Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 13.12.2010, Az.: 11 A 249/10

Einbürgerung, in Deutschland geborener Kinder; Einbürgerung, Europäisches Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit; Einbürgerung, Wohl des Kindes; Einbürgerung, EMRK; Einbürgerung, Minderjärhige und Lebensunterhaltssicherung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.12.2010
Aktenzeichen
11 A 249/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 48026
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Einen Ausländer kurz vor Ablauf der Geltungsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis einzubürgern, obwohl sich abzeichnet, dass diese nicht verlängert werden kann, wäre ermessensfehlerhaft.
2. Es ist keine nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotene Diskriminierung wegen der Abstammung, wenn bei Minderjährigen für eine Einbürgerung nach § 8 StAG auf die Lebensunterhaltssicherung durch die Eltern abgestellt wird.
3. Aus Art. 6 Abs,. 4 lit. e) des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit kann kein subjektiver Einbürgerungsanspruch für in Deutschland geborene Kinder abgeleitet werden.
4. Auch aus dem Schutz des Kinderswohl nach Art. 24 Abs. 2 EU-GrCH und Art. 3 der UN-Kinderechtskonvention folgt kein unmittelbarer Einbürgerungsanspruch.
5. Aus Art. 8 EMRK kann nur unter besonderen Umständen ein Einbürgerungsanspruch folgen.
6. Das Völkergewohnheitsrecht gebietet es nicht, in Deutschland geborene Kinder ohne Weiteres einzubürgern.

Tatbestand:

Die Klägerinnen wurden am 7. Juni 2001, 27. Juni 2004 und 3. März 2008 in Deutschland geboren. Ihre Eltern stammen aus dem Kosovo, von wo sie 1997 mit der ältesten Schwester der Klägerinnen nach Deutschland einreisten. Die Asylanträge der Eltern, der ältesten Schwester und der Klägerinnen zu 1. und 2. blieben erfolglos. Der Asylantrag der Klägerin zu 3. wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt; das hiergegen gerichtete Klageverfahren ist derzeit bei der 5. Kammer des erkennenden Gerichts anhängig (5 A 2100/10). Nachdem sie im Anschluss an ihre Asylverfahren zunächst geduldet worden waren, erhielten die Klägerinnen, ihre Mutter und ihre älteste Schwester am 18. April 2008 Aufenthaltserlaubnisse nach § 104a AufenthG bis zum 31. Dezember 2009. Am 22. Dezember 2009 verlängerte der Beklagte diese Aufenthaltserlaubnisse kurzfristig bis zum 31. Januar 2010, da er der Ansicht war, bis zum regulären Ablauf der Geltungsdauer nicht abschließend über eine Verlängerung entscheiden zu können. Mit Bescheid vom 11. Februar 2010 lehnte er die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Familie ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichere und noch nicht einmal Bemühungen darum nachgewiesen habe. Hiergegen haben die Klägerinnen, ihre Mutter und ihre älteste Schwester am 12. März 2010 Klagen beim erkennenden Gericht erhoben (11 A 819/10, 11 A 821/10, 11 A 823/10, 11 A 825/10 und 11 A 827/10). In der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2010 verpflichtete sich der Beklagte im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs, der ältesten Schwester der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Die übrigen Klagen hat das Gericht mit Urteilen vom heutigen Tage abgewiesen.

Bereits am 12. August 2009 hatten die Klägerinnen beim Beklagten außerdem ihre Einbürgerung beantragt. Sie beriefen sich dabei im Wesentlichen auf Art. 6 Abs. 4 lit. e) des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit (BGBl. 2004 II 578 ff.). Diese Vorschrift lautet:

"Jeder Vertragsstaat erleichtert in seinem innerstaatlichen Recht folgenden Personen den Erwerb seiner Staatsangehörigkeit:

[…]

e) Personen, die in seinem Hoheitsgebiet geboren sind und dort rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben;"

Darauf, ihr Lebensunterhalt gesichert ist, darf es nach ihrer Ansicht nicht ankommen. Sie selbst könnten als Kinder den Lebensunterhalt selbstverständlich nicht durch Arbeit sichern. Darauf abzustellen, ob die Eltern hierzu in der Lage sind, wäre eine mit Art. 3 Abs. 3 GG unvereinbare Ungleichbehandlung aufgrund der Abstammung. Auch würde ein solches Vorgehen Art. 6 lit. e) des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit faktisch leerlaufen lassen, weil Kinder mit Migrationshintergrund ganz überwiegend aus Familien stammten, die zumindest ergänzende Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Deshalb sei das durch § 8 Abs. 2 StAG eröffnete Ermessen, von der Lebensunterhaltssicherung abzusehen, hier auf Null reduziert.

Die Klägerinnen haben am 15. Januar 2010 Untätigkeitsklage erhoben. Nachdem der Beklagte ihren Einbürgerungsantrag mit Bescheid vom 25. Februar 2010 abgelehnt hatte, erklärten sie, den Rechtsstreit unter Einbeziehung dieses Bescheides fortsetzen zu wollen.

Zur Begründung ihres Begehrens verweisen sie zunächst auf das Vorbringen im Einbürgerungsantrag. Ergänzend tragen sie vor, dass der EGMR in den Urteilen K. ./. F. und K. u.a. ./. S. entschieden habe, dass ein willkürliches Vorenthalten der Staatsangehörigkeit unter bestimmten Umständen gegen Art. 8 EMRK verstoßen kann. Anders als der Beschwerdeführer im Fall K., müssten sie bei Ablehnung der Einbürgerung um ihren weiteren Verbleib in Deutschland bangen. Sie seien noch nie im Kosovo gewesen. Angesichts der dortigen Situation der Volksgruppe der Roma, der die Klägerinnen angehören, vermittle ihnen die kosovarische Staatsangehörigkeit nicht das enge Band, das nach der N.-Entscheidung des IGH für eine Staatsangehörigkeit kennzeichnend ist. Ferner sei der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes und nach Art. 24 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta zu berücksichtigen. Eine Abschiebung in den Kosovo, wie sie bei Ablehnung des Einbürgerungsantrags drohe, sei aufgrund der dortigen Verhältnisse für das Kindeswohl nachteilig. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der aufenthaltsrechtlichen Verhältnisse sei der Zeitpunkt, ab dem der Beklagte bei zügiger Bearbeitung über den Einbürgerungsantrag hätte entscheiden können. Zu diesem Zeitpunkt verfügten sie noch über einen Aufenthaltstitel. Außerdem hätten sie einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse. Insofern wiederholen sie ihren Vortrag aus den aufenthaltsrechtlichen Verfahren 11 A 821/10, 11 A 823/10 und 11 A 825/10. Im Übrigen dürfe wegen der gebotenen kinderfreundlichen Auslegung des § 8 Abs. 1 StAG nicht zwischen dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und dem Besitz einer Duldung unterschieden werden, denn diese Differenzierung sei für ein Kind nicht begreiflich. Jedenfalls die im Ablehnungsbescheid enthaltene Gebührenfestsetzung sei wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Situation aufzuheben; eine solche Gebührenfestsetzung widerspreche auch der von Art. 6 des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit geforderten Erleichterung der Einbürgerung.

Die Klägerinnen beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 25. Februar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerinnen in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit dem Einzelnen keine unmittelbaren subjektiven Ansprüche auf Einbürgerung vermittle. Solche Ansprüche könnten nur aus dem StAG folgen, das seinerseits wiederum den Vorgaben des Europäischen Übereinkommens ausreichend Rechnung trage. Ob der Aufenthalt der Klägerinnen in Deutschland rechtmäßig bleiben wird, sei bereits im Zeitpunkt der Antragstellung unsicher gewesen. Inzwischen sei ihr Aufenthalt nicht mehr rechtmäßig. Außerdem sei der Lebensunterhalt der Klägerinnen nicht im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG gesichert; ein Absehen von diesem Erfordernis nach § 8 Abs. 2 StAG sei nicht geboten.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 25. Februar 2010 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in ihren Rechten.

Alle hier denkbaren Anspruchsgrundlagen des StAG (insbes. §§ 8 und 10 StAG) setzen einen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt des Einzubürgernden in Deutschland voraus. Dabei kommt es für die Erfüllung dieser Voraussetzung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Einbürgerungsentscheidung an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.02.1982 - 1 B 9.82 -, InfAuslR 1982, 189). Der von den Klägerinnen angeführte Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29.03.1995 - 12 TH 286.94 - (NVwZ - RR 1995, 470), der auf den Zeitpunkt der Antragsstellung abstellt, befasst sich demgegenüber mit einer Sonderkonstellation aus dem Aufenthaltsrecht (Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80) und ist nicht ohne Weiteres auf den Fall einer Einbürgerung übertragbar, bei der der einbürgernde Staat ein legitimes Interesse daran hat, dass sich der Einzubürgernde gerade zum Zeitpunkt der Einbürgerung rechtmäßig im Inland aufhält. Die Klägerinnen besitzen aber seit Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnisse am 31. Januar 2010 keinen Aufenthaltstitel mehr und halten sich somit derzeit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Sie haben - wie das erkennende Gericht in den Urteilen vom heutigen Tage in den Verfahren 11 A 821/10, 11 A 823/10 und 11 A 825/10 ausgeführt hat - auch materiell keinen Anspruch auf die Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln.

Aber selbst wenn man auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellen würde, führte dies zu keinem anderen Ergebnis. Im Zeitpunkt der Stellung des Einbürgerungsantrags waren die Aufenthaltserlaubnisse der Klägerinnen noch nicht einmal mehr für 5 Monate gültig. Die Klägerinnen besaßen diese Aufenthaltserlaubnisse auch erst seit einem Jahr und vier Monaten; sie waren ihnen und ihrer Mutter gem. § 104a AufenthG "auf Probe" erteilt worden. Davor war sowohl der Aufenthalt der Klägerinnen als auch derjenige ihrer Eltern rechtswidrig gewesen. Ob die Aufenthaltserlaubnisse verlängert werden konnten, war völlig unklar. In dieser unklaren und durch Unsicherheit über die aufenthaltsrechtliche Zukunft geprägten Situation den Aufenthalt durch eine Einbürgerung nach § 8 StAG dauerhaft zu verfestigen wäre ermessensfehlerhaft - weil dem Sinn und Zweck des § 8 StAG widersprechend - gewesen. Die Vorschrift will die Einbürgerung von Personen mit geregeltem ausländerrechtlichen Status ermöglichen. Sie soll aber kein Instrument sein, um die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen über die Verlängerung von Aufenthaltstiteln dadurch zu umgehen, dass man Personen, deren Aufenthaltserlaubnisse nach dem AufenthG nicht mehr verlängert werden dürfen, kurz vor Ablauf der Geltungsdauer kurzerhand einbürgert.

Die von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung im Lichte der Kinderrechtskonvention geforderte einbürgerungsrechtliche Gleichstellung geduldeter minderjähriger Ausländer mit Personen, die einen Aufenthaltstitel besitzen, widerspricht der klaren Regelung des § 60a Abs. 3 AufenthG über den Inhalt einer Duldung. Eine solche Auffassung wäre daher contra legem und würde die Grenzen zulässiger völkerrechtskonformer Gesetzesauslegung sprengen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 ff. - zit. nach juris Rn. 32 - 36 und 47).

Da schon die Tatbestandsvoraussetzung des rechtmäßigen Aufenthaltes nicht erfüllt ist, kann hier eigentlich dahinstehen, ob von Minderjährigen im Rahmen der Einbürgerung nach § 8 StAG verlangt werden darf, dass der Lebensunterhalt durch das Erwerbseinkommen der Eltern gesichert ist. Das Gericht weist dennoch darauf hin, dass solche Regelungen über Deutschland hinaus auch in anderen Mitgliedstaaten des Europarates üblich sind und dort ebenfalls nicht als unzulässige Diskriminierung wegen der Abstammung angesehen werden (vgl. etwa das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 25. August 2010, X. ./. Stadt Wetzikon - 1D_5/2009 -, EuGRZ 2010, 629 ff. mit ausführlicher Begründung).

Auch aus völkerrechtlichen Vorschriften ergibt sich für die Klägerinnen kein Anspruch auf Einbürgerung.

Ein solcher Anspruch ergibt sich namentlich nicht aus Art. 6 Abs. 4 lit. e) des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit vom 6. November 1997 (BGBl. 2004 II 578 ff.), auf den die Klägerinnen ihr Einbürgerungsbegehren zuvörderst stützen. Abgesehen davon, dass diese Vorschrift ebenso wie § 8 StAG einen rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt, über den die Klägerinnen derzeit in Deutschland nicht verfügen, ist diese Bestimmung für die innerstaatlichen Behörden und Gerichte der Vertragsstaaten ohnehin nicht unmittelbar anwendbar und verleiht damit im Bundesgebiet geborenen Ausländern keinen subjektiven Anspruch auf Einbürgerung. Völkerrechtliche Verträge sind auch dann, wenn der Bundestag ihnen gem. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in Form eines Bundesgesetzes zugestimmt hat, innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, wenn es ihrem Inhalt nach noch konkretisierender Rechtsakte (insbesondere nationaler Gesetze) bedarf, um sie anwenden zu können (vgl. Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 59 Rn. 18 i.V.m. Art. 25 Rn. 3). Dies ist bei Art. 6 Abs. 4 lit. e) des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit der Fall. Schon die allgemeine Regelung des Gegenstandes des Übereinkommens in Art. 1 spricht gegen dessen unmittelbare Anwendbarkeit. Wenn es dort heißt, das "Übereinkommen leg[e] Grundsätze und Vorschriften […] fest, nach denen sich das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten zu richten hat", ist dies ein starkes Indiz dafür, dass das Übereinkommen nur an die nationalen Gesetzgeber gerichtete völkerrechtliche Aufträge zur Anpassung des innerstaatlichen Rechts enthält, nicht aber im unmittelbaren Durchgriff auf die innerstaatliche Ebene subjektive Rechte der betroffenen Individuen gegenüber den nationalen Behörden und Gerichten begründen soll (so auch die dem Bundestag zusammen mit dem Entwurf des Zustimmungsgesetzes übermittelte Denkschrift der Bundesregierung unter I. Allgemeines, 2. Absatz von oben, und unter II. Besonderes, Zu Artikel 1, BT-Drs. 15/2145, S. 22). Gerade in Art. 6 Abs. 4 des Übereinkommens wird besonders deutlich, dass es sich nur um einen an den innerstaatlichen Gesetzgeber gerichteten Rechtsetzungsauftrag und nicht um eine zur unmittelbaren Anwendung gegenüber dem Individuum geeignete Norm handelt. Dort heißt es "Jeder Vertragsstaat erleichtert in seinem innerstaatlichen Recht folgenden Personen den Erwerb seiner Staatsangehörigkeit: […]" [Hervorhebung nicht im Original]. Die Formulierung "in seinem innerstaatlichen Recht" macht erneut deutlich, dass nur der innerstaatliche Rechtsetzer zur Anpassung des innerstaatlichen Staatsangehörigkeitsrechts verpflichtet werden, nicht aber den betroffenen Individuen unter Umgehung des innerstaatlichen Rechts unmittelbar ein subjektiver Einbürgerungsanspruch gewährt werden soll. Hinzu kommt, dass die Vorschrift auch ihrem Inhalt nach viel zu unklar ist, um sie ohne einen konkretisierenden nationalen Umsetzungsrechtsakt anwenden zu können. Denn den Angehörigen der in lit. a) bis g) aufgezählten Personengruppen muss nach dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 keineswegs ein unbedingtes und von keinen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängiges Recht auf Einbürgerung eingeräumt werden - wie die Klägerinnen offenbar meinen. Ihnen muss vielmehr lediglich der Erwerb der Staatsangehörigkeit "erleichtert" werden. Dies bedeutet letztendlich nur, dass die dort genannten Personengruppen im innerstaatlichen Staatsangehörigkeitsrecht im Vergleich zu anderen Personengruppen privilegiert werden müssen, ohne dass dem Übereinkommen unmittelbar entnommen werden kann, welche Anforderungen auch bei ihnen noch gestellt werden dürfen (vgl. auch die dem Bundestag übermittelte Denkschrift der Bundesregierung unter II. Besonderes, Zu Artikel 6, BT-Drs. 15/2145, S. 24). Da Art. 6 Abs. 4 des Übereinkommens also die Voraussetzungen, unter denen die dort genannten Personen einzubürgern sind, nicht nennt, kann ihm ohne einen konkretisierenden innerstaatlichen Umsetzungsakt nicht unmittelbar entnommen werden, ob eine bestimmte Person einzubürgern ist oder nicht. Der völkerrechtlichen Pflicht aus Art. 6 Abs. 4 lit. e) des Übereinkommens, in Deutschland geborene Personen beim Staatsangehörigkeitserwerb im Vergleich zu im Ausland geborenen Personen zu privilegieren, ist der deutsche Gesetzgeber im Übrigen beispielsweise dadurch nachgekommen, dass er in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern unter bestimmtem Umständen die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes verleiht (vgl. § 4 Abs. 3 StAG). Nichts im Europäischen Staatsangehörigkeitsübereinkommen deutet darauf hin, dass für diese Personengruppe darüber hinaus weitere Erleichterungen beim Staatsangehörigkeitserwerb notwendig sind.

Auch Art. 24 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta (ABl. EU 2007 Nr. C 303, Seite 1), demzufolge bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss, führt hier nicht zu einem Anspruch auf Einbürgerung. Die Norm ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Bestimmungen der Grundrechtecharta binden nach ihrem Art. 51 Abs. 1 Satz 1 die Mitgliedstaaten nur bei der Durchführung des Rechts der Union (vgl. BVerwG, Urteil vom. 30. März 2010 - 1 C 8/09 - , juris Rn. 35; Schwarze, EU-Kommentar, 2. Aufl., GR-Charta, Art. 51 Rn. 13). Das Unionsrecht in diesem Sinne umfasst neben dem europäischen Primärrecht auch das Sekundärrecht, mithin das von den Organen der EU aufgrund von Kompetenzzuweisungen in den Verträgen erlassene Recht, insbesondere Rechtsakte nach Art. 288 AEUV, früher Art. 249 EGV (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Juli 2010 - 8 LA 154/10 -, juris; Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand: Oktober 2006, EGV Art. 249 Rn. 12). Die hier maßgebliche Bestimmung des § 8 Abs. 1 StAG ist danach kein Unionsrecht im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GR-Charta und auch nicht darauf zurückzuführen. Vielmehr ist die Regelung der Staatsangehörigkeit in der nationalen Zuständigkeit verblieben und erfolgt durch die Mitgliedsstaaten der EU im Rahmen der Grenzen des Völkerrechts (vgl. Hailbronner/ Renner/ Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, Teil I, E).

Art. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 26. Januar 1990 (BGBl 1992 II 121 ff.) verhilft der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg. Art. 3 des Übereinkommens lautet:

"Wohl des Kindes

(1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleich viel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

(2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormundes oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.

(3) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht."

Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift, die nur ein "Berücksichtigungsgebot" statuiert, würde überspannt, verstünde man sie so, dass Kinder einen Anspruch auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit desjenigen Staates haben, der ihnen die besten sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Überdies lässt sich im vorliegenden Fall auch gut vertreten, dass eine Einbürgerung der Klägerinnen dem Kindeswohl zuwider laufen würde. Denn sie erhielten in diesem Falle eine andere Staatsangehörigkeit als ihre Eltern. Im Interesse des Familienzusammenhalts und der Vermeidung von Rechtsunsicherheit sowie unterschiedlicher Loyalitätsanforderungen ist aber anzustreben, dass Eltern und minderjährige Kinder über den gleichen staatsbürgerlichen Status verfügen und den Schutz desselben Staates genießen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 1985 - 1 B 78.85 -, NJW 1985, 2908; Hailbronner/Renner/Maaßen, a.a.O., § 10, Rn. 70 f.; § 8, Rn. 98 ff.).

Die Ablehnung der Einbürgerung der Klägerinnen verstößt auch nicht gegen Art. 8 EMRK.

Obwohl das Recht auf eine Staatsangehörigkeit als solches nicht von der EMRK oder ihren Zusatzprotokollen garantiert wird, kann das willkürliche Vorenthalten der Staatsangehörigkeit wegen der Auswirkungen auf das Privatleben des Einzelnen unter bestimmten Umständen Fragen unter Art. 8 aufwerfen (EGMR, Kuric u.a. ./. Slowenien, Urteil vom 13. Juli 2010 - 26828/06, Ziff. 353; Karrasen ./. Finnland, Urteil vom 12. Januar 1999 - 31314/96, NVwZ 2000, 301 <302>; EKMR, Kafkasli ./. Türkei, Bericht vom 1. Juli 1997 - 21106/92 -, Ziff. 33). Die Konventionsorgane sind bei der Annahme, ein Vorenthalten der Staatsangehörigkeit verstoße gegen Art. 8 EMRK, jedoch zurückhaltend. Der soweit ersichtlich einzige derartige Fall, in dem der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 8 festgestellt hat (Kuric u.a. ./. Slowenien - 26828/06 -), betraf Personen, die ursprünglich als Staatsbürger des alten Jugoslawiens in Slowenien gelebt hatten und nach dem Zusammenbruch des gemeinsamen Staates plötzlich als Ausländer ohne Aufenthaltsrecht galten. Der Gerichtshof hebt diesen Umstand in Ziff. 357 seines Urteils als bedeutsam hervor und betont, dass die Beschwerdeführer daher einen stärkeren Schutz unter Art. 8 genießen als Personen, die sich immer nur als Ausländer in dem betroffenen Staat aufgehalten haben. Auch der von der ehemaligen Europäische Kommission für Menschenrechte entschiedene Fall K. ./. Türkei betraf eine Konstellation, in der der Beschwerdeführer ursprünglich die türkische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung erworben, sie dann aber infolge einer Straftat wieder verloren hatte und nun die erneute Einbürgerung begehrte (vgl. Ziff. 16 - 25 des Berichts der Kommission). Und selbst in dieser Konstellation betonte die Kommission, dass den Mitgliedsstaaten ein weiter Beurteilungsspielraum (marge d'appréciation) zukomme und sie daher im konkreten Fall keine Verletzung von Art. 8 feststellen könne (vgl. Ziff. 42 des Berichts). Im Fall K. u.a. stellte der Gerichtshof zwar eine Verletzung von Art. 8 fest, begründete dies aber entscheidend damit, dass das slowenische Verfassungsgericht schon 1999 die entsprechenden nationalen Regelungen für verfassungswidrig erklärt hatte und der Gesetzgeber dennoch bis 2010 den Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführer immer noch nicht geregelt hatte (vgl. Ziff. 367 - 376 des Urteils). Er forderte selbst hier keineswegs eine Einbürgerung der Beschwerdeführer, sondern bemängelte nur, dass noch nicht einmal dauerhafte Aufenthaltstitel (permanent residence permits) gewährt worden waren (vgl. Ziff. 355, 361 des Urteils). Auf derselben Linie liegt die Entscheidung im Fall K. ./. Finnland, die insofern eher mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist, als es auch dort um ein im Aufenthaltsstaat geborenes Kind abgelehnter Asylbewerber ging: Unter dem Aspekt der "Willkür" hat der Gerichtshof ebenfalls in erster Linie geprüft, ob die Verweigerung der Einbürgerung eine nachvollziehbare Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Staatsangehörigkeitsrechts war; unter dem Aspekt "Folgen der Nichteinbürgerung" stellt er fest, dass der Beschwerdeführer dennoch einen gesicherten Aufenthaltsstatus erreichen konnte (vgl. NVwZ 2000, 301 <302>).

Ein willkürliches Verhalten des Beklagten in dem Sinne, dass er die Einbürgerungsvorschriften des deutschen Rechts (insbesondere § 8 StAG) in nicht mehr nachvollziehbarer Weise ausgelegt oder angewandt hätte, ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Das Gericht verweist insofern auf seine Ausführungen im vorliegenden Urteil, wonach die Klägerinnen auch unter Berücksichtigung des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit, der EU-Grundrechtecharta und des Übereinkommens über die Rechte des Kindes keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 StAG haben.

Auch die Folgen der Ablehnung der Einbürgerung führen nicht zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK. Die Klägerinnen waren nie deutsche Staatsangehörige, so dass ihnen insoweit von vornherein ein geringerer Schutz zukommt als den Beschwerdeführern in den Fällen K. u.a. ./. Slowenien und K. ./. Türkei. Zwar sind sie im Gegensatz zu dem Beschwerdeführer im Fall K. ./. Finnland konkret von Abschiebung bedroht; die Nichteinbürgerung könnte in ihrem Fall durchaus zu einer Aufenthaltsbeendigung führen. Das Gericht hat aber in seinen Urteilen vom heutigen Tage in den ausländerrechtlichen Verfahren 11 A 821/10, 11 A 823/10 und 11 A 825/10 dargelegt, dass eine solche Aufenthaltsbeendigung nach den in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Maßstäben nicht gegen das Recht der Klägerinnen auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK verstößt (und den Klägerinnen daher keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zusteht).

Und schließlich können die Beschwerdeführerinnen auch unter Berufung auf das Völkergewohnheitsrecht, das gem. Art. 25 GG im Bundesgebiet unmittelbar anwendbar ist und Vorrang vor einfachen Bundesgesetzen genießt, und das hierzu ergangene Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 6. April 1955 im "N.-Fall (Liechtenstein ./. Gutatemala)", ICJ-Reports 1955, 4 ff., nicht ihre Einbürgerung verlangen. Der Fall betraf nicht die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein Ausländer aufgrund des Völkergewohnheitsrechts von seinem Aufenthaltsstaat eingebürgert werden muss. Es ging vielmehr umgekehrt um die Frage, wann ein Staat die Einbürgerung einer Person durch einen anderen Staat anerkennen und den Betroffenen als Bürger dieses Staates behandeln muss (vgl. ICJ-Reports 1955, 4 <19>). Der IGH betont ausdrücklich, dass Staatsangehörigkeitsfragen in die nationale Kompetenz eines jeden souveränen Staates fallen und daher jeder Staat den Staatsangehörigkeitserwerb und die Einbürgerung in seinem nationalen Recht selbst regeln kann (vgl. ICJ-Reports 1955, 4 <19, 23>). Er stellt ferner fest, dass es keinen internationalen Konsens und damit auch keine völkergewohnheitsrechtlichen Regelungen im Hinblick auf den Erwerb der Staatsangehörigkeit gibt (vgl. ICJ-Reports 1955, 4 <23>). Die von den Klägerinnen zitierte Äußerung des Gerichtshofs zum Charakter der Staatsangehörigkeit als "rechtliches Band, das die Tatsache einer sozialen Zugehörigkeit, einer echten Verbundenheit von Existenz, Interessen und Empfindungen sowie des Bestehens gegenseitiger Rechte und Pflichten zur Grundlage hat" kann daher nicht als Aufzählung der Tatbestandsmerkmale eines völkergewohnheitsrechtlichen Einbürgerungsanspruchs verstanden werden. Sie gibt lediglich die Voraussetzungen wieder, unter ein Drittstaat die Einbürgerung einer Person anerkennen muss (vgl. ICJ-Reports 1955, 4 <23 f.>). Mit anderen Worten: Ein Staat darf nach dem N.-Urteil nur jene Personen einbürgern, die enge Beziehungen zu ihm aufweisen; er muss aber nicht jeden einbürgern, der dies tut.