Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.01.2010, Az.: 7 KO 10/09

Erforderlichkeit eines Vorverfahrens i.S.d. § 139 Abs. 3 S. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) bei einem gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung; Bemessung der Verfahrensgebühren eines Bevollmächtigten im finanzgerichtlichen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung mit einem Satz von 1,6

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.01.2010
Aktenzeichen
7 KO 10/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 10804
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2010:0118.7KO10.09.0A

Fundstellen

  • AGS 2010, 438-440
  • EFG 2010, 749-750
  • RVGreport 2010, 223-224

Verfahrensgegenstand

Erinnerung gegen Kostenfestsetzung

Amtlicher Leitsatz

  1. 1)

    kein Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO bei gerichtlichem AdV-Antrag

  2. 2)

    Die Verfahrensgebühr des Bevollmächtigten im finanzgerichtlichen AdV-Verfahren ist mit dem Satz von 1,6, nicht 1,3 zu bemessen.

  3. 3)

    Zur Erhöhung der Verfahrensgebühr um 0,3 für jede weitere Person (keine eigenständige Gebühr).

Tenor:

Auf die Erinnerung werden die von dem Erinnerungsgegner an die Erinnerungsführer zu erstattenden Kosten mit EUR ... (in Worten: ...Euro) festgesetzt.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Der festgesetzte Betrag ist in Höhe eines Teilbetrages von ...EUR ab dem ... und in Höhe eines Teilbetrages von ...EUR ab dem ... mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches zu verzinsen (§§ 155 FGO, 104 Abs. 1 ZPO).

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten des Erinnerungsverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

1

1)

Die Beteiligten haben im Hauptsacheverfahren darum gestritten, ob im Wege der Aussetzung der Vollziehung ein Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen war. Die Erstattung von Gebühren des Vorverfahrens (§ 139 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung - FGO) haben die Erinnerungsführer im vorliegenden Verfahren nicht beantragt. Im Hinblick auf den im Parallelverfahren (zunächst) gestellten Antrag weist das Gericht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung Gebühren des Vorverfahrens nicht erstattungsfähig sind.

2

Das Vorverfahren, auf das sich § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO bezieht, ist dasjenige des §§ 44 FGO, d.h. des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens, das als Zulässigkeits-voraussetzung einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne des § 40 FGO einem solchen Klageverfahren vorausgegangen ist. Das Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung gemäߧ 361 AO bzw. ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung an die Finanzbehörde gemäß § 69 Abs. 2 FGO sind zwar in der Regel (nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO) Voraussetzung für die Zulässigkeit eines bei Gericht gestellten Antrages auf Aussetzung der Vollziehung, jedoch keine Vorverfahren im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO (vgl. Gräber / Stapperfend, Kommentar zur FGO, 6. Aufl. 2006, Rdz. 111 zu § 139 FGO mit Rechtsprechungsnachweisen, BFH, Beschluss vom 1. August 1986, V B 79/84, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1988, S. 335 ff., Ziffer 7 der Gründe, Finanzgericht des Saarlandes, Beschluss vom 23. Mai 1990, 103/80, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1990, S. 589).

3

2)

Der Urkundsbeamte hat in dem Beschluss über die Festsetzung der zu erstattenden Kosten die Verfahrensgebühr nach § 13 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses (VV, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) mit einem Satz von 1,3 (zuzüglich einer Erhöhung für eine weitere Person um 0,3) angesetzt. Hierzu hat er auf den Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 27. April 2005 (6 KO 3/05, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005, 1803) verwiesen.

4

Dieser Ansatz der Verfahrensgebühr ist zu korrigieren. Die Verfahrensgebühr ist auch im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vor dem Finanzgericht nach Nr. 3200 VV (Abschnitt 2 des dritten Teils der VV) mit dem Satz von 1,6 anzusetzen und nicht nach Nr. 3100 VV (Abschnitt 1 des dritten Teils der VV) mit dem Satz von 1,3.

5

Nach der Vorbemerkung 3.1 Abs. 1 zu Abschnitt 1 des dritten Teils des VV entstehen die Gebühren dieses Abschnitts "in allen Verfahren, für die in den folgenden Abschnitten dieses Teils keine Gebühren bestimmt sind." Nach Nr. 3100 VV (zu Abschnitt 1) ist die Verfahrensgebühr, soweit in Nr. 3102 nichts anderes bestimmt ist (betrifft Verfahren vor den Sozialgerichten), mit 1,3 anzusetzen.

6

Der folgende Abschnitt 2 des dritten Teils des VV bestimmt die Gebühren für "Berufung, Revision, bestimmte Beschwerden und Verfahren vor dem Finanzgericht" und bestimmt damit Gebühren für das finanzgerichtliche Verfahren abweichend von Abschnitt 1. Die Bestimmungen des 1. Abschnitts gelten deshalb nicht (unmittelbar) für Verfahren vor dem Finanzgericht. Nach Nr. 3200 VV (zu Abschnitt 2, Unterabschnitt 1) ist die Verfahrensgebühr, soweit in Nr. 3204 nichts anderes bestimmt ist (betrifft Verfahren vor den Landessozialgerichten), mit 1,6 anzusetzen.

7

Das Niedersächsische Finanzgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 27. April 2005 (Aktenzeichen 6 KO 3/05 a.a.O.) auf die Regelung in der Vorbemerkung 3.2, Absatz 2 des zweiten Abschnitts des dritten Teils des VV bezogen; nach dieser Vorbemerkung seien in Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz, in denen das Berufungsgericht das Gericht der Hauptsache ist, die Gebühren nach den Gebühren des Abschnitts 3.1 zu berechnen. Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG vollziehe lediglich den Schritt der gebührenrechtlichen Gleichstellung der Finanzgerichte mit den übrigen Obergerichten. Nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung sei jedoch nicht beabsichtigt, auch das Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz im Verfahren vor dem Finanzgericht höher zu vergüten, als bei anderen Gerichten höherer Instanz. Entsprechend berechne sich daher die Gebühr für das Aussetzungsverfahren vor dem Finanzgericht gemäß Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 VV nach den Gebühren des Abschnitts 3.1 VV.

8

Dieser Auffassung folgt das erkennende Gericht nicht. Für die entsprechende Anwendung des Abschnitts 3.1 des VV auf die Verfahrensgebühr im Aussetzungsverfahren fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Es liegt auch keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des Abschnitts 3.1 des VV gebieten würde.

9

Der Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 des Abschnitts 2 des dritten Teils des VV geht deren Abs. 1 voraus. Dieser bestimmt, dass Abschnitt 2 des dritten Teils des VV "auch in Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht über die Zulassung des Rechtsmittels anzuwenden" ist. Der nachfolgende Abs. 2 lautet: "Wenn im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung das Berufungsgericht als Gericht der Hauptsache anzusehen ist (§ 943 ZPO), bestimmen sich die Gebühren nach Abschnitt 1. Dies gilt entsprechend im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts und in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Satz 1 gilt ferner entsprechend in Verfahren über einen Antrag nach § 115 Abs. 2 Satz 2 und 3, § 118 Abs. 1 Satz 3 oder nach§ 121 GWB."

10

Bereits aus Abs. 1 der Vorbemerkung 3.2 des Abschnitts 2 des dritten Teils des VV ergibt sich, dass der in Abs. 2 enthaltene Verweis auf die Anwendbarkeit des Abschnitts 1 nicht für Verfahren vor dem Finanzgericht gilt, denn das Finanzgericht ist kein Rechtsmittelgericht. Abs. 2 Satz 1 dieser Vorbemerkung betrifft nicht Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung, sondern andere (einstweilige) Verfahren. Abs. 2 Satz 2 der Vorbemerkung gilt u.a. für Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung und zwar ausdrücklich für Verfahren "vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit" und für die weiteren dort aufgeführten Verfahren. Angesichts dieser detaillierten, eindeutigen Regelung und der Bestimmung in Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 1 zu Unterabschnitt 1, dass dieser "in Verfahren vor dem Finanzgericht" anzuwenden ist - ohne dass dabei zwischen Hauptsacheverfahren und Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unterschieden wird -, liegen weder ein gesetzlicher Verweis noch eine Regelungslücke vor, die die entsprechende Anwendung des Abschnitts 1 des dritten Teils des VV rechtfertigen.

11

Das Gericht schließt sich der vom Finanzgericht Brandenburg vertretenen Auffassung an, dass "aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts" die Verfahrensgebühr im finanzgerichtlichen Verfahren einheitlich mit dem Satz von 1,6 anzusetzen ist (Beschluss vom 30. Mai 2006, 1 KO 541/06, EFG 2006, 1704, ebenso Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 29. Oktober 2008, 6 Ko 768/08 KF, EFG 2009, 217).

12

3)

Der Gegenstandswert beträgt EUR 300,--. Bei diesem Gegenstandswert beträgt eine Gebühr nach Anlage 2 zu§ 13 Abs. 1 RVG EUR 25,--. Die Erinnerungsführer machen geltend, die Erhöhung der Verfahrensgebühr für jede weitere Person um 0,3 gemäß Nr. 1008 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zu § 2 Abs. 2 RVG führe nicht zu einem Erstattungsbetrag von 0,3 von EUR 25,-- = EUR 7,50, sondern sei eine eigenständige Gebühr, die mit dem Mindestbetrag gemäß § 13 Abs. 2 RVG von EUR 10,-- anzusetzen sei. Dies ergebe sich u.a. daraus, dass der Teil 1 des VV mit "Allgemeine Gebühren" überschrieben ist, laut Vorbemerkung 1 zum Teil 1 des VV "die Gebühren dieses Teils ... neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren" entstehen und Nr. 1009 VV für die Hebegebühr eine gegenüber der allgemeinen Mindestgebühr von EUR 10,-- abweichende Mindestgebühr von EUR 1,-- bestimmt.

13

Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Überschrift zu Teil 1 des VV und die Vorbemerkung 1 verweisen lediglich darauf, dass die in Teil 1 des VV aufgeführten Gebühren die in anderen Teilen bestimmten Gebühren nicht ausschließen. Die Regelung in Nr. 1008 des VV ist demgegenüber die speziellere Regelung. Nr. 1008 VV regelt den Gebührentatbestand "Auftraggeber sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen" und bestimmt: "Die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr erhöht sich für jede weitere Person um 0,3." Aus diesem Wortlaut ergibt sich, dass es sich um eine Erhöhung, nicht um eine eigenständige Gebühr handelt (ebenso: Amtsgericht Hohenschönhausen, Beschluss vom 9. August 2005, 11 C 360/04, [...]Entscheidungsdienst, Mayer in Gerold/Schmidt, Kommentar zum RVG, 18. Aufl. 2008, Rdz. 12 zu § 13 RVG). Die Erhöhung bezieht sich auf den Gebührensatz, so wie vom Urkundsbeamten zugrunde gelegt. Der Gebührensatz der Verfahrensgebühr von 1,6 für das gerichtliche Verfahren erhöht sich damit um 0,3 auf 1,9, für das Beschwerdeverfahren von 0,5 auf 0,8.

14

Die zu erstattenden Kosten berechnen sich wie folgt:

1.Gerichtliches Verfahren
-Verfahrensgebühr (1,6fach+0,3fach) § 13 RVG, Nr. 3200, 1008 VV RVG...EUR
-Pauschale f. Entgelte f. Post-/Telekommunikationsdienstl.§ 13 RVG, Nr. 7002 VV RVG...EUR
-------
-Zwischensumme...EUR
-19 v. H. Umsatzsteuer§ 13 RVG, Nr. 7008 VV RVG...EUR
-------
Gesamtbetrag - Gerichtliches Verfahren...EUR
2.Beschwerde
Gesamtbetrag, wie bisher...EUR
3.Summe
Zusammen...EUR
davon zu Lasten des Antragsgegners (100 v. H.)...EUR
15

Bezüglich der Verzinsung wird auf die Erläuterungen des Urkundsbeamten Bezug genommen.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 des Gerichtskostengesetzes.