, war seinerzeit vom BVerfG nicht zu beantworten und ist von ihm bislang auch noch nicht näher geklärt worden.

(2) Die im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche Frage nach der Reichweite des durch Art. 14 GG verbürgten spezifischen verfassungsrechtlichen Schutzes des Eigentums an (Erwerbsminderungs-)Rentenanwartschaften kann nur in Auseinandersetzung mit der Reichweite des verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutzes beantwortet werden. Der unter diesem Gesichtspunkt nicht näher erläuterte Hinweis des BSG im Urteil vom 26. Mai 1988 (5/5b RJ 20/87 - SozR 2200 § 1246 Nr 157) "für die Interpretation des geltenden Rechts", wonach die Nichteinbeziehung der Strafhaftzeiten in die Ausfallzeitregelung keine einer Ausfüllung durch die Rechtsprechung zugängliche Gesetzeslücke darstelle, beinhaltet als solcher noch nicht die erforderliche inhaltliche Abklärung.

(3) In seinem o.g. Beschluss vom 8. April 1987 hat das BVerfG dargelegt, dass der Gesetzgeber den Anforderungen des Art. 14 GG an eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr entsprochen hätte, wenn er die angegriffene Einführung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Erwerbsminderungsrenten vorgesehen hätte, ohne den Betroffenen zugleich die Gelegenheit zu geben, ihre Anwartschaften durch die Leistung monatlicher Mindestbeiträge aufrechtzuerhalten. Es hat ausdrücklich hervorgehoben, dass der Entzug der durch eigene, oft erhebliche Beitragsleistungen erworbenen Invaliditätsicherung dann für die (in typischen Fällen auf diesen Versicherungsschutz angewiesenen) Versicherten gerade nicht mehr zumutbar gewesen wäre (vgl. E 75, 78, Juris-Rn. 72).

Damit hat das BVerfG in der Sache den Grundsatz postuliert, dass der Gesetzgeber die Grenzen des ihm durch Art. 14 Abs. 1 GG eröffneten Gestaltungsspielraums überschreitet, wenn er Versicherten bereits erworbene Erwerbsminderungsrentenanwartschaften entzieht, ohne dass diesen die Möglichkeit einer Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes mit zumutbaren weiteren Eigenleistungen eröffnet wird.

Auch in seinem späteren Beschluss vom 20. September 2001 hat das BVerfG entscheidend darauf abgestellt, dass für die Annahme eines unzumutbaren Eingriffs in eine Rentenanwartschaft dann kein Raum sei, wenn für den Versicherten eine zumutbare Möglichkeit verbleibe, einen drohenden Verlust der Rentenanwartschaft abzuwenden (1 BvR 1423/94, Juris-Rz 33). Auf diese Entscheidung beruft sich zwar die Beklagte, sie übersieht dabei aber, dass diese im Ergebnis zugunsten der Klägerin spricht.

Das Gesetz sieht allerdings für Fälle der vorliegenden Art, wie bereits dargelegt, nicht die Möglichkeit einer Aufrechterhaltung von Anwartschaften durch die Leistung weiterer monatlicher (etwa Mindest-)Beiträge vor (so dass schon deshalb kein Anlass besteht, auf die daran anknüpfende weitere Problematik einzugehen, dass gerade Strafgefangenen häufig die erforderlichen finanziellen Mittel zur Aufbringung auch nur von Mindestbeiträgen fehlen). Auch anderweitig eröffnet das SGB VI den betroffenen Versicherten keine Möglichkeiten, während der Haftzeit ihre Erwerbsminderungsrentenanwartschaften zu erhalten, namentlich vermögen sie, wie dies für den vorliegenden Fall bereits im Einzelnen dargelegt worden ist, keinen der Anwartschaftsverlängerungstatbestände des § 43 Abs. 4 SGB VI zu erfüllen.

(4) Der damit zu konstatierende schwer wiegende Eingriff in die Erwerbsminderungsrentenanwartschaften der betroffenen Strafgefangenen im Sinne ihrer Vernichtung kann auch unter Einbeziehung der mit der Begründung der erläuterten versicherungsrechtlichen Anforderungen vom Gesetzgeber verfolgten Ziele nicht als verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen werden.

Eingeführt worden sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 (Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe vom 22. Dezember 1983, BGBl. I, 1532). In einem seinerzeit jeweils dem § 24 AVG und dem § 1247 RVO i.V.m. § 1246 RVO neu eingefügten Absatz 2 a wurde bestimmt, dass das neu eingeführte Tatbestandsmerkmal einer "zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit" (und entsprechend vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit) ausgeübten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gegeben ist, wenn der Versicherte von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt hat. Darüber hinaus regelte der neu angefügte Absatz weitere Einzelheiten für die Ermittlung der Wartezeit. Mit Inkrafttreten des SGB VI wurde die entsprechenden Bestimmungen in die §§ 43, 44 (heute: §§ 43, 240) SGB VI übernommen.

Mit dieser Neuordnung des Erwerbsminderungsrentenrechts sollte der Lohnersatzcharakter der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten gestärkt werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRDrs. 302/83). Dieser Ansatz belegt für sich allein jedoch nicht hinreichend die Zumutbarkeit des Verlustes der Erwerbsminderungsrentenanwartschaft in Fallgestaltungen der vorliegenden Art. So hat bereits das BVerfG in seinem o.g. Beschluss vom 8. April 1987 darauf hingewiesen, dass von dem Wegfall eines entsprechenden Rentenanspruchs bei Fehlen bzw. Fortfall der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch Versicherte betroffen sind, die mit dem Versicherungsfall das Einkommen aus ihrer beruflichen Tätigkeit verlieren (E 75, 78, Juris-Rz 71). Dazu zählt im Übrigen auch die Klägerin, die mit dem Eintritt des Leistungsfalls die gesundheitliche Möglichkeit verloren hat, sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen.

Schon die vorstehenden Darlegungen machen deutlich, dass der Gesetzgeber einen Erwerbsminderungsrentenanspruch nicht unmittelbar an eine Lohnersatzfunktion der Erwerbsminderungsrente geknüpft hat. Auch andere gesetzliche Regelungen verdeutlichen das Fehlen einer strikten Korrelation. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI können Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit, die über § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI die Erwerbsminderungsrentenanwartschaft erhalten, auch ohne den Bezug von Einkommensersatzleistungen zurückgelegt werden; bezogen auf die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erweitert überdies § 43 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI den Rahmen der diesbezüglich berücksichtigungsfähigen Zeiten. Damit soll gerade erreicht werden, dass die Inanspruchnahme einer Erwerbsminderungsrente auch in Fallgestaltungen in Betracht kommt, in denen der Versicherte bei Eintritt des Leistungsfalls weder Erwerbseinkommen noch Erwerbsersatzeinkommen erzielt hat und dementsprechend die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nicht als Lohnersatz im eigentlichen Sinne verstanden werden kann. Das Gesetz lässt insoweit den Wunsch zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung genügen, sofern sich dieser in regelmäßig alle drei Monaten (und sei es auch nur pro forma) erfolgenden Meldungen zur Arbeitssuche beim Arbeitsamt dokumentiert; es fordert nicht einmal darüber hinausgehende Nachweise der Ernsthaftigkeit der Arbeitssuche.

Des Weiteren hat der Gesetzgeber mit dieser Reform des Erwerbsminderungsrechts das Ziel verfolgt, die Solidarität der abhängig Beschäftigten zu stärken, auf deren Schutz die Sozialversicherung in erster Linie angelegt ist. Die in der Neuregelung liegende Begünstigung von Pflichtversicherten lasse sich auch aus dem Grunde rechtfertigen, weil diese in der Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in wesentlich stärkerem Maße zur Versichertengemeinschaft beigetragen habe und dabei ihren Verpflichtungen im Gegensatz zu den freiwillig Versicherten nicht ausweichen konnten (BVerfG, B.v. 8. April 1987, E 75, 78, Juris-Rz 71).

Auch unter diesem Ansatz lassen sich jedoch keine hinreichend gewichtigen Gesichtspunkte aufzeigen, unter deren Berücksichtigung der Totalentzug der durch eigene erhebliche Beitragsleistungen erworbenen Erwerbsminderungsrentenanwartschaft in Fällen der vorliegenden Art als für die Versicherten zumutbar zu werten sein könnte.

(a) Bezogen auf die Kriterien Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe hat der Gesetzgeber ohnehin in §§ 43, 50, 51 SGB VI zunächst die erforderlichen Anforderungen im Sinne der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit durch mindestens 60 Beitragsmonate (wovon, wie dargelegt, jedenfalls 36 Monate innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt des Leistungsfalls, mit Pflichtbeiträgen belegt sein müssen) konkretisiert. Wenn der Gesetzgeber bezüglich des vor dem Leistungsfall geleisteten "Beitrages zur Versichertengemeinschaft" weiterreichende Anforderungen allgemein oder bezogen auf spezielle Fallgestaltungen für erforderlich erachten würde, dann würde es ihm obliegen, entsprechende weitergehende Voraussetzungen konkret (ggfs. in tatbestandlicher Verknüpfung mit weiteren Voraussetzungen) zu normieren (beispielhaft im Sinne einer Anhebung der erforderlichen Wartezeit von 60 auf 72 Kalendermonate oder im Sinne eines Erfordernisses von 10 vor Eintritt des Leistungsfalls bereits erworbenen Entgeltpunkten für Beitragszeiten im Sinne des § 70 SGB VI). Solange der Gesetzgeber entsprechende weitergehende Anforderungen gar nicht normiert, muss er sich an der mit der unterbliebenen Normierung zum Ausdruck gebrachten Einschätzung ihrer mangelnden Relevanz festhalten lassen. Er kann nicht statt dessen (auf einer noch dazu in tatsächlicher Hinsicht sehr unklaren Erkenntnisgrundlage) darauf abstellen, dass solche (nicht einmal hinreichend konkret gefassten) Voraussetzungen bei einzelnen Gruppen von Versicherten typischerweise häufiger auftreten würden als bei anderen. Ein solches Vorgehen wäre nicht sachgerecht und würde damit kein die Differenzierung im Sinne des Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigendes Kriterium darstellen.

(b) Als Stärkung einer "Solidarität der abhängig Beschäftigten" im unmittelbaren Sinne lässt sich die Normierung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztlich schon deshalb nicht interpretieren, weil § 43 SGB VI gar nicht auf den Tatbestand einer abhängigen Beschäftigung, sondern auf das Zurücklegen von Pflichtversicherungszeiten (vgl. insbesondere auch die schon erläuterte Regelung des § 55 Abs. 2 SGB VI) abstellt. Abhängige Beschäftigungen bilden nur einen der zahlreichen Tatbestände, in denen die §§ 1 ff. SGB VI eine Pflichtversicherung in der Rentenversicherung vorsehen; insbesondere sieht § 2 SGB VI auch für zahlreiche selbständige Tätigkeit eine Pflichtversicherung vor. § 4 Abs. 2 SGB VI eröffnet darüber hinaus allen (nicht nur vorübergehend) selbständig Tätigen die Möglichkeit, innerhalb der dort normierten Fünfjahresfrist eine Pflichtversicherung auf Antrag zu begründen.

© In Betracht kommt damit nur der Rückgriff auf eine "Solidarität der Pflichtversicherten". Auch dieser Ansatz führt jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht richtungweisend weiter. Zum einen gehören die Bürger sehr häufig nicht dauerhaft den Kategorien Pflichtversicherter, freiwillig Versicherter und Nichtversicherter an, vielmehr wechseln sie auch oft zwischen diesen Kategorien. So war beispielsweise auch die Klägerin (jedenfalls ganz überwiegend) in den Jahren vor ihrer Inhaftierung, in Teilen der Haftzeit und auch in den Monaten nach der Haftentlassung pflichtversichert und hat dementsprechend auch ihrerseits Solidarbeiträge zur Pflichtversicherung entrichtet. Nur während eines Teils der Haftzeit gehörte sie zur Gruppe der Nichtversicherten.

Der Gesetzgeber hat die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in § 43 SGB VI so ausgestaltet, dass es nicht genügt, dass der Versicherte überhaupt einen Solidarbeitrag zur Pflichtversicherung erbracht hat. Trotz der Erbringung entsprechender Solidarbeiträge fehlen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, sofern der Versicherte das vom Gesetz geforderte Mindestmaß von 36 Pflichtbeiträgen nicht gerade innerhalb des normierten Fünfjahreszeitraums erreicht hat. Selbst eine Entrichtung von Pflichtbeiträgen über Jahrzehnte hinweg sichert unbeachtet der damit nachdrücklich und langfristig getätigten Solidarität zur Pflichtversicherung nicht die Erwerbsminderungsrentenanwartschaft, wenn in den entscheidenden 60 Monaten vor Eintritt des Leistungsfalls (ggf. verlängert durch Tatbestände im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI) weniger als 36 Pflichtbeitragsmonate zu verzeichnen waren.

Umgekehrt können Versicherte eine Erwerbsminderungsrente durchaus beanspruchen, wenn sie über Jahrzehnte hinweg beispielsweise eine nicht pflichtversicherte selbständige Tätigkeit ausgeübt und keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet haben, jedoch in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsfall zumindest 36 Monate mit (und sei es auch nur - vgl. etwa § 163 Abs 8 SGB VI - geringfügigen, ggf. sogar bis 2010 vom Staat aufgrund des Bezuges von ALG II-Leistungen finanzierten, vgl. § 3 Nr. 3a SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2010 maßgeblichen Fassung) Pflichtbeiträgen aufgewiesen haben.

Allein das Ausmaß an getätigter bzw. unterbliebener Solidarität zur Pflichtversicherung vermag als solches eine Differenzierung im Sinne der sog. Drei-Fünftel-Belegung nicht zu erklären; dieser Ansatz würde in den Fällen einer im Vergleich zu zuvor zurückgelegten langjährigen Pflichtversicherungszeiten nur relativ geringfügigen versicherungsfreien Zeit eher für ein gegenteiliges Ergebnis sprechen.

(d) Bezeichnenderweise hat auch das BVerfG es in ähnlich gelagerten Problemzusammenhängen für verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar erachtet, wenn Versicherten trotz einer langjährigen Pflichtmitgliedschaft sozialrechtliche Vorteile allein aus dem Grunde verwehrt bleiben, dass sie über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum nicht von der Pflichtversicherung erfasst worden sind. Eine solche Differenzierung entspreche weder einem typisierten Schutzbedürfnis noch werde damit ein sachbezogener Zusammenhang mit der Beteiligung an der Solidargemeinschaft aufgezeigt. Entscheidend sei vielmehr in erster Linie das Ausmaß, mit dem die (Pflicht-)Versicherten während der Dauer ihres gesamten Erwerbslebens zur Finanzierung der betroffenen gesetzlichen Sozialversicherung beigetragen hätten (BVerfG, B.v. 15. März 2000 - 1 BvL 16/96, 1 BvL 17/96, 1 BvL 18/96, 1 BvL 19/96, 1 BvL 20/96 - E 102, 68, Juris-Rz 83, bezogen auf eine Fortsetzung der während des Erwerbslebens durch die Jahresarbeitsentgeltgrenze bestimmten Trennung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten im Rentenalter).

Angesichts des erläuterten Zusammenhanges kann die gesetzliche Differenzierung auch nicht als typisierende Wertung der insgesamt geleisteten Solidarität zur (Pflicht-)Rentenversicherung gerechtfertigt werden. Es ist bereits keine verlässliche Tatsachengrundlage für die Annahme ersichtlich, dass die Erfüllung der in § 43 SGB VI normierten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch nur typisierend hinreichend verlässliche Rückschlüsse auf das Ausmaß der während des Erwerbslebens insgesamt getätigten Solidarität zur gesetzlichen Rentenversicherung zulässt. Überdies wird ohnehin der gesamte Versicherungsverlauf präzise in den Rentenkonten erfasst. Es erleichtert damit schon nicht die Verwaltungsarbeit, wenn speziell auf die letzten Jahre vor Eintritt des Versicherungsfalls abgestellt wird, anstatt die Höhe und Dichte der geleisteten Beiträge während des gesamten Erwerbslebens zu berücksichtigen. Unter Einbeziehung der komplizierten Verlängerungstatstände des § 43 Abs. 4 SGB VI birgt die einfachgesetzliche Ausformung überdies noch besondere Umsetzungsschwierigkeiten in sich.

(e) Die Verknüpfung des Tatbestandselements der (mindestens 36) Pflichtbeiträge mit dem fünfjährigen Zeitfenster in § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI beschreibt zwar inhaltlich den gesetzlichen Tatbestand, sie vermag als solche aber noch keinen darüber hinausgehenden sachlichen Rechtfertigungsgrund aufzeigen. Es wird damit insbesondere nicht erklärt, weshalb in vorausgegangenen Jahrzehnten erbrachte Solidarbeiträge als ungeschehen behandelt werden können.

Überdies hat der Gesetzgeber das Erfordernis eines zeitnahen Solidarbeitrages von (mindestens 36) Pflichtbeiträgen im fünfjährigen Zeitfenster durch die Verlängerungstatbestände des § 43 Abs. 4 SGB VI für viele Fallgruppen (wenngleich nach dem Wortlaut nicht für Fallgestaltungen der vorliegend zu beurteilenden Art) abgeschwächt. So genügt es, wie bereits angesprochen, in vielen Fällen insbesondere, dass sich der Versicherte, und sei es auch nur pro forma, alle drei Monate beim Arbeitsamt arbeitssuchend meldet. Mit entsprechenden Meldungen als solche ist kein greifbarer Vorteil für die Gemeinschaft der Pflichtversicherten verbunden; sie entziehen sich dementsprechend auch einer objektivierbaren Bewertung als Solidarbeitrag. Ob beispielsweise eine Mutter und Hausfrau nach Vollendung des 10. Lebensjahres ihres jüngsten Kindes und damit nach Auslaufen der Berücksichtigungszeiten (§ 57 SGB VI) sich der Form halber alle drei Monate beim Arbeitsamt als arbeitssuchend meldet oder ob sie (etwa aufgrund unzureichender Kenntnisse des Sozialrechts oder auch infolge von Bequemlichkeit) von solchen Meldungen Abstand nimmt, ist für die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung ohne greifbare Relevanz. Gleichwohl können mit entsprechenden regelmäßigen Meldungen bei Bedarf die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen über Jahrzehnte hinweg aufrechterhalten bleiben.

(5) Im vorliegenden Fall war die Klägerin durch eine hoheitliche Maßnahme in Form der Inhaftierung gleichermaßen an einer weitergehenden Ausübung versicherungspflichtiger Beschäftigungen als auch an regelmäßigen anwartschaftserhaltenden Meldungen als Arbeitssuchende gehindert. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist allein die Inhaftierung als rechtlich wesentliche Ursache für einen Verlust von Erwerbsminderungsrentenanwartschaften anzusehen, wie er allein nach Maßgabe des Gesetzeswortlauts anzunehmen wäre. Die Klägerin war vor und nach der Haft versicherungspflichtig beschäftigt bzw. hat sich beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sie sich ohne die Inhaftierung in der Zwischenzeit anders verhalten hätte, zumal sie sich auch während der Haft im Rahmen ihrer Möglichkeiten um eine versicherungspflichtige Beschäftigung als Freigängerin bemüht.

Bei dieser Ausgangslage würde es für die Klägerin einen übermäßig belastenden und für sie unzumutbaren Eingriff in ihre grundrechtlich geschützte Erwerbsminderungsrentenanwartschaft darstellen, wenn das Unterlassen anwartschaftserhaltender Maßnahmen während der Inhaftierung den Verlust dieser Anwartschaften zur Folge hätte, obwohl der Staat selbst der Klägerin mit dieser Inhaftierung die Möglichkeit zu solchen anwartschaftserhaltenden Maßnahmen genommen hat.

Zur Vermeidung eines solchen verfassungswidrigen Ergebnisses sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 4 SGB VI erweiternd dahingehend auszulegen, dass auch Haftzeiten einen Aufschubzeittatbestand im Sinne dieser Vorschrift bilden, wenn die Beteiligung des Gefangenen am Erwerbsleben vor und nach der Inhaftierung (und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten auch während ihrer) noch entsprechend den weiteren Tatbeständen des § 43 Abs. 4 SGB VI einen hinreichenden inneren Zusammenhang zum aktiven Erwerbsleben belegt. Davon ist aus den bereits dargelegten Gründen im vorliegenden Fall auszugehen.

(6) Eine abweichende Beurteilung ist auch unter Berücksichtigung der der Inhaftierung zugrunde liegenden Tat und der in ihr zum Ausdruck kommenden (im vorliegenden Fall schon angesichts der Länge der verbüßten Haft augenscheinlich schweren) Schuld nicht angezeigt. Auch unter Berücksichtigung dieses Hintergrundes ist der bei einer anderen Auslegung hinzunehmende Verlust der Erwerbsminderungsrentenanwartschaft nicht als verhältnismäßig und zumutbar und damit als mit der grundrechtlichen Eigentumsgewährleistung durch Art. 14 GG vereinbar zu werten.

Für die Freiheitsstrafe, bei der die staatliche Gewalt die Bedingungen der individuellen Lebensführung weitgehend bestimmt, erlangt nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben das Gebot der Resozialisierung besonderes Gewicht (BSG, U.v. 29. März 2007 - B 9a VG 2/05 R - SozR 4-3800 § 2 Nr 2). Das BVerfG hat dieses Gebot aus dem Selbstverständnis einer Rechtsgemeinschaft entwickelt, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. Dem Gefangenen sollen die Fähigkeit und der Wille zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Er soll sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten können. Die Resozialisierung dient auch dem Schutz der Gemeinschaft selbst (vgl BVerfG, U.v. 1. Juli 1998, aaO, Juris-Rz 123, mwN).

Der Resozialisierungsgrundsatz verpflichtet den Staat, schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges auf die Inhaftierten im Rahmen des Möglichen zu begegnen (vgl nur BSG, aaO; BVerfG, U.v. 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - E 109, 133, 150 f; BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. April 2006 - 2 BvR 818/05 - mwN, Juris-Rz 13). Dieser Ansatz schließt es gerade aus, mit einem (längerfristigen) Freiheitsentzug (jedenfalls typischerweise) einen zusätzlichen schwerwiegenden Rechtsnachteil in Form des Entzuges der Erwerbsminderungsrentenanwartschaften zu verknüpfen. Damit wird dem Häftling (für den Fall der Realisierung eines entsprechenden Risikos der Erwerbsminderung innerhalb des erläuterten Zeitraums) gerade die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Sicherstellung seines Lebensunterhalts genommen (vgl. zu dem Gesichtspunkt eines Wertungswiderspruch zu den Zielen des Strafvollzuges auch BSG, U.v. 29. März 2007 aaO). Eine solche Interpretation der gesetzlichen Vorgaben würde die schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges auf die Inhaftierten gerade nicht im Rahmen des Möglichen begrenzen, sondern diese sogar ausdehnen.

Dies gilt umso mehr, als die Strafverhängung und -vollstreckung von der Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich zu dienen haben (BVerfG, U.v. 05. Februar 2004 2 BvR 2029/01 - E 109, 133; U.v. 04. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 1152/10 - Juris-Rz. 105). Der schuldausgleichende Charakter der Strafe bedingt zugleich, dass von Rechts wegen die Schuld mit der Verbüßung der Strafe (und ggf. mit der Erfüllung von daneben bestehenden Schadensersatzansprüchen) als ausgeglichen anzusehen ist und damit als solche nicht noch darüber hinaus einen rechtfertigenden Grund für die Auferlegung von Nachteilen in ganz anderen Rechtsgebieten wie vorliegend etwa im Rentenrecht, beinhalten kann.

(7) Eine verfassungskonforme Auslegung des § 43 SGB VI in dem vorstehend erläuterten Sinne, dass der nach § 43 Abs. 2 SGB VI maßgebliche Fünfjahreszeitraumes auch durch Haftzeiten bei fortbestehendem hinreichenden inneren Zusammenhang zum aktiven Erwerbsleben verlängert wird, überschreitet nicht den Rahmen der den Gerichten nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben obliegenden Gesetzesinterpretation.

Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist dann geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Durch den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Gesetzeszweck werden der verfassungskonformen Auslegung Grenzen gezogen. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht begründet werden (BVerfG, B.v. 11.Januar 2005 - 2 BvR 167/02 E 112, 164 mwN,

BVerfG, B.v. 25. Januar 2011 - 1 BvR 1741/09 -).

Bezogen auf den vorliegenden Zusammenhang lässt sich gerade kein klar geäußerter Wille des Gesetzgebers feststellen, wonach über die Regelung des § 43 SGB VI längerfristige Gefängnisaufenthalte über die unmittelbare Bestrafung hinaus zugleich auch zur Vernichtung von vor der Inhaftierung bereits durch eigene erhebliche Beitragsleistungen erworbene Erwerbsminderungsrentenanwartschaften führen sollen. Bei der Einführung und Ausgestaltung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen hatte der Gesetzgeber eine Fülle von betroffenen Fallgestaltungen in seine Beurteilung mit einzubeziehen. In dieser Vielfalt der betroffenen Sachverhalte ist ihm die besondere Problematik mehrjährig inhaftierter Versicherter offenbar verborgen geblieben.

Der Gesetzgeber hat im Übrigen seinerseits mit der Regelung des § 197 Abs. 3 SGB VI die besondere Relevanz eines drohenden Verlustes von Rentenanwartschaften zum Ausdruck gebracht.

Eine am Wortlaut der gesetzlichen Vorgaben haften bleibende Interpretation ist im vorliegenden Zusammenhang umso weniger angezeigt, als - vermittels der Verweisung im Abs. 4 Nr. 1 - in die Regelung des § 43 SGB VI auch die Regelungen der tatbestandlichen Voraussetzungen von Anrechnungszeiten nach Maßgabe des § 58 SGB VI inkorporiert sind. Bezüglich dieser Bestimmungen in § 58 SGB VI ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aber ohnehin bezogen auf spezifische Fallgruppen anerkannt, dass sie insbesondere zur Vermeidung unverhältnismäßiger und damit zugleich verfassungswidriger Härten auch über ihren Wortlaut hinaus auszulegen sind, um den Versicherten den Schutz von rentenrechtlichen Zeiten zu erhalten.

Insbesondere hat das BSG aus dem "Gesamtplan" der entsprechenden Regelung gefolgert, dass einem Anrechnungszeittatbestand auch mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Anrechnungs- oder Ersatzzeittatbestände vorausgehen können, ohne dass dadurch die Annahme einer Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung im Sinne von § 58 Abs. 2 SGB VI aufgehoben wäre (vgl. U.v. 01. Februar 2001 - B 13 RJ 37/00 R - SozR 3-2600 § 58 Nr 16). Unter Heranziehung der verschiedene Wertungsgesichtspunkte, die den Schutzzweck der Norm berücksichtigen, stellt das BSG in solchen Zusammenhängen darauf ab, ob auch während eines Lückenzeitraumes ein hinreichender innerer Zusammenhang mit einem aktiven Erwerbsleben besteht. Auf dieser Basis hat das BSG verschiedene Fallgruppen von Überbrückungstatbeständen entwickelt (vgl. insbesondere U.v. 01. Februar 2001, aaO, mwN), die dem Wortlaut des § 58 SGB VI fremd sind. Gerade auch in folgerichtiger Fortschreibung dieser Rechtsprechung erachtet der Senat die vorstehend erläuterte erweiternde verfassungskonforme Auslegung des § 43 Abs. 4 SGB VI für angezeigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Revision ist nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen, da die Entscheidung aus den dargelegten Gründen auf einer Abweichung von dem o.g. Urteil des BSG vom 26. Mai 1988 (SozR 2200 § 1246 Nr. 157) beruht.