Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.07.2011, Az.: 3 A 1905/08
Ersatzanspruch; Leistungsbescheid; Unterhaltsvorschuss; Verwaltungsaktsbefugnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.07.2011
- Aktenzeichen
- 3 A 1905/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 45256
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerwG - 11.10.2012 - AZ: BVerwG 5 C 20.11
Rechtsgrundlagen
- § 50 Abs 3 SGB 10
- § 5 Abs 1 UVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Um einen öffentlich-rechtlich normierten Ersatzanspruch durch Leistungsbescheid festzusetzen, bedarf es einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung (Verwaltungsaktsbefugnis).
2. Der Erstattungsanspruch aus § 5 Abs. 1 UVG kann mangels gesetzlicher Ermächtigung nicht im Wege des Leistungsbescheids festgesetzt werden.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 19.12.2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 04.03.2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Berufung und Revision werden zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Inanspruchnahme auf Ersatz von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, die der Beklagte den Kindern des Klägers vom 01.08.2007 bis 31.10.2007 erbracht hat.
Der Kläger lebte (spätestens) seit dem 16.06.2007 von seiner damaligen Ehefrau getrennt. Aus der Ehe sind die Kinder … (geb. 00.00.1998) und … (geb. 00.00.2000) hervorgegangen. Die Erziehung und Betreuung der Kinder war zwischen den Kindeseltern im Rahmen einer Umgangsvereinbarung vom 13.06.2007 grundsätzlich dahingehend geregelt, dass die Kinder während des streitgegenständlichen Zeitraums im Haushalt des Klägers leben sollten. Ferienzeiten und Wochenenden sollten zu gleichen Teilen bei den beiden Elternteilen verbracht werden. Für einen geregelten Tagesablauf der Kinder sollte die Kindesmutter täglich in die Wohnung des Vaters kommen und sie dort bis ca. 19.00 Uhr betreuen.
In der praktischen Umsetzung bereitete der Kläger den Kindern das Frühstück und schickte sie auf den Schulweg. Die Kindesmutter holte die Kinder gegen 13.30 Uhr von der Schule ab, versorgte sie in ihrem Haushalt mit Mittagessen und betreute sie den Nachmittag über. Am späten Nachmittag wechselten die Kinder gegen 16.30/17.00 Uhr wieder in den Haushalt des Klägers, wo sie das Abendessen einnahmen und übernachteten. Weitere Einzelheiten sind zwischen den Beteiligten streitig.
Auf Antrag des Klägers vom 11.09.2007 bewilligte der Beklagte den Kindern durch Bescheid vom 18.10.2007 mit Wirkung vom 01.08.2007 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, die bis zum 30.11.2007 in Höhe von 168,00 Euro je Kind und Monat an den Kläger ausgezahlt wurden.
Bei Antragstellung erklärte der Kläger in dem Antragsformular, die Kinder würden von der Kindesmutter „besuchsweise“ betreut. In dem alternativen Eingabefeld „regelmäßig __ Tage pro Woche“ machte er keine Angaben.
Am 05.11.2007 teilte die Kindesmutter dem Beklagten mit, dass die Kinder zum 24.10.2007 in ihren Haushalt gewechselt seien und ihr durch Beschluss des AG … - Familiengericht - vom 00.00.2007 das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht zugesprochen worden sei. Der Beklagte hörte daraufhin den Kläger mit Schreiben vom 09.11.2007 an. Der Kläger und die Kindesmutter gaben im Folgenden bei mehreren Vorsprachen bei dem Beklagten jeweils umfangreiche Erklärungen zu ihren Betreuungsanteilen zu Protokoll. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 19.11.2007 stellte der Beklagte die UVG-Leistungen zum 30.11.2007 ein. Den für den Monat November 2007 geleisteten Betrag reichte der Kläger an die Kindesmutter weiter.
Mit dem angegriffenen Bescheid vom 19.12.2007 setzte der Beklagte einen Ersatzanspruch in Höhe der während der Zeit vom 01.08.2007 bis 31.10.2007 gezahlten UVG-Leistungen gegen den Kläger fest. Die Leistungen seien aufgrund der Angaben des Klägers zu Unrecht erbracht worden; er habe wahrheitswidrig verschwiegen, dass die Kindeseltern ein Wechselmodell vereinbart hätten, bei dem überdies die Betreuungsanteile der Kindesmutter qualitativ überwögen.
Den Widerspruch des Klägers vom 10.01.2008 lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2008 ab.
Der Kläger hat am 28.03.2008 Klage erhoben. Er hält den Bescheid für rechtswidrig, weil die für den streitgegenständlichen Zeitraum gezahlten Leistungen zu Recht bewilligt worden seien. Seine Kinder hätten Anspruch auf Leistungen nach dem UVG gehabt, weil sie bei ihm als einem alleinerziehenden Elternteil gelebt hätten.
Maßgeblich seien insofern nicht allein die Betreuungszeiten, sondern die Abrede zwischen den Kindeseltern und der Lebensmittelpunkt der Kinder. Die an die Betreuungsanteile angelehnte Betrachtungsweise des Beklagten verkenne, dass der nicht betreuende Elternteil unter Umständen weitgehende Umgangsrechte habe. Deren Wahrnehmung dürfe für den (allein) erziehenden Elternteil nicht zum Verlust des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss führen. Während des streitgegenständlichen Zeitraums habe sein Anteil an der Erziehung und Betreuung den der Kindesmutter weit überwogen.
Er sei zudem aufgrund eines Beschlusses des AG … - Familiengericht - vom 00.00.2008 (Az. …) im streitgegenständlichen Zeitraum allein kindergeldberechtigt gewesen. Der Bezug von Kindergeld setze aber voraus, dass er die Kinder in seinem Haushalt aufgenommen habe. Daraus folge zugleich, dass die Kinder Anspruch auf Leistungen nach dem UVG hätten, weil sie im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei ihm als „einem Elternteil“ wohnten. Der Beklagte sei an diese Feststellung gebunden und auch das Verwaltungsgericht dürfe sich nicht in Widerspruch zu den familiengerichtlichen Feststellungen setzen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 00.00.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 00.00.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Bescheid. Der Kläger habe die Kinder nicht „alleinerziehend“ betreut, sondern in einem Wechselmodell mit erheblichen Betreuungsleistungen der Kindesmutter. Dies ergebe sich bereits aus der zwischen dem Kläger und der Kindesmutter abgeschlossenen Umgangsregelung. Die gemeinsame Betreuung in einem Wechselmodell stehe dem Anspruch der Kinder auf Leistungen nach dem UVG entgegen. Er sei auch befugt, diesen Anspruch im Wege des Leistungsbescheides geltend zu machen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs und der weiteren beigezogenen Verfahrensakten Bezug genommen. Der Inhalt sämtlicher Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Zwar hat der Beklagte materiell-rechtlich einen Erstattungsanspruch gegen den Kläger (I.); ihm fehlt aber die gesetzliche Ermächtigung, diesen Anspruch durch Leistungsbescheid festzusetzen (II.).
I. Der Anspruch des Beklagten folgt aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG. Danach hat der Kläger die für seine Kinder an ihn gezahlten Unterhaltsvorschussleistungen in voller Höhe zu ersetzen, weil die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsvorschussleistungen in den Kalendermonaten, für die sie gezahlt worden sind, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben (1.) und er die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er wenigstens fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat (2.).
1. Die Voraussetzungen für die Zahlung von Unterhaltsvorschussleistungen an die Kinder des Klägers lagen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG hat - unter weiteren Voraussetzungen - nur derjenige Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen, der bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt. Im Sinne dieser Vorschrift lebt ein Kind nur dann bei „einem“ Elternteil, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft hat, in der es auch von ihm betreut wird.
Nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschl. v. 18.04.06, Az. 3 A 5776/05) und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 30.05.06, Az. 4 PA 100/06) setzt dies voraus, dass das unterhaltsberechtigte Kind bei einem seiner Elternteile insoweit seinen Lebensmittelpunkt hat, als dort durch diesen selbst oder von ihm beauftragte Dritte - jedoch nicht den anderen Elternteil - seine elementaren Lebensbedürfnisse, wie Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnende Gestaltung des Tagesablaufs und emotionale Zuwendung, gesichert und befriedigt werden. Wenn Kinder demgegenüber - wie hier - regelmäßig einen Teil der Zeit auch mit bzw. bei dem anderen Elternteil verbringen, kann die wechselseitige Betreuung des Kindes durch beide Elternteile - je nach Umständen des Einzelfalles - dazu führen, dass das Kind nicht mehr mit „einem“ Elternteil im Sinne des UVG zusammenlebt.
So haben die Kammer und das Nds. OVG den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für den Fall verneint, dass sich ein Kind drei Tage in der Woche bei dem einen und vier Tage wöchentlich bei dem anderen Elternteil aufhält und an beiden Orten seine persönliche Betreuung und Versorgung dergestalt erfährt, dass der jeweils andere Elternteil bei der Pflege und Erziehung des Kindes wesentlich entlastet wird (vgl. Beschl. der Kammer vom 18.04.06 und des Nds. OVG vom 30.05.06, a.a.O).
Nichts anderes ergibt sich, wenn ein Kind nicht tageweise zwischen den Eltern wechselt, sondern - wie es hier der Fall war - beide Elternteile täglich halbtags- oder stundenweise wechselnde Betreuungsleistungen erbringen. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist auch dabei der Umfang der persönlichen Betreuung und Versorgung, den das Kind beim jeweiligen Elternteil findet, und die damit einhergehende Entlastung des jeweils anderen Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.09.2009, Az. 21 K 5293/09, juris). Nach der ratio legis des UVG kommt es entscheidend darauf an, ob der alleinstehende Elternteil die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung wegen des Ausfalls des anderen Elternteils in seiner Person zu tragen hat, denn gerade deswegen soll er durch die staatliche Sozialleistung entlastet werden. Von einer solchen Belastungssituation kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn der jeweils andere Elternteil fortdauernd Betreuungsleistungen erbringt, die eine wesentliche Entlastung des Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge haben (vgl. auch Ziff. 1.3.4 der Richtlinien des Bundesministeriums für Familie und Senioren zur Durchführung des UVG in der ab 05.05.1994 geltenden Fassung; VG Lüneburg, Urt. v. 20.04.2004, Az. 4 A 2/03, juris; BayVGH, Beschl. v. 07.02.2006, Az. 12 ZB 04.2403, juris; VGH BW, Urt. v. 19.12.1996, Az. 6 S 1668/94 -, FamRZ 1997, 1034, juris; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.09.2009, a.a.O; Urt. v. 23.01.2001, Az. 21 K 1790/00).
Gegen dieses Verständnis sprechen auch nicht umgangsrechtliche Erwägungen. Soweit der Kläger anführt, dass durch die Sichtweise der Kammer diejenigen Elternteile (finanziell) benachteiligt würden, die zum Wohle ihrer Kinder umfangreiche Umgangsregelungen vereinbarten, verkennt er sowohl den Zweck der Unterhaltsvorschussleistungen als auch das Verhältnis zwischen dem Anspruch selbst und den Anspruchsvoraussetzungen. Unterhaltsvorschussleistungen dienen nicht dem Ausgleich allgemeiner Belastungen einer Trennung, sondern dem Nachteilsausgleich für Eltern, die infolge der Trennung die Erziehung und Pflege ihrer Kinder allein bewerkstelligen müssen. Leisten beide Elternteile über bloße Besuchskontakte hinaus verlässliche, regelmäßige und erhebliche Betreuungsleistungen, fehlt es an diesem weiteren Kriterium. Das hat nicht zur Folge, dass die Anspruchsvoraussetzungen anspruchserhaltend anzupassen wären, sondern dass der Anspruch nicht entsteht.
So ist es auch hier. Die täglich-anteilige Betreuung seitens der Kindesmutter ging über die Wahrnehmung des bloßen Umgangsrechts im Sinne von Besuchskontakten hinaus und bewirkte eine den Leistungsanspruch der Kinder ausschließende Entlastung des Klägers bei der Pflege und Erziehung. Es ist dabei nicht einmal erforderlich, dass der Betreuungsanteil der Kindesmutter den Anteil des Klägers überwog. Die Kammer würdigt durchaus, dass der Kläger selbst erhebliche Betreuungsleistungen erbracht hat. Doch schon der zwischen den Beteiligten unstreitige Betreuungsanteil der Kindesmutter hat nach Einschätzung der Kammer den Kläger bei der Pflege und Erziehung der Kinder soweit entlastet, dass seine Kinder eben nicht bei ihm als „einem Elternteil“ im Sinne des UVG lebten. Quantitativ leistete die Kindesmutter die Betreuung werktäglich und an jedem zweiten Wochenende und damit regelmäßig, planbar und häufig. Qualitativ fielen in die Betreuungszeiten der Kindesmutter die Bereitung einer Hauptmahlzeit (des Mittagessens) und die Betreuung während der besonders betreuungsintensiven Nachmittagsstunden, in denen die Kinder ihre Hausaufgaben gemacht haben und von der Mutter zu verschiedenen Freizeitaktivitäten gefahren wurden. Der Kläger wiederum konnte gerade aufgrund der Betreuungsleistungen der Kindesmutter seine Wehrübung absolvieren, weil die zwischen Schulschluss der Kinder und dem Ende seiner täglichen Dienstzeit entstehende Betreuungslücke geschlossen wurde. Schließlich spricht auch die von den Kindern selbst geäußerte subjektive Wahrnehmung für eine qualitativ erhebliche Betreuung durch die Kindesmutter, denn diese gaben auf Befragen des Beklagten an, sie seien „überwiegend bei der Mama“ gewesen.
Dem kann der Kläger schließlich nicht mit Erfolg entgegen halten, dass er für die streitgegenständlichen Monate allein kindergeldberechtigt war. Zum einen geht schon der Schluss fehl, dass der Begriff des Aufnehmens in den Haushalt im Sinne des EStG mit dem Begriff „bei einem Elternteil leben“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG gleichzusetzen ist. Beide Begriffe haben ihre jeweils eigene Funktion und sind unabhängig voneinander auszulegen. Zudem hat das Familiengericht in dem von dem Kläger erwirkten Beschluss auch keinerlei tatsächliche Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger die Kinder tatsächlich in seinen Haushalt aufgenommen hatte. Vielmehr hat die Kindesmutter in jenem Verfahren erklärt, sie verzichte für die vergangenen Monate auf den Kindergeldanspruch, um „endlich Ruhe“ zu haben. Daraufhin erließ das Familiengericht den Beschluss ohne weitere Ermittlungen.
2. Der Kläger hat die Bewilligung der Leistung durch wahrheitswidrige Angaben wenigstens fahrlässig im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG herbeigeführt. Er hat die umfangreichen Betreuungsleistungen der Kindesmutter, die auch im Rahmen der Umgangsvereinbarung schriftlich fixiert waren, bei Antragstellung nicht angegeben und statt dessen erklärt, die Kindesmutter betreue die Kinder lediglich „besuchsweise“. Auch dem Kläger als einem juristischen Laien musste dabei klar sein, dass die Betreuung seitens der Mutter angesichts ihrer Regelmäßigkeit, ihrer Häufigkeit und ihres Umfangs über die Wahrnehmung bloßer Besuchskontakte hinaus ging.
II. Der Beklagte ist indes nicht befugt, den bestehenden Ersatzanspruch aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG mittels Leistungsbescheids festzusetzen, denn hierzu bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung (1.), die weder ausdrücklich gesetzlich gefasst ist (2. a) noch sich aus dem systematischen Kontext ergibt (2. b).
1. Mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geht die Kammer davon aus, dass die Exekutive zum Erlass belastender Verwaltungsakte einer doppelten gesetzlichen Ermächtigung bedarf, nämlich über diejenige in materieller Hinsicht hinaus auch einer solchen, gerade in der Form des Verwaltungsaktes zu handeln (so implizit bereits BVerwG, Urt. v. 17.09.1964, Az. II C 147.61, juris; ausführlicher BVerwG, Urt. v. 12.12.1979, Az. 8 C 77/78, BVerwGE 94, 269, 277, NJW 1981, 242). Dies folgt bereits aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes, der für das Sozialrecht in § 31 SGB I konkretisiert ist. Soll mittels eines Leistungsbescheids eine Zahlungsverpflichtung statuiert werden, liegt eine ausreichende gesetzliche Grundlage dafür nicht schon in der Normierung des zugrundeliegenden öffentlich-rechtlichen Anspruchs, sondern das Gesetz muss auch zu dessen Durchsetzung mittels Leistungsbescheids ermächtigen (sogen. Verwaltungsaktsbefugnis, vgl. BVerwG, Urt. v. 03.03.2011, Az. Az. 3 C 19.10, juris; Nds. OVG, Beschl. v. 10. 5. 1994, Az. 13 L 6480/92; Urt. v. 15. 6. 1994 - 13 L 228/93; Beschl. v. 28.10.1998, Az. 13 L 4668/96 -, NVwZ-RR 1999, S. 741 [OVG Niedersachsen 28.10.1998 - 13 L 4648/98]; dem nachfolgend VG Braunschweig, Urt. v. 19.10.2006, Az. 1 A 17/06 -, VG Hannover, Urt. v. 24.09.2009, Az. 10 A 2071/08).
Dieser Grundsatz beansprucht auch hier Geltung. Die Festsetzung des in § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG normierten Ersatzanspruchs durch Bescheid stellt einen Akt der Eingriffsverwaltung dar, der gegenüber der formlosen Geltendmachung des Anspruchs als solchem eine eigene, weitergehende Beschwer enthält. Die Behörde kann mittels eines Leistungsbescheids einseitig das Bestehen der Voraussetzungen des zugrundeliegenden Leistungsanspruchs rechtsverbindlich feststellen, während sie anderenfalls eine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage erheben und dazu das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen darlegen müsste. Außerdem verschafft der Leistungsbescheid der Behörde einen eigenen Vollstreckungstitel, den sie ohne weiteres selbst vollstrecken kann, wenn der Adressat nicht Rechtsmittel dagegen einlegt. Damit wird die Anfechtungslast auf den Betroffenen verlagert (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.06.1996, Az. 13 L 6935/95, NdsVBl. 1996, 292f; Thür. OVG, Urt. v. 09.12.2009, Az. 3 KO 343/07, juris; differenzierend Druschel, Die Verwaltungsaktbefugnis, 1999, S. 48, 54, 70).
Die mit dem Leistungsbescheid verbundene Beschwer wird nach Auffassung der Kammer auch nicht durch den mit der Anfechtungsklage gewährten Rechtsschutz ausgeglichen. Sie wird insbesondere nicht dadurch relativiert, dass in einem Leistungsbescheid die den Anspruch begründenden Tatsachen mitgeteilt werden können, ohne dass es einer (weitere Kosten auslösenden) Leistungsklage bedürfte (dahin wohl BVerwG, Urt. v. 03.03.2011, Az. 3 C 19.10, juris, Rn. 16; Martens, NVwZ 1993, 27). Denn es ist der Behörde selbstverständlich unbenommen, auch vor Erhebung einer Leistungsklage Ansprüche zunächst kostengünstig durch formlose Zahlungsaufforderung oder Mahnung geltend zu machen und dabei die anspruchsbegründenden Umstände darzulegen und dem Anspruchsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen.
2. Nach Auffassung der Kammer fehlt es für den Fall der Ersatzforderung nach § 5 Abs. 1 UVG an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass eines Leistungsbescheides.
a) Eine ausdrückliche Verwaltungsaktbefugnis enthält § 5 Abs. 1 UVG nicht. Die Vorschrift normiert lediglich einen Ersatzanspruch gegen den Elternteil, zu dessen Händen Leistungen nach dem UVG an das berechtigte Kind erbracht worden sind. In welcher rechtlichen Form dieser Anspruch geltend gemacht werden kann, ist aber, anders als etwa in § 49a Abs. 1 VwVfG oder § 50 Abs. 3 SGB X, nicht geregelt.
b) Auch eine stillschweigende Ermächtigung zum Handeln durch Leistungsbescheid ist hier weder erkennbar noch dogmatisch begründbar.
aa) Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und in Teilen der Literatur grundsätzlich anerkannt, dass eine erforderliche Verwaltungsaktsbefugnis nicht ausdrücklich im Gesetz verankert sein muss, sondern auch ungeschrieben bestehen kann. Solche impliziten oder gewohnheitsrechtlichen Eingriffsermächtigungen werden beispielsweise für die Geltendmachung von Abschiebekosten nach § 24 Abs. 6a AuslG a. F. gegen den Arbeitgeber (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.1979, Az. I C 48.75; BVerwGE 59, 13, juris) sowie für die Feststellung der Genehmigungsbedürftigkeit (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.10.1990, Az. 1 B 131/90; NVwZ 1992, 276 f.) oder Genehmigungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.07.2003, Az. 6 C 27/02, BVerwGE 118, 319, juris) einer Tätigkeit bejaht. Die gesetzliche Anordnung einer Vollstreckung nach Maßgabe des VwVfG soll die im Gesetz nicht ausdrücklich angesprochene Befugnis zum Erlass des zu vollstreckenden Verwaltungsakts voraussetzen und damit gleichzeitig begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.11.1998, Az. 1 C 33/97, BVerwGE 108,1 ff., juris).
Auch die sogen. Kehrseitentheorie, nach der eine Leistung, die durch einen Bescheid bewilligt wurde, auch durch einen Leistungsbescheid wieder entzogen werden kann (vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. vom 17.03.1977, Az. VII C 59.75, NJW 1977, 1838 = DÖV 1977, 606 = juris m.w.N. aus der früheren Rechtsprechung), wird als allgemeiner Rechtsgrundsatz oder in entsprechender Anwendung der auf ihr beruhenden Ermächtigungen in § 49a Abs. 1 VwVfG oder § 50 Abs. 3 SGB X (insgesamt abl. Ipsen, a.a.O., Rn. 624; Druschel, a.a.O., S. 101 m.w.N.) zur Begründung herangezogen.
bb) Für den Ersatzanspruch nach § 5 UVG ist eine implizite Verwaltungsaktsbefugnis bisher nicht überzeugend hergeleitet worden. Die Verwaltungsaktsbefugnis wird vielmehr allenthalben unterstellt, ohne ihre Herleitung näher zu problematisieren (vgl. Scholz, UVG, 4. Aufl. 1999, § 5 Rn. 2; wohl auch, unter Hinweis auf die „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“, Helmbrecht, UVG, 5. Aufl. 2004, § 5 Rn. 3 ohne klare Differenzierung zwischen Rück- (§ 5 Abs. 2 UVG) und Ersatzforderung (§ 5 Abs. 1 UVG); zweifelnd Grube, UVG, Rn. 4 zu § 5; vgl. zuletzt VG des Saarlandes, Beschl. v. 18.10.2010, Az. 11 K 294/10, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.01.2010, Az. OVG 6 B 10.09, juris; VG Frankfurt, Beschl. v. 23.03.2010, Az. 3 K 3959/09.F, juris; zweifelnd allein: VG Freiburg, Urt. v. 04.02.2010, Az. 4 K 1627/08, juris Rn. 22). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat, anders als in den zuvor zitierten Entscheidungen, lediglich die Voraussetzungen des Anspruchs aus § 5 Abs. 1 UVG, nicht aber eine Verwaltungsaktsbefugnis geprüft (Urt. v. 23.11.1995, Az. 5 C 29/93, BVerwGE 100, 42, juris) bzw. von einer „bestands- oder rechtskräftig festgesetzten Ersatz- und Rückzahlungspflicht“ gesprochen, ohne die Verwaltungsaktsbefugnis überhaupt zu problematisieren (Urt. v. 26.01.2011, Az. 5 C 19/10, juris, Rn. 11; Urt. v. 05.07.2007, Az. 5 C 40/06; NJW 2007, 3143, juris, Rn. 12). Eine den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts und den durch das Bundesverwaltungsgericht zur Herleitung einer impliziten Ermächtigung aufgestellten Maßstäben genügende Befugnis zur Festsetzung eines Anspruchs aus § 5 Abs. 1 UVG mittels Leistungsbescheids ergibt sich daraus nicht.
cc) Nach Auffassung der Kammer lässt sich eine Verwaltungaktsbefugnis für den Anspruch aus § 5 Abs. 1 UVG auch nicht überzeugend herleiten.
(1) Sie ergibt sich nicht aus dem Kontext des Gesetzeswortlauts. Es gibt, anders als etwa zur Erstattungspflicht bei schuldhaft herbeigeführter Bewilligung von Sozialhilfeleistungen in § 103 Abs. 1 S. 3 („Heranziehung zum Kostenersatz“) und Abs. 3 S. 3 („Erlass eines Leistungsbescheids“) SGB XII, im UVG selbst keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber für die Rückforderung nach § 5 Abs. 1 UVG von einer Befugnis zum Erlass eines Leistungsbescheides ausgegangen ist.
(2) Die Verwaltungsaktsbefugnis ist auch nicht aus der Regelungssystematik abzuleiten. Insbesondere folgt sie nicht aus einem „sozialrechtlichen Subordinationsverhältnis“. Zwar hat die Rechtsprechung teilweise innerhalb eines auf Sozialleistungen bezogenen Sozialrechtsverhältnisses ein Subordinationsverhältnis gesehen und dieses zwischenzeitlich auch auf Rechtsnachfolger eines Leistungsberechtigten ausgedehnt (vgl. BSG, Urt. v. 28.08.1997, Az. 8 RKn 2/97, juris). Dieser Gedanke ist jedoch auf den Anspruch aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG nicht übertragbar. Der nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG verpflichtete Elternteil ist nicht der Leistungsempfänger. Von ihm wird nicht die Leistung zurückgefordert, sondern Ersatz verlangt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 09.07.2010, Az. OVG 6 N 9.08, juris, Rn. 11), während die eigentliche Leistung beim Kind verbleibt. Ein Schadensersatzanspruch kann aber nicht ohne weiteres einem - eine VA-Befugnis möglicherweise begründenden - Subordinationsverhältnis zugerechnet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.06.1966, Az. 6 C 183/64, juris). Der Adressat des Ersatzanspruchs aus § 5 Abs. 1 UVG tritt nicht in das Sozialrechtsverhältnis ein, sondern ist und bleibt außen stehender Dritter (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.06.2006, Az. 5 B 42/06, juris).
Aus dem gleichen Grunde lässt sich eine Befugnis zum Erlass eines Leistungsbescheids auch nicht in Anwendung der Grundsätze der sog. "Kehrseitentheorie" entwickeln. Gegen den Rückgriff auf deren gesetzliche Kodifikationen (§ 49a Abs. 1 S. 2 VwVfG; § 50 Abs. 3 SGB X) spricht schon die Spezialität des § 5 Abs. 1 UVG als eigenständiger Haftungsnorm, die den §§ 45ff. SGB X vorgeht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.06.2006, Az. 5 B 42/06, juris). Vor allem aber sind sowohl die "Kehrseitentheorie" als auch ihre Normierungen in § 49a Abs. 1 S. 2 VwVfG und § 50 Abs. 3 SGB X dezidiert für die Situation der Rückforderung und das zweipolige Verhältnis zwischen dem Leistungsempfänger und der Verwaltung entwickelt worden und können nicht ohne weiteres auf Ersatzansprüche in einem "dreipoligen" Verhältnis unter Einbeziehung Dritter (des ersatzpflichtigen Elternteils) übertragen werden (vgl. Thür. OVG, Urt. v. 09.12.2009, Az. 3 KO 343/07; juris, Rn. 36).
Anderes ergibt sich auch nicht aus der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung zur Kehrseitentheorie über die unmittelbare Rückforderung gegenüber dem Leistungsempfänger hinaus weiter entwickelt (vgl. Urt. v. 03.03.2011, a.a.O.); es hat aber dabei nach der Art der Schuld differenziert. So könne ein Rückforderungsanspruch auch gegen denjenigen durch Leistungsbescheid festgesetzt werden, der dieser Schuld wirksam beigetreten sei, denn seine Verpflichtung teile die „verfahrensrechtlichen Implikationen“ des Rückforderungsanspruchs. Anders sei es dagegen, wenn der Verpflichtete eine Bürgschaft für diese Schuld abgegeben habe; hierfür bedürfe es einer anderen Ermächtigungsnorm als § 49a Abs 1 S. 2 VwVfG. Dies gilt nach Auffassung der Kammer erst recht, wenn statt einer - immerhin akzessorisch an die Rückforderung anknüpfenden - Bürgschaft ein eigenständiger, von den weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UVG abhängiger Ersatzanspruch in Rede steht.
(3) Schließlich lässt sich auch aus der Gesetzeshistorie keine stillschweigende Verwaltungsaktsbefugnis ableiten, sondern allenfalls - als beredtes Schweigen des Gesetzgebers - deren Gegenteil entnehmen. Der Ersatzanspruch gegen die vorsätzlich oder fahrlässig Leistungen veranlassenden Eltern war von Anfang an, zunächst als § 6 Abs. 1, im Gesetzesentwurf des UVG enthalten. Dem Gesetzentwurf zum UVG vom 22.06.1978 (BT-Drs. 8/1952) lassen sich keine sicheren Hinweise auf eine beabsichtigte Verwaltungsaktsbefugnis entnehmen, dort heißt es zu den §§ 4 - 7 und 11 - 13 lediglich: „Die Vorschriften lehnen sich an ähnliche Regelungen des Sozialleistungsrechts an“ (BT-Drs. 8/1952, S. 7). Welche konkreten Rückforderungsregelungen damit gemeint waren, ist nicht ersichtlich. Das Sozialverfahrensrecht war seinerzeit in mehr als 200 Einzelvorschriften mit unterschiedlichen Verfahrensordnungen geregelt, ohne dass durchgängig eine Befugnis zum Erlass von Leistungsbescheiden normiert gewesen wäre; das SGB X und mit ihm § 50 Abs. 3 waren noch nicht in Kraft.
Ein Jahr nach der Einführung des UVG (in Kraft getreten am 01.01.1980) hat der Gesetzgeber bei Einführung des SGB X (in Kraft getreten am 01.01.1981) davon abgesehen, eine dessen § 50 Abs. 3 entsprechende Vorschrift auch für die Ersatzansprüche nach § 5 Abs. 1 UVG zu erlassen. Sowohl der Spezialitätsgrundsatz des § 37 SGB I als auch die einfachgesetzliche Normierung des Gesetzesvorbehalts in § 31 Abs. 1 SGB I galten zu diesem Zeitpunkt bereits. Der Gesetzgeber, der in § 50 Abs. 3 SGB X eine ausdrückliche Ermächtigung zum Erlass eines Leistungsbescheids für erforderlich gehalten hat, hat - in der gleichen Legislaturperiode und in geringem zeitlichen Abstand (der erste Entwurf für das SGB X datiert vom 07.08.1978, der erste Entwurf für das UVG vom 22.06.1978) - eine solche Normierung im UVG gerade nicht vorgenommen und auch im Gesetzgebungsverfahren nicht problematisiert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 188 S. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 ZPO.
Die Berufung und die Sprungrevision sind gem. § 124a Abs. 1 Satz 1 iVm. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und § 134 Abs. 1, Abs. 2 iVm. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Frage, ob der Anspruch aus § 5 Abs. 1 UVG durch Leistungsbescheid geltend gemacht werden kann, grundsätzliche Bedeutung hat.