Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 08.12.2010, Az.: 11 A 3043/09
Waffenschein; Waffenhändler; Waffe; Führen; Bedürfnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 08.12.2010
- Aktenzeichen
- 11 A 3043/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 48025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs 2 WaffG
- § 19 Abs 1 WaffG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Waffenhändler ist bei berufsbedingt notwendigen Waffentransporten nicht notwendig wesentlich mehr als die Allgemeinheit gefährdet (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG).
Bei typischerweise überraschenden Überfällen ist eine Schusswaffe regelmäßig nicht geeignet, die Gefährdung zu vermindern (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG).
Tatbestand:
Der Kläger ist Betriebsleiter eines Waffengeschäfts in Aurich, Ortsteil O. (" "), dessen Inhaberin seine Ehefrau B. ist.
Der Kläger ist Inhaber einer Waffenhandelserlaubnis, einer Waffenbesitzkarte und eines Jagdscheines. Ferner wurde ihm von der Beklagten ein zuletzt bis zum 20. März 2009 gültiger Waffenschein für zwei Pistolen für Waffentransporte im Rahmen der Berufsausübung erteilt.
Am 6./27. März 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Verlängerung des Waffenscheines mit drei Waffen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Er sei als Waffenhändler wesentlich mehr als die Allgemeinheit gefährdet. Waffen seien für Terroristen oder unpolitische Täter begehrenswert, etwa für Geiselnahmen. Sein eigenes Waffenlager habe er gut abgesichert. Anders sei es bei der Beförderung der Waffen von oder zu Großhändlern bzw. Importeuren, der Post, dem Zoll, Messen, Jägern, Sportschützen und Waffensammlern. Er führe die Waffen bei Schießständen, Hegeringen und Schützenvereinen vor. Die Transporte erfolgen oft in der Dunkelheit. Kriminelle hätten so die Möglichkeit, ihn auszuspähen und genug Gelegenheiten ihn zu überfallen. Die Gefahrsituationen könnten nach der Rechtsprechung nur dann vermieden werden, wenn er sich mit einer Waffe ausstatte und notfalls mit ihr verteidigen könne. Die Überfalltäter rechneten auch damit, dass Waffenhändler bewaffnet seien, so dass auch eine vorbeugende Wirkung eintrete. Ohne Waffe könne er zudem sogar gezwungen werden, den Schlüssel für sein Geschäft herauszugeben.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2009 lehnte die Beklagte die Erteilung des Waffenscheines ab. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden: Es bestehe kein Bedürfnis zum Führen einer Waffe. Es sei bereits fraglich, ob der Kläger mehr als die Allgemeinheit gefährdet werde (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG). Es gelte insoweit ein strenger Maßstab, da möglichst wenige Waffen unter die Bevölkerung sollten. Der Warenwert der Waffen sei nicht besonders hoch. Die Gefahren seien für die Kläger bei einem Überfall sogar geringer, wenn er keine bewaffnete Gegenwehr leisten könne. Jedenfalls sei das Führen der Waffen nicht geeignet und erforderlich die Gefährdung zu mindern (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Ein Überfall wäre nur unter Ausnutzung eines Überraschungsmoments möglich. Auch könne der Kläger zunächst zumutbare Änderungen im eigenen Verhalten vornehmen bzw. zumutbare Sicherheitsvorkehrungen treffen. Er könne etwa die Waffen in verschlossenen Behältnissen unterbringen und gegen Entwendung zusätzlich sichern. Er könne zudem alles unterlassen, was auf einen Waffentransport aufmerksam mache, etwa Werbeaufdrucke. Auch könne er eine Begleitperson mitnehmen. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er selbst in der Vergangenheit bei Waffentransporten besonders gefährdet gewesen sei. Eine Anfrage bei der Polizei habe nichts Gegenteiliges ergeben.
Am 20. November 2009 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt im Wesentlichen vor: Er sei wesentlich mehr als die Allgemeinheit gefährdet. Er transportiere eine Vielzahl von Waffen und Munition. Er suche Schießstände im Umkreis von etwa 50 km regelmäßig auf, um dort Waffen einzuschießen oder zu kontrollieren. Vier bis fünf Mal im Jahr sei er auch bei einem Schützenverein (" ") in F. nahe G.. Er habe dabei jeweils fünf bis zehn Waffen bei sich. Außerdem transportiere er Waffen von und zu bundesweiten Ausstellungen wie der Waffenmesse in Kassel und der Händlermesse in Nürnberg. Von Nürnberg aus bringe er manchmal bis zu 20 Waffen mit. Der Warenwert der Waffen betrage durchschnittlich 10.000,00 Euro, teilweise habe er Waffen im Wert von bis zu 30.000,00 Euro bei sich. Noch gewichtiger sei jedoch, dass Waffen und Munition nicht von jedermann erworben werden könnten. Daher bestehe ein erhebliches Interesse krimineller Banden, die ihn ausspähen könnten. Die Schießstände befänden sich auch oft außerhalb der zusammenhängenden Bebauung in Waldstücken. Er könne ohne die Waffen nicht einmal auf den einfachsten Angriff etwa mit Messern reagieren. Das Tragen der Waffe diene zudem auch der Abschreckung von potentiellen Tätern. Er könne den Überfall auf sein Fahrzeug mit der Waffe abwehren, auch wenn ein solcher überraschend käme. Deshalb seien etwa auch Fahrer von Geldtransporten mit Waffen ausgestattet. Die Betriebsabläufe könne er nicht ändern. Es gebe feste Zeiten, in denen er die Schießstände anfahren müsse. Diese würden im Internet bekannt gemacht. Zu den Schießständen führe meist nur eine Straße. Es sei unzutreffend, dass Personen, die sich nicht wehren könnten, nichts angetan werde. Er müsse mindestens einen Waffenschein für die Hin- und Rückfahrt von den Geschäftsräumen bis nach G. und zu den Waffenmessen in Kassel und Nürnberg bekommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm einen Waffenschein gemäß seinem Antrag vom 6./27. März 2009 zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen: Es sei nicht belegt, dass der Kläger wesentlich mehr als die Allgemeinheit gefährdet sei. Der Wert der Waffen sei nicht ausreichend, um eine besondere Gefahr anzunehmen. Eine abschreckende Wirkung einer Waffe sei nicht erkennbar. Man gehe davon aus, dass der Kläger ein neutrales Fahrzeug ohne Hinweis auf den Waffenhandel nutze. Er habe auch dafür zu sorgen, dass Bekanntmachungen nicht über das Internet erfolgten. Er müsse zudem Maßnahmen des passiven Schutzes ergreifen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass gegen ihn Straftaten in Verbindung mit dem Waffentransport begangen werden sollten. Aus der vorgelegten Bescheinigung des Landratsamtes G.- gehe hervor, dass er in dessen Zuständigkeitsbereich seit 2006 lediglich einen Waffenverkauf getätigt habe. Auch aus der Bescheinigung der Schützengesellschaft " " in F. gehe nicht hervor, dass er dort ständig Waffen vorführe.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm der beantragte Waffenschein, welcher zum Führen einer Waffe berechtigen würde (§ 10 Abs. 4 WaffG), erteilt wird.
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4 WaffG setzt die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis ein Bedürfnis voraus, welches allgemein in § 8 WaffG geregelt und in § 19 WaffG für sog. gefährdete Personen näher konkretisiert ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Februar 2010 - 11 LB 234/09 - Nds. VBl. 2010, 208).
Nach § 19 Abs. 1 WaffG ist für den Erwerb und Besitz einer Waffe erforderlich, dass (1.) der Betroffene wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben gefährdet ist und (2.) der Erwerb der Schusswaffe und der Munition geeignet und erforderlich ist, die Gefährdung zu vermindern. Gemäß § 19 Abs. 2 WaffG muss für einen Waffenschein glaubhaft gemacht werden, dass die Voraussetzungen des Abs. 1 auch außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums vorliegen. Für das Führen einer Waffe gelten besonders strenge Maßstäbe, denn Schusswaffen, die außerhalb des Besitztums geführt werden, können leichter abhanden kommen oder in die Hand Unberechtigter gelangen. Außerdem sind die Verteidigungsmöglichkeiten schlechter (OVG Lüneburg, a.a.O., S. 209; BT-Drs. 14/7758, S. 66; Steindorf, WaffG, 8. Auflage, 2007, Rn. 15 zu § 19). Die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird in erster Linie durch die Polizei geschützt; für die Verteidigung der Rechtsordnung mit Waffengewalt hat der Staat grds. das Monopol (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. März 2008 - 6 B 11.08 - <juris, Rn. 12>).
Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG sind unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe, die nach allgemeiner Lebenserfahrung in erhöhtem Maße der Gefahr von Überfällen ausgesetzt ist, ist zu berücksichtigen, aber allein nicht ausschlaggebend (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.). Zu beachten ist auch, ob sich die Gefährdung auf zumutbare andere Weise verhindern bzw. maßgeblich verringern lässt (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.; OVG Koblenz, Beschluss vom 15. September 2008 - 7 A 10475/08 - <juris, Rn.5>).
Einem Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 30. April 2009 (- 5 K 147/08.DA (3) - juris, Rn. 35) lässt sich entnehmen, dass nach einer amtlichen Auskunft des Bundeskriminalamtes vom 10. Februar 2009 in den vorausgegangenen fünf Jahren im Rahmen des Waffen- und Sprengstoffmeldedienstes nicht bekannt geworden ist, dass einem Waffenhändler oder einem Waffentransporteur Schusswaffen geraubt worden sind. Es sei daher keine belastbare Aussage möglich, dass Waffenhändler mehr als die Allgemeinheit gefährdet sind. Der Umstand, dass Waffen für Kriminelle potentiell interessant sind, weil diese legal nicht ohne Weiteres erworben werden können, ist also offenbar nicht wesentlich Gefahr erhöhend. Nach Einschätzung des Gerichts wird sich der angesprochene Personenkreis auch eher auf andere - unspektakulärere Weise - illegal Waffen beschaffen. Dem Gericht ist auch sonst - etwa durch Presseveröffentlichungen - eine gehäufte Zahl von Überfällen auf Waffenhändler nicht bekannt geworden. Nach einer Auskunft der Polizeiinspektion A. vom 18. August 2009 bestehen im konkreten Falle des Klägers auch keine Anhaltspunkte, dass er bei Waffentransporten besonders gefährdet sei. Der Kläger selbst hat keine auch nur annähernd konkreten individuellen Gefahrenlagen vorgetragen. Er konnte sie auch auf ausdrückliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht benennen. Er hat im Gegenteil angegeben, dass er während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Waffenhändler im Zusammenhang mit Waffentransporten noch in keine Situation gelangt sei, in der der Einsatz einer Waffe erforderlich gewesen wäre.
Auch sonst sind keine wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalles festzustellen. Soweit der Kläger vorträgt, dass er zu eher abgelegenen Schießständen gelangen müsste, hat er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er die Gefahr durch das neutrale Aussehen seines Fahrzeugs insbesondere fehlende Werbeaufdrucke bereits vermindert hat. Es erscheint dem Gericht auch nicht erforderlich, dass er die Vorführtermine bei Schützenvereinen im Internet bekannt gibt, sondern dies kann auch auf andere geeignete Weise erfolgen (OVG Koblenz, a.a.O.). Auch ist nicht erkennbar, dass die dortigen Termine zwingend nach einer exakten Regelmäßigkeit bestimmt werden müssen (vgl. a.a.O.).
Soweit der Kläger außerhalb Ostfrieslands in der Nähe von G. tätig ist, vermag das Gericht eine besondere Gefährdung ebenfalls nicht zu erkennen. Seine dortigen Geschäftstätigkeiten scheinen derzeit auch eher weniger stark ausgeprägt zu sein, da er dort in den Jahren 2007 und 2008 gar keine und in den Jahren 2009 und 2010 lediglich jeweils eine Schusswaffe verkauft hat. Soweit der Kläger von besonderen Gefährdungen bei Messen ausgeht, können diese durch Sicherheitsdienste geschützt werden.
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung fehlt es auch an der Eignung der Schusswaffen, etwaige Gefährdungen zu vermindern (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Es ist davon auszugehen, dass der Betroffene bei typischerweise überraschenden Überfällen ohnehin in den weitaus überwiegenden Situationen nicht in der Lage sein wird, sich mit Schusswaffen zur Wehr zu setzen, auch wenn die Täter selbst keine Schusswaffen verwenden (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O., S. 210; OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2008 - 20 A 321/07 - <juris, Rn. 34>; VGH Mannheim, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 1 S 202/09 - <juris, Rn. 25>). Der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof (a.a.O.) hat hierzu ausgeführt, dass nach Angaben der dortigen Landespolizeidirektion deshalb selbst Wachmänner in gepanzerten Transportfahrzeugen zum größten Teil nicht mehr bewaffnet seien; man wolle so zudem einem "harten" Übergriff zuvorkommen und den Gebrauch von Schusswaffen im öffentlichen Raum möglichst vermeiden.
Aus der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sind dementsprechend nur Entscheidungen veröffentlicht worden, die ein Bedürfnis für Waffenhändler zum Führen von Waffen verneinen (vgl. OVG Koblenz, a.a.O.; VG Darmstadt, Urteil vom 30. Juni 2010 - 5 K 162.09.DA (3) - <juris>; Urteil vom 30. April 2009 a.a.O.; Beschluss vom 21. Mai 2008 - 5 L 201/08.DA (3) - <juris>; VG Ansbach, Urteil vom 6. Dezember 2006 - AN 15 K 06.01708 - <juris>).
Dass der Kläger seit langem einen Waffenschein besessen hat, vermag eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen, da vor jeder Wiedererteilung eine umfassende Neuprüfung der Erteilungsvoraussetzungen zu erfolgen hat, mithin ein Bestandsschutz nicht besteht (vgl. Steindorf a.a.O., Rn. 12 c zu § 10 m.w.N.). Ein irgendwie geartetes Misstrauen die Zuverlässigkeit des Klägers betreffend ist - wie das Gericht besonders hervorhebt - mit der von der bisherigen Genehmigungspraxis abweichenden Beurteilung nicht verbunden.