Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.07.2011, Az.: 9 A 3272/10

Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge nach alkoholbedingtem Entzug der Fahrerlaubnis

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
28.07.2011
Aktenzeichen
9 A 3272/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 42069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2011:0728.9A3272.10.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Fahrerlaubnisbehörde darf auf die Nichteignung nach § 11 Abs. 8 FeV nur schließen, wenn die Anordnung, ein (medizinisch-psychologisches) Gutachten beizubringen, rechtmäßig war. Dies setzt u.a. voraus, dass sie dem Betroffenen eine eindeutige Frist nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV zur Vorlage des Gutachtens gesetzt hat. Die Frist "unverzüglich" ist dafür zu unbestimmt.

  2. 2.

    Die Frist zur Übersendung einer Einverständniserklärung hinsichtlich der Begutachtung kann nicht die Frist aus § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV ersetzen.

  3. 3.

    Die Fahrerlaubnisbehörde darf nicht auf die Weigerung des Betroffenen schließen, das geforderte Gutachten beizubringen, wenn dieser eine Einverständniserklärung nicht oder nicht fristgerecht übersendet.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2010 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der 1955 geborene Kläger wendet sich gegen das Verbot der Beklagten, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen.

2

Im November 2001 führte der Kläger gegen 11.07 Uhr mit einem Blutalkoholgehalt von 1,69 Promille ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr und verursachte dabei einen Unfall. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts C. wurde ihm wegen fahrlässiger Straßenverkehrs-gefährdung durch Trunkenheit die Fahrerlaubnis entzogen. Eine neue Fahrerlaubnis erwarb der Kläger nicht. Am 23.09.2009 gegen 21.00 Uhr führte der Kläger in D. stark alkoholisiert ein Fahrrad im öffentlichen Verkehrsraum. Am 18.12.2009 erging deswegen gegen den Kläger ein Strafbefehl wegen Trunkenheit im Verkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 3,06 Promille.

3

Die Beklagte nahm diese Vorfälle zum Anlass, die Fahreignung des Klägers für fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu überprüfen. Unter dem 26.05.2010 forderte sie den Kläger auf, "unverzüglich" ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu folgenden Fragestellungen vorzulegen: "Ist zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder liegen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Fahrzeuges in Frage stellen?". Sie bat den Kläger, innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens die anliegende Einverständniserklärung zurückzusenden und eine Begutachtungsstelle zu benennen. Gleichzeitig wies sie ihn darauf hin, dass sie gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung schließen werde, wenn er die Untersuchung verweigern und/oder das Gutachten nicht oder nicht fristgerecht vorlegen sollte. Von seiner Weigerung werde sie ausgehen, wenn er die Einverständniserklärung nicht fristgerecht einreiche.

4

Mit Bescheid vom 23.06.2010 - zugestellt am 26.06.2010 - untersagte die Beklagte dem Kläger, führerscheinfreie Fahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Da der Kläger die erbetene Einverständniserklärung nicht zurückgesandt habe, habe er zu erkennen gegeben, dass er nicht gewillt sei, sich der Untersuchung zu unterziehen. Deshalb sei nach § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zu schließen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilte sie nur zu der gleichzeitig ergangenen Kostenentscheidung.

5

Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2010, einem Dienstag, "Widerspruch gegen das Verbot des Führens von führerscheinfreien Fahrzeugen" beim Verwaltungsgericht eingelegt. Sein Schreiben ist per Einwurfeinschreiben übersandt worden. Auf dem Briefumschlag befindet sich ein Poststempel aus D. vom 24.07.2010. Zur Begründung führt der Kläger an, er hätte vor der Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung angehört werden müssen. Er berichtet von zwei Trunkenheitsfahrten mit dem Fahrrad, die nicht so gravierend gewesen seien. Als Arbeitslosengeld-II-Empfänger habe er kein Geld für eine medizinisch-psychologische Untersuchung und halte den psychologischen Teil der Untersuchung für fragwürdig. Bei ihm liege ein Alkoholmissbrauch, aber keine Alkoholabhängigkeit vor. Dies könne er durch ärztliche Unterlagen belegen. Die Maßnahme sei überzogen, es hätten mildere Mittel in Betracht gezogen werden müssen.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 23.06.2010 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie erwidert: Die bei dem Kläger festgestellte Blutalkoholkonzentration von 3,06 Promille spreche für einen exzessiven Alkoholkonsum, weshalb künftige Gefährdungen der Verkehrssicherheit nicht ausgeschlossen werden können. Auch wenn der Kläger seine Alkoholfahrten als nicht so gravierend empfinde, lägen deren Ursachen in einem missbräuchlichen Alkoholkonsum, der eine Gefährdung der künftigen Verkehrssicherheit bedeute. Nachdem die Einverständniserklärung nicht binnen zwei Wochen ab Zustellung bei ihr eingegangen und eine sonstige Nachricht nicht erfolgt sei, sei sie davon ausgegangen, dass er die Eignungsuntersuchung verweigere, um Eignungsmängel zu verbergen.

11

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und der beigezogenen Strafakte Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.

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Der beim Verwaltungsgericht eingereichte "Widerspruch" des Klägers ist bei verständiger Würdigung seines Begehrens als Klage gegen den Bescheid vom 23.06.2010 zu bewerten. Dies ist der gegebene Rechtsbehelf, da ein Widerspruchsverfahren in Niedersachen in straßenverkehrsrechtlichen Angelegenheiten nicht statthaft ist (§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i. V. m. § 8a Abs. 1 Nds. AG VwGO). Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO begann nach § 58 Abs. 1 VwGO nicht zu laufen, da der Bescheid vom 23.06.2010 keine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Diese bezieht sich vielmehr ausdrücklich nur auf die im Bescheid enthaltene Kostenentscheidung ("Gegen diese Kostenentscheidung kann...") und belehrt ihn nicht über die Möglichkeit, gegen die Verbotsverfügung an sich Klage zu erheben. Die Klage konnte daher gemäß § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Bescheides erhoben werden. Selbst wenn man die Rechtsbehelfsbelehrung trotz der einschränkenden Formulierung auch auf das Verbot selbst erstreckte, wären jedenfalls die Voraussetzungen dafür gegeben, dem Kläger von Amts wegen wegen Versäumung der Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 4 VwGO zu gewähren. Da der Bescheid am 26.06.2010 zugestellt wurde, hätte die Klagefrist gemäß §§ 57 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 BGB am 27.06.2010 begonnen und mit Ablauf des 26.07.2010 geendet. Diese Frist hätte der Kläger schon nach Aktenlage ohne sein Verschulden versäumt, denn er durfte damit rechnen, dass seine Klage noch am 26.07.2010 bei Gericht eingeht. Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften Prozessführenden geboten ist und ihm nach den Umständen des Einzelfalls zuzumuten war. Ohne Verschulden handelt der Absender, wenn ein Schreiben zu einem Zeitpunkt abgesendet wurde, der nach der normalen Beförderungsdauer den rechtzeitigen Eingang gewährleistet (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 17. Aufl., § 60, Rn. 17). Der Kläger hat die per Einwurfeinschreiben versandte Klageschrift ausweislich des Poststempels am 24.07.2010, einem Samstag, zur Post gebracht. Nach Angaben der Deutschen Post AG (siehe unter http://www.deutschepost.de/dpag?tab=1&skin=hi&check =yes&lang=de_DE&xmlFile=link1015321_1023834) beträgt die Laufzeitvorgabe für die Zustellung eines Einschreibens einen Tag nach Einlieferung.

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Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für ein Verbot des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge liegen nicht vor. Die Beklagte durfte nicht davon ausgehen, dass der Kläger ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen ist. Insbesondere durfte sie diesen Schluss nicht daraus ziehen, dass er die geforderte Einverständniserklärung nicht bis zum Erlass des Bescheides übersandt hatte. Gemäß § 3 Abs. 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde demjenigen das Führen von Fahrzeugen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen, der sich dazu als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet erweist. Unter diese Vorschrift fällt auch das Verbot, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 01.04.2008 - 12 ME 35/08 -, [...]). Die §§ 11 bis 14 FeV finden nach § 3 Abs. 2 FeV entsprechende Anwendung, sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeuges zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung bestehender Eignungszweifel bei einer Alkoholproblematik die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an, um die Entscheidung über ein Verbot bzw. die Anordnung von Beschränkungen und Auflagen vorzubereiten. Gemäß § 11 Abs. 8 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, sofern dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt.

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Dieser Schluss ist aber nur dann zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtenbeibringung rechtmäßig war (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 11 FeV, Rn. 24 m.w.N.). Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte den Kläger materiell-rechtlich zur Beibringung eines Gutachtens auffordern durfte. Die Anordnung ist hier bereits deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte die formellen Anforderungen an die Anordnung in wesentlicher Hinsicht nicht beachtet hat, denn sie hat dem Kläger keine eindeutige Frist nach § 11 Abs. 6 FeV gesetzt. Zu einer rechtmäßigen Gutachtenanforderung gehört ebenfalls die Einhaltung der in § 11 Abs. 6 FeV geregelten Form- und Verfahrensvorschriften (so auch OVG Saarland, Urt. v. 02.12.2009 - 1 A 472/08 -, [...]; VG Saarland, Beschl. v. 10.12.2010 - 10 L 2150/10 -, [...]). Gemäß § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV teilt die Behörde dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr gesetzten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat. Im Schreiben vom 26.05.2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, das Gutachten "unverzüglich" beizubringen und die beigefügte Einverständniserklärung binnen zwei Wochen zurückzusenden. Diese Formulierungen genügen nicht den Anforderungen an die Fristsetzung nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Die Bestimmung "unverzüglich" ist hierfür zu unbestimmt, denn der Kläger konnte nicht hinreichend deutlich erkennen, welcher zeitliche Rahmen ihm damit gesetzt wurde. Eine solche Anordnung verstößt deshalb gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Bestimmtheitsgebot. Dieses gilt nach § 37 VwVfG zwar ausdrücklich nur für Verwaltungsakte, findet aber als allgemeiner Rechtsgrundsatz (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Auflage, § 37, Rn. 4) auf belastende Vorbereitungshandlungen wie die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens entsprechende Anwendung. Grundsätzlich setzt eine Fristbestimmung voraus, dass der Anfang und das Ende des Zeitraums eindeutig bestimmt sind (§ 31 VwVfG i.V.m. §§ 186 bis 193 BGB; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 31, Rn. 4). Im Einzelfall sind aber auch sogenannte unbestimmte oder ungefähre Fristen (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Kommentar, 7. Auflage, § 31, Rn. 5) zulässig. So regelt § 121 BGB, dass eine Anfechtung von Willenserklärungen unverzüglich erfolgen muss. "Unverzüglich" bedeutet danach "ohne schuldhaftes Zögern". Der Bundesgerichtshof hat eine solche Fristbestimmung auch im rechtsgeschäftlichen Verkehr für zulässig erachtet, sofern die Frist hinreichend bestimmbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.08.2009 - VIII ZR 254/08-, [...]) Insbesondere genüge es für eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 1 BGB, wenn der Gläubiger durch das Verlangen nach unverzüglicher Leistung deutlich mache, dass dem Schuldner für die Erfüllung nur ein begrenzter Zeitraum zur Verfügung stehe. Hintergrund dieser Rechtsprechung sind jedoch Erwägungen des Verbraucherschutzes, der niedrige Barrieren zur Verwirklichung der Rechte des Käufers bei Mängeln voraussetzt. Insofern lässt sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht auf das Handeln von Behörden im Bereich der Eingriffsverwaltung übertragen. Zwar gibt es auch hier Regelungen, die unbestimmte Fristen enthalten. Insbesondere in dem auf Beschleunigung ausgerichteten Asylrecht verlangt die Fristbestimmung "unverzüglich" in § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG ein schnelles Handeln unter Berücksichtigung individueller Umstände, auf die die heranzuziehende Definition in § 121 Abs. 1 BGB abstellt. Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot fordert aber in der Regel genau bestimmte Fristen, die dem Betroffenen eindeutig bestimmbare Handlungsaufforderungen geben. So wird in der Rechtsprechung beispielsweise auch im Bereich des Verwaltungsvollstreckungsrechts eine durch den Be-griff "unverzüglich" bezeichnete Frist zur Androhung eines Zwangsmittels nicht für zulässig erachtet, denn dem Betroffenen muss durch die Androhung unmissverständlich deutlich gemacht werden, ab wann er mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.01.1995 - 10 S 3057/94 -, [...]). Dieser Gedanke lässt sich auf das Vorgehen nach § 11 Abs. 8 FeV übertragen, denn das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verlangt, dass der Betroffene eindeutig erkennen kann, ab wann er mit Maßnahmen zu rechnen hat, wenn er der Anordnung nicht nachkommt (so auch OVG Hamburg, Beschl. v. 24.02.1998 - Bs VI 114/97 -, [...]). Das gilt hier insbesondere mit Blick auf die Tragweite des Verbotes für den Kläger, das seine persönliche Bewegungsfreiheit stark einschränkt, damit einen schwerwiegenden Eingriff in sein Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellt und an das deshalb sehr hohe Anforderungen zu stellen sind. Die Möglichkeit nach § 11 Abs. 8 FeV, auf die Nichteignung des Betroffenen zu schließen, stellt im Ergebnis eine Sanktion für die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Betroffenen hinsichtlich der Überprüfung der Fahreignung dar. Die Notwendigkeit der Vorschrift ergibt sich daraus, dass eine Begutachtung nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann, sondern die Mitwirkung des Betroffenen voraussetzt. Auf die fehlende Mitwirkung kann die Behörde aber nur schließen, wenn für den Betroffenen hinreichend bestimmt deutlich wird, welche Maßnahmen er bis wann ergreifen soll (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 04.09.2000 - 19 B 1134/00 -, [...]). Reagiert der Betroffene - wie im vorliegenden Fall - gar nicht, hat die Behörde zudem keine Möglichkeit, den Ablauf der Frist zu überprüfen, da sie nicht feststellen kann, ob der Begutachtung unverschuldete Verhinderungsgründe entgegenstehen. Zugleich setzt eine effektive Gefahrenabwehr zum Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs aber voraus, dass die Behörde möglichst zeitnah eingreifen kann, wenn der Betroffene nicht reagiert und bei der Aufklärung der Zweifel an seiner Fahreignung nicht mitwirkt. Individuelle Umstände sollen in der Regel gerade keine Berücksichtigung finden, da der Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs grundsätzlich Vorrang genießt. Durch die Fristsetzung kann die Behörde einen verbindlichen Rahmen schaffen, innerhalb dessen der Betroffene durch seine Mitwirkung die Zweifel beseitigen kann. Nach Ablauf der Frist kann sie zur Gefahrenabwehr entscheiden, ob sie aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Nichteignung schließt.

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Auch die mit der Dauer von zwei Wochen bestimmte Frist zur Übersendung der Einverständniserklärung kann nicht die Frist zur Vorlage des Gutachtens ersetzen. Hierbei handelt es sich nur um eine Vorstufe zur Begutachtung, die nicht mit der Beibringung des Gutachtens gleichgesetzt werden kann (so auch OVG Hamburg, Beschl. v. 30.03.2000 - 3 Bs 62/00 -, [...]; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 11 FeV, Rn. 22).

17

Darüber hinaus ist der Bescheid auch aus anderen, die Entscheidung selbstständig tragenden Gründen rechtswidrig. Die Beklagte hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe sich im Sinne von § 11 Abs. 8, 1. Alt. FeV geweigert, das Gutachten vorzulegen. Dass der Kläger weder die Einverständniserklärung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist übersandt, noch das geforderte Gutachten vorgelegt hat, rechtfertigt nicht den Schluss auf seine fehlende Eignung zum Führen von Fahrzeugen nach dieser Regelung. Die Beklagte konnte nicht nach Ablauf der zweiwöchigen Frist von der Weigerung des Klägers ausgehen. Bis zum Erlass des angefochtenen Bescheides hat er sich nicht ausdrücklich geweigert. Er hat zwar auf die Anordnung der Beklagten nicht reagiert und die Einverständniserklärung nicht innerhalb der gesetzten Frist zurückgeschickt. Dieses Schweigen kann jedoch nicht als konkludente Weigerung, das Gutachten beizubringen, bewertet werden (vgl. OVG Hamburg, a.a.O.). Dem Schweigen wird im Rechtsverkehr nur ausnahmsweise eine Bedeutung zugemessen, nämlich dann, wenn dies gesetzlich geregelt ist oder unter bestimmten Voraussetzungen im kaufmännischen Verkehr. Eine gesetzliche Regelung in diesem Sinne stellt die Vorschrift des § 11 Abs. 8 FeV in seiner ersten Alternative nicht dar. Eine Frist zur Rücksendung der Einverständniserklärung sieht § 11 FeV nicht vor, so dass ein Schluss auf die Weigerung nach Ablauf dieser Frist nicht erfolgen kann. Die bloße Untätigkeit, ohne dass dem Kläger eine von Gesetzes wegen verbindliche Frist gesetzt wurde, kann dafür nicht ausreichen.

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Die Beklagte kann die angefochtene Verfügung auch nicht darauf stützen, dass der Kläger das Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat (§ 11 Abs. 8, 2. Alt. FeV). Das ergibt sich bereits daraus, dass die Fristbestimmung "unverzüglich" - wie zuvor dargestellt - nicht dazu geeignet ist, die Voraussetzungen für ein solches Vorgehen zu schaffen. Selbst, wenn man diese Fristbestimmung als zulässig erachten würde, wäre hier zweifelhaft, ob der Kläger nach Ablauf eines Zeitraums von weniger als vier Wochen von der Zustellung der Anordnung am 28.05.2010 bis zum Erlass des angefochtenen Bescheides unter dem 23.06.2010 ohne Verschulden gezögert hat, das Gutachten beizubringen. Diese Frist wäre bereits unangemessen kurz. Selbst wenn sich der Kläger unverzüglich um die Beibringung eines Gutachtens bemüht hätte, wäre nicht sicher, dass er es innerhalb dieser kurzen Frist hätte beibringen können. Zudem konnte die Beklagte den Ablauf der Frist nicht überprüfen, da der Kläger auf die Anordnung nicht reagiert hat. Die Beklagte hatte deswegen keinerlei Kenntnis darüber, ob der Kläger infolge von ihm nicht zu vertretender Umstände gehindert war, das Gutachten beizubringen.

19

Die Beklagte konnte auch nicht bereits - ohne die Anordnung eines Gutachtens - von der fehlenden Eignung des Klägers zum Führen von Fahrzeugen ausgehen. Die zwei aktenkundigen Vorfälle genügen nicht, um im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV von der Nichteignung zu überzeugen. Unabhängig davon, welche Bedeutung die nach § 3 Abs. 2 FeV angeordnete "entsprechende" Anwendung des § 13 FeV im Rahmen eines Verbotes zum Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge hat, werden in der Vorschrift des § 13 FeV Fälle genannt, die von Gesetzes wegen noch keine Überzeugung von der Nichteignung herbeiführen, sondern vielmehr zunächst Eignungszweifel begründen (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 21.05.2008 - 3 C 32.07 -, NJW 2008, 2601, [...]). Erst wenn zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde davon auszugehen ist, dass der Betroffene zukünftig ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird, ist der Betroffene nicht oder nur bedingt geeignet zum Führen von Fahrzeugen. Da das Verbot der Gefahrenabwehr dient und nicht der Ahndung vergangener Verstöße, kann die fehlende Eignung allein anhand einer Prognose beurteilt werden, für die der Behörde grundsätzlich jedoch ohne eine Begutachtung die erforderlichen Anknüpfungspunkte fehlen (vgl. auch BVerwG, a.a.O.). Hiervon ist die Beklagte selbst ausgegangen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.