Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 29.11.2007, Az.: 6 A 1904/05
Abschiebungshindernis; Abschiebungsschutz; Asylanerkennung; Asylverfahren; Flüchtlingsanerkennung; Gegenstandswert; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 29.11.2007
- Aktenzeichen
- 6 A 1904/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 71836
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 30 RVG
- § 162 Abs 2 VwGO
- § 60 Abs 1 AufenthG 2004
- § 73 Abs 1 AsylVfG 1992
- § 73 Abs 2 AsylVfG 1992
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Nach § 30 Satz 1 RVG beträgt der Gegenstandswert 3.000,00 Euro für Klageaufträge, die mit unbedingtem Inhalt seit dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes erteilt worden sind und nur die Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG (einschließlich nachrangiger Schutzrechte) betreffen (wie BVerwG, Beschluss v. 21.12.2006 - BVerwG 1 C 29/03 -, NVwZ 2007 S. 469 f.).
Tenor:
Die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 1. November 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.
Gründe
Der gemäß § 165 i.V.m. § 151 VwGO zulässige Antrag auf Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) ist nicht begründet.
Im Einstellungsbeschluss des Einzelrichters vom 18. Oktober 2007 ist unanfechtbar entschieden worden, dass die Beklagte die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen hat. Auf der Grundlage dieser Kostenentscheidung hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Kosten mit dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss nach Maßgabe des Vergütungsrechts rechnerisch richtig mit 316,18 Euro festgesetzt. Dabei ist er zutreffend davon ausgegangen, dass sich die gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO erstattungsfähigen Gebühren der Rechtsanwältin des Klägers nach einem Gegenstandswert von 3.000,00 Euro bemessen. Dass der Gegenstandswert für die erledigte Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG 3.000,00 Euro beträgt, folgt aus § 30 Satz 1 RVG.
Der Rechtauffassung der Beklagten, wonach dem Kläger mit dem angefochtenen Widerrufsbescheid nur die Rechtsstellung als Flüchtling aus § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht aber die eines Asylberechtigten widerrufen worden war und der Streitwert nach dem Wortlaut des § 30 Satz 1 RVG demzufolge nur 1.500,00 Euro betrage, folgen die Richter der für das Verfahren des Klägers zuständigen Kammer in ihrer Entscheidungspraxis nicht. Vielmehr folgen sie der neueren Wertfestsetzungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts.
Danach muss § 30 Satz 1 RVG für Klageaufträge, die mit unbedingtem Inhalt seit dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes erteilt worden sind, dahingehend ausgelegt werden, dass der Gegenstand sowohl von Klageverfahren, welche die Asylanerkennung betreffen, als auch von solchen, welche isoliert die Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG (einschließlich nachrangiger Schutzrechte) betreffen, jeweils mit 3.000,-- EUR zu bewerten ist (BVerwG, Beschluss v. 21.12.2006 - BVerwG 1 C 29/03 -, NVwZ 2007 S. 469 f.). Das gilt nicht nur für Verpflichtungsklagen auf Asylanerkennung oder Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, sondern auch für Anfechtungsklagen, die den Widerruf oder die Rücknahme dieser Rechtsstellungen nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG betreffen (BVerwG, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 9.7.2007 - A 2 S 571/05 -, AuAS 2007 S. 216 f.).
Das Bundesverwaltungsgericht stellt überzeugend darauf ab, dass die früher vorherrschende Auslegung des § 30 Satz 1 RVG, derzufolge für Klageverfahren, welche nur den Abschiebungsschutz des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG) betrafen, nur der niedrigere Gegenstandswert von 1.500,00 Euro angesetzt wurde, darauf beruhte, dass das bis zum In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes geltende sog. "kleine Asyl" nach § 51 Abs. 1 AuslG in seiner Bedeutung für den Flüchtling hinter dem besonderen Schutz und Status des Asylgrundrechts aus Art. 16a GG zurückblieb. Dies hat sich mit der am 1. Januar 2005 in Kraft getreten Neuregelung der aufenthaltsrechtlichen Folgen einer Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes) grundlegend geändert. Die mit der Überleitung der Rechtsstellung nach § 51 Abs. 1 AuslG in eine solche nach § 60 Abs. 1 AufenthG (vgl. § 101 Abs. 2 AufenthG) verbundene Angleichung der Rechtsstellung von Konventionsflüchtlingen an die der Asylberechtigten (BVerwG, a.a.O.) macht es notwendig, die spezielle Wertvorschrift für Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz so auszulegen, dass ihre Anwendung der in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ausgedrückten allgemeinen gesetzgeberischen Zielsetzung der Wertbestimmung bei immateriellen Klageansprüchen Rechnung trägt und sich nicht in einem offenen Ungleichgewicht zum vergütungsrechtlichen Auffangwert steht. Die Beachtung der Wertvorstellungen des Gesetzgebers widerspricht in diesem Fall auch nicht allgemeinen Grundsätzen der Rechtsanwendungslehre. Vielmehr ist der Wortlaut des § 30 Satz 1 RVG mit seinem Verweis auf „Klageverfahren, die die Asylanerkennung einschließlich der Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen betreffen“ mehrdeutig und damit auch für die von dem Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) gewählte Auslegung offen.
Danach kann die mit dem Geschäft der Prozessführung beauftragte Rechtsanwältin hierfür eine Verfahrensgebühr beanspruchen, die sich nach Maßgabe der §§ 2 Abs. 1 und 13 Abs. 1 Satz 2 RVG nach einem Gegenstandswert von 3.000,00 Euro richtet. Da die Flüchtlingseigenschaft des Klägers erst mit einem Bescheid der Beklagten vom 7. März 2005 widerrufen worden war, sind Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger der Rechtsanwältin schon vor dem 1. Januar 2005 einen unbedingten Auftrag zur Klageerhebung erteilt hätte, nicht ersichtlich.