Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.07.2005, Az.: 1 B 33/05

Abordnung; aufschiebende Wirkung; Beschleunigungsinteresse; dienstlicher Grund; ernstliche Zweifel; Flexibilisierungsinteresse; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Konfliktsituation; Rechtmäßigkeitsvermutung; Schulfrieden; Spannungsverhältnis; störungsfreier Unterricht; Unterricht; Unzuträglichkeiten; Verhältnismäßigkeit; Zusammenarbeit

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.07.2005
Aktenzeichen
1 B 33/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50869
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

I. Die Antragstellerin erstrebt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer am 15. Juli 2005 erhobenen Klage(1 A 224/05), mit der sie sich im Wege der Anfechtung gegen eine im Juni verfügte Abordnung wendet.

2

Die Antragstellerin wurde 1994 als Lehrerin z.A. in den Nds. Landesdienst eingestellt und 1996 - unter Verleihung der Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit - zur Lehrerin ernannt. Im Jahre 2001 beschwerten sich Eltern über ihren Unterricht, was zu einem Bericht ihres Schulleiters an die damalige Bezirksregierung führte (Schreiben v. 25.4.2001), die mit Verfügung vom 16. November 2001 die Einhaltung der dienstlichen Pflichten anmahnte. Nachdem es im Oktober 2002 erneut zu Beschwerden gekommen war, wurde für den 18. November 2002 ein Unterrichtsbesuch angekündigt, der jedoch wegen Krankheit der Antragstellerin ausfallen musste. Hierauf wurde eine amtsärztliche Untersuchung angeordnet, die ergab, dass die Antragstellerin dienstfähig sei, jedoch eine stationäre psychosomatische Behandlung notwendig sei (Gutachten vom 23.12.2002). Eine entsprechende Behandlung lehnte die Antragstellerin jedoch mit ihren Schreiben vom 28. Februar und 11. April 2003 ab.

3

Am 18. März 2004 erfolgte ein Unterrichtsbesuch, der später mit der Note „ungenügend“ beurteilt wurde (Beurteilung v. 18.10.2004). Im Juni 2004 teilten 16 Lehrkräfte der J.-Schule B. mit, dass sie nicht länger die unerträglichen Belastungen tragen könnten, die durch die Antragstellerin entstünden. Mit Verfügung vom 25. November 2004 wurden der Antragstellerin dann eine Reihe von Pflichten auferlegt, durch welche die aufgetretenen Mängel vermieden werden sollten. Durch Verfügung vom 6. Januar 2005 - ergänzt durch Verfügung vom 9. Mai 2005 - wurden schließlich disziplinarische Vorermittlungen eingeleitet, da die Antragstellerin die Auflagen und Pflichten nach den Auskünften des Schulleiters nicht erfüllte.

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Im April 2005 wurde in der Klasse der Antragstellerin ein als „Pressemitteilung“ tituliertes Flugblatt des Elternvertreters verteilt, dessen weitere Verbreitung in der Schule zunächst verhindert werden konnte. Es kam zu dem Dienstgespräch vom 18. April 2005, in dem im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten eine Abordnung der Antragstellerin nach C. besprochen und vereinbart wurde. Mit Schreiben vom 22. April 2005 erklärte sich die Antragstellerin damit jedoch nicht mehr einverstanden, sondern stellte einen Antrag auf Beurlaubung ohne Bezüge für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2005, dem stattgegeben wurde.

5

Durch die angefochtene Verfügung vom 28. Juni 2005 wurde die Antragstellerin für die Zeit vom 1. August 2005 bis zum 31. Januar 2006 an die „B.Schule - Haupt- und Realschule - in C. abgeordnet. Eine weitere amtsärztliche Untersuchung ergab - auch angesichts der psychosomatischen Erkrankung - wiederum, dass die Antragstellerin dienstfähig sei (Gutachten vom 30.6. 2005).

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Zur Begründung ihrer am 15. Juli 2005 erhobenen Klage wie auch ihres gleichzeitig gestellten Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trägt die Antragstellerin vor, sie sei bereit, an einer einvernehmlichen Lösung mitzuwirken, jedoch nur dann, wenn diese nicht schon im Vorfeld bekannt gegeben und ihr so die Möglichkeit eines „Neubeginns“ genommen werde. Durch die einem Vater zugetragene Lösung und dessen Elternbrief sei ein „breiten Öffentlichkeit“ bekannt geworden, aus welchen Gründen sie abgeordnet werde. Damit ergebe die Abordnung keinen Sinn mehr.

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Sie beantragt,

8

die aufschiebende Wirkung der Klage der Klägerin gegen die Abordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2005 wird angeordnet.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag zurückzuweisen.

11

Sie bezieht sich zur Begründung auf eine Darstellung der Vorgänge sowie auf die ergangene Verfügung.

12

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge nebst Personalakten der Antragstellerin Bezug genommen.

13

II. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

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Der gemäß § 80 Abs. 5 iVm §§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 192 Abs. 3 Nr. 3 NBG,126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG zu beurteilende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht begründet. Denn - gemessen am Entscheidungsmaßstab des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (analog) - ist nach Einschätzung der Kammer ein Vollzugsinteresse gegeben.

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1. § 80 Abs. 5 VwGO normiert keinerlei materielle Kriterien für eine gerichtliche Sachentscheidung, so dass die Rechtsprechung diese in der Regel im Wege einer Interessenabwägung sucht (Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Band I, Loseblattsammlung / Stand: Januar 2000, § 80 Rdn. 252 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO-Kom-mentar, 13. Aufl., § 80 Rdn. 158 unter Verweis auf § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO ). Die bei dieser Interessenabwägung relevanten Gesichtspunkte bilden ein „bewegliches System“ (Schenke, JZ 1996, 1162; Kopp/Schenke, aaO.).

16

In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1-3 VwGO jedoch, zu denen gemäß §§ 192 Abs. 3 Nr. 3 NBG, 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG auch der Widerspruch gegen eine Abordnung zählt, zieht die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften 12, 4. Aufl. 1998, Rdn. 849 / 851 m.w.N.; Schoch/ Schmidt-Aßmann-Pietzner, aaO., Rdn. 125, 204, 262 / 264 m.w.N.; differenzierend Kopp/ Schenke, VwGO-Kommen-tar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116, a.A. in der 13. Aufl. 2003) als Entscheidungsmaßstab § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO (analog) heran. Das bedeutet, dass ein öffentliches Vollzugsinteresse jedenfalls dann fehlt, wenn bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Hierbei gilt, dass der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) „nicht etwa eine gesteigerte Rechtmäßigkeitsvermutung zugunsten des Verwaltungsakts“ begründen kann (Schoch u.a., aaO., Rdn. 261), sondern nur ein überschießendes Beschleunigungs- und Flexibilisierungsinteresse. Dieses ist im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) - orientiert am materiellen Recht (u.a. am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, VGH München, NVwZ 1991, 1002 [VGH Bayern 14.01.1991 - 14 CS 90/3166]) - durch das Gericht ggf. wieder zurückzuführen (Schoch u.a., aaO, Rdn. 197).

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2. Solche ernstlichen Zweifel bzw. „Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheit bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage“ (Schoch u.a., aaO., Rdn. 194.; vgl. für das Zulassungsverfahren iSv § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nds. OVG Beschl. v. 11.12.2001 - 2 MA 3519/01 - ; Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 11. Aufl. 1998, § 80 Rdn. 116), sind hier nicht ersichtlich. Auch hinreichend gewichtige Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Abordnungsverfügung fehlen.

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Nach § 31 Abs. 1 NBG kann nämlich ein Beamter aus dienstlichen Gründen vorübergehend zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle abgeordnet werden. Diese Voraussetzungen dürften hier erfüllt sein.

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Dienstliche Gründe für eine Abordnung der Antragstellerin, vor allem das Interesse der Schüler wie Eltern an einem „möglichst fundierten und störungsfreien Unterricht“ (Schr. d. Antragsgegnerin v. 27.7.2005, S. 8), legen hier die verfügte Abordnung nach C. sogar sehr nahe. Dienstliche Gründe können sich nämlich schon aus einem andauernden Spannungsverhältnis innerhalb der Dienststelle oder ähnlichen verhaltensbedingten Unzuträglichkeiten ergeben, die sich auf die Wahrnehmung der Dienstaufgaben nachträglich auswirken. Mithin kann die Störung des Schulfriedens ein dienstlicher Grund für die Abordnung sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1967 - 6 C 58.65 - BVerwGE 26, 65 ff; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. November 2002 - 5 ME 174/02 - V.n.b.; OVG Schleswig, Beschluss vom 19. Februar 2001 - 3 M 4/01 - zit. nach juris; Sommer/Konert, Nds. Beamtengesetz, Kommentar 2001, § 31 Rdn. 3). Da die Abordnung nicht Straf- und Disziplinarmaßnahme ist, kommt es nur auf eine objektive Beteiligung an der Störung der dienstlichen Zusammenarbeit an, nicht aber auf ein bestimmtes Maß an Verursachung oder gar Verschulden, so dass auch eine nicht zurechenbare Verhaltensstörung die Maßnahme im Sinne einer „Befriedung“ schon rechtfertigen kann.

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Dass nun aber zur Zeit des Ergehens der Abordnungsverfügung vom 26. Juni 2004 an der „J.-Schule“ in B. erhebliche Spannungen bestanden, kann angesichts der im Schriftsatz vom 27. Juli 2005 aufgeführten Vorfälle und Umstände sowie des übrigen Akteninhalts (3 Bände Personalakten der Antragstellerin) nach Ansicht der Kammer nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Über mehrere Jahre hinweg waren die Spannungen an der gen. Schule derart, dass sie - nach amtsärztlichen Untersuchungen und Unterrichtsbesuchen - letztlich in Dienstgesprächen erörtert wurden und nach geeigneten Lösungsansätzen gesucht wurde; auch wird durch die verschiedenen Vermerke und Vorgänge in den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin deutlich, dass ein Konfliktpotential besteht. Die Antragstellerin war an alledem, wie sie eingeräumt („Antragstellerin ist durchaus bereit, an einer einvernehmlichen Lösung bezüglich einer Versetzung von der J.-Schule mitzuwirken...“), auch beteiligt bzw. der Anlass und Auslöser. Das zeigt nicht zuletzt auch das in der Schule aufgetauchte Flugblatt des Elternvertreters vom April 2005 (Verwaltungsvorgänge PA Bd. II S. 373).

21

Bei dieser Sachlage, die ein dringendes dienstliches Bedürfnis zur Lösung der Konfliktsituation indiziert, kommt es entgegen der Ansicht der Antragstellerin keineswegs mehr darauf an, ob sie mit der Abordnung unter der Voraussetzung eines „Neubeginns“ einverstanden ist und die Abordnung für sie noch einen Sinn ergibt, ggf. auch andere Maßnahmen - etwa eine Abordnung in den Raum D. - geeignet sein könnten, das Konfliktverhältnis an der Schule in B. zu lösen. Denn dieses unter Einbeziehung aller dienstlichen und organisatorischen Belange zu beurteilen, ist nicht Sache der Antragstellerin, sondern allein Sache der für die schulischen Abläufe verantwortlichen Antragsgegnerin. Auf ein Einverständnis irgendwelcher Art kommt es für die verfügte Abordnung nicht an.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.