Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.05.2004, Az.: 5 A 3/03

Dienstvergehen; Disziplinarmaßnahme; Gehaltskürzung; Polizei; Strafvereitelung; Urkundenunterdrückung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
11.05.2004
Aktenzeichen
5 A 3/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50627
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beamtin trägt der Dienstherr der Beamtin.

Gründe

1

I. Die ... geborene Beamtin ist nach Erlangen der Fachhochschulreife 1982 in den Polizeidienst des Landes Niedersachsen eingetreten. Am ....1985 wurde sie zur Kriminalhauptwachtmeisterin z. A. ernannt. Es folgte am ....1986 ihre Ernennung zur Kriminalhauptwachtmeisterin, am .....1991 ihre Beförderung zur Kriminalmeisterin und am ......1992 ihre Beförderung zur Kriminalobermeisterin. Die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte am 06.06.1988. Die Beamtin bezieht derzeit Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 8.

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Die dienstlichen Beurteilungen der Beamtin in der Zeit von 1985 bis 1996 lauteten durchweg auf „gut“. Ihre inner- und außerdienstliche Führung wurde stets als einwandfrei bewertet. Schlechter fiel nur die dienstliche (Regel-)Beurteilung vom 04.08.1998 aus, die den Beurteilungszeitraum vom 01.01.1996 bis 31.05.1998 umfasste. Die Beamtin erreichte bei sämtlichen Leistungsmerkmalen nur unterdurchschnittliche bis knapp durchschnittliche Wertungsstufen, das Gesamtergebnis lautete auf „entspricht noch den Anforderungen“ (zweitschlechteste von sechs Wertungsstufen).

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Die Beamtin ist seit dem 25.07.1986 mit dem Polizeibeamten J. C. verheiratet. Aus dieser Ehe sind drei Kinder hervorgegangen: die am ....1986 geborene K., der am ....1988 geborene L. und der am ....1998 geborene M.. In Bezug auf die Geburt von M. befand sich die Beamtin zunächst vom 28.12.1997 bis zum 18.03.1998 im Mutterschutz und sodann vom 19.03.1998 bis 20.01.2001 im Erziehungsurlaub.

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Die Beamtin war ab Januar 1992 als Sachbearbeiterin im 2. Fachkommissariat der Kriminalpolizeiinspektion N. eingesetzt und hatte Jugendschutzsachen zu bearbeiten, was ihr mit Engagement und Erfolg gelang. Infolge der Polizeireform im Jahr 1994 wurden die Kriminalinspektionen aufgelöst und die Beamtin mit Wirkung vom 01.10.1994 an das 1. Polizeikommissariat der Polizeiinspektion N. versetzt. Dort war es nicht möglich, sie im gleichen Aufgabengebiet zu beschäftigen, so dass sie - auf eigenen Wunsch - als Sachbearbeiterin im Kriminal- und Ermittlungsdienst (KED) eingesetzt wurde. Am 13.09.1994 bewarb sich die Beamtin erstmals um die Zulassung zur Ausbildung für den gehobenen Vollzugsdienst der Kriminalpolizei des Landes Niedersachsen, konnte sich in einem Teileignungsauswahlverfahren jedoch noch nicht für die Aufstiegsausbildung qualifizieren und zog deshalb mit Schreiben vom 26.08.1996 ihre Bewerbung zurück. Sie bewarb sich noch am selben Tag um Zulassung zum gehobenen Polizeivollzugsdienst und wurde mit Verfügung vom 05.11.1996 von der Bezirksregierung Braunschweig zum Aufstieg zugelassen. Nach Beendigung ihres Erziehungsurlaubes im Jahr 2001 wurde die Beamtin im 1. Polizeikommissariat N. (Kriminalpräsenz) eingesetzt.

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Ausweislich eines Beurteilungsentwurfs aus dem Jahre 2003 (Bl. 29 ff GA) hat die Beamtin ihre dienstlichen Leistungen wieder erheblich gesteigert. Das Gesamturteil lautete: „übertrifft erheblich die Anforderungen“ (Leistungsstufe 4 von 6).

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II. Wohl im Juni 1997 erhielt der Dienstvorgesetzte der Beamtin EPHK O. erstmals Hinweise auf Vorfälle, die auch Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens sind. Es war bekannt geworden, dass die Beamtin drei Ermittlungsvorgänge unter Eingabe der ADV-Kennung einer Kollegin, der Angestellten Frau P., vorzeitig „endabgegeben“ hatte. Sogenannte Endabgaben an die Staatsanwaltschaft durch die Polizei erfolgen dann, wenn der Sachbearbeiter die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen hat oder die Staatsanwaltschaft um eine Entscheidung über die noch zu tätigen Ermittlungen gebeten werden soll. Mit Eingang des Vorgangs bei der Staatsanwaltschaft erfolgt dann im Rücklauf an die Polizei die Mitteilung über das dortige Aktenzeichen. Die Endabgabe in der ADV zu vermerken, führt dazu, dass die bis dahin offenen Vorgänge nicht in der sogenannten „Restantenliste“ aufgenommen werden. In die Restantenliste werden solche Vorgänge erfasst, die nicht binnen 3 Monaten nach Beginn der Ermittlungstätigkeit und Aufnahme im Vorgangsverwaltungssystem „MIKADO“ abgeschlossen werden können. Diese Vorgänge werden dann dem jeweiligen Dienstvorgesetzten des betreffenden Sachbearbeiters vorgelegt. Die Beamtin war von ihrem Vorgesetzten auf diese Angelegenheit angesprochen worden und hatte den dargestellten Sachverhalt ohne Umschweife eingeräumt. Sie gab zur Erklärung an, sie habe vermeiden wollen, erneut mit offenen Vorgängen in der Restantenliste genannt zu werden, da sie die Anmahnungen offener Vorgänge als ausgesprochen unangenehm empfände. Sie habe sich deshalb in den offiziellen Restantenlisten „ein freies Konto“ schaffen wollen, nicht aber die Absicht gehabt, die Vorgänge unbearbeitet oder gar verschwinden zu lassen. Zeitlich dringende Aufgaben in diesen Ermittlungsfällen habe sie ohnehin vorgenommen gehabt. Sie habe diese Vorgänge auch über einen Wiedereingang später zu Ende bearbeiten wollen. Die Beamtin räumte weiter ein, wohl zu unorganisiert bei der Abarbeitung der Vorgänge vorgegangen zu sein. Sie hätte Probleme damit, eine Sache konsequent in einem Zuge abzuarbeiten. Die Beamtin wurde wegen dieser Vorfälle von dem Leiter des Ersten Polizeikommissariats, Polizeirat Q., eindringlich verwarnt und darauf hingewiesen, für den Fall weiterer Beanstandungen mit der Einleitung disziplinarer Vorermittlungen rechnen zu müssen. Auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation der Beamtin, sie sei „ungewollt schwanger“ gewesen und habe „aus diesem Grund einige Probleme im persönlichen Bereich“ gehabt, erschien Polizeirat Q. eine besondere Pflichtenmahnung unterhalb der Einleitung disziplinarer Maßnahmen noch möglich, zumal hinreichende Verdachtsmomente für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt nach seiner Auffassung nicht vorgelegen hätten. Die Beamtin war in der Folgezeit zunächst arbeitsunfähig erkrankt und trat dann nach Ablauf der Mutterschutzfrist ihren Erziehungsurlaub an.

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Anfang Juni 1998 wurde den Dienstvorgesetzten der Beamtin bekannt, dass die Beamtin weitere Fälle ohne Bearbeitung im Mikadosystem ausgetragen, also endabgegeben hatte; dies ist Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens.

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Mit Verfügung vom 29.03.1999 leitete der Direktor bei der Polizei im Regierungsbezirk Braunschweig Vorermittlungen gegen die Beamtin gemäß § 26 NDO ein, setzte aber das Disziplinarverfahren gemäß § 70 Abs. 1 NDO bis zum Abschluss des wegen der gleichen Vorfälle anhängigen Strafverfahrens aus.

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Die Beamtin hat sich im Strafverfahren dahingehend eingelassen, dass sie sich an die Vorgänge nicht mehr erinnern. Sie wisse auch nicht mehr, ob sie jemals eine Akte bezüglich der Vorgänge in den Händen gehalten habe. Ferner habe sie keine Erinnerung daran, eine Endabgabeverfügung an die Staatsanwaltschaft Göttingen vorgenommen zu haben. Da sie weder die Beschuldigten noch die Geschädigten in den ihr vorgehaltenen Verfahren kenne, hätte sie nicht das geringste Interesse daran gehabt, die Akten „verschwinden“ zu lassen. Nicht erklärlich sei ihr auch, dass die „Anfragen der Verteidigung“ (richtig: Akteneinsichtsgesuch des R.) vor der Endabgabe an die Staatsanwaltschaft keinerlei Berücksichtigung gefunden hätten.

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Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen vom 14.07.1999 (Cs 13 Js 29961/98-536/99) wurde die Beamtin beschuldigt, in N. im Dezember 1996 und danach durch sieben Straftaten durch dieselbe Handlung versuchte Strafvereitelung, Urkundenunterdrückung und Vollstreckungsbruch begangen zu haben. Vom Amtsgericht wurde gegen sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten, die zur Bewährung für 2 Jahre ausgesetzt wurde, verhängt. Seit dem 31.07.1999 ist der Strafbefehl rechtskräftig.

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Am 16.11.1999 wurde die Beamtin zur beabsichtigten Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens mündlich angehört. Im Wesentlichen erklärte die Beamtin, dass sich zum Zeitpunkt der Vorfälle ihr Ehemann in der Aufstiegsausbildung zum gehobenen Dienst befunden habe. Sie habe ihn bei eigenen Problemen damals nicht ansprechen können und wollen, weil er sich auf seine Prüfungen hätte vorbereiten müssen und mit seiner Ausbildung selbst belastet gewesen sei. So habe sie mit ihren zwei Kindern, dem Haushalt und dem Beruf allein dagestanden und sei irgendwann mit der psychischen Belastung nicht mehr fertig geworden. Sie sei in dieser Zeit auch häufig erkrankt gewesen, u. a. Tinitus durch Stress. Ein weiterer Auslöser sei ihre Umsetzung im Rahmen der Polizeireform und die Herausnahme aus ihrem bisherigen Arbeitsfeld, in dem sie sich sehr wohl gefühlt hätte, gewesen. Mit den neuen Kollegen sei kein Informationsaustausch möglich gewesen, sie habe sich allein gelassen und abgeschoben gefühlt. Zwischen ihr und ihrem unmittelbaren Dienstvorgesetzten, EPHK O., habe kein Vertrauensverhältnis bestanden. Herr O. habe geäußert, Probleme gäbe es immer nur mit Kriminalbeamten, deshalb habe sie sich vor ihm keine Blöße geben wollen. Sie habe in ihrer Hilflosigkeit dann einfach abgeschaltet und die ganzen Vorgänge verdrängt, deshalb könne sie sich an Einzelheiten kaum noch erinnern. Sie habe nicht bewusst geplant, Vorgänge verschwinden lassen, es sei vielmehr geschehen, als die Abgabefrist fast abgelaufen sei. Da habe sie panisch reagiert. Sie habe Angst gehabt, als Versagerin dazustehen. Dass sie das Passwort der Kollegin P. wusste, sei sowohl ihrer Kollegin als auch ihrem Vorgesetzten bekannt gewesen. Sie habe einmal sogar mit seiner Billigung eine Umtragung von Vorgängen mit Hilfe des Passwortes der Frau P. vorgenommen.

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Mit Verfügung 15.12.1999 wurde gemäß §§ 34 und 36 Abs. 2 NDO das förmliche Disziplinarverfahren gegen die Beamtin eingeleitet. Unter Hinweis auf den rechtskräftigen Strafbefehl wurde ihr vorgehalten, ein Dienstvergehen gemäß § 85 NBG begangen zu haben.

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III. Mit Anschuldigungsschrift vom 16.06.2003, eingegangen bei Gericht am 18.06.2003, schuldigt der Vertreter der Einleitungsbehörde die Beamtin an, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass sie sich nicht mit voller Hingabe ihrem Beruf gewidmet, ihr Amt nicht uneigennützig nach bestem Wissen und Gewissen verwaltet und ihr Verhalten innerhalb des Dienstes nicht so eingerichtet habe, dass es der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die ihr Beruf erfordere (§ 62 NBG), indem sie zwischen Dezember 1996 und April 1997 Vorgänge nicht oder nicht rechtzeitig bearbeitet bzw. dem Geschäftsgang durch eine EDV-Manipulation entzogen habe. Ferner habe sie die allgemeinen Richtlinien nicht befolgt sowie ihre Aufgaben nicht im vertrauensvollen Zusammenwirken mit ihrem Vorgesetzten erfüllt und ihre Vorgesetzten auch nicht im erforderlichen Umfang unterrichtet (§ 63 NBG), indem sie Ermittlungsvorgänge entgegen bestehender Regelungen nicht oder nicht rechtzeitig bearbeitet, nicht unverzüglich an die Staatsanwaltschaft abgegeben sowie bei unverhältnismäßig lange Bearbeitungsdauer der Vorgänge ihre Vorgesetzten nicht darüber informiert habe.

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Der Vertreter der Einleitungsbehörde stellt den Antrag,

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gegen die Beamtin eine Gehaltskürzung für die Dauer eines Jahres in Höhe von 10% zu verhängen.

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Die Beamtin stellt keinen Antrag.

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Sie könne sich an die ihr zur Last gelegten Vorgänge nicht mehr erinnern, wolle aber die ihr vorgeworfenen Verfehlungen nicht beschönigen und bestreiten. Sie räume ein, dass das, was mit dem Strafbefehl geahndet worden sei, so gewesen sein müsse. Seit dem Dienstvergehen seien jetzt mehr als 6 Jahre verstrichen. Sie habe sich seit dieser Zeit wieder voll und uneingeschränkt im Dienst bewährt.

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IV. Die Disziplinarkammer hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 11.05.2004 folgende Feststellungen getroffen:

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Der Rechtsanwalt R. aus N. hatte ein Akteneinsichtsgesuch in der Ermittlungssache 1996116155 in Erinnerung gebracht. Nachforschungen des EPHK O. ergaben sodann, dass dieses Verfahren der Beamtin als Sachbearbeiterin zugewiesen worden war, es jedoch bereits am 28.02.1997 im System MIKADO endabgegeben worden war (es hätte am 01.03.1997 als Restant gemeldet werden müssen). Im Hinblick auf die Vorfälle im Juni 1997 hatte EPHK S. die Beamtin in Verdacht, den Ermittlungsvorgang unterdrückt zu haben, zumal eine „Akte aus Papier“ nicht aufgefunden werden konnte und im „MIKADO“-System keine Ermittlungstätigkeiten dokumentiert waren. Daraufhin erstattete EPHK O. von Amts wegen Strafanzeige gegen die Beamtin wegen Strafvereitelung im Amt. Anfang des Jahres 1999 erschien der Vater eines Jugendlichen im 1. Polizeikommissariat N. und bat um Herausgabe eines im November 1996 sichergestellten Messers. Die für diesen Ermittlungsvorgang zuständige Sachbearbeiterin war die Beamtin. Auch dieser Vorgang war laut Eintragung im „MIKADO“-System bereits am 27.02.1997 endabgegeben, obwohl keinerlei Ermittlungstätigkeiten vorgenommen worden waren. Eine schriftliche Akte war weder im Original noch als Duplikat aufzufinden. Aufgrund dessen wurden sämtliche von der Beamtin in der Zeit vom 01.07.1994 bis zum 30.06.1997 bearbeiteten Fälle (ca. 300) anhand der Dokumentation im „MIKADO“-System darauf untersucht, ob die Sachbearbeitung ordnungsgemäß durchgeführt worden war. Diese Ermittlungen ergaben, dass dies bei fünf weiteren Verfahren dies nicht zutraf. Es handelte sich um die Vorgangsnummern 1996112064 (Körperverletzung vom 15.09.1996, Endabgabe ab 13.12.1996), Nr. 1996113283 (Diebstahl am 09.10.1996, Endabgabe am 10.01.1997), Nr. 1996113322 (Diebstahl am 10.10.1996, Endabgabe am 10.01.1997), Nr. 1996116169 (Sachbeschädigung am 1.12.1996; Endabgabe am 28.02.1997) und Nr. 1997100959 (Diebstahl am 22.01.1997, Endabgabe am 25.04.1997). Zu den vorgenannten Fällen waren keinerlei schriftliche Aufzeichnungen mehr vorzufinden.

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V. Das Disziplinarverfahren ist gemäß § 75 Abs. 3 i.V.m. § 63 Abs. 1 Nr. 1 NDO einzustellen.

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Zwar hat die Beamtin gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 NBG durch die (unter IV. festgestellten Tatsachen) ein Dienstvergehen begangen, denn sie hat rechtswidrig und schuldhaft ihr obliegende Pflichten verletzt. Doch führt diese Feststellung nicht zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme, denn dem steht die Verjährungsvorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 NDO entgegen. Hiernach darf eine Disziplinarmaßnahme dann nicht mehr verhängt werden, wenn seit einem Dienstvergehen, das höchstens eine Gehaltskürzung rechtfertigen würde, mehr als drei Jahre verstrichen sind. Ein solcher Fall ist hier gegeben.

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Die Beamtin hat eine Dienstpflichtverletzung begangen, für die eine Gehaltskürzung (§ 9 NDO) die angemessene Disziplinarmaßnahme wäre. Als Polizistin hat sie Strafverfolgungsmaßnahmen nach Recht und Gesetz durchzuführen. Das Nichtbearbeiten von Strafanzeigen und das Unterdrücken entsprechenden Aktenmaterials lässt sich aber mit einer Verwaltung des Amtes nach bestem Wissen und Gewissen nicht vereinbaren. Indem sie Strafvereitelungen, selbst also eine Straftat begangen hat, hat sie somit gegen ihre Dienstpflichten nach § 62 S. 2 und 3 NBG verstoßen. Ihr (innerdienstliches) Verhalten in den unter IV. dargestellten 7 Fällen ist nicht der Achtung gerecht geworden, die der Beruf einer Polizeibeamtin erfordert. Der Bürger erwartet von der Polizei, dass Vergehen und Verbrechen mit Engagement und Einsatz aufgeklärt werden. Wenn aber - wie dies hier geschehen ist eine Polizeibeamtin, aus welchen Gründen auch immer, Straftaten quasi „vertuscht“, so hat leidet darunter nicht nur das Ansehen der Polizei, es hat auch für die Entwicklung des Rechtsbewusstseins in der Bevölkerung negative Auswirkungen.

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Indem sie ihr Verhalten, gerade vor dem Hintergrund einer Überlastung aus privaten und beruflichen Gründen, nicht ihren Vorgesetzten offenbarte, hat sie ferner gegen § 63 S. 1 und S. 2 NBG verstoßen, denn Beamten haben ihre Aufgaben im vertrauensvollen Zusammenwirken mit ihren Vorgesetzten zu erfüllen und sich gegenseitig im erforderlichen Umfang zu unterrichten.

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Die Endabgabe im „MIKADO“-System unter Benutzung eines fremden Passwortes stellt schließlich einen Verstoß gegen Anordnungen und allgemeine Richtlinien im Sinne von § 3 S. 3 NBG dar. Gleiches gilt im Hinblick auf § 163 StPO, denn die Beamtin war verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung von angezeigten Straftaten einzuleiten.

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Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind weder erkennbar noch vorgetragen. Die Disziplinarkammer hat keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Beamtin aus psychischen oder physischen Gründen zur Zeit der Begehung des Dienstvergehens nicht in der Lage war, die Tragweite ihres Handelns voll zu überblicken. Auch für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit gibt es keinerlei tragfähigen Anhaltspunkte; die vorgelegten Atteste über zeitweilige Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang unergiebig.

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VI. Ist nach alledem von einem Dienstvergehen der Beamtin auszugehen, müsste die Kammer grundsätzlich eine Disziplinarmaßnahme verhängen. Die Kammer ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 NDO eine Gehaltskürzung im Umfang, wie ihn der Vertreter der Einleitungsbehörde in der Hauptverhandlung beantragt hat, geboten wäre.

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Für die von der Beamtin begangenen Verfehlungen, die im Rahmen einer Gesamtbewertung einheitlich zu würdigen sind und ein Dienstvergehen darstellen, gibt es hinsichtlich der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme keine Regelrechtsprechung. Welche Disziplinarmaßnahme das Fehlverhalten der Beamtin zur Folge haben muss, richtet sich somit nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.1991 - 1 D 91.90 - Dok.Ber. P 1993, 245). Zugunsten der Beamtin liegen einige nicht unerhebliche Milderungsgründe vor. So ist mildernd zu berücksichtigen, dass die Beamtin - wie auch in der Anschuldigungsschrift vom Vertreter der Einleitungsbehörde deutlich herausgestellt wird - durch vielfältige Belastungen im privaten Umfeld einem ungewöhnlich hohen Stresspegel ausgesetzt war, aufgrund dessen sie sich letztlich zu dem Dienstvergehen hat hinreißen lassen. Offensichtlich war sie zwischen 1996 und 1997 psychisch nicht in der Lage, den Anforderungen ihres Berufes hinreichend gerecht zu werden.

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Der Doppelbelastung von polizeilicher Arbeit und Versorgung der Kinder bzw. Führung des Haushaltes war sie damals nicht mehr gewachsen. Dass das Fehlverhalten der Beamtin zeitlich klar eingrenzbar ist und weder in der Zeit zuvor noch in der Zeit nach ihrem Erziehungsurlaub irgendwelche Beanstandungen auftraten, macht für die Kammer deutlich, dass es sich bei den Dienstpflichtverletzungen nicht um eine „geistige Fehlhaltung“ der Beamtin, die auf Dauer angelegt ist und die eine einschneidendere Maßnahme als eine Gehaltskürzung gebieten würde, handelt, sondern um Ereignisse in einem abgeschlossenen Lebensabschnitt, die sich - prognostisch betrachtet - aller Voraussicht nach nicht wiederholen werden. Als Milderungsgrund kommt hinzu, dass die Beamtin ihr Fehlverhalten nicht beschönigt und sowohl im Strafverfahren als auch im disziplinargerichtlichen Verfahren glaubhaft erklärt hat, dass sie ihr Verhalten sehr bedauere (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: OVG Lüneburg, Urteil vom 18.03.2003 - 2 NDH L 2590/01 - n.v.). Mildernd ist ferner zu berücksichtigen, dass die Beamtin - von der den Gegenstand dieses Verfahren bildenden Verurteilung abgesehen - weder zuvor noch danach sich irgendetwas hat zu Schulden kommen lassen und dass zuvor noch keine Disziplinarmaßnahmen gegen sie verhängt worden sind. Schließlich stellt die Kammer entscheidend darauf ab, dass als weiterer Milderungsgrund zu berücksichtigen ist, dass sich die Beamtin seit Rückkehr aus ihrem Erziehungsurlaub, mithin seit über 3 Jahren, nicht nur beanstandungsfrei ihren polizeilichen Aufgaben widmete, sondern Leistungen erzielt hat, die als deutlich über dem Durchschnitt liegend beurteilt wurden. Die Beamtin hat also bewiesen, dass sie den Erwartungen, die ihr Dienstherr an sie stellt, wieder im vollen Umfange gerecht wird. Damit hat sie an die Anfang der 90er Jahre bereits gezeigten guten Leistungen quasi nahtlos angeknüpft. Dies rechtfertigt die Erwartung der Kammer - die im Übrigen vom Vertreter der Einleitungsbehörde geteilt wird -, dass die Beamtin zukünftig die sich aus dem Beamtenverhältnis ergebenen Pflichten uneingeschränkt erfüllen wird. Dann aber ist die Annahme gerechtfertigt, dass das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamtin alsbald wiederhergestellt werden kann. Da ein Ansehensverlust der Polizei in der Bevölkerung durch das Dienstvergehen - insbesondere wegen der umsichtigen Bearbeitung durch die Staatsanwaltschaft - nicht befürchtet werden braucht und auch die durch das Vergehen gestörte dienstliche Ordnung wiederhergestellt ist, lässt es sich rechtfertigen, die Beamtin nicht nur als weiter tragbar für den öffentlichen Dienst anzusehen, sondern auch von der Möglichkeit, sie in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt (§10 NDO) zu versetzen, keinen Gebrauch zu machen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass durch das Dienstvergehen das zwischen der Beamtin und dem Dienstherrn bestehende Vertrauensverhältnis erheblich beeinträchtig wurde und die dienstrechtlichen Konsequenzen, die der Beamtin auferlegt werden, in der Kollegenschaft aufmerksam beobachtet werden.

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Die Verhängung einer - an sich gebotenen - Gehaltskürzung nach § 9 NDO scheitert jedoch an der Verjährungsvorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 NDO, da im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer - selbst unter Berücksichtigung der Verjährungshemmung während des Strafverfahrens - fast 7 Jahre, also weit mehr als die die Verjährung auslösenden 3 Jahre seit dem Dienstvergehen verstrichen sind. Dies bedarf keiner weiteren Erläuterung.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 116 Abs. 1, 115 Abs. 1 S. 1 NDO. Gemäß § 111 Abs. 1 NDO werden Gerichtsgebühren nicht erhoben.