Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.02.1996, Az.: 4 K 1851/91

Sozialhilfe; Bedarfsbemessung; Statistikmodell; Festsetzung der Regelsätze; Prüfungsumfang

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.02.1996
Aktenzeichen
4 K 1851/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 13279
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1996:0228.4K1851.91.0A

Fundstellen

  • FEVS 1947, 42
  • NdsRpfl 1996, 168
  • NdsRpfl 1996, 240

Amtlicher Leitsatz

Die Festsetzung der Regelsätze in Niedersachsen für 1990/1991 nach Einführung der ersten Stufe des sog Statistikmodells als neuem Bedarfsbemessungssystem ist nach den für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle anzuwendenden Prüfungsmaßstäben nicht zu beanstanden.

Tenor:

Der Normenkontrollantrag wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Höhe der Regelsätze für das zweite Halbjahr 1990 und das erste Halbjahr 1991.

2

Der am 3. November 1972 geborene Antragsteller bezog auf seinen Antrag vom 3. November 1990 ab Dezember 1990 von der Stadt Osnabrück laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Seinen gegen den Bewilligungsbescheid vom 19. November 1990 gerichteten Widerspruch vom 24. November 1990 wies die Stadt Osnabrück nach Anhörung sozial erfahrener Personen mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 1990 zurück. Ein Rechtsmittel ist hiergegen offenbar nicht eingelegt worden.

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Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 1990 begehrte der Antragsteller die Überprüfung der Regelsatzhöhen im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens im wesentlichen mit der Begründung: Der Normgeber habe der Regelsatzfestsetzung falsche Tatsachen zugrunde gelegt und die angewandte Methode sei inkonsistent. Der Entscheidung lägen die für 1983 ermittelten Lebenshaltungskosten von Haushalten mit niedrigem Einkommen zugrunde, die für das Jahr 1988 auf der Grundlage der Lebenshaltungskostensteigerung aller Haushalte fortgeschrieben worden sei. Diese liege aber unter der Steigerungsrate des regelsatzrelevanten privaten Verbrauchs von aushalten des Haushaltstyps 1 (Zwei-Personen-Haushalte von Rentnern und Sozialhilfeempfängern mit geringem Einkommen). Damit beruhe die Regelsatzfestsetzung sowohl auf falschen Tatsachen als auch auf einer methodischen Abweichung. Die Entscheidung sei willkürlich, weil sie abweichend von den gutachtlichen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge die Regelsatzerhöhung zunächst auf ein Drittel des Strukturvolumens beschränke.

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Der Kläger beantragt sinngemäß,

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die durch Runderlasse des Niedersächsischen Sozialministeriums vom 27. Juni 1990 und vom 18. September 1990 festgesetzten Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz für unwirksam zu erklären.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzuweisen.

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Er entgegnet: Die Festsetzung der Regelsatzhöhe sei nur begrenzt gerichtlich überprüfbar. Die vom Normgeber gewählte Lösung sei nur dann zu beanstanden, wenn für die Norm sachliche Gründe nicht mehr erkennbar seien, die Regelung willkürlich erscheine und dies evident sei. Für die Festsetzung der Regelsätze in Niedersachsen zum 1. Juli und 1. Oktober 1990 lasse sich dies nicht feststellen.

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Der Senat hat durch Beschluß vom 14. Oktober 1992 gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VwGO eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts darüber eingeholt, ob ein Runderlaß, der die Regelsätze festsetzt, eine Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Vorlagefrage mit Beschluß vom 25. November 1993 (- 5 N 1.92 -, BVerwGE 94, 335) bejaht.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Stadt Osnabrück Bezug genommen; sie sind in ihren wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag ist zulässig. Bedenken gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrages wegen der Festsetzung der Regelsatzhöhe durch Runderlaß des Niedersächsischen Sozialministeriums, wie sie der Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 14. Oktober 1992 dargelegt hat (ebenso zum Begriff der "Verordnung" nach Art. 98 Satz 4 BayVerf: BayVerfGH, Entscheidung vom 14. Dez. 1993, NVwZ 1994, 995 [VerfGH Bayern 14.12.1993 - Vf. 15 - VII - 92]) hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 25. November 1993 (aaO) nicht für durchgreifend erachtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse verwiesen. An die Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesverwaltungsgericht ist der Senat gebunden (Kopp, VwGO, 10. Aufl., § 47 Rdnr. 16 m.w.N.).

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Als Hilfeempfänger in dem Zeitraum, für den durch den angegriffenen Runderlaß vom 18. Sept. 1990 (Nds. MBl S. 1122) die Regelsatzhöhe festgesetzt wurde, war der Antragsteller auf den Bezug von Sozialhilfeleistungen angewiesen und ist er deshalb insoweit gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Für die Zeit vor dem 7. November 1990 (Eingang des Sozialhilfeantrages vom 3. November 1990) hat der Antragsteller als Haushaltsangehöriger - zu Händen seines Vaters - laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten.

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Die Runderlasse sind nicht deshalb aufzuheben, weil sie die Höhe der Regelsätze in Form der Verwaltungsvorschrift und nicht durch ein Gesetz im materiellen Sinne festsetzen. Die vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der autonomen Satzungsgebung juristischer Personen des öffentlichen Rechts (Beschl. v. 9. Mai 1972, BVerfGE 33, 125 - 157 ff. [BVerfG 25.04.1972 - 1 BvL 14/71] -; - Facharzt -) und mit dem Erlaß allgemeiner Bestimmungen im Rahmen sogenannter besonderer Gewaltverhältnisse (Beschl. v. 14. März 1972, BVerfGE 33, 1 [BVerfG 14.03.1972 - 2 BvR 41/71] - 11 -; - Strafgefangene -) entwickelte "Wesentlichkeitstheorie", wonach aus dem Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmenden Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes die Verpflichtung des Gesetzgebers herzuleiten sei, die wesentlichen Regelungen selbst zu treffen, verlangt nicht die Festlegung der Regelsatzhöhe - zumindest - durch Rechtsverordnung. § 22 Abs. 3 BSHG in der maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 20. Januar 1987 (BGBl I S. 401) verpflichtete die Länder - anders als das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944) - nicht, die Höhe der Regelsätze im Rahmen der Regelsatzverordnung durch Rechtsverordnung festzusetzen. Die Regelungen des Gesetzgebers in §§ 1, 11, 12, 22 BSHG und des Verordnungsgebers in der Regelsatzverordnung geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich die Festsetzung der Regelsätze durch Verwaltungsvorschrift der Länder zu bewegen hatte. Bei der gegebenen Regelungsdichte verbleibt für den Erlaßgeber nur noch ein Spielraum, der nicht mehr als grundlegend oder "wesentlich" im Sinne der Verfassungsrechtsprechung anzusehen ist.

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Die gewählte Form der Festsetzung durch Runderlaß verstößt - wie dargelegt - nicht gegen höherrangige einfachgesetzliche Vorschriften. Hinsichtlich der Regelung des § 22 Abs. 3 BSHG a. F. steht dem Senat, da es sich dem Range nach um ein Bundesgesetz handelt, eine Verwerfungskompetenz nicht zu. Er ist aber auch nicht im Sinne einer eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG rechtfertigenden Weise von der Rechtswidrigkeit der Norm überzeugt: Durch § 22 Abs. 3 BSHG in Verbindung mit der Regelsatzverordnung hat der Gesetzgeber den Rahmen bestimmt, den der Erlaßgeber bei der Festsetzung der Höhe der Regelsätze zu beachten hat. Ihm bleibt danach innerhalb des gesetzgeberischen Rahmens nur noch ein so geringer Spielraum, daß seine Entscheidung zur Konkretisierung des sozialstaatlich Gebotenen nicht mehr als wesentliche, dem Gesetzgeber vorbehaltene Regelung erscheint (vgl. auch OVG Bremen, Urt. v. 9. April 1991, DÖV 1991, 893 [OVG Bremen 09.04.1991 - 2 N 1/90]; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4. Mai 1990, info also 1990, 79).

15

Bei dem eröffneten gerichtlichen Kontrollumfang erweist sich die Höhe des festgesetzten Regelsatzes nicht als rechtswidrig. Dabei nimmt auch der Senat an, daß die Festsetzung der Regelsatzhöhe gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Der Kontrollumfang ist durch den Zweck der zur Festsetzung der Regelsätze ermächtigenden Normen der §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1 und 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG in Verbindung mit der Regelsatzverordnung beschränkt. Aufgabe der Sozialhilfe ist es danach, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Hierzu werden (außerhalb von Einrichtungen) pauschalierte, auf den typischen und wiederkehrenden Bedarf zugeschnittene Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts nach Regelsätzen gewährt. Im Hinblick auf den mit der Gewährung der Leistungen nach Regelsätzen verfolgten Zweck der Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz ist die gerichtliche Kontrolle beschränkt auf die Überprüfung der Entscheidungsgrundlage in tatsächlicher Hinsicht und hinsichtlich eines Aktes wertender Erkenntnis:

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Innerhalb gewisser "Toleranzen" muß sich die Festsetzung der Regelsatzhöhe auf eine ausreichende tatsächliche Grundlage stützen können: eine solche Grundlage können Erfahrungswerte (BVerwG, Urt. v. 25. Nov. 1993, BVerwGE 94, 327 [BVerwG 25.11.1993 - 5 C 8/90] -331- = NDV 1994, 155 = FEVS 44, 362 = NVwZ 1994, 1214 [BVerwG 25.11.1993 - BVerwG 5 C 8.90]) oder sorgfältige Ermittlungen der statistischen Ämter über die tatsächlichen Lebenshaltungskosten (Urt. d. Sen. v. 29. Nov. 1989, info also 1990, 26 -28-) sein. Mit den durch Runderlaß des Niedersächsischen Sozialministeriums vom 27. Juni 1990 (Nds. MBl. S. 755) und vom 18. September 1990 (Nds. MBl. S. 1122) festgesetzten Regelsätzen ist die erste Stufe des durch die Ministerpräsidentenkonferenz vom 25. bis 27. Oktober 1989 beschlossenen Statistikmodells als Bedarfsbemessungssystem für die Regelsätze eingeführt worden (vgl. Ergebnisprotokoll der MPK, info also 1989, 220). Dieses Modell wiederum beruht auf der gutachtlichen Äußerung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Neues Bedarfsbemessungssystem für die Regelsätze in der Sozialhilfe) aus dem Jahre 1988. Die Bedarfsbemessung für sonstige Haushaltsangehörige erfolgt danach - in weitgehender Analogie zur stufenweisen Ermittlung des Regelsatzes für Alleinstehende und Haushaltsvorstände - in fünf Stufen:

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1. Festlegung von Haushalten im unteren Einkommensbereich als Referenzgruppe,

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2. Festlegung des regelsatzrelevanten privaten Verbrauchs

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3. Festlegung von Altersgruppen von sonstigen Haushaltsangehörigen,

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4. Berechnung der Aufwendungen der Referenzgruppen für den regelsatzrelevanten privaten Verbrauch,

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5. Berechnung von Differenzbeträgen zwischen den Aufwendungen der Referenzgruppen für den regelsatzrelevanten privaten Verbrauch (gutachtliche Äußerung Ziff. 3.1.2 S. 7).

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Die auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes für 1983 beruhenden Ermittlungen wurden auf das Jahr 1988 hochgerechnet; dabei wurde der Preisindex für die Lebenshaltung aller Haushalte zugrundegelegt (vgl. gutachtliche Äußerung DV 4.1 S. 12 und 4.7 S. 16 ff.). Auf der Grundlage der Steigerungsrate des regelsatzrelevanten privaten Verbrauchs von Haushalten nur des Haushaltstyps 1 (Zwei-Personen-Haushalte von Rentnern und Sozialhilfeempfängern mit geringem Einkommen) wäre zwar, worauf der Antragsteller zutreffend hinweist, ein höherer Regelsatz zu errechnen gewesen (vgl. gutachtliche Äußerung DV Tabelle 3 S. 18). Mit seinem Vorgehen hat sich der Erlaßgeber aber innerhalb der ihm eingeräumten "Toleranzbreite" bewegt, da die von ihm zugrundegelegte (niedrigere) Preissteigerungsrate für alle Haushalte für den genannten Zweck nicht etwa ungeeignet ist. Die so ermittelten Beträge sind bei Einführung der ersten Stufe des Statistikmodells um die geschätzte Preisentwicklung der Lebenshaltung aller Haushalte bis Juni 1990 und um ein "Preisentwicklungspolster" für die Geltungsdauer der neuen Regelsätze erhöht worden (vgl. gutachtliche Äußerung DV 6.2 S. 24 f., in der allerdings noch mit der Einführung des neuen Bedarfsbemessungssystems zum 1. Juli 1989 und einer Geltungsdauer der neuen Regelsätze bis einschließlich Juni 1990 gerechnet worden war). Diese Daten sind nach Auffassung des Senats eine ausreichende tatsächliche Grundlage zur Ermittlung des durch die Gewährung von Regelsätzen pauschalierend zu deckenden Bedarfs:

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Sie beruhen auf statistischen Materialien, die an die Stelle des von idealtypischen Konsumgewohnheiten ausgehenden Warenkorbmodells bzw. ab 1985 des sogenannten alternativen Warenkorbmodells getreten sind. Diese statistische Basis erscheint zumindest in gleicher Weise als tatsächliche Grundlage einer Bedarfsbemessung geeignet, wie das früheren Festsetzungen zugrunde liegenden Warenkorbmodell. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob er die Regelsatzfestsetzung erst dann beanstanden würde, wenn diese auf einer offensichtlich ungeeigneten tatsächlichen Grundlage beruhte (so VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4. Mai 1990, info also 1990, 79). Dabei hält es der Senat nicht für geboten, die der EVS 1983 zugrunde liegenden statistischen Methoden und Zahlen im einzelnen zu untersuchen, da sie weder vom Antragsteller angegriffen werden noch sonst einen nicht hinnehmbaren wissenschaftlichen Irrtum (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 30. Nov. 1966, BVerwGE 25, 307 -317-) erkennen lassen.

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Das auf dieser ausreichenden tatsächlichen Grundlage beruhende und in einem Akt wertender Erkenntnis gefundene Ergebnis ist einer gerichtlichen Überprüfung ebenfalls nur begrenzt zugänglich. Dies ist - soweit ersichtlich - einstimmige höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung; Unterschiede zeigen sich lediglich in der Terminologie (das Bundesverwaltungsgericht, BVerwGE 94, 326 -331 f.- spricht von "Vertretbarkeit der Wertungen", der VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4. Mai 1990, info also 1990, 79, von "Gestaltungsspielraum", das OVG Münster, Urt. v. 22. Sept. 1995 - 24 A 4088/92 -, V. n. b., S. 5 f., von "Einschätzungsprärogative", der Senat, Urt. v. 22. Nov. 1989, info also 1990, 26 -29-, von "administrativer Letztentscheidungsbefugnis"). Übereinstimmend ist damit die Grenze des Kontrollumfangs dort gezogen, wo die festgesetzte Regelsatzhöhe nicht mehr geeignet ist, den Zweck der ermächtigenden Norm zu erfüllen, die Führung eines menschenwürdiges Lebens zu ermöglichen.

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Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes sind die angefochtenen Regelsätze im Ergebnis nicht zu beanstanden:

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Sie übersteigen die Regelsätze, die für Zeiträume vor dem 1. Juli 1990 gegolten haben und auf der Grundlage des Warenkorbmodells bzw. des alternativen Warenkorbmodells festgelegt worden waren, nicht nur um allgemeine Preissteigerungsraten, sondern in ihrem Volumen. Es hätte dem Niedersächsischen Sozialministerium in gleicher Weise freigestanden, das Warenkorbmodell 1985 fortzuschreiben oder zu einem anderen Bedarfsbemessungssystem zurückzukehren oder überzugehen (Beschl. d. Sen. v. 14. Jan. 1991, ZfF 1991, 112). Die Umstellung des Bedarfsbemessungssystems ist als solche nicht geeignet, den Hilfeempfänger gegen den Normzweck der §§ 1, 12, 22 BSHG und der Regelsatzverordnung in seiner Lebensführung zu beschränken. Gegenstand der wertenden Betrachtung kann insoweit nur die tatsächliche Höhe der Leistungen sein; nur sie wirkt sich in der Rechtssphäre des Hilfesuchenden aus. Da nicht erkennbar ist, daß die erhöhten, lediglich auf anderer Grundlage festgesetzten Regelsätze für das Jahr 1990/1991 den Zweck der Ermächtigungsgrundlage nicht - mehr - gerecht würden, ist als Ergebnis der wertenden Betrachtung auch nicht zu beanstanden, daß im Rahmen der ersten Stufe der Einführung des neuen Bedarfsbemessungssystems lediglich ein Drittel des Strukturvolumens regelsatzerhöhend wirksam geworden ist. Ein Absinken der Regelsätze unter die auf der Grundlage des Warenkorbmodells ermittelten ist nämlich dadurch ausgeschlossen, daß als Referenzgruppen Haushalte im unteren Einkommensbereich jeweils mit ausreichendem einkommensmäßigem Abstand über den Sozialhilfeschwellen vergleichbarer Haushalte von Empfängern laufender Hilfe zum Lebensunterhalt ausgewählt worden sind (gutachtliche Äußerung DV 3.2.2 S. 8) und Berücksichtigung bei der stufenweisen Umsetzung des Strukturvolumens gefunden haben (Tabelle 5 der gutachtlichen Äußerung des DV S. 27 und Anl. 9 Ziff. 2 S. 76 f.). Auch durch die Umsetzung des Strukturvolumens auf der Grundlage des neuen Bedarfsbemessungssystems von zunächst "nur" einem Drittel des Gesamtumfangs ist damit eine Höhe gefunden worden, die auf einer vertretbaren Wertung (BVerwG, Urt. v. 23. Nov. 1993, BVerwGE 94, 326 - 331 ff.; OVG Münster, Urt. v. 22. Sept. 1995, aaO) beruht.

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Als Ergebnis bleibt damit festzuhalten: Auch wenn methodisch abweichend von der EVS 1983 der Regelsatzerhöhung - lediglich - die Preissteigerungen bei den Lebenshaltungskosten aller privater Haushalte zugrunde gelegt worden sind und das mit der Einführung des neuen Bedarfsbemessungssystems verbundene Strukturvolumen zunächst nur mit ein Drittel seines Gesamtumfangs umgesetzt worden sind, sind die Regelsätze für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis zum 30. Juni 1991 nicht zu beanstanden, da sie auf einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage beruhen und bei wertender Betrachtung dem Normzweck, die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, genügen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 188 Satz 2, 154 Abs. 1 VwGO.

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Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 136 VwGO die Revision ausgeschlossen. Ein Grund für eine Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 47 Abs. 5 VwGO ist nicht gegeben.

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Klay

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Richter am Oberverwaltungsgericht Zeisler hat Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben Klay

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Schwenke