Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 26.05.2004, Az.: 8 C 714/04

Vorläufige Zulassung zum Studium der Zahnmedizin außerhalb der durch die Studienplatzzahl festgesetzten Kapazität; Erforderlichkeit der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
26.05.2004
Aktenzeichen
8 C 714/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 30644
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2004:0526.8C714.04.0A

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2005, 255-256 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Zulassung zum Studium der Zahnmedizin - Sommersemester 2004 - vorläufiges Rechtsschutzverfahren

Prozessführer

Herr A. B., C, D.

Rechtsanwälte E., F.,G.

Prozessgegner

H. -Universität I.,
vertreten durch J., K. J.

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsgebot gewährleistet jedem hochschulreifen Bewerber, gleich ob als Studienanfänger oder als sog. "Quereinsteiger", das Recht auf Zulassung zum Studium seiner Wahl. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet aber keinen Anspruch auf Wechsel des Studienortes in einem kapazitätsbeschränkten Studiengang außerhalb der zulassungsrechtlichen Vergaberegelungen.

  2. 2.

    Dem Studienortwechsel kommt grundsätzlich nicht die gleiche existenzielle Bedeutung wie der Zulassung zum Studium zu. Es ist dem Studenten deshalb in aller Regel zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

  3. 3.

    Im außerkapazitären Verfahren sind allenfalls Gründe für den Erlass einer einstweiligen Anordnung denkbar, die so gravierend sind, dass sie einen sofortigen Ortswechsel unter Umgehung des hochschulzulassungsrechtlich vorgegebenen Verfahrens an die Antragsgegnerin zur Verwirklichung des Berufswunsches dringend geboten erscheinen lassen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 8. Kammer -
am 26. Mai 2004
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist Student im Studiengang der Zahnmedizin an der Universität L. und dort im 6. Semester immatrikuliert. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 13. April 2004 beantragte er bei der Antragsgegnerin, ihn außerhalb der festgesetzten Kapazität im 5. Fachsemester, hilfsweise in einem niedrigeren Fachsemester, zum Studium der Zahnmedizin zuzulassen.

2

Mit seinem am 15. April 2004 beim Verwaltungsgericht Göttingen eingegangenen Antrag begehrt der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu seiner vorläufigen Zulassung zum Studium der Zahnmedizin außerhalb der durch die Studienplatzzahl festgesetzten Kapazität zu verpflichten. Zur Begründung führt er aus, die durch Verordnung festgesetzte Zulassungszahl von 39 Studienplätzen erschöpfe nicht die bei der Antragsgegnerin tatsächlich vorhandene Ausbildungskapazität im Studiengang Zahnmedizin. Mit der Antragsbegründung legt der Antragsteller - jeweils in Ablichtung -das Zeugnis über das Bestehen der naturwissenschaftlichen Vorprüfung sowie Bescheinigungen über die erfolgreiche Teilnahme an den in § 26 Abs. 4 der Approbationsordnung für Zahnärzte - ZAppO - vorgeschriebenen Vorlesungen und praktischen Übungen mit Ausnahme einer Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an der praktischen Übung in Biochemie (physiologisch-chemisches Praktikum) und der Bescheinigungen über die Teilnahme an den Vorlesungen in Physiologie und physiologischer Chemie vor. Außerdem legt der Antragsteller ein Schreiben des Instituts für Biochemie der Medizinischen Fakultät der Universität L. vom 28. Januar 2004 vor, in dem bescheinigt wird, dass er die Leistungen für den Erhalt des Praktikumsscheins (in Biochemie) nach zweimaliger Wiederholung nicht mit Erfolg erbracht habe und deshalb eine nochmalige Wiederholung nach § 10 Abs. 1 der Studienordnung für den Studiengang Zahnmedizin an der Universität L. (vom 13.6.1995) nicht möglich sei.

3

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn an einem vom Gericht anzuordnenden Losverfahren über die Vergabe zusätzlicher Studienplätze zum Sommersemester 2004 für das 5., eventuell 4., eventuell 3., eventuell 2., eventuell 1. Fachsemester im Studiengang Zahnmedizin, eventuell beschränkt bis zur zahnärztlichen Vorprüfung, zu beteiligen und für den Fall, dass einer der zu verlosenden Studienplätze auf ihn entfällt, ihn vorläufig zum Studium der Zahnmedizin im 5., eventuell 4., eventuell. 3., eventuell 2., eventuell 1. Fachsemester ab dem Sommersemester 2004 zuzulassen.

4

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsätzen vom 22. April und 19. Mai 2004 in den Zulassungsverfahren zum Studiengang Zahnmedizin im Sommersemester 2004 Stellung genommen und ausgeführt, dass eine dritte Wiederholungsprüfung in einem Fach gemäß den Vorschriften der ZAppO nicht möglich sei. Daher sei es auch nicht möglich, dass ein Student in I. zu einer dritten Wiederholungsprüfung zugelassen werde. Im Übrigen hat sie die Anzahl der im Sommersemester 2004 bei ihr im 1. bis 5. Fachsemester Immatrikulierten wie folgt mitgeteilt:

5

Fachsemester 1. 2. 3. 4. 5.

6

Immatrikulierte 39 40 39 39 39

7

Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Generalakten Zahnmedizin Sommersemester 2004 Bezug genommen.

8

Dem Antrag muss der Erfolg versagt bleiben.

9

Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Sowohl die Dringlichkeit der begehrten gerichtlichen Entscheidung als auch der Anspruch auf Zulassung zum Studium sind glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

10

Der Antragsteller zählt nicht zum Kreis der Studienbewerber, die entweder als Studienanfänger oder - unter Wechsel des Studiengangs - als sog. "Quereinsteiger" einen Studienplatz bei der Antragsgegnerin beansprucht und durch die kapazitätsbeschränkenden Regelungen (Numerus clausus) bisher an der Aufnahme des Studiums gehindert waren. Vielmehr ist der Antragsteller bereits im Besitz eines Studienplatzes im Studiengang Zahnmedizin an der Universität L.

11

Rechtsschutzziel des Antragsstellers ist es im vorliegenden Verfahren somit nicht, im Wege einer vorläufigen Regelung das Recht auf Zulassung zum Studium seiner Wahl zu sichern, das Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - in Verbindung mit dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsgebot jedem hochschulreifen Bewerber, gleich ob als Studienanfänger (BVerfG, Entscheidung vom 18.7.1972, BVerfGE 33, S. 303, 329 ff. = NJW 1972, S. 1561) oder als sog. "Quereinsteiger" (BVerfG, Urteil vom 13.10.1976, BVerfGE 43, S. 34, 43 [BVerfG 13.10.1976 - 1 BvR 135/75] = NJW 1976, S. 2339 [BVerfG 13.10.1976 - 1 BvR 135/75]) gewährleistet. Der Antragsteller muss folglich nicht mehr unter Berufung auf die Numerus-clausus-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geltend machen, dass sich absolute Zulassungsbeschränkungen am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren bewegen müssen und dass im Falle von Zulassungsbeschränkungen eine Auswahl zwischen "prinzipiell Gleichberechtigten" vorzunehmen ist (BVerfG, Beschluss vom 9.4.1975, BVerfGE 39, S. 258, 269 f. [BVerfG 09.04.1975 - 1 BvR 344/73][BVerfG 09.04.1975 - 1 BvR 344/73] = NJW 1975, S. 1504). Vielmehr zählt der Antragsteller als im Studiengang Zahnmedizin an der Universität L. endgültig immatrikulierter Studierender zu denjenigen, denen dieses Recht auf Teilhabe an einer kapazitätsbeschränkten Berufsausbildung bereits erfüllt worden ist. Daraus kann mit dem VGH Mannheim (Beschluss vom 23.4.1982 - 9 S 2610/81; Urteil vom 6.8.1985, VBIBW 1985, S. 421) der Schluss gezogen werden, dass Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Wechsel des Studienortes in einem kapazitätsbeschränkten Studiengang außerhalb der zulassungsrechtlichen Vergaberegelungen nicht gewährleistet (VG Hannover Beschluss vom 12.5.2004 - 6 C 1864/04 -).

12

Jedenfalls fehlt es aber an der Glaubhaftmachung, dass die von dem Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Anordnungsgrund). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass einem Studienortwechsel grundsätzlich nicht die gleiche existenzielle Bedeutung wie der Zulassung zum Studium zukommt. Es ist dem Studenten deshalb in aller Regel zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (beschließende Kammer, Beschluss vom 5.5.2003 - 8 C 6/03 - unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.8.1981, SchlHA 1981, S. 163 und OVG Bremen, Beschluss vom 28.10.1980 -1 B 39/80 -). Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass und warum er zur Vermeidung eines Rechtsverlustes auf einen sofortigen Wechsel seines Studienortes von L. nach I. unter Umgehung des dafür hochschulzulassungsrechtlich vorgesehenen Verfahrens angewiesen wäre. Allein die Tatsache, dass er einen für alle Kandidaten der zahnärztlichen Vorprüfung im Rahmen dieses Studiengangs vorgeschriebenen Leistungsnachweis in Gestalt der erfolgreichen Teilnahme am Praktikum in Biochemie an der Universität L. trotz zweimaliger Wiederholung nicht erbracht hat und dass deshalb für ihn nach § 10 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 der Studienordnung für den Studiengang Zahnmedizin an der Universität L. vom 13.6.1995 (a.a.O.) an dieser Universität keine weitere Wiederholungsmöglichkeit besteht, stellt keinen ausreichenden Anordnungsgrund für einen Wechsel von L. nach I. außerhalb der durch die Niedersächsische Verordnung über Zulassungszahlen für Studienplätze zum Wintersemester 2003/04 und zum Sommersemester 2004 vom 3.7.2003 (Nds. GVBI. S. 256), geändert durch Verordnung vom 6.1.2004 (Nds. GVBI. S. 5) - ZZ-VO 2003/2004 - festgesetzten Kapazität dar (VG Hannover, Beschluss vom 12.5.2004, a.a.O.). Im außerkapazitären Verfahren sind allenfalls Gründe für den Erlass einer einstweiligen Anordnung denkbar, die so gravierend sind, dass sie einen sofortigen Ortswechsel unter Umgehung des hochschulzulassungsrechtlich vorgegebenen Verfahrens an die Antragsgegnerin zur Verwirklichung des Berufswunsches (hier: Zahnarzt) dringend geboten erscheinen lassen. Denkbar wären insoweit Fallgestaltungen, bei denen die - auch nur vorübergehende - Fortsetzung des Studiums an einem anderen Ort und das Warten auf einen nach Maßgabe der jeweiligen Vergabe-Verordnung geregelten Studienplatzwechsel aus persönlichen oder finanziellen Gründen für den Studierenden eine besondere Härte bedeuten würde (VG Hannover, Beschluss vom 3.5.2004 - 6 C 820/04 -). Derartige besondere Gründe hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Er hat nicht einmal dargelegt, dass er grundsätzlich auf die gerichtliche Entscheidung im vorliegenden Verfahren angewiesen ist, um sein Studium der Zahnmedizin fortsetzen zu können. Weder hat er vorgetragen, dass er sich bei der Antragsgegnerin innerhalb der Bewerbungsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Vergabe von Studienplätzen durch die Hochschulen vom 11.10.2000 (Nds. GVBI. S. 267), zuletzt geändert durch Verordnung vom 29.8.2002 (Nds. GVBI. S. 374) - Hochschul-VergabeVO -um einen innerkapazitären Studienplatz im Studiengang Zahnmedizin im Sommersemester 2004 beworben und im Vergabeverfahren nach § 7 Abs. 1 des Niedersächsischen Hochschulzulassungsgesetzes - NHZG - einen abschlägigen Bescheid der Antragsgegnerin erhalten hätte. Noch hat er dargelegt, dass er auch an keiner anderen Hochschule entweder im innerkapazitären Vergabeverfahren oder im Wege des Studienplatztauschs in zumutbarer Weise einen innerkapazitären Studienplatz erhalten könnte.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

14

[...].

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

[D]ie Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

M.
N.
O.