Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 15.11.2000, Az.: 203-VgK-14/2000
Nachprüfungsverfahren in einem Fall der Ausschreibung zur thermischen Behandlung von Restabfällen; Erfordernis der unverzüglichen Rüge von Vergabeverstößen und die Folge der Nichtbeachtung; Voraussetzungen des Begriffs "unverzüglich" im Sinne einer Rüge von Vergaberechtsverstößen; Begriff der "Kenntnis" eines rügefähigen Vergaberechtsverstoßes; Verpflichtung zur Mitteilung von Gründen im Fall der Nichtberücksichtigung eines Bieters im Vergabeverfahren; Hilfsantrag mit dem Antrag zur Unzulässigkeitserklärung der Wahl des Verhandlungsverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 15.11.2000
- Aktenzeichen
- 203-VgK-14/2000
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 30761
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 3 GWB
- § 98 Nr. 1 GWB
- § 127 Nr. 1 GWB
- § 100 GWB
Verfahrensgegenstand
Ausschreibung zur thermischen Behandlung von Restabfällen
Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Tyrra
und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade
auf die mündliche Verhandlung vom 14.11.2000
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerinnen wird sowohl hinsichtlich der Hauptanträge als auch hinsichtlich des hilfsweise gestellten Antrages zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerinnen gesamtschuldnerisch.
- 3.
Die Kosten werden auf 5 000,00 DM festgesetzt.
Begründung
I.
Der Landkreis xxx (Auftraggeber) schrieb mit Bekanntmachung vom 24.07.2000, veröffentlicht im EG-Amtsblatt am 01.08.2000, die Vergabe der thermischen Behandlung von jährlich 45 000 Mg bis 75 000 Mg Restabfällen für die Zeit ab dem 01.07.2003 mit einer Vertragslaufzeit von 15 Jahren europaweit im Wege des Verhandlungsverfahrens aus. Gemäß Ziff. 5 der Bekanntmachung wurden ausdrücklich nur Angebote für die gesamte Dienstleistung zugelassen. In Ziff. 6 der Bekanntmachung heißt es: "Zahl der Dienstleistungserbringer, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden: Entsprechend der befähigten Bewerber."
Unter Ziff. 12 der "Mindestbedingungen" heißt es: "Zur fachlichen und technischen Eignung:
Liste der wesentlichen in den letzten Jahren erbrachten Leistungen mit Angabe des Rechnungswertes, der Leistungszeit sowie der öffentlichen und privaten Auftraggeber unter Nennung eines auskunftsberechtigten Ansprechpartners beim jeweiligen Auftraggeber mit Telefonnummer.
Beschreibung der technischen Ausrüstung, Maßnahmen der Qualitätssicherung, Untersuchungs- und Forschungsmöglichkeiten des Unternehmens,
Angaben über die technische Leitung oder die technischen Stellen unabhängig davon, ob sie dem Unternehmen angeschlossen sind oder nicht, und zwar insbesondere über diejenigen, die mit der Qualitätskontrolle beauftragt sind,
Bescheinigungen der zuständigen amtlichen Kontrollinstitute oder Dienststellen, mit denen bestätigt wird, dass die Anlage(n) zur thermischen Restabfallbehandlung den einschlägigen nationalen gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen entsprechen, oder Verpflichtungserklärung, die einschlägigen Rechtsvorschriften bei der Dienstleistungserbringung einzuhalten.
Nachweis, dass der Bewerber ab dem 01.07.2003 über ausreichende Kapazitäten zur Erbringung der Dienstleistung verfügt,
verbindliche Erklärung, dass der Bewerber zur Erbringung der Dienstleistung in der oder dem vorgesehenen (vorhandenen oder noch zu errichtenden) Anlage(n) berechtigt ist.
Für nähere Informationen hinsichtlich der geforderten Nachweise kann beim Abfallwirtschaftsbetrieb Landkreis xxx ein Informationsblatt zu den Eignungskriterien angefordert werden."
Die Antragstellerin zu 1.) erhielt am 15.08.2000 per Telefax die entsprechenden Informationsunterlagen zumöffentlichen Teilnahmewettbewerb betreffend die Vergabe des streitbefangenen Auftrags. Mit Teilnahmeantrag vom 25.08.2000 bewarben sich beide Antragstellerinnen als Bietergemeinschaft innerhalb der Bewerbungsfrist um die Teilnahme an dem vorstehend genannten Ausschreibungsverfahren. Dabei wiesen sie darauf hin, dass die Restabfälle in einer eigenen Verbrennungsanlage thermisch zur Dampferzeugung genutzt werden und wirtschaftlich durch die Versorgung eines entsprechend auszulegenden, noch zu erstellenden Heizkraftwerkes der Antragstellerin zu 1.) verwertet werden würden. Die jederzeitige Entsorgungssicherheit würde die Bietergemeinschaft über vertragliche Vereinbarungen mit den Müllverbrennungsanlagen in xxx und xxx realisieren. Die Entsorgung der Reststoffe sowie der bei der Vorbehandlung anfallenden Störstoffe und Metalle sollen durch die xxx erfolgen.
Der Auftraggeber lehnte die Teilnahme der Antragstellerinnen am Verhandlungsverfahren mit Telefax vom 25.09.2000 ab. Zur Begründung verwies der Auftraggeber darauf, dass die Unternehmen der Antragsteller nach Auswertung und sorgfältiger Prüfung ihres Teilnahmeantrages für nicht geeignet angesehen werden. Dabei sei die Beurteilung der Eignung der Bewerber nicht lediglich von dem formalen Erbringen bzw. Nichterbringen der geforderten Nachweise abhängig gemacht worden. Entscheidend sei gewesen, die notwendige Feststellung treffen zu können, dass der betreffende Bewerber unter den gegebenen Umständen in der Lage sein wird, die geplante Leistung zu erbringen. Alle Bewerber seien gleichbehandelt worden. So sei etwa Bewerbern, die sich nach Auswertung der Bewerbungsunterlagen und der beim Landkreis xxx vorhandenen Informationen als nicht geeignet erwiesen hatten, nicht gestattet worden, einen nicht rechtzeitig eingereichten Nachweis nachzureichen. Gleichwohl eingereichte Nachweise seien unberücksichtigt geblieben. Mit Telefax vom 12.10.2000rügten die Antragstellerinnen die Zurückweisung des Teilnahmeantrags als Verstoß gegen Vergabevorschriften.Hilfsweise wiesen sie in der Rüge darauf hin, dass die gewählte Vergabeart ihrer Auffassung nach fehlerhaft sei und forderten den Antragsgegner zur Aufhebung der Ausschreibung auf. Mit Anwaltsschriftsatz (Telefax) vom18.10.2000 wies der Auftraggeber die Rügen zurück. Er bekräftigte noch einmal seine Auffassung, dass die Antragstellerinnen nicht geeignet seien, die in Rede stehende Leistung zu erbringen.
Die Antragstellerinnen haben mit Anwaltsschriftsatz vom 20.10.2000, eingegangen am 23.10.2000, die Vergabekammer angerufen. Sie vertreten die Auffassung, dass ihre Teilnahme am Verhandlungsverfahren zu Unrecht abgelehnt wurde und gegen Vergabevorschriften verstößt. Die Antragstellerinnen würden vielmehr sämtliche Eignungsanforderungen, die der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung und in den Informationsunterlagen aufgestellt hat, erfüllen. Der Bau und der Betrieb einer thermischen Abfallbehandlung seien heute ein regelmäßiger Bestandteil bei der Realisierung von Abfallwirtschaftskonzepten. Die dazu notwendigen Voraussetzungen würde auch im vorliegenden Fall bereits jede Antragstellerin für sich als leistungsstarkes mittelständisches Unternehmen erfüllen. Erst recht seien die Antragstellerinnen hierzu aber als Bietergemeinschaft in der Lage, da sie durch den Zusammenschluss ihre Möglichkeiten und Kapazitäten noch erhöhen. Sie habe die von ihr monierten Vergaberechtsverstöße gegenüber dem Auftraggeber auch unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 BGB gerügt. Da der Auftraggeber die Zurückweisung der Teilnahmeanträge nicht hinreichend begründet habe, seien die rechtsunkundigen Antragsteller gezwungen gewesen, den Sachverhalt vor Rügeerteilung ausführlich rechtlichüberprüfen zu lassen. Die Antragstellerinnen hätten daher ihren Verfahrensbevollmächtigten die Ausschreibungsunterlagen sowie den Schriftwechsel mit Schreiben vom 02.10.2000 zur Prüfung vorgelegt. Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin hätten die Antragstellerin zu 1.) mit Telefax vom 10.10.2000über das Ergebnis der rechtlichen Prüfung unterrichtet. Die Rüge selbst erfolgte dann - unstreitig - mit Telefax vom 12.10.2000.
Die Antragstellerinnen machen ferner geltend, der Auftraggeber habe rechtswidrigerweise auch nicht von der ihm zur Verfügung stehenden, sich sogar aufdrängenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich nach § 7 a Nr. 5 VOL/A vorgelegte Bescheinigungen erläutern zu lassen. Der Auftraggeber hatte sich in der Bekanntmachung bereits ausdrücklich verpflichtet, sämtliche befähigten Bewerber an dem Verhandlungsverfahren zu beteiligen. Hilfsweise machen die Antragstellerinnen geltend, der Auftraggeber habe unter Verletzung der §§ 101 Abs. 5 GWB, 3 a Ziff. 1 Abs. 1 VOL/A es unterlassen, den streitbefangenen Auftrag im Offenen Verfahren auszuschreiben. Die Wahl des Verhandlungsverfahrens mit vorherigem Teilnahmewettbewerb sei hier nicht statthaft gewesen. Die Antragstellerinnen berufen sich auf die Rechtsprechung des VÜA Baden-Württemberg vom 28.05.1999 - 1 VÜ 7/99.
Die Antragstellerinnen beantragen:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerinnen durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerinnen als Bietergemeinschaft mangels Eignung zur Ausführung der ausgeschriebenen Leistung nicht zur Abgabe eines Angebots in dem Verhandlungsverfahren aufzufordern, in ihren Rechten verletzt sind.
- 2.
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Antragstellerinnen als Bietergemeinschaft zur Abgabe eines Angebots im Verhandlungsverfahren zur Vergabe der thermischen Behandlung von Restabfällen aufzufordern.
Hilfsweise haben die Antragstellerinnen zu den Anträgen zu Ziff. 1 und 2 beantragt,
- 3.
die Wahl des Verhandlungsverfahrens für unzulässig zu erklären und dem Antragsgegner aufzugeben, die Ausschreibung aufzuheben.
Der Auftraggeber beantragt,
- 1.
die von den Antragstellerinnen gestellten Anträge zurückzuweisen
- 2.
die Kosten des Nachprüfungsverfahrens den Antragstellerinnen aufzuerlegen.
Er vertritt die Auffassung, die Hauptanträge seien schon dem Inhalt nach unzulässig. Die Vergabekammer sei nicht befugt, dem Auftraggeber aufzugeben, die Antragstellerinnen als Bietergemeinschaft zur Abgabe eines Angebots in dem Verhandlungsverfahren zur Vergabe der thermischen Behandlung von Restabfällen aufzufordern. Im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens könnten Antragsteller im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB lediglich beanspruchen, dass der Auftraggeber eine einwandfreie Eignungsprüfung durchführt.
Der Auftraggeber ist ferner der Auffassung, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil die Antragstellerinnen die Nichtberücksichtigung des Teilnahmeantrags zu spät gerügt haben. Nach Zurückweisung des Teilnahmeantrags mit Schreiben des Auftraggebers vom 25.09.2000 hätten die Antragstellerinnen mehr als 2 Wochen bis zur Rüge verstreichen lassen. Damit sei der von der Rechtsprechung gesteckte maximale Zeitrahmen für die Unverzüglichkeit der Rüge von 14 Tagen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Verg 1/99, ZVgR 1999, S. 62 (66) ) überschritten worden. Der Auftraggeber vertritt ferner die Auffassung, dass die Antragstellerinnen keinen Anspruch auf Mitteilung der Gründe für die Nichtberücksichtigung eines Teilnahmeantrages haben.
Auch den hilfsweisen Nachprüfungsantrag hält der Auftraggeber für unzulässig, weil die Antragstellerinnen das Gebrauchmachen der Vergabeverfahrensart "Verhandlungsverfahren nach vorheriger Vergabebekanntmachung" zu spät gerügt haben, obwohl die Wahl des Verfahrens - unstreitig - aus der Bekanntmachung ersichtlich gewesen war.
Der Nachprüfungsantrag sei im Übrigen auch unbegründet. Insbesondere sei die Zurückweisung des Teilnahmeantrags nicht willkürlich erfolgt. Der Auftraggeber müsse entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen nicht nachweisen, dass die Antragstellerinnen zur Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen nicht befähigt sind. Vergaberechtlich reiche es vielmehr völlig aus, wenn der Auftraggeber davonüberzeugt sein durfte, dass die Antragstellerinnen nicht geeignet sind.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten in diesem Nachprüfungsverfahren, die Vergabeakte und das Protokollüber die mündliche Verhandlung vom 14.11.2000 verwiesen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist sowohl hinsichtlich der Hauptanträge als auch des hilfsweise gestellten Antrages unzulässig. Die Antragstellerinnen haben die von ihnen geltend gemachten, vermeintlichen Vergabemängel nicht unverzüglich gegenüber dem Auftraggeber gemäß § 107 Abs. 3 GWB gerügt, nachdem sie die ihrer Rüge zu Grunde liegenden Tatsachen erkannt hatten.
1.
Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Zwar hat der Gesetzgeber von der Ermächtigungsgrundlage in § 127 Nr. 1 GWB zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Umsetzung der Schwellenwerte für eine EU-weite Ausschreibung bislang keinen Gebrauch gemacht. § 100 GWB ist aber richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Schwellenwerte unmittelbar durch die EG-Richtlinien bestimmt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag, für den gem. § 1 a Nr. 1 VOL/A der für eine Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung maßgebliche Schwellenwert von 200.000 EURO = 391.166 DM gilt. Da sich das streitbefangene Vergabeverfahren nach den der Vergabekammer vorliegenden Vergabeakten noch im Stadium des gerade abgeschlossenen Teilnahmewettbewerbs befindet, liegen der Vergabekammer noch keine Angebote vor, so dass sich der Wert des ausgeschriebenen Auftrags nicht konkret ermitteln lässt. Der voraussichtliche Wert des streitbefangenen Auftrags über die thermische Behandlung von jährlich 45.000 Mg bis 75.000 Mg Restabfällen für den ausgeschriebenen fünfzehnjährigen Vertragszeitraum übersteigt jedoch auch nach Einschätzung des Auftraggebers gemäß dem in der Vergabeakte, Bd. 1 Entscheidungspapier vom 19.05.2000, Seite 3, Rdnr. 4 ohne weiteres den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.
2.
Die Antragstellerinnen sind auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da es sich bei den ausgeschriebenen Dienstleistungen um einen Auftrag handelt, für den sie von ihrer unternehmerischen Ausrichtung her als potenzielle Bieterinnen in Betracht kommen und deshalb eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend machen, indem sie behaupten, sie werden unter Verletzung des Diskriminierungsverbots gem. § 97 Abs. 2 GWB von der Auftraggeberin zu Unrecht von der Teilnahme am streitbefangenen Verhandlungsverfahren ausgeschlossen. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107 Rdn. 52). Die Antragstellerinnen haben ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie haben schlüssig vorgetragen, dass sie möglicherweise ein konkurrenzfähiges Angebot abgeben könnten, wenn sie am Verhandlungsverfahren teilnehmen können. Es ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerinnen auch schlüssig darlegen, dass sie bei vergabekonformem Verhalten der Auftraggeberin den Zuschlag auch tatsächlich erhalten würden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999, Az.: Verg. 1/99, S. 24).
3.
Die Antragstellerinnen haben die von ihnen im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergaberechtsverstöße jedoch nicht "unverzüglich" i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gerügt. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Ein Anbieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Werden beim Durcharbeiten des Leistungsverzeichnisses Ungenauigkeiten festgestellt, liegt positive Kenntnis vor (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., § 107 Rdnr. 681).
"Kenntnis" i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist gegeben, wenn ein Bieter oder Bewerber aufgrund des Verhaltens des Auftraggebers oder einer Festlegung in den Verdingungsunterlagen - ohne dies rechtlich fundiert begründen zu können - von einem Vergabefehler ausgeht. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Vgl. Beschluss vom 22.08.2000, Az.: Verg 9/00) ist für die Kenntnis das Wissen um einen Sachverhalt ausreichend, der den Schluss erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden.
Unter Zugrundelegung dieser zutreffenden Maßstäbe hatten die Antragstellerinnen Kenntnis vom vermeintlich vergaberechtswidrigen Verhalten des Auftraggebers, sobald sie das mit Telefax vom 12.10.2000 empfangene Schreiben des Auftraggebers gelesen hatte, mit dem ihr Teilnahmeantrag abgewiesen wurde.
Die Antragstellerinnen vertreten die Auffassung, dass die Absage ihres Teilnahmeantrages vom 25.09.2000 nicht aussagekräftig genug gewesen sei, um unverzüglich kurz danach eine Rüge aufsetzen zu können. In der Absage vom 25.09.2000 weist der Auftraggeber darauf hin, dass man die Antragstellerinnen für nicht geeignet hält, den ausgeschriebenen Auftrag durchzuführen. Die Antragstellerinnen vertreten die Auffassung, dass hier en Detail hätte dargelegt werden müssen, warum man ihnen als generell großem, erfahrenem Unternehmen der Branche die Eignung abspricht. Aus diesem Grunde habe man erst nach Konsultation des Anwalts das Rügeschreiben aufgesetzt.
Gemäß § 27 a VOL/A - Nicht berücksichtigte Bewerbungen und Angebote - teilt der Auftraggeber den bei der Vergabe eines Auftrags nicht berücksichtigten Bewerbern oder Bietern, die dies beantragen, innerhalb von 15 Tagen nach Eingang ihres Antrags die Gründe für die Ablehnung ihrer Bewerbung oder ihres Angebots sowie im Fall eines Angebots den Namen des erfolgreichen Bieters mit. Bei den von der Vorschrift erfassten Bewerbernhandelt es sich um Unternehmen, die sich vor der eigentlichen Einreichung eines Angebotes um Aufträge bemühen. Dies geschieht beim Offenen Verfahren durch die Anforderung und Bearbeitung der Verdingungsunterlagen, beim Nichtoffenen Verfahren mit Öffentlichem Teilnahmewettbewerb sowie beim Verhandlungsverfahren mit vorheriger Vergabebekanntmachung durch das Stellen eines Teilnahmeantrags. Bei den von A § 27a gleichfalls erfassten Bieternhandelt es sich um Unternehmen, die konkret ein Angebot beim Auftraggeber abgegeben haben.
Der Auftraggeber ist gegenüber den beantragenden nicht berücksichtigten Bewerbern oder Bietern verpflichtet, die entsprechenden Ablehnungsgründe bzw. den Namen des erfolgreichen Bieters mitzuteilen. Hinsichtlich der Art der Mitteilungspflicht enthält A § 27 a keine Formvorgaben. Die Mitteilung kann daher durch den Auftraggeber auch mündlich geschehen. Aus Beweissicherungsgründen sollte jedoch die Schriftform vorgezogen werden.
Auch hinsichtlich des Umfangs vom Auftraggeber mitzuteilender Gründe enthält A § 27 a keine näheren Festlegungen. Aus dem Wortlaut geht nur hervor, dass dem beantragenden Bewerber - anders als dem Bieter - nicht der Name des erfolgreichen Bieters mitgeteilt werden darf. Eine weitere Grenzziehung über die Mitteilung ergibt sich aus der Vertraulichkeits- und Geheimhaltungsvorschrift des A § 22 Nr. 6, die auch im Falle der EG-Vergabevorschrift des A § 27 a zur Anwendung kommt. Eng mit dieser Geheimhaltungs- und Vertrauenspflicht verknüpft ist der Datenschutz der Bewerber oder Bieter. Die Bekanntgabe von Gründen durch den Auftraggeber darf sich daher nur in diesem aufgezeigten Rahmen bewegen. Bei dem Umfang der Gründe, die den Bewerbern oder Bietern mitzuteilen sind, ist davon auszugehen, dass diese ein berechtigtes Interesse daran haben, zu erfahren, warum der Antrag auf Teilnahme an dem Auftrag bzw. ihr abgegebenes Angebot nicht zum Zuge gekommen ist. Handelt es sich bei dem Beantragenden um einen Bewerber, hat der Auftraggeber ihm die Gründe aufzuzeigen, warum er nicht zum Kreis der zur Angebotsabgabe Aufgeforderten gehört. Dabei kann sich der Auftraggeber bei der Benennung der Gründe an der Vorschrift des A § 7a (Teilnehmer am Wettbewerb) orientieren und sich bei der Nichtberücksichtigung insbesondere auf die dort angegebenen Kriterien für eine Nichteignung beziehen(Daub/Eberstein, Kommentar zur VOL/A, 4. Aufl., Rdn. 9ff. zu § 27 a VOL/A).
Der Auftraggeber hatte, ohne dass bereits ein Antrag auf Mitteilung der Gründe für die Nichtberücksichtigung von den Antragstellerinnen vorlag, von sich heraus ein Absageschreiben vom 25.09.2000 an die Antragstellerinnen verfasst und zugesandt. Mit dem Absageschreiben teilte der Auftraggeber den Antragstellerinnen Folgendes mit:
"Nach Auswertung und sorgfältiger Prüfung Ihres Teilnahmeantrages bin ich zu der Auffassung gekommen, dass Ihr Unternehmen für eine Beteiligung an dem nunmehr vorgesehenen Verhandlungsverfahren nicht in Betracht zu ziehen ist. Ich weise darauf hin, dass die Beurteilung der Eignung der Bewerber nicht lediglich von dem formalen Erbringen bzw. Nichterbringen der geforderten Nachweise abhängig gemacht wurde. Entscheidend war, die notwendige Feststellung treffen zu können, dass der betreffende Bewerber unter den gegebenen Umständen in der Lage sein wird, die geplante Leistung zu erbringen. Alle Bewerber sind gleich behandelt worden. So wurde etwa Bewerbern, die sich nach Auswertung der Bewerbungsunterlagen und der beim Landkreis vorhandenen Informationen als nicht geeignet erwiesen hatten, nicht gestattet, einen nicht rechtzeitig eingereichten Nachweis nachzureichen. Gleichwohl eingereichte Nachweise sind unberücksichtigt geblieben."
In diesem Absageschreiben wurden die Gründe für die Ablehnung des Teilnahmeantrages zwar pauschal, aber dennoch so präzise beschrieben, dass ein fachkundiger Bewerber unschwer erkennen musste, dass ihm die persönliche Eignung gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A für die Erbringung der Leistung in Gänze abgesprochen wurde. Es wurde nicht differenziert nach Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Das Merkmal der Unverzüglichkeit der Rüge wird in Anlehnung an § 121 Abs. 1 BGB ausgelegt. Danach muss die Rüge sobald erklärt werden, als es für den Antragsteller nach den Umständen möglich und zumutbar ist (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., Rdnr. 682). In der Rechtsprechung wird allgemein als äußerster Zeitraum für eine unverzügliche Rüge eine Frist von 2 Wochen anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999 - Verg. 1/99; BayObLG, Beschluss v. 21.05.1999 - Verg. 1/99. Das heißt jedoch nicht, dass ein Bieter diese Frist in jedem Fall ausschöpfen kann. Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass einerseits in den Fällen, denen sich ein vermeintlicher Vergaberechtsfehler erst aus umfangreichen Kenntnissen und Studium der Rechtsgrundlagen ableiten lässt, auch dann noch rechtzeitig gerügt werden kann, wenn diese Frist von 2 Wochen deutlich überschritten wird. Betrifft der gerügte Sachverhalt aber wie im vorliegenden Fall eine aus den Verdingungsunterlagen ersichtliche, für ein fachkundiges Unternehmen ohne weiteres erkennbare Tatsache, ist eine Rügefrist von maximal 5 Tagen absolut ausreichend und zumutbar.
Im vorliegenden Fall hätten die Antragstellerinnen ohne schuldhaftes Verzögern umgehend, d.h. innerhalb von 3 bis 5 Tagen gegenüber dem Auftraggeber reagieren müssen. Die Absprache aller persönlichen Eignungskriterien ist so gravierend, wie die Antragstellerinnen selbst dadurch belegen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2000 vorgetragen haben, sie seien nach Erhalt der Absage verärgert gewesen, dass eine sofortige Reaktion darauf angezeigt gewesen wäre. Als natürliche Reaktion hätte mindestens eine telefonische Nachfrage beim Auftraggeber erfolgen müssen. Hierdurch wäre auch zumindest eine mündliche Rüge impliziert, die grundsätzlich - da die Rüge formfrei erfolgen kann - ausreichend gewesen wäre. Der Bieter muss sich stets auch selbst um Rechtsschutz bemühen, sonst läuft er Gefahr, dass sein Rechtsschutz verfristet. Diese Intention des Gesetzgebers wird auch dadurch belegt, dass das GWB für das Verfahren vor der Vergabekammer keinen Anwaltszwang vorsieht. Von einem fachkundigen Bieter kann verlangt werden, dass er so viel Kenntnis vom Vergaberecht hat, um selbst erkennen zu können, wenn der Auftraggeber Kernbereiche der Vergabevorschriften vermeintlich nicht beachtet.
Im Übrigen kann sich der Bieter hinsichtlich seiner Qualifikationen ohnehin nur selbst einschätzen und bedarf dazu keines Rechtsbeistandes. Selbstverständlich blieb es den Antragstellerinnen gleichwohl auch in dieser Situation unbenommen, einen Rechtsanwalt zu konsultieren. Die Einschaltung des Rechtsanwaltes entband sie jedoch nicht davon, parallel dazu zumindest die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte, offensichtliche, pauschale Absprache ihrer Eignung für den streitbefangenen Auftrag gegenüber dem Auftraggeberumgehend zu rügen. Hinzu kommt, dass die Antragstellerinnen auch nicht etwa unverzüglich nach Erhalt des Ablehnungsschreibens per Telefax am 25.09.2000, sondern erst mit Schreiben vom 02.10.2000 - nach einer Woche - ihrem Rechtsanwalt die Ausschreibungsunterlagen und den bisherigen Schriftwechsel zur Prüfung vorgelegt haben.
Die Rüge mit Telefax vom 12.10.2000 erfolgte somit nicht unverzüglich i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Der Nachprüfungsantrag ist daher hinsichtlich der Hauptanträge unzulässig.
4.
Auch der hilfsweise gestellte Antrag, die Wahl des Verhandlungsverfahrens für unzulässig zu erklären und dem Auftraggeber aufzugeben, das Vergabeverfahren aufzuheben, ist wegen Präklusion der Rüge unzulässig.
Die Tatsache, dass der Auftraggeber hier kein Offenes Verfahren gewählt hat, ergab sich bereits unmittelbar aus der Bekanntmachung vom 24.07.2000, die im EG-Amtsblatt am 01.08.2000 veröffentlicht wurde. Selbst wenn man den Antragstellerinnen in ihrer Argumentation folgt, dass mit dieser Tatsache noch nicht automatisch auch der nunmehr geltend gemachte, mit der Wahl des Verfahrens verbundene, vermeintliche Vergaberechtsverstoß für die Antragstellerinnen sofort erkennbar war, ist die diesbezügliche, ebenfalls erst mit Telefax vom 12.10.2000 erhobene Rüge gemäß Satz 2des § 107 Abs. 3 GWB präkludiert. Nach dieser Vorschrift muss der vermeintliche Verstoß, sofern er aus der Bekanntmachung erkennbar ist, spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist oder der Bewerbungsfrist gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Positive Kenntnis ist also im Gegensatz zu dem von Satz 1 des § 107 Abs. 3 GWB geregelten Sachverhalt nicht erforderlich. Maßstab für die Erkennbarkeit muss der Sachverstand des Antragstellers sein. Insoweit ist auf einen sorgfältigen und gewissenhaften "Durchschnittsbieter" abzustellen (vgl. Portz in: Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 GWB, Rdnr. 36). Die vermeintliche Wahl der falschen Vergabeart gehört unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs eindeutig zu den erkennbaren Verstößen i.S.d. § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB. Zumindest bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist am 29.08.2000 konnten die Antragstellerinnen als erfahrene Bieterinnen diesen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß erkennen. Die Rüge vom 12.10.2000 erfolgte daher auch diesbezüglich zu spät.
Der Hilfsantrag ist im Übrigen auch unbegründet. Den Antragstellerinnen konnte aus der Art des gewählten Vergabeverfahrens kein Schaden i.S.d. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB entstehen oder drohen. Die Antragstellerinnen vertreten die Auffassung, dass sie in einem Offenen Verfahren bessere Chancen bezüglich der Wertung ihrer persönlichen Eignungskriterien gehabt hätten, da dann insgesamt diese Kriterien mit dem Angebot beurteilt worden wären. Dem kann nicht gefolgt werden, da es sich hier um eine Wertungsphase handelt, die unabhängig von den übrigen Wertungsphasen zu behandeln ist.
Nach Ausschluss der unter § 25 Nr. 1 VOL/A genannten Angebote tritt die Wertung mit § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A in die zweite Phase ein, bei der die Angebote nach der Eignung der Bieter gewertet werden. Diese Untersuchung hat von den Begriffen "Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit" auszugehen, die bereits in A § 2 Nr. 2 aufgeführt sind. Es ist zu prüfen, ob der Bieter zur Ausführung der anstehenden Leistung persönlich und sachlich geeignet ist (Daub/Eberstein, Rdn. 28 zu § 25 VOL/A).
Diese Prüfungsphase hat also unabhängig von der Art der Vergabe immer isoliert zu erfolgen. Auch die entsprechenden Nachweise sind gleich und zwar unabhängig von den fachlichen Inhalten der Angebote. Es ist lediglich eine Frage des Zeitpunktes der diesbezüglichen Prüfung, die bei einem Teilnahmewettbewerb naturgemäß vor dem eigentlichen Wettbewerb erfolgen muss, während sie bei einem Offenen Verfahren eine Phase bei der Gesamtprüfung der Angebote ist.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Es wird die Mindestgebühr in Höhe von 5 000,00 DM bzw. 2 556,46 EURO gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Die Überweisung der o.a. Gebühr hat sich durch den mit Schreiben vom 26.10.2000 - o.a. Az. - festgesetzten und bereits entrichteten Kostenvorschuss in gleicher Höhe erledigt.
Tyrra
Dr. Pade