Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 13.10.2000, Az.: 203-VgK-11/00
Ausschreibung der Entwicklung eines Datenverarbeitungsverfahrens; Ausschluss eines Bieters wegen Informationsvorsprungs auf Grund früherer Planungstätigkeiten; Ausgleich des Vorsprungs durch Transparentmachung der Kenntnisse in den Verdingungsunterlagen; Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot; Bestimmung der Schwellenwerte für eine EU-weite Ausschreibung
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 13.10.2000
- Aktenzeichen
- 203-VgK-11/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 30762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Nr. 2 VOL/A
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 97 Abs. 2 GWB
- § 107 Abs. 2 GWB
- § 127 GWB
Verfahrensgegenstand
Ausschreibung der Entwicklung eines Datenverarbeitungsverfahrens
Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden ORR Gause,
den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Tyrra
und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dr. Pade
auf die mündliche Verhandlung vom 04.10.2000
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Auftraggeberin wird verpflichtet, auch die Antragstellerin als Bieter im ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren teilnehmen zu lassen und zur Angebotsabgabe aufzufordern.
- 2.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens trägt die Auftraggeberin.
- 3.
Die Kosten werden auf 5.000,-- DM festgesetzt.
- 4.
Die Beiziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragstellerin war notwendig.
Begründung
I.
Die Auftraggeberin hat mit Vergabebekanntmachung vom 02.08.2000, veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 11.08.2000 im Vergabeverfahren gem. § 3 a Nr. 1 Abs. 4 c VOL/A (Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb) die Entwicklung eines Datenverarbeitungsverfahrens als Anpassung der niedersächsischen ... IT-Systeme an das gemeinsame Informationssystem des Bundes und der Länder ausgeschrieben. Das Projekt umfasst u.a. die Konzeptionierung und Realisierung:
- eines IT-Systems, das Prozesse der xxx Sachbearbeitung, Auswertung und Statistik abdeckt,
- der erforderlichen IT-Struktur für die xxx
- die Kommunikation mit anderen IT-Systemen (xxx intern und -extern).
Gemäß Bekanntmachung soll sich die künftige Projektgruppe aus ca. 55 Mitarbeitern der xxx
(Auftraggeberin) und ca. 30 Mitarbeitern des künftigen Auftragnehmers zusammensetzen. Als Vorgabe für die erwarteten Qualifikationen erklärte die Auftraggeberin in der Bekanntmachung:
"Um das Projekt in der Gesamtheit ausführen zu können, sind Projektmanager, Systemanalytiker, Systemdesigner, QS-Manager, Konfigurationsmanager und SEU-Administratoren, technische und fachliche Architekten und OO-Systementwickler einzusetzen. Die entsprechenden Qualifikationen sind nachzuweisen."
Parallel dazu wurde ebenfalls am 02.08. die Vergabebekanntmachung für die gesonderte Ausschreibung des projektbegleitenden Controllings für die betriebswirtschaftliche und organisatorische Planung, Steuerung und Kontrolle des Gesamtprojekts an das Amtsblatt der EU übersandt.
Das Projekt xxx umfasst im Wesentlichen die Konzeptionierung und Realisierung des Datenverarbeitungsverfahrens bis zum 31.12.2003. Der künftigen externen Beraterfirma soll die fachliche Gesamtverantwortung für den Erfolg des Objektes obliegen.
Im Vorfeld der Ausschreibung war die Antragstellerin unstreitig bei den Vorarbeiten für das Projekt xxx für die Auftraggeberin tätig. Sie hat von Oktober 1998 bis Februar 1999 eine Aufwandsschätzung für die Realisierung des Projekts durchgeführt. Von Mai 1999 bis zum 31.08.2000 hat sie in Vorbereitung des Projektes weitere Aufträge zu dessen Konkretisierung und der Beratung der Projektmitglieder der Auftraggeberin erhalten und war in dieser Zeit im xxx ununterbrochen tätig. Im Einzelnen war sie zuständig für die Klärung fachlicher und technischer Fragestellungen (z.B. Trustcenter, xxx-Einbindung, Landesdatenhaltung, Groupware, Migration von Altanwendungen), den Aufbau der Projektinfrastruktur, die Planung der Schulungen im Rahmen des Projektes, die Definition und den Aufbau der Projektorganisation, die mittelfristige Projektplanung, die Definition des Rahmenprojektauftrages, die Anpassung des Vorgehensmodells, die Anforderungsanalyse an das neue Vorgangsbearbeitungssystem und die Finanzplanung 2000/2001.
Nach Bekanntmachung der Ausschreibung bereitete auch die Antragstellerin einen Teilnahmeantrag vor. Mit Schreiben vom 30.08.2000 teilte die Auftraggeberin ihr mit, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit im ausgeschriebenen Projekt zum genannten Vergabeverfahren wegen des Diskriminierungsverbotes gem. § 97 Abs. 2 GWB zum Vergabeverfahren nicht zugelassen werde. Mit Schreiben vom 01.09.2000 rügte die Antragstellerin bei der Auftraggeberin ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren.
Die Antragstellerin gab rechtzeitig mit Datum vom 11.09.2000 gleichwohl ihren Antrag auf Teilnahme am Wettbewerb ab. Nachdem die Auftraggeberin ihr mit Schreiben vom 06.09.2000 erklärt hatte, dass sie an ihrer Rechtsmeinung festhalten und die Antragstellerin von der Teilnahme am Wettbewerb ausschließen werde, hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 11.09.2000, eingegangen per Telefax am selben Tage, die Vergabekammer angerufen. Sie vertritt die Auffassung, dass sie durch den Ausschluss vom Verhandlungsverfahren in ihren Rechten gem. § 97 Nr. 7 GWB verletzt werde. Einen Ausschlussgrund nach § 7 Nr. 5 VOL/A liege nicht vor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 97 Abs. 2 GWB werde nicht dadurch verletzt, dass die Antragstellerin Vorleistungsarbeiten für die nunmehr ausgeschriebene Leistung gegenüber der Auftraggeberin erbracht hat.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
Die Überprüfung des Vergabeverfahrens zur Ausschreibung der Entwicklung eines Datenverarbeitungsverfahrens.
- 2.
Die Entscheidung der Antragsgegner, den Antrag der Antragstellerin auf Teilnahme an dem ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren abzulehnen, wird aufgehoben.
- 3.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antrag der Antragstellerin auf Teilnahme an dem Verhandlungsverfahren zu berücksichtigen.
- 4.
Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin. Die Beiziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin war notwendig.
Die Auftraggeberin beantragt,
- 1.
den Antrag auf Aufhebung der Entscheidung des Antragsgegners, die Antragstellerin zu dem ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren nicht zuzulassen, abzulehnen,
- 2.
die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Auftraggeberin vertritt die Auffassung, sie sei zum Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren gezwungen. Eine Zulassung zu diesem Vergabeverfahren würde ihrer Auffassung nach gegen das Diskriminierungsverbot des § 2 Nr. 2 VOL/A in Verbindung mit § 97 Abs. 2 GWB verstoßen. Auf Grund der bisher wahrgenommenen Planungstätigkeiten im Projekt xxx habe die Antragstellerin einen solchen Informationsvorsprung gegenüber den anderen Wettbewerbsteilnehmern erhalten, dass bei Beteiligung der Antragstellerin an dem Verfahren die gebotene Chancengleichheit aller Bewerber nicht mehr gewahrt wäre. Die Auftraggeberin verweist darauf, dass die Ergebnisse der Vorarbeiten der Antragstellerin als wesentlicher Bestandteil in die Ausschreibung einfließen. Die Beteiligung der Antragstellerin an diesen Vorarbeiten gebe ihr einen Informationsvorsprung gegenüber den anderen Bewerbern. Im Gegensatz zu den anderen Bewerbern kenne sie die Risiken der Projektabwicklung (Mitarbeiterkompetenzen, Rahmenbedingungen). Sämtliche Dokumente/Sachstände/Feinplanungen des Projekts - mit Ausnahme der für die Ausarbeitung zu erstellenden Leistungsbeschreibungen - seien in Zusammenarbeit mit der Antragstellerin entstanden. Außerdem sei ihr das zur Verfügung stehende Gesamtbudget für das Projekt bekannt. Insbesondere Letzteres gebe der Antragstellerin einen Wissensvorsprung, der nicht - wie andere Kenntnisse - durch entsprechend ausführliche Unterlagen sowie mittels einer Bieterkonferenz für die Mitbewerber transparent gemacht werden könne.
Die Auftraggeberin vertritt die Auffassung, dass es nicht darauf ankomme, dass eine durch den Wissensvorsprung verursachte Benachteiligung erheblich oder unerheblich ist. Eine Vergabestelle müsse schon den Anschein eines Verstoßes gegen die Vergabebestimmung vermeiden.
Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 04.10.2000 verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag der Antragstellerin ist begründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Auftraggeberin, den Antrag der Antragstellerin auf Teilnahme an dem Verhandlungsverfahren als Bieterin abzulehnen, in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
1.
Der Antrag ist zulässig.
Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Behörde des Landes xxx und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Zwar hat der Gesetzgeber von der Ermächtigungsgrundlage in § 127 Nr. 1 GWB zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Umsetzung der Schwellenwerte für eine EU-weite Ausschreibung bislang keinen Gebrauch gemacht. § 100 GWB ist aber richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die Schwellenwerte unmittelbar durch die EG-Richtlinien bestimmt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag, für den gem. § 1a Nr. 1 VOL/A der für eine Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung maßgebliche Schwellenwert von 200.000 EURO = 391.166,-- DM gilt. Der voraussichtliche Wert des streitbefangenen Auftrages liegt ausweislich eines Berichtes der Auftraggeberin an das xxx -ministerium vom 18.07.2000 hinsichtlich der Beantragung der nötigen Haushaltsmittel für das gemäß Vergabebekanntmachung vom 02.08.2000 bis voraussichtlich 31.12.2003 anberaumte Projekt inklusive Beratungskosten, Kosten für den Ausbau der Projektausstattung, Kosten für die xxx-Einführung, Kosten für den Aufbau der Softwareentwicklungsumgebung und der Kosten für IT-Infrastrukturmaßnahmen in den xxx ohne weiteres über dem für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da es sich bei den ausgeschriebenen Dienstleistungen um einen Auftrag handelt, für den sie von ihrer unternehmerischen Ausrichtung her als potenzielle Bieterin in Betracht kommt und deshalb eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie behauptet, sie werde unter Verletzung des Diskriminierungsverbots gem. § 97 Abs. 2 GWB von der Auftraggeberin zu Unrecht von der Teilnahme am streitbefangenen Verhandlungsverfahren ausgeschlossen. Voraussetzung für die Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB ist weiterhin, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107 Rdn. 52). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat schlüssig vorgetragen, dass sie möglicherweise ein konkurrenzfähiges Angebot abgeben könnte, wenn sie am Verhandlungsverfahren teilnehmen kann. Es ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerin auch schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten der Auftraggeberin den Zuschlag auch tatsächlich erhalten würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999, Az.: Verg. 1/99, S. 24).
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich zu rügen. Die Auftraggeberin hatte der Antragstellerin mit Schreiben vom 30.08.2000 mitgeteilt, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit im ausgeschriebenen Projekt zum genannten Vergabeverfahren wegen des Diskriminierungsverbotes gem. § 97 Abs. 2 GWB zum Vergabeverfahren nicht zugelassen werde. Bereits mit Schreiben vom 01.09.2000 rügte die Antragstellerin daraufhin bei der Auftraggeberin ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren. Die Rüge erfolgte somit unverzüglich und damit rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Der Ausschluss der Antragstellerin aus dem Verhandlungsverfahren durch die Auftraggeberin ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Die von der Auftraggeberin zur Begründung des Ausschlusses angeführte Auffassung, eine Zulassung der Antragstellerin als Bieterin im Vergabeverfahren verstoße wegen ihrer Tätigkeit als Projektantin im Vorfeld der streitbefangenen Ausschreibung gegen das Diskriminierungsverbot gem. § 97 Abs. 2 GWB, ist nicht tragfähig. Der unstreitig durch diese Projektantentätigkeit gewonnene Informations- und Wissensvorsprung der Antragstellerin kann zumutbarerweise ausgeglichen werden, indem die Auftraggeberin diese Kenntnisse allen Bietern in den Verdingungsunterlagen transparent macht, insbesondere indem die Auftraggeberin die relevanten Planungsergebnisse aus den Vorarbeiten der Antragstellerin den anderen Bietern bekannt macht bzw. ihnen mindestens die Möglichkeit der Einsichtnahme in diese Ergebnisse ermöglicht.
Unstrittig ist, dass die Antragstellerin im derzeitigen Stand des Vergabeverfahrens aufgrund ihrer jahrelangen Planungstätigkeit für die Auftraggeberin gegenüber allen anderen Bietern einen erheblichen Informationsvorsprung besitzt. Das streitbefangene Vergabeverfahren basiert auf den Vorarbeiten der Antragstellerin und ist mit diesen untrennbar verknüpft. Der Antragstellerin sind die Risiken der Projektabwicklung (Mitarbeiterkompetenzen, Rahmenbedingungen) bekannt. Sie hat auch bereits Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den von der Auftraggeberin in die künftige Projektgruppe eingebrachten Mitarbeitern, wenngleich diese konkrete Zusammenarbeit erst seit Ende April / Anfang Mai d. J. besteht. Der Antragstellerin sind derzeit im Gegensatz zu allen anderen Bietern sämtliche Dokumente, Sachstände und Feinplanungen des Projekts bekannt. Sie hat von Oktober 1998 bis Februar 1999 eine Aufwandsschätzung für die Realisierung des Projekts durchgeführt. Ihr ist daher sowohl der von der Auftraggeberin geschätzte Kostenrahmen für das Gesamtprojekt wie auch das zur Verfügung stehende Haushaltsbudget bekannt.
In Rechtsprechung und Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, dass die Zulassung eines Unternehmens zum Wettbewerb um die Vergabe des Auftrags im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des § 2 Nr. 2 VOL/A problematisch sein kann, wenn dieses Unternehmen im Vorfeld Entwurfs- und Planungsarbeiten oder sogar die Erstellung der Leistungsbeschreibung für den Auftraggeber durchgeführt hat. Die vertretenen Auffassungen unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Konsequenzen, die aus dieser grundsätzlichen Besorgnis zu ziehen sind. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, eine Vergabestelle dürfe ein derartiges Unternehmen in keinem Fall beauftragen, weil die Vergabestelle schon den Anschein eines Verstoßes gegen die Vergabebestimmungen auch im Hinblick auf die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens vermeiden müsse (vgl. Daub/Eberstein, VOL/A, 4. Aufl., Rdn. 27 zu § 8 VOL/A). Für den VOB-Bereich wird dagegen trotz aller Bedenken zugestanden, dass in Ausnahmefällen eine Beteiligung zweckmäßig oder - wenn sich kein geeigneter Projektant finden lässt - sogar notwendig sein kann. Dies könne beispielsweise der Fall sein bei komplexen Bauvorhaben mit umfangreichen betriebstechnischen Anlagen (z.B. einem Krankenhausbau), da hier die größeren Ausführungsfirmen, die meist eigene Planungsabteilungen unterhalten, gegenüber reinen Fachplanern oftmals einen Entwicklungsvorsprung haben. Solche Unternehmen seien häufig nicht bereit, die Planungsarbeiten zu übernehmen, wenn sie sich nicht an der Ausschreibung für die Bauleistungen beteiligen dürfen (vgl. Heiermann/ Riedl/ Rusam, VOB, 9. Auflage, Rdn. 34 zu § 8 VOB/A). Werden nach dieser Auffassung planende Unternehmen am Wettbewerb beteiligt, so kann und muss der Auftraggeber einen Verstoß gegen das Vergaberecht vermeiden, indem er im Interesse des Wettbewerb z.B. darauf achtet, dass der betreffende Projektant nicht die übrigen Bieter auswählt, die Verdingungsunterlagen abgibt, die Angebote entgegennimmt und verwahrt, die Angebotsprüfung und -wertung vornimmt oder gar - falls er den Auftrag erhält - seine eigene Leistung überwacht, abnimmt und abrechnet.
Der BMVBau hat in seinem Vergabehandbuch in der aktuellen Fassung unter Nr. 1.3 zu § 8 VOB/A folgende Regelung getroffen:
"1.3 Planende Unternehmen
Unternehmen, die mit der Planung und/oder Ausarbeitung der Verdingungsunterlagen beauftragt waren, dürfen grundsätzlich nicht am Wettbewerb um die Vergabe von Bauleistungen beteiligt werden."
Bei den Nachprüfungsinstanzen hat sich demgegenüber die Auffassung durchgesetzt, dass allein die Tatsache, dass ein Bieter im Vorfeld der streitbefangenen Ausschreibung als Projektant mitgewirkt hat, nicht geeignet ist, die Annahme einer Wettbewerbsverzerrung zu begründen (vgl. VÜA des Landes Nordrhein-Westfalen, Az. 424-84-43-7/97; VÜA Thüringen, Az. 1 VÜ 4/97; VÜA des Bundes, ZVgR 1997, S. 136). Vielmehr müssen danach beim Vergabeverfahren selbst konkrete Verletzungen einzelner Vergabebestimmungen hinzukommen, um eine Vergaberechtswidrigkeit der Beteiligung des Projektanten und ggf. einer Aufhebung nach § 26 Nr. 1 lit. c VOB/A bzw. § 26 Nr. 2 lit. b VOL/A zu begründen.
Die Vergabekammer teilt diese Auffassung. Zwar kann die Beteiligung eines Bieters, der durch seine Tätigkeit als Projektant Informationsvorsprünge und damit Vorteile gegenüber anderen Bietern im Wettbewerb erlangt, einen schwer wiegenden Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 97 Abs. 2 GWB zur Folge haben. Es verstößt gegen den Neutralitätsgrundsatz, wenn der Auftraggeber einen Bieter zum Wettbewerb zulässt, von dem er weiß, dass er aufgrund seines Informationsvorsprungs ein konkurrenzfähigeres Angebot als die Konkurrenten abgeben kann. Der Neutralitätsgrundsatz als Ausfluss des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem. § 97 Abs. 2 GWB bindet die öffentliche Hand auch dann, wenn es um die Auftragsvergabe in privatrechtlichen Formen geht. Die Vergabekammer teilt jedoch nicht die oben zitierte Auffassung (vgl. Daub/Eberstein, a.a.O.), dass bereits der "Anschein eines Verstoßes" gegen die Vergabebestimmungen zu einer Verletzung des Diskriminierungsverbots führt. Die Vergabekammer hat in dieser Konsequenz bereits für den Fall der Besorgnis einer "Doppelmandatschaft" von an Vergabeverfahren beteiligten natürlichen Personen entschieden, dass sie im Gegensatz etwa zur Entscheidung des OLG Brandenburg (Beschluss v. 03.08.1999 - 6 Verg 1/99 - NVWZ 1999 S. 1242 ff. - Flughafen BBI) nicht die Auffassung teilt, dass eine Verletzung des Diskriminierungsverbots bereits vorliegt, wenn lediglich ein "böser Schein" der Parteilichkeit einer am Vergabeverfahren beteiligten natürlichen Person vorliegt. Vielmehr bedürfe es zusätzlich konkreter Umstände, die eine Parteilichkeit besorgen lassen (vgl. Vergabekammer Lüneburg, Beschluss v. 24.07.2000, 203-VgK-8/2000; Beschluss v. 27.09.2000, 203-VgK 10/2000).
Im vorliegenden Fall ist die Auftraggeberin in der Lage, alles zu unternehmen, um den vorhandenen Informationsvorsprung der Antragstellerin gegenüber allen anderen potenziellen Bietern zu neutralisieren und damit einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des§ 97 Abs. 2 GWB und § 2 Nr. 2 VOL/A zu vermeiden, da sich das streitbefangene Vergabeverfahren erst im Stadium des Teilnahmewettbewerbs befindet und noch kein Angebot abgegeben wurde. Die Auftraggeberin hat selbst in der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2000 dargelegt, dass sie die relevanten Ergebnisse der Tätigkeit der Antragstellerin im Vorfeld der Ausschreibung, die diese im Zeitraum Oktober 1998 bis 31.08.2000 für die Auftraggeberin erarbeitet hat, selbstverständlich über die Ausschreibungsunterlagen allen anderen Bietern zugänglich machen wird. Es handelt sich dabei um die Ergebnisse der vorhandenen Grobplanung und damit im Wesentlichen um Standardfestlegungen und allgemeinübliche Schritte bei der Software-Entwicklung, die von jedem größeren Unternehmen in der Branche nachvollziehbar sind. Es liegt schon unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten auf der Hand, dass ein Auftraggeber im Vorfeld eines Projektes eingekaufte Entwicklungs- und sonstige Dienstleistungen verwertet, indem er diese im nachfolgenden Vergabeverfahren für die Realisierung des Projektes allen potenziellen Bietern zugänglich macht. Dies gilt gerade auch für die von der Antragstellerin als Projektantin zweifellos erworbenen speziellen Kenntnisse über das laufende Softwareprogramm xxx, die Anforderungen an das künftige Programm sowie die für den Übergangszeitraum notwendige Schnittstelle zum von der Bundes- xxx vorgegebenen System xxx. Hinzu kommt, dass einige Firmen der Fachbranche bereits über ähnliche spezielle Kenntnisse verfügen, da auch alle anderen Bundesländer gehalten sind, ähnliche Systeme zu entwickeln. Fest steht daher, dass jeder potenzielle Bieter sich, wie die Antragstellerin auch, bei der Realisierung des Projekts an den bisherigen Vorgaben und Ergebnissen der Grobplanung orientieren muss, um die nötigen Feinplanungen zu ermöglichen. Auf Grund dieser Sachlage ergibt sich, dass eine Beteiligung der Antragstellerin als Bieterin im streitbefangenen Vergabeverfahren nicht gegen das Diskriminierungsverbot des § 2 Abs. 2 GWB verstößt, wenn die Auftraggeberin den als Projektant im Vorfeld der Ausschreibung gewonnenen Informationsvorsprung der Antragstellerin durch nachfolgende Maßnahmen zur Transparenz des derzeitigen Entwicklungsstandes für alle Bieter ausgleicht:
a)
Die Auftraggeberin stellt alle Ergebnisse der Grobplanung, die durch die Tätigkeit der Antragstellerin erzielt wurden, allen Bietern über die Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung. Dazu gehören auch die wesentlichen Unterlagen (Ziele, Organigramm, inhaltliche Arbeitsergebnisse, SEU-Sollkonzept, FAA-Vorgehensmodell, QS-Strategie und allgemeine Angaben zur xxx). Insbesondere ist allen Bietern über ein aussagekräftiges Mitarbeiterprofil zu verdeutlichen, mit welchem Know-how der 55 von der Antragstellerin in die Projektgruppe eingebrachten -mitarbeiter das bietende Unternehmen rechnen kann. Die Vergabekammer hat keinen Zweifel, dass gerade die Qualifikation der von der Auftraggeberin gestellten Mitarbeiter Auswirkungen auf die vom Bieterunternehmen einzusetzende Personalstärke und Zusammensetzung (lt. Vergabebekanntmachung wird mit ca. 30 Mitarbeitern gerechnet) und damit auch auf die Preiskalkulation haben kann. Auch insofern hat die Antragstellerin durch ihre Tätigkeit als Projektantin im Vorfeld der Ausschreibung einen gewissen Informationsvorsprung gegenüber allen anderen potenziellen Bietern. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, dass das konkrete, von der Auftraggeberin gestellte Mitarbeiterkontingent erst seit Mai d. J. feststeht, so dass die diesbezüglichen Erfahrungen und der Informationsvorsprung der Antragstellerin nicht so gravierend ist, dass er nicht durch ein ausführliches Mitarbeiterprofil gegenüber allen zukünftigen Bietern ausgeglichen werden könnte.
b)
Die Zurverfügungstellung der bisherigen Ergebnisse der Feinplanung muss wegen ihres Umfangs nicht notwendig in der Weise erfolgen, dass sie komplett in den Verdingungsunterlagen dargestellt werden. Es genügt, wenn die Auftraggeberin allen Bietern ausdrücklich anbietet, sich vor Ort über die Ergebnisse der bisherigen Feinplanung zu informieren.
c)
In einer Bieterkonferenz erhalten alle Bewerber darüber hinaus die Möglichkeit, im Rahmen von § 17 Nr. 6 VOL/A weitere sachdienliche Auskünfte zu erbitten. Die Auftraggeberin muss dabei allen Bewerbern gleiche Auskünfte erteilen.
d)
Die Eignung der Bewerber im Teilnahmewettbewerb wird ohne jegliche Konsultation der Antragstellerin geprüft und entschieden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Qualifikation im Teilnahmewettbewerb vorgezogener Prüfungspunkt ist und nicht, wie im offenen Verfahren, Gegenstand der Angebotswertung.
e)
Die Entscheidung über die Vergabe wird ohne die Antragstellerin vorbereitet und durchgeführt. Sie muss entsprechend den Anforderungen der VOL/A nachvollziehbar sein und sich vorrangig am Preis und an qualitativen (Aufgaben, Bedingungen) Vorgaben orientieren.
Dagegen ist es im Interesse des Auftraggebers weder zumutbar noch erforderlich, dass die Höhe der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel den Bewerbern bekannt gegeben wird. Eine derartige Vorgabe würde möglicherweise für die Auftraggeberin unwirtschaftliche Angebote nach sich ziehen, wenn Bieter an der Grenze der Vorgabe kalkulieren würden. Dies liegt auch im Interesse eines unbeeinflussten Wettbewerbs. Zwar basieren die angemeldeten und zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel auf der Aufwandsschätzung, welche die Antragstellerin insbesondere in ihrer Tätigkeit zwischen Oktober 1998 und Februar 1999 für die Realisierung des Projekts durchgeführt hat. Die Antragstellerin kann jedoch aus dieser Kenntnis heraus keine Vorteile ziehen, da sie eben nicht vorhersehen kann, wie die Mitbewerber - ohne Kenntnis dieses Kostenrahmens - kalkulieren. Eine Kalkulation an der Grenze der finanziellen Vorgaben könnte die Antragstellerin ohne weiteres aus dem Wettbewerb bringen. Aus diesem verbleibenden Informationsvorsprung ergibt sich daher kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 2 Abs. 2 GWB.
Durch die Nichtzulassung zur Teilnahme als Bieterin im streitbefangenen Verhandlungsverfahren ist die Antragstellerin daher in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
Eine Berufung darauf wäre ihr allenfalls - schon unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben - dann verwehrt gewesen, wenn sich die Auftraggeberin seinerzeit bei der Vergabe des Projektantenauftrags ausdrücklich ausbedungen hätte, dass ein Zuschlag für die Projektantentätigkeit die Teilnahme an dem künftigen Vergabeverfahren für die Projektrealisierung ausschließt. Eine solche, bei vergleichbaren Aufträgen nicht unübliche Bedingung hatte die Auftraggeberin der Antragstellerin bei Erteilung des Projektantenauftrags jedoch unstreitig nicht gestellt.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 1 GWB i. Vb. m. § 16 VwKostG. Es wird die Mindestgebühr in Höhe von 5.000,-- DM bzw. 2.556,46 EURO gem. § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Die Auftraggeberin wird aufgefordert, den Betrag von 5.000,- DM bzw. 2556,46 EURO unter Angabe des Kassenzeichens xxx auf folgendes Konto zu überweisen: xxx.
Der von der obsiegenden Antragstellerin geleistete Kostenvorschuss wird dieser von mir erstattet, sobald diese Entscheidung rechtskräftig ist.
Tyrra
Dr. Pade