Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.02.1996, Az.: 6 M 154/96

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.02.1996
Aktenzeichen
6 M 154/96
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1996, 27044
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1996:0228.6M154.96.0A

Tenor:

  1. Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 11. Dezember 1995 geändert.

    Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die der. Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20. September 1995 wird abgelehnt.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

    Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtszüge auf 22.500,- DM (i.W.: zweiundzwanzigtausendfünfhundert Deutsche Mark) festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 20. September 1995 für die Errichtung eines Windenergieparks mit zehn Windkraftanlagen, die der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen am 26. Oktober 1995 für sofort vollziehbar erklärt hat. Dabei sind Widerspruch und Eilantrag beschränkt auf die Errichtung und den Betrieb der drei westlichen Anlagen WEA 1, 2 und 3 im Süden des im Außenbereich liegenden Wohngrundstücks der Antragstellerin (H., Flurstück 60/3). Die Entfernungen der drei genehmigten Standorte zum Wohnhaus der Antragstellerin betragen 271 m, 305 m und 422 m.

2

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin mit dem angegriffenen Beschluß vom 11. Dezember 1995 mit der Begründung stattgegeben, es könne nicht sicher davon ausgegangen werden, daß der in der Baugenehmigung festgelegte. Immissionsrichtwert von 45 dB(A) nachts für das Grundstück der Antragstellerin eingehalten werden könne, da auch die Immissionsvorbelastung durch die etwa 1 km südlich verlaufende Bundesautobahn zu berücksichtigen sei.

3

Dagegen richtet sich die fristgemäß eingegangene Beschwerde der Beigeladenen mit einem Ergänzungsgutachten, wonach bei Berücksichtigung der Vorbelastung durch die Bundesautobahn auf dem Grundstück der Antragstellerin 44,4 dB(A) eingehalten werden.

4

Demgegenüber bezieht sich die Antragstellerin auf ein neues Lärmschutzgutachten vom 30. Januar 1996, wonach insgesamt mit einem Immissionspegel von 46,8 dB(A) zu rechnen sei. Außerdem hält sie die zu erwartenden Lichtreflexionen (sogenannte Disco-Effekte) für unzumutbar.

5

Die Beschwerde der Beigeladenen hat Erfolg.

6

Soweit die angefochtene Baugenehmigung den Betrieb der streitigen drei Windenergieanlagen in der Zeit zwischen 6.00 und 22.00 Uhr, also tagsüber, betrifft, ist unstreitig nicht mit unzumutbaren Lärmbelästigungen für das Wohngrundstück der Antragstellerin zu rechnen. Der nach der Auflage Nr. 3 der Baugenehmigung vom 20. September 1995 insoweit nicht zu überschreitende Immissionsrichtwert von 60 dB (A) kann ohne weiteres eingehalten werden.

7

Die übrigen Bedenken der Antragstellerin gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung dürften auch im Hauptsacheverfahren nicht zur Anerkennung von nachbarlichen Abwehrrechten führen. Hierzu kann auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf den Seiten 6 bis 9 des Beschlußabdrucks verwiesen werden. Insbesondere sind keine unzumutbaren Beeinträchtigungen des Wohngrundstücks der Antragstellerin durch Lichtreflexionen (sogenannter Disco-Effekt) zu erwarten. Das ergibt sich aus der südlichen Lage der drei streitigen Standorte zum Grundstück der Antragstellerin. Aber auch die Schatteneffekte halten sich im Rahmen des Zumutbaren. Das ist durch das vorliegende Gutachten über die Berechnung der Beeinflussungsdauer von Sonnenstrahlen durch Windkraftanlagen für den Standort Windpark Holtgaste hinreichend belegt. Danach ist durch die WEA 1 eine reale Beschattungsdauer von durchschnittlich unter 1,5 Minuten, pro Tag im Winterhalbjahr vom 4. Oktober bis 9. März in den späten Nachmittagsstunden prognostiziert. Bei der Anlage WEA 2 beträgt die reale Beschattungsdauer für das Grundstück der Antragstellerin zwischen dem 1. Dezember und dem 9. Januar eines Jahres durchschnittlich nur 48 Sekunden täglich. Bei der Anlage WEA 3 entfällt jede Beschattungsmöglichkeit. An 314 Tagen des Jahres wirken sich auch die Anlagen WEA 1 und WEA 2 gar nicht aus. Im übrigen können die befürchteten Schattenspiele ohnehin nur bei Sonnenschein auftreten, wobei der Wind aus einer bestimmten Richtung wehen muß. Deshalb ist zumindest im vorliegenden Eilverfahren nicht von Belästigungen auszugehen, die objektiv nicht hinzunehmen wären. Nicht jede spürbare Beeinträchtigung eines Nachbargrundstücks kann als unzumutbar oder rücksichtslos abgewehrt werden. Das gilt auch im Hinblick auf die neuerdings von der Antragstellerin geltend gemachten Beeinträchtigungen durch nicht hörbare Infraschall-Geräusche mit einer Frequenz unter 20 Hertz, deren gesundheitliche Auswirkungen bisher medizinisch nicht in einer Weise nachgewiesen sind, daß sich daraus ein Abwehranspruch der Antragstellerin herleiten ließe.

8

Für den Nachtbetrieb der drei streitigen Anlagen zwischen 22.00 und 6.00 Uhr teilt der Senat die Bedenken des Verwaltungsgerichts gegen die Zumutbarkeit der Lärmimmissionen auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht. Welcher Lärm bei Windkraftanlagen für Nachbarn noch zumutbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Technische Regelwerke wie die TA-Lärm können nur als Orientierungshilfe oder grober Anhalt herangezogen werden (BVerwG, Beschl. v. 08.02.1991 - 4 B 10.91 -, BauR 1991, 179 = BRS 52 Nr. 81). Nicht zu beanstanden ist danach, daß die angefochtene Baugenehmigung unter ihrer Auflage Nr. 3 einen Immissionsrichtwert von 45 dB(A) nachts festsetzt, weil das im Außenbereich gelegene Anwesen der Antragstellerin in seiner Schutzbedürftigkeit einer Lage im Dorf- oder Mischgebiet entspricht (vgl. Urt. d. Sen. v. 26.08.1991 - 6 K 29/89 -, Nds. Rpfl. 1991, 304). Dieser Immissionsrichtwert kann voraussichtlich auch eingehalten werden. Das folgt aus der Berechnung des Deutschen Windenergie-Instituts in Wilhelmshaven vom 14. Februar 1996 (Bl. 233 GA) und derjenigen der Planungsgemeinschaft Energie und Umwelt vom 13. Februar 1996 (Bl. 207 ff GA). Danach ist am Obergeschoß des Hauses der Antragstellerin mit einem nächtlichen Beurteilungspegel von 44,0 dB(A) zu rechnen, wenn man die Verkehrslärmvorbelastung von der Bundesautobahn nicht berücksichtigt. Diese kann hier jedoch ausnahmsweise auch unberücksichtigt bleiben. Dabei orientiert der Senat sich an der Musterverwaltungsvorschrift zur Ermittlung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 4. Mai 1995 (Bl. 225 ff GA). Nach deren Nr. 2.4.3 kann das Zusammenwirken von Anlagengeräuschen mit Verkehrs- und sonstigen Geräuschen bei der Beurteilung der Schädlichkeit der Immissionen grundsätzlich nicht vernachlässigt werden (S. 21). Wegen der unterschiedlichen Wirkungen der verschiedenen Geräuschquellenarten ist eine Verrechnung der Immissionsanteile aus unterschiedlichen Geräuschquellenarten jedoch bisher nicht möglich. Deshalb kommt in derartigen Fällen nur eine Prüfung im Einzelfall in Betracht. Ein relevanter Immissionsbeitrag zu schädlichen Umwelteinwirkungen durch das Zusammenwirken der Immissionen von unterschiedlichen Geräuschquellenarten setzt danach (S. 22) u.a. voraus, daß

  1. 1

    die Summe der nach der TA-Lärm zu beurteilenden Immissionsbeiträge die hierfür maßgebenden Immissionsrichtwerte um weniger als 3 dB(A) unterschreiten und

  2. 2

    die Immissionsbeiträge der anderen Geräuschquellen (Verkehrslärm) nach den für sie geltenden Ermittlungs- und Beurteilungsverfahren die für sie maßgebenden Immissionsgrenz- oder -Richtwerte über- oder um weniger als 3 dB(A) unterschreiten.

9

Diese zweite Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn der hier nach der Verkehrslärmschutzverordnung maßgebende Immissionsgrenzwert von 54 dB(A) bleibt nach sämtlichen vorliegenden Berechnungen weit unterschritten. Selbst das von der Antragstellerin in Auftrag gegebene Lärmschutzgutachten Jacobs vom 30. Januar 1996 errechnet nur 41,3 dB(A) als Schallimmission durch nächtlichen Verkehrslärm (Bl. 165 GA).

10

Allerdings erwartet das Gutachten Jacobs von den Windkraftanlagen allein in der Höhe des Obergeschosses des Hauses der Antragstellerin einen nächtlichen Beurteilungspegel von 45,4 dB(A). Diese geringfügige Überschreitung des in der Baugenehmigung festgesetzten Immissionsrichtwerts von 45 dB(A) begründet jedoch nicht die Annahme einer unzumutbaren Lärmbelästigung. Denn eine Differenz von 0,4 dB(A) ist mit dem menschlichen Ohr nicht wahrnehmbar.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 GKG. Dabei war der Streitwertbeschluß des Verwaltungsgerichts über 75.000,- DM von Amts wegen zu ermäßigen. Nach Nr. 8 a der Regelmäßigen Streitwertannahmen des 1. und 6. Senats vom 1. November 1994 (Nds. VBl. 1995, 80) beträgt der Streitwert bei Nachbarklagen in den Fällen der Beeinträchtigung eines Einfamilienhauses 5.000,- DM bis 40.000,- DM. Im vorliegenden Fall erscheint für jede der drei streitigen Windkraftanlagen und deren Auswirkungen auf das Grundstück der Antragstellerin ein Wert von 15.000,- DM für das Hauptsacheverfahren angemessen und ausreichend. Der sich daraus ergebende Gesamtwert von 45.000,- DM ist für das vorliegende Eilverfahren zu halbieren (Nr. 18 b der Regelmäßigen Streitwertannahmen). Darin liegt keine Abweichung von dem Beschluß des Senats vom 9. November 1995 - 6 M 6534/95 -, den das Verwaltungsgericht zitiert hat und mit dem für ein Eilverfahren eines Nachbarn gegen eine einzelne Windenergieanlage ein Wert von 25.000,- DM angenommen wurde. Denn dabei ging es nicht um den Schutz eines Einfamilienhauses, sondern um das Interesse eines Nachbarn, selbst eine Windenergieanlage in unmittelbarer Nähe zu errichten, was ihm durch das angegriffene genehmigte Vorhaben angeblich vereitelt wurde. Damit ist das vorliegende Verfahren nicht vergleichbar.

12

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).