Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 12.07.2005, Az.: 4 A 130/03
Abschiebungsverbot; Kosovo; Roma; Serbien und Montenegro
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 12.07.2005
- Aktenzeichen
- 4 A 130/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50747
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 8 AufenthG
- § 60 Abs 1 AufenthG
Tatbestand:
Die Kläger zu 1.- 6., Angehörige der Volksgruppe der Roma, sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro. Der in Prishtina (Kosovo) geborene Kläger zu 1. und seine in M. N. (Kosovo) geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2., lebten mit den in Prishtina geborenen Klägern zu 3. und 4. zunächst in O. im Kosovo. Mitte 1999 flüchteten sie nach P. (Serbien), wo die Kläger zu 5. und 6. geboren wurden. Von dort aus reisten die Kläger zu 1. - 6. im März 2003 auf unbekannten Wegen mit einem LKW in das Bundesgebiet ein.
Am 26. März 2003 beantragten sie die Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung führten sie an, dass sie zunächst aus dem Kosovo und anschließend aus P. vertrieben worden seien. Ihr Haus in P. sei mehrmals mit Steinen beworfen worden. Sie seien aufgefordert worden, zu verschwinden. Mit Bescheid vom 22. April 2003 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) den Asylantrag der Familie ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte die Abschiebung in das Heimatland der Kläger an.
Mir ihrer am 7. Mai 2003 erhobenen Klage haben die Kläger zunächst die Verpflichtung der Beklagten begehrt, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2003 aufzuheben, soweit er der ausgesprochenen Verpflichtung entgegen steht. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, dass die Kläger „serbisiert“ aufgewachsen und ihre Kenntnisse der albanischen Sprache miserabel seien. Wegen ihrer Ethnie als Roma und ihrer serbischen Affinität komme eine Abschiebung und Rückkehr nach O. nicht in Betracht. Dort gebe es keine nennenswerte Zahl von Roma mehr. Die Lage der in O. verbliebenen Roma sei katastrophal.
Der Kläger zu 1. sei psychisch krank, was sich u. a. an der Unfähigkeit zur Ableistung gemeinnütziger Arbeit äußere. Auch die Klägerin zu 2. sei psychisch krank. Zudem leide sie an Essstörungen und sei völlig unterernährt.
Sobald die Kläger zu 5. und 6 im Mai 2006 ihr fünftes Lebensjahr vollendeten, habe die Familie bei einer Rückkehr in den Kosovo ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Sozialhilfe mehr, weil der Kläger zu 1. nach dortigen Maßstäben arbeitsfähig sei. Die psychische Erkrankung des Klägers zu 1. interessiere im Kosovo nicht. Die Kläger würden verhungern.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG besteht und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22. April 2003 aufzuheben, soweit er entgegensteht,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass im Falle der Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG besteht und den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22. April 2003 aufzuheben, soweit er entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf den Bescheid vom 22. April 2003.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 12. Juli 2005, auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen. Es haben auch die Ausländerakten des Landkreises Lüneburg vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG noch hilfsweise einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Die genannten Vorschriften, die am 1. Januar 2005 in Kraft getreten sind, hat das Gericht bei seiner Entscheidung anzuwenden, denn es hat gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen.
Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG sind nicht gegeben.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 kann ausgehen von dem Staat (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a AufenthG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. b AufenthG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die Parteien oder Organisationen im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG).
Der Schutz Verfolgter im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG entspricht im Wesentlichen der Regelung in § 51 Abs. 1 AuslG. Daher kann zur Auslegung der Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 1und 4 AufenthG weitestgehend auf die bisherige Rechtsprechung zu § 51 Abs. 1 AuslG und Art. 16a GG zurückgegriffen werden, die beide hinsichtlich der Verfolgungshandlung, dem geschützten Rechtsgut und dem politischen Charakter der Verfolgung deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.02.1992 - BVerwG 9 C 59.91, DÖV 1992, 582; Beschl. v. 19.03.1992 - BVerwG 9 B 235.91, DVBl. 1992, 849 zum Umfang der Deckungsgleichheit von Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AuslG). Demnach ist eine Verfolgung - wie auch im Rahmen von Art. 16a GG - durch die in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Akteure dann gegeben, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d. h. aus Gründen, die allein in seiner politischen Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in für ihn unverfügbaren Merkmalen liegen, die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 - 2 BvR 502 u. a./86, BVerfGE 80, 315 (334) zu Art. 16a GG). Erforderlich ist, dass die die Rechtsverletzung bewirkende Maßnahme den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989 - 2 BvR 502 u. a./86, BVerfGE 80, 315 (334) zu Art. 16a GG). Schließlich muss die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als - ausgrenzende - Verfolgung darstellt. Das Maß dieser Intensität ist nicht abstrakt vorgegeben. Es muss der humanitären Intention entnommen werden, die das Asylrecht trägt, demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989 - 2 BvR 502 u. a./86, BVerfGE 80, 315 (335) zu Art. 16a GG).
Die Vorschriften des § 60 Abs. 1 Satz 4 a) und b) AufenthG stellen klar, dass nicht nur die staatliche Verfolgung, sondern auch die Verfolgung durch eine Organisation mit staatsähnlicher Herrschaftsgewalt ein Abschiebungsverbot begründet (vgl. die st. Rspr. zu Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AuslG: BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989 - 2 BVR 502 u.a./86, BVerfGE 80, 315 (334); BVerwG, Urt. v.18.1.1994 - BVerwG 9 C 48.92, BVerwGE 95, 42; BVerwG, Urt. v. 6.8.1996 - BVerwG 9 C 172.95, BVerwGE 101, 328). Darüber hinaus sind auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter, die nicht Inhaber staatlicher oder quasistaatlicher Herrschaftsmacht sind, Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Voraussetzung ist hierfür u. a., dass der Staat oder die Parteien oder Organisationen im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten (§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG). Nach dem eindeutigen Wortlaut ist dabei unerheblich, ob dem Staat oder der staatsähnlichen Gewalt an sich Mittel zum Schutz zur Verfügung stünden. Es kommt allein darauf an, ob die in § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a und b AufenthG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen nicht schutzfähig oder nicht schutzwillig sind. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG scheidet hingegen aus, wenn eine inländische Fluchtalternative gegeben ist.
Wie im Asylrecht kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich nur derjenige in Anspruch nehmen, der selbst - in seiner Person - politische Verfolgung erlitten hat bzw. dem eine solche unmittelbar bevorsteht. Die Gefahr einer eigenen politischen Verfolgung eines Schutzsuchenden kann sich aber auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das der Schutzsuchende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, so dass eine bisherige Verschonung von ausgrenzenden Rechtsgutverletzungen als eher zufällig anzusehen ist (BVerfG, Beschl. v. 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a., BVerfGE 83, 216). Sieht der Verfolger von individuellen Merkmalen gänzlich ab, weil seine Verfolgung der durch das asylerhebliche Merkmal gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern gilt, so kann eine solche Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat eigener Verfolgung jederzeit gewärtig sein muss. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt jedoch eine bestimmte „Verfolgungsdichte" voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt (BVerwG, Urt. v. 15.5.1990 - BVerwG 9 C 17.89, BVerwGE 85, 139 (142 f.); Urt. v. 5.7.1994 - BVerwG 9 C 158.94, BVerwGE 96, 200; Beschl. v. 22.02.1996 - BVerwG 9 B 14.96, DVBl. 1996, 623 (624)). Gruppenmitglieder müssen Rechtsgutbeeinträchtigungen erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst jederzeit ein Opfer der Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Eine derartige Verfolgungsdichte erreichen bei mittelbarer staatlicher Verfolgung pogromähnliche Ausschreitungen fanatisierter Volksmassen, ferner jedes sonstige von privaten Dritten getragene Verfolgungsgeschehen, bei dem die die Angehörigen der Gruppe treffenden Verfolgungsschläge so dicht und eng gestreut fallen, dass bei objektiver Betrachtung für jedes Gruppenmitglied das Erleiden von Verfolgungsmaßnahmen in eigener Person beachtlich wahrscheinlich ist (BVerwG, Beschl. v. 24.9.1992 - BVerwG 9 B 130.92, NVwZ 1993, 192; Nds. OVG, Urt. v. 22.2.1996 - 12 L 7722/95 -). Geht die Verfolgung vom Staat aus, liegt eine Gruppenverfolgung auch bei fehlenden Vergleichsfällen politischer Verfolgung vor, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt wird, dass der Heimatstaat nationale oder religiöse Minderheiten physisch vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will (BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - BVerwG 9 C 158.94, BVerwGE 96, 200). An diesen Grundsätzen zur Annahme einer Gruppenverfolgung ist auch im Anwendungsbereich von § 60 Abs. 1 AufenthG festzuhalten.
Für die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, ist von wesentlicher Bedeutung, ob der Betroffene verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Denn ebenso wie das Asylgrundrecht beruht auf den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG dem Zufluchtgedanken und setzt von seinem Tatbestand her grundsätzlich den Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung, Flucht und Asyl voraus. Ist der Schutzsuchende vorverfolgt ausgereist, ist ihm dieser Schutz zu gewähren, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgebenden Zeitpunkt fortbestehen. Er ist weiter anzuerkennen, wenn diese zwar entfallen sind, aber an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei einer Rückkehr in den Heimatstaat ernsthafte Zweifel bestehen, wenn also Anhaltspunkte vorliegen, die die Möglichkeit abermals einsetzender Verfolgung als nicht ganz entfernt erscheinen lassen. Wer hingegen unverfolgt ausgereist ist, hat nur dann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz, wenn ihm aufgrund eines beachtlichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980 - 1 BvR 147 u.a./80, BVerfGE 54, 341; Beschl. v. 10.7.1989 - 2 BvR 502 u.a./86 , BVerfGE 80, 315; BVerwG, Urt. v. 15.05.1990 - BVerwG 9 C 17.89, BVerwGE 85, 139; Urt. v. 30.10.1990 - BVerwG 9 C 60.89, BVerwGE 87, 52 jeweils zu Art. 16a GG; Urt. v. 3.11.1992 - BVerwG 9 C 21.92, BVerwGE 91, 150 zu § 51 Abs. 1 AuslG). Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht politische Verfolgung bevor, wenn bei „qualifizierender“ Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich dabei nicht allein auf das Element der Eintrittwahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Urt. v. 2.8.1983 - BVerwG 9 C 599.81, BVerwGE 67, 314; v. 26.3.1985 - BVerwG 9 C 107.84, BVerwGE 71, 175; v. 5.11.1991 - BVerwG 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162; v. 14.12.1993 - BVerwG 9 C 45.92, DVBl. 1994, 524).
Misst man das Begehren der Kläger an den vorstehend dargelegten Maßstäben, so können sie Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht verlangen.
Sie sind nicht vorverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ein im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG erheblicher Zusammenhang zwischen der Verfolgung der Kläger zu 1. - 4. in O. (Kosovo) im Jahre 1999 und ihrer Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2003 besteht nicht, da die Kläger zu 1. - 4. aus Anlass der damaligen Übergriffe mit dem Zug nach P. geflohen sind und dort vier Jahre unbehelligt von Übergriffen durch albanische Volkszugehörige gelebt haben. Aber auch eine Vorverfolgung der Kläger in P. wegen ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der Roma ist nicht festzustellen. Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung der Kläger durch Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a und b AufenthG liegen nicht vor. Bis März 2001 waren zwar u. a. die Roma Ziel staatlicher Diskriminierung. Bis zu diesem Zeitpunkt richtete sich die Lage der Minderheiten noch nach den Gesetzen des Regimes Milosevic (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2003 für Serbien und Montenegro (ohne Kosovo), S. 16). Seitdem waren die Roma jedenfalls wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht systematischen staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Noch vor der Einreise der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland nahm jedoch das Bundesparlament ein Minderheitengesetz an, das am 7. März 2002 in Kraft trat und Minderheitenrechte gemäß internationalem Standard verankert. Durchführungsbestimmungen wurden im Juli 2002 veröffentlicht. Das Minderheitenministerium versuchte bereits zum damaligen Zeitpunkt aktiv, die Minderheiten dabei zu unterstützen, sog. nationale Räte zu wählen, die die Interessen ihrer Volksgruppen vertreten. Auch führte es Öffentlichkeitskampagnen mit dem Ziel durch, eine stärkere Akzeptanz von Minderheiten bei der Mehrheitsbevölkerung zu erreichen. Die Unionsregierung bemühte sich vielmehr, die Lage der Roma durch eine aktive Minderheitenpolitik zu verbessern. Allerdings mangelte es insbesondere im Hinblick auf diese Gruppe noch an der praktischen Implementierung der neuen Regelungen zum Minderheitenschutz. Die Roma haben seit dem in Kraft treten des Minderheitengesetzes den Status einer „nationalen Minderheit“. Das Minderheitengesetz sieht die Einrichtung eines Nationalrats der Roma vor, der aber bis zur Ausreise der Kläger noch nicht zustande kam, da die von Seiten der Roma notwendigen 3000 Unterschriften noch nicht vorlagen (vgl. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2003 für Serbien und Montenegro (ohne Kosovo), S. 16 f.). Soweit der Polizei in Serbien und Montenegro vorgeworfen wurde, immer noch nicht aktiv genug gegen Übergriffe auf Minderheiten, v. a. Roma, vorzugehen, war Ursache für die Haltung der Polizei in diesen Fällen nicht eine Weisung der Regierung. Vielmehr hatte sie ihre Grundlage in den traditionellen Vorurteilen, die den Roma entgegen gebracht wurden (vgl. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2003 für Serbien und Montenegro (ohne Kosovo), S. 20). Für die Annahme einer staatlichen oder quasistaatlichen Gruppenverfolgung reicht dieses nicht aus.
Den Klägern hat wegen ihrer Zugehörigkeit zum Volk der Roma des Weiteren vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auch weder Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG durch nichtstaatliche Akteure gedroht noch waren sie hiervon betroffen. Zwar wurden in den Medien immer wieder Einzelfälle von Übergriffen auf Roma bekannt. Einzelne Vorfälle vermögen aber die Annahme einer ausreichenden Verfolgungsdichte als Voraussetzung für die Gruppenverfolgung nicht zu begründen. Zudem führen seit dem 5. Oktober 2000 Anzeigen wegen Körperverletzung auch in der Praxis zu Gerichtsprozessen. Im Mai 2001 kam es zu der Verurteilung eines Angeklagten, wobei ein Gericht den Angriff auf einen Angehörigen einer Minderheit als eine durch Rassenhass motivierte Tat definiert hat (vgl. den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juli 2003 für Serbien und Montenegro (ohne Kosovo), S. 20). Es lässt sich mithin nicht konkret belegen, dass der Staat nicht in der Lage bzw. nicht willens war, Roma vor Übergriffen nichtstaatlicher Akteure zu schützen.
Eine individuelle Vorverfolgung der Kläger ist ebenfalls nicht festzustellen. Soweit der Kläger zu 1. im Anhörungsverfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vorgetragen hat, dass sein Haus mehrmals von serbischen Zivilisten, letztmalig Mitte Februar 2003, mit Steinen beworfen worden sei, rechtfertigt dies die Annahme einer im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevanten Verfolgung nicht. Zunächst fehlt es an der erforderlichen Intensität der angegebenen Übergriffe. Mit Blick auf die widersprüchlichen Aussagen des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. im Rahmen der Anhörung bei dem Bundesamt glaubt die Kammer weiter nicht, dass sich ein derartiger Vorfall ereignet hat. Insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen, denen sich die Kammer anschließt. Ungeachtet dessen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die konkret belegen, dass die in § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. a und b AufenthG genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens waren, Schutz vor dieser Verfolgung zu geben. Die Kläger haben weder im Anhörungsverfahren noch im Klageverfahren vorgetragen, dass sie versucht hätten, vor den geschilderten Behelligungen Schutz zu finden.
Da die Kläger unverfolgt ausgereist sind, könnte die Feststellung eines Abschiebungsverbotes im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG nur getroffen werden, wenn ihnen aufgrund eines erheblichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte. Diese Voraussetzungen liegen jedoch ebenfalls nicht vor. Als Nachfluchtgründe kommen sowohl objektive Gründe, die durch Vorgänge oder Ereignisse im Heimatland ohne Zutun des Ausländers ausgelöst worden sind, als auch subjektive Nachfluchtgründe, die der Ausländer nach Verlassen seines Heimatlandes selbst geschaffen hat, in Betracht (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 28.09.1995 - 12 L 2034/95 -). Den Klägern droht jedoch im Falle ihrer Rückkehr nach Serbien und Montenegro weder eine Gruppenverfolgung noch eine individuelle Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, die ihre Grundlage in objektiven oder subjektiven Nachfluchtgründen haben. Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei seiner Rückkehr in den Heimatstaat politische Verfolgung droht, ist das Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 05.10.1999 - BVerwG 9 C 15.99, InfAuslR 2000, S. 32 f. zu § 51 Abs. 1 AuslG).
Dass den Klägern eine individuelle Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Sätze 1 und 4 AufenthG bei einer Rückkehr nach Serbien und Montenegro wegen eines Nachfluchtgrundes drohen könnte, ist nicht ersichtlich. Ebenfalls ist nicht davon auszugehen, dass den Klägern eine Gruppenverfolgung, die ihre Grundlage in einem Nachfluchtgrund hat, in Serbien und Montenegro außerhalb des Kosovos oder im Kosovo droht. Nach den vorliegenden Berichten und Auskünften kann nicht festgestellt werden, dass Roma dort gegenwärtig von politischer Verfolgung betroffen sind oder hiermit in absehbarer Zeit rechnen müssen.
Dies gilt zunächst für das Gebiet außerhalb der Provinz Kosovo. Seit der Einreise der Kläger in das Bundesgebiet sind dort weitere Maßnahmen zum Minderheitenschutz getroffen worden. Der im Minderheitengesetz vorgesehene Nationalrat der Roma ist nach langen und heftigen internen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Roma-Gruppen im Frühjahr 2003 gewählt worden. Zudem hat seit dem Frühjahr 2002 das Minderheitenministerium in Kooperation mit den Roma eine landesweite Integrationsstrategie für Roma (v. a. Zugang zu Kranken- und Bildungseinrichtungen, Arbeitsmarkt, Wohnraum) erarbeitet, die Anfang April 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist. Hierbei handelt es sich um einen etwa 200 Seiten umfassenden Absichtskatalog, der sämtliche Bereiche umfasst (Gesundheit, Bildung, Arbeitsmarkt). Allerdings enthält er keine konkreten Fristen zur Umsetzung dieser Integrationsstrategie und die sehr eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten lassen eine baldige Umsetzung nicht wahrscheinlich erscheinen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29 März 2005 für Serbien und Montenegro (ohne Kosovo), S. 19 f.).
Auch in der Provinz Kosovo sind Angehörige der Volksgruppe der Roma weder einer im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG erheblichen Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt noch hiervon bedroht. Dabei kann schon die erforderliche Verfolgungsdichte nicht festgestellt werden. Allerdings waren Angehörige der Minderheiten im Kosovo, auch der Roma, nach dem Abzug der serbischen Truppen im Juni 1999 zunächst von erheblichen Übergriffen durch einen Teil der albanischen Bevölkerungsmehrheit betroffen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Mai 2000 für die Bundesrepublik Jugoslawien (Kosovo); UNHCR, Aktueller Überblick über die Lage im Kosovo, September 2000). Nach einer Stabilisierung der Situation kam es dann im März 2004 erneut zur Gewaltanwendung gegenüber nichtalbanischen Minderheiten - allerdings vorwiegend gegenüber Serben - (UNHCR, Position zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo im Lichte der jüngsten ethnischen Auseinandersetzungen, 30. März 2004; Update on the Kosovo - Roma, Ashkaelia, Egyptian, Serb, Gorani and Albanian communities in an minoritiy situation, Juni 2004). Die Häufigkeit ethnisch motivierter Übergriffe auf Minderheitenangehörige ist aber insgesamt seit dem Jahr 2000 rückläufig, auch wenn nicht ausgeschlossen ist, dass es vereinzelt noch zu ethnisch motivierten Gewalttaten kommt. Dabei ist das Risiko, Opfer solcher Übergriffe zu werden, bei den serbischsprachigen Roma deutlich höher als etwa bei den albanischsprachigen Ashkali, insbesondere wenn die Roma in Gebiete zurückkehren, in denen sie eine Minderheit darstellen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2004 für Serbien und Montenegro (Kosovo), S. 20; UNHCR, Position zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen im Kosovo, August 2004, S. 2, 4 und 8, sowie März 2005, S. 4 f.). Auch für sie sind aber Übergriffe nicht in einer Häufigkeit dokumentiert, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt. Roma waren nach dem Bericht des UNHCR nur in den Gebieten um Pristina (insbesondere O.) und Q., nicht aber in den Gebieten Prizren und Peje Opfer der Gewaltausbrüche im März 2004 (UNHCR, Update on the Kosovo - Roma, Ashkaelia, Egyptian, Serb, Gorani and Albanian communities in an minoritiy situation, Juni 2004, S. 33 f.). Auch in den im März 2004 betroffenen Regionen ist es seither nicht mehr zu vergleichbaren Tätlichkeiten gegen Roma gekommen, auch wenn die generelle Sicherheitslage im Kosovo weiterhin schwierig ist. Während die KFOR sie als „derzeit zwar ruhig, aber nicht stabil“ beschreibt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2004 für Serbien und Montenegro (Kosovo), S. 17), stuft der UNHCR die allgemeine Sicherheitslage als „insgesamt wieder stabilisiert“ ein, auch wenn sie weiterhin zerbrechlich und unberechenbar bleibt (UNHCR, Position zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen im Kosovo, März 2005, S. 1, 2). Die Sicherheitslage ist regional, nach Ethnien und nach Sprache unterschiedlich zu bewerten. Nach den Berichten des UNHCR ist die Situation der Roma im Gebiet von Prishtina, in dem der Heimatort der Kläger zu 1. - 4. (O.) liegt, schlechter als die der dort ansässigen Ashkali und Ägypter, die besser in die Mehrheitsbevölkerung integriert sind. Die Roma leben in überfüllten Stadtteilen und haben einen unterdurchschnittlichen Lebensstandard. Sie meiden viele Dörfer dieses Gebiets als Folge der dort erlebten Angriffe und Bedrohungen. Ihre Bewegungsfreiheit ist dort sehr eingeschränkt. Viele Roma verlassen ihr Dorf bzw. ihre Stadt nicht (vgl. UNHCR, Update on the Kosovo - Roma, Ashkaelia, Egyptian, Serb, Gorani and Albanian communities in an minoritiy situation, Juni 2004, S. 8 ff.; Position zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen im Kosovo, August 2004, S. 5), was als Ursache dafür gesehen wird, dass seit den März-Ausschreitungen ein Rückgang schwerwiegender Straftaten mit inter-ethnischem Hintergrund zu registrieren ist (vgl. UNHCR, Position zur fortdauernden internationalen Schutzbedürftigkeit von Personen im Kosovo, März 2005, S. 2). Insgesamt ergeben sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, Unruhen, wie sie im März 2004 stattgefunden haben, seien gegenwärtig oder in absehbarer Zukunft beachtlich, d. h. überwiegend wahrscheinlich.
Darüber hinaus sind UNMIK und KFOR willens und in der Lage, Schutz vor Verfolgung der Roma im Kosovo durch nichtstaatliche Akteure zu bieten (ebenso SaarlOVG, Beschl. v. 11.05.2005 - 1 Q 16/05 -; VG Saarland, Urt. v. 09.03.2005 - 10 K 328/03.A, Asylmagazin 6/2005, S. 24 f.; VG Aachen, Urt. v. 17.01.2005 - 9 K 1126/02.A -). Dies zeigt zum einen die Tatsache, dass es UNMIK und KFOR gelungen ist, während der Unruhen im März 2004 die Kontrolle über die Sicherheitslage zurückzugewinnen und bis heute zu stabilisieren. Zum anderen sind zwischenzeitlich in Anbetracht der während der Unruhen im März 2004 auftretenden Abstimmungsprobleme zwischen UNMIK, KFOR und KPS zahlreiche neue Sicherheitsmaßnahmen eingeführt worden. Hierzu zählen die Verständigung über die Zuständigkeiten von UNMIK und KFOR im Hinblick auf die Befehlsgewalt, die Verbesserung der Koordination und Kooperation zwischen Polizei und KFOR auf allen Ebenen, die Eröffnung eines gemeinsames Operationszentrums für die Polizei und KFOR, die Einrichtung der „Regional Operation Support Unit“ der Kosovo Polizei in allen fünf Regionen, die Überarbeitung der Einsatzpläne und Notfallprogramme, die Schulung von Polizei und KFOR im Bereich der Unruhebekämpfung, der tägliche Austausch von Informationen über kriminelle Aktivitäten, die Erhöhung der Präsenz der KFOR auf lokaler Ebene sowie der ständige Kontakt der KFOR zu Polizei, Gemeinden, Bürgermeistern und anderen lokalen Autoritäten und die Verbesserung der Aufklärungsarbeit (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Serbien und Montenegro, Kosovo - Aktuelle Lage - Ein Jahr nach den Unruhen, Mai 2005, S. 5).
Der Hilfsantrag der Kläger bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungsverbotes im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen nicht vor.
Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern im Falle ihrer Rückkehr Folter, die Todesstrafe oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen könnte (§ 60 Abs. 2, 3, 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK), sind nicht gegeben.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Hiernach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entspricht in seinen Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden, reicht deswegen nicht aus, um eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit besteht (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95, BVerwGE 99, 324 zu § 53 AuslG).
Aus den vereinzelten Übergriffen, unter denen Roma in Serbien und Montenegro noch nach den vorliegenden Erkenntnismitteln in der Vergangenheit zu leiden hatten, lässt sich eine individuelle Gefährdungssituation nicht herleiten. Denn es sind die Angehörigen der ethnischen Minderheiten allgemein betroffen gewesen. Gefahren, von denen eine ganze Bevölkerungsgruppe oder die gesamte Bevölkerung betroffen sind, stellen grundsätzlich aber kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Sie werden nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG allein von der obersten Landesbehörde im Rahmen ihrer Entscheidungsbefugnis nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Nur dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 Satz 1 AufenthG zusteht, er aber gleichwohl ohne Verletzung höherrangigen Verfassungsrechts nicht abgeschoben werden darf, ist bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Einzelfall Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermächtigung aus § 60a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen. Dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. In solchen Fällen ist § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verfassungskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass derartige Gefahren im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind (z. Vorst: BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95, BVerwGE 99, 324; Urt. v. 19.11.1996 - BVerwG 1 C 6.95, BVerwGE 102, 249 zu § 53 Abs. 6 AuslG). Eine extreme Gefahrenlage ist dabei nicht nur dann gegeben, wenn Tod oder schwerste Verletzung sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat eintreten. Sie besteht vielmehr auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, Beschl. v. 26.1.1999 - BVerwG 9 B 617.98, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 14). Zu einer verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht allerdings kein Anlass, wenn der Abschiebung anderweitige Hindernisse wie ein ausländerrechtlicher Erlass oder eine aus individuellen, von dem Asylverfahren unabhängigen Gründen erteilte Duldung entgegenstehen, die einen gleichwertigen Schutz bieten; d.h. einen Schutz, der dem entspricht, den der Ausländer bei Vorliegen eines Erlasses nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG oder bei Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreichen könnte (BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - BVerwG 1 C 2.01, BVerwGE 114, 379 zu § 53 Abs. 6 AuslG).
Es sind keine Gründe ersichtlich, die es gebieten könnten, im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG von dieser zu § 53 Abs. 6 AuslG ergangenen Rechtsprechung abzuweichen. Solche ergeben sich auch nicht aus der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl. EG Nr. L 304/12 v. 30.9.2004), die auch Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale eines gegenüber der Rechtsstellung als Flüchtling subsidiären Schutzstatus enthält (Präambel Nr. 24 der Richtlinie 2004/83/EG). Anspruch auf subsidiären Schutz hat dabei u.a. ein Drittstaatsangehöriger, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG zu erleiden und der den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Gefahr nicht in Anspruch nehmen will (Art. 2 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG), soweit auf ihn die Ausschlussregelung des Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG keine Anwendung findet. Als ernsthafter Schaden gilt nach Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Herkunftsland oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Diese Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG stehen einer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG in der oben dargelegten Weise nicht entgegen (so auch VG Stuttgart, Urt. v. 21.1.2005 - 12 K 10986/04 -). Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, stellen für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden im Sinne der Richtlinie zu beurteilen wäre (Präambel Nr. 26 der Richtlinie 2004/83/EG).
Die Kläger können wegen ihrer Volkszugehörigkeit keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verlangen. Denn die Situation der Roma im Kosovo rechtfertigt nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht die Annahme, ihnen drohe im Falle ihrer Rückkehr eine extreme Gefahrenlage die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde. Insbesondere ist davon auszugehen, dass für Roma die wirtschaftliche Existenzgrundlage - wenn auch auf niedrigem Niveau - gewährleistet ist.
Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes sind im Kosovo von den 100.000 im Laufe der Kosovo-Krise schwer beschädigten bzw. völlig zerstörten Häuser bereits mehr als 40.000 Häuser repariert worden. Die Wiederherstellung der restlichen weniger als 60.000 Häuser bzw. die Schaffung von Wohnraum allgemein für die Rückkehr ist nach wie vor prioritär. Die Bevölkerung des Kosovo ist bis auf wenige Ausnahmen (z. B. sozial schwache Bewohner von Enklaven) nicht mehr auf die Lebensmittelversorgung durch internationale Hilfsorganisationen angewiesen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2005 für Serbien und Montenegro, Kosovo, S. 17). Ähnlich lautet die Auskunft der Gesellschaft für bedrohte Völker - nachfolgend GfbV - (Roma und Aschkali ohne Zukunft, November 2004, S. 14), wonach die meisten Roma, Ashkali und „Ägypter“ ausreichend mit Lebensmitteln versorgt sind. Sie sind jedoch auf Spenden der Nachbarn oder Hilfsorganisationen angewiesen. Speziell in O. sei der Mangel an Hygieneprodukten schlimmer als der Mangel an Lebensmitteln (GfbV, Roma und Aschkali ohne Zukunft, November 2004, S. 17). Bedürftige erhalten Unterstützung in Form von Sozialhilfe, die von den Municipalities ausgezahlt wird, sich allerdings auf sehr niedrigem Niveau bewegt. Sie beträgt für Familien (abhängig von der Zahl der Personen) bis zu 75 € monatlich und reicht als alleinige Einkommensquelle unter Berücksichtigung der lokalen Lebenshaltungskosten kaum zum Leben aus (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2005 für Serbien und Montenegro, Kosovo, S. 17). Die Wiederherstellung der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung ist nach wie vor vorrangig, aber kurz- und mittelfristig schwer möglich. Die Möglichkeiten, im Kosovo komplizierte Behandlungen oder operative Eingriffe vorzunehmen, sind zur Zeit noch begrenzt. Die medizinische Grundausstattung kommt jedoch weiter voran, wobei allerdings häufig über Fälle von Korruption oder andere Unregelmäßigkeiten berichtet wird. Die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im öffentlichen Gesundheitswesen ist nicht mehr gänzlich kostenfrei. Für einen Behandlungstermin sind pro Patient zwischen 2 € und 3 € zu zahlen, für einen stationären Behandlungstermin 10 €. Bestimmte Personengruppen wie Invaliden oder Empfänger sozialhilferechtlicher Leistungen sind von diesen Zahlungen allerdings befreit (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2005 für Serbien und Montenegro, Kosovo, S. 17 f.). Insgesamt gesehen kann aber davon ausgegangen werden, dass im Kosovo eine ausreichende primäre (ambulante) Gesundheitsversorgung gewährleistet ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Die medizinische Versorgungslage im Kosovo, 24. Mai 2004). Die Schulen im Kosovo sind wieder aufgebaut und die Reparaturmaßnahmen abgeschlossen. Der Schul- und Hochschulbetrieb ist im September 1999 wieder aufgenommen worden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. November 2005 für Serbien und Montenegro, Kosovo, S. 17 f.).
Für O., den Ort aus dem die Kläger stammen, ergeben sich keine Besonderheiten. Die dortige Bevölkerung ist ethnisch gemischt und besteht aus Roma, Ashkali, Albanern, Serben und Kroaten (OSCE, Municipal Profile, O. /R., Februar 2005). Dort haben zahlreiche Hilfsorganisationen und andere internationale Organisationen ihre Büros bzw. Anlaufstellen eingerichtet. Die medizinische Grundversorgung ist gewährleistet. In O. gibt es ein „Main Health House“, indem auch Roma behandelt werden (OSCE, Municipal Profile, O. /R., Februar 2005).
Eine individuelle Gefährdung der Kläger zu 1. und 2. im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im Übrigen auch nicht mit Rücksicht auf die von ihnen geltend gemachten Krankheiten festzustellen. Es kann zwar die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Dies ist dann der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigung als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeit im Zielland der Abschiebung eintritt, die dem Ausländer drohende Gesundheitsgefahr erheblich ist, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von erheblicher Intensität zu erwarten ist und wenn diese Gefahr konkret bevorsteht, d.h., wenn zu erwarten ist, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland wegen unzureichender Möglichkeit zur Behandlung der Leiden eintritt (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: BVerwG, Beschl. v. 29.7.1999 - BVerwG 9 C 2.99 -; Urt. v. 9.9.1997 - BVerwG 9 C 48.96 - InfAuslR 1998, 125; Urt. v. 25.11.1997 - BVerwG 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383; Urt. v. 21.9.1999 - BVerwG 9 C 8.99 - NVwZ 2000, 206; NdsOVG, Urt. v. 19.10.2001- 8 L 2824/99 -). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht dabei auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - BVerwG 1 C 1.02, DVBl. 2003, 463).
Es fehlen hier jedoch bereits aussagekräftige aktuelle ärztliche Bescheinigungen über behandlungsbedürftige Erkrankungen der Kläger zu 1. und 2. Allein die Erklärungen, der Kläger zu 1. sei psychisch krank, könne schlecht schlafen und habe Herzprobleme und die Klägerin zu 2. sei ebenfalls psychisch krank und leide zudem an Essstörungen, reicht nicht aus, um eine im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG erhebliche Erkrankung anzunehmen. Für die Kläger zu 3. - 6. sind ebenfalls krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse nicht ersichtlich.
Die Abschiebungsandrohung ist auf der Grundlage der §§ 34 AsylVfG a. F., 50 AuslG ergangen und nunmehr am Maßstab von § 34 AsylVfG, § 59 AufenthG zu prüfen. Sie lässt Rechtsfehler zu Lasten der Kläger nicht erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.