Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 25.11.2003, Az.: 13 A 2111/02
Aufbringung der Kosten; Autismustherapie; Beitrag; erweiterte Hilfe; heilpädagogische Maßnahme; Hilfe zur angemessenen Schulbildung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 25.11.2003
- Aktenzeichen
- 13 A 2111/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48290
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 40 Abs 1 Nr 4 BSHG
- § 43 Abs 2 Nr 2 BSHG
- § 83 BSHG
- § 12 Nr 1 BSHG§47V
- § 10 Abs 2 S 2 SGB 8
- § 35a SGB 8
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ziel eine ambulante Autismustherapie auch darauf, dass der Behinderte die Schule erfolgreicher besuchen kann, findet § 43 Abs. 2 BSHG Anwendung.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2001/9. Oktober 2001 und sein Widerspruchsbescheid vom 23. April 2002 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der am 8. Dezember 1990 geborene Sohn der Kläger leidet u. a. an Hydrocele beidseitig, muskulärer Hypertonie und globaler Entwicklungsverzögerung. Der Beklagte gewährte ihm erstmals mit Bescheid vom 22. Juni 1992 Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischen Maßnahmen beim Caritasverein für Behindertenhilfe e. V..
Mit Bescheid vom 17. Februar 1999 gewährte der Beklagte dem Sohn der Kläger Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten seiner Beschulung in der heilpädagogischen Johannisschule in Ewinghausen zunächst bis zum Ende des Schuljahres 2004/2005 (so der ergänzende Bescheid des Beklagten vom 20. Juni 1999); mit weiterem Bescheid vom 28. Juni 2000 gewährte er Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer ambulanten Autismustherapie im Therapiezentrums des Vereins für heilpädagogische Hilfe in Bersenbrück für die Zeit vom 24. Mai 2000 bis auf Weiteres, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2002. In dieser Entscheidung heißt es: „Der Bescheid über den von Ihnen zu leistenden Eigenanteil ergeht gesondert.“
Der Beklagte setzte den Beitrag der Kläger aus ihrem Einkommen über der Einkommensgrenze zu der Eingliederungshilfe für ihren Sohn (ambulante Autismustherapie) durch Bescheide vom 20. Juni 2001 und vom 9. Oktober 2001 auf monatlich 449,00 DM ab 1. Juni 2000 fest: Diese Eingliederungshilfe sei gemäß § 99 BSHG i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG eine Maßnahme der Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft. Den Klägern sei als den Eltern gemäß § 84 Abs. 1 BSHG zuzumuten, die Mittel in angemessenem Umfang aufzubringen, soweit das zu berücksichtigende Einkommen die maßgebende Einkommensgrenze übersteige. Sie verfügten derzeit über ein monatliches Familieneinkommen von 4.774,61 DM. Davon seien die Kosten für Arbeitsmittel und Fahrten sowie Versicherungsbeiträge abzusetzen. Die maßgebliche allgemeine Einkommensgrenze betrage gemäß § 79 Abs. 2 BSHG gegenwärtig 2.376,00 DM. Unter Berücksichtigung der Kosten der Bewirtschaftung des Eigentums und der besonderen Belastungen der Kläger liege das maßgebliche Einkommen 1.085,23 DM über der allgemeinen Einkommensgrenze. Bei einer ambulanten Betreuung sei die Eigenleistung auf mindesten 80 v. H. des Einkommens, das die allgemeine Einkommensgrenze übersteige, festzusetzen.
Die Kläger begründeten ihren Widerspruch gegen ihre Heranziehung zur Kostenerstattung u. a. damit, dass die ambulante Autismustherapie für ihren Sohn eine Maßnahme nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 BSHG i.V.m. § 12 Eingliederungshilfeverordnung sei und sie daher ihr Einkommen nicht einsetzen müssten.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Kläger durch Widerspruchsbescheid vom 23. April 2002 als unbegründet zurück: Die ambulante heilpädagogische Autismustherapie für den Sohn der Kläger diene schwerpunktmäßig seiner außerschulischen Förderung. Sie solle insbesondere beim Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet seien, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, helfen. Die Schule, die besuche, habe ergänzende Maßnahmen der ambulanten Förderung nicht für erforderlich gehalten. Gegen den Bescheid vom 28. Juni 2000, mit dem Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bewilligt worden sei, sei Widerspruch nicht erhoben worden.
Die Einrichtung, in der der Sohn der Kläger die ambulante Autismustherapie erhält, führte in einem Entwicklungsbericht für ihn vom 3. Mai 2002 aus:
„Aufgrund der autistischen Behinderung ist K. in seiner Kommunikation stark eingeschränkt. Zu Beginn der Therapie war K. kaum in der Lage, auf eine Frage zu antworten. ... Gespräche strengten ihn sehr an, und er blockte diese nach wenigen Minuten ab. Inzwischen ist K. in der Lage, 20 Minuten und länger mit mir zu sprechen und sich auf Themen zu konzentrieren. Für K. ist es wichtig, seine verbalen Fähigkeiten auszubauen, damit er seinem Gesprächspartner genauere Angaben machen kann und er dadurch besser verstanden wird. ... Es gelingt ihn kaum, eine eigene Entscheidung zu treffen. Mittlerweile ist es ihm in einigen Bereichen z. B. Nahrung, Kleidung, möglich, zwischen zwei Alternativen zu wählen. Damit K. aus der weitgehenden Fremdbestimmung herauskommt, ist eine weitere intensive Arbeit mit ihm und dem Umfeld erforderlich. ... Die aggressiven Verhaltensweisen sind in den zurückliegenden Monaten nicht mehr so häufig vorgekommen und nicht mehr so unberechenbar aufgetreten. ... Die Förderung der Selbständigkeit hat auch positive Fortschritte in anderen Bereichen der Persönlichkeitsentwicklung bewirkt. ... Er (ist) sehr ehrgeizig und motiviert die Aufgaben, die an ihn herangetragen werden, allein und ohne Hilfe perfekt zu lösen. Problematisch wird dieser Charakterzug im Zusammenhang mit seiner geringen Frustrationstoleranz. Hier können leicht Wutanfälle hervorgerufen werden. Deshalb ist es notwendig, dass K. lernt, Hilfen und Ratschläge anzunehmen, um so zu weiteren Erfolgen zu kommen. Vom äußeren Erscheinungsbild her wird K. von Personen, die seine Behinderung nicht kennen, oftmals überschätzt und dadurch überfordert. Da K. sehr ehrgeizig ist und noch keine Hilfe annehmen kann, bedarf es bei der Aufgabenstellung für K. eine genaue Kenntnis seiner Fähigkeiten, viel Einfühlungsvermögen und eine gute Einschätzung der momentanen Verfassung. ... Ebenso sieht auch der Klassenlehrer diese Form der Förderung als notwendig an, da er sich im Unterricht auf die schulischen Aspekte konzentrieren muss und die für die sozialen und lebenspraktischen Bereiche kaum Raum gegeben ist. ... Bei weiterer sensibler Unterstützung K. s und intensiver Kooperation mit den Eltern sind weitere Entwicklungsschritte auch in Richtung sozialer Integration zu erwarten. ...“
Der Klassenlehrer des Sohnes der Kläger teilte unter dem 27. Mai 2002 mit:
„Wir befürworten eine therapeutische Förderung seitens des Therapiezentrums Bersenbrück - Schwerpunkt Autismus - und bestätigen, dass diese Förderung K.’s schulische Entwicklung wesentlich unterstützt.“
Die Kläger haben am 16. Mai 2002 Klage erhoben und beantragen unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen,
den Bescheid des Beklagten vom 26. Juni 2001/9. Oktober 2001 und seinen Widerspruchsbescheid vom 23. April 2002 aufzuheben und auszusprechen, dass die Hinzufügung eines Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angegriffenen Bescheide und macht ergänzend geltend, bei der Autismustherapie des Sohnes der Kläger liege der Schwerpunkt bei der Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, nicht bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung. Dies folge sowohl aus der Stellungnahme seines Gesundheitsamtes als auch aus dem Bericht des Therapiezentrums vom 3. Mai 2002. Die Durchführung der Autismustherapie sei auch für die (erfolgreiche) Schulbildung von nicht erforderlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Der Beklagte ist nicht berechtigt, die Kläger für die ambulante Autismustherapie ihres Sohnes zu einem Beitrag heranzuziehen.
Das Gericht hat erwogen, ob die Kläger den Anspruch auf Übernahme der Kosten der ambulanten Autismustherapie ihres Sohnes ohne Einsatz ihres Vermögens und Einkommens auf §§ 35 ff., 91 SGB VIII stützen können. Dieser Anspruch würde sich gleichfalls gegen den Beklagten - indes in seiner Funktion als zuständiger örtlicher Träger der Jugendhilfe nach §§ 85 Abs. 1, 86 Abs. 1 SGB VIII, § 1 Abs. 1 Nds. AG KJHG - richten.
Zweifellos sind beim Sohn der Kläger auch die Voraussetzungen von § 35 a SGB VIII - eine die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigende länger als sechs Monate andauernde Abweichung der seelischen Gesundheit von dem in seinem Lebensalter typischen Zustand - erfüllt. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Entwicklungsbericht des Therapiezentrums des Vereins für heilpädagogische Hilfe in Bersenbrück vom 3. Mai 2002 und den ärztlichen Befunden in den Verwaltungsvorgängen (s. insbesondere die Stellungnahme der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie - Psychotherapie - des Kinderhospitals Osnabrück vom 7. Oktober 1997 und die Stellungnahme des Gesundheitsamts des Beklagten vom 21. Juni 2000). Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Behinderung, an der leidet, nicht in diesem seelischen Leiden erschöpft. Nach der Stellungnahme des Gesundheitsamts und der kinderpsychiatrischen Abteilung des Kinderhospitals leidet der Sohn der Kläger an einer tiefgreifenden Störung seiner Entwicklung im Bereich der Imitation, des Körperbewusstseins, der Anpassung an Veränderungen, der visuellen Reaktionsbereitschaft, der Angstreaktion und einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung im allgemeinen. Damit besteht eine Mehrfachbehinderung im seelisch-geistigen Bereich. Diese Annahme entspricht der generellen Beschreibung autistischer Leiden - das bei vorliegt - durch den wissenschaftlichen Beirat des Bundesverbandes „Hilfe für das autistische Kind“ vom November 1993 (RdLh 1994, 21 f.), wonach bei einem autistischen Syndrom nicht davon gesprochen werden kann, dass eine Behinderungsart (körperlich, geistig oder seelisch) überwiegt.
Demzufolge steht der Anwendung von § 35 a SGB VIII hier § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII entgegen. Diese Regelung bestimmt das Verhältnis zwischen Leistungen der Jugendhilfe und solchen der Sozialhilfe. Der in § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII bestimmte Vorrang von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch wird eingeschränkt durch die Sonderregelung von § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII, wonach das Sozialhilferecht dem Jugendhilferecht bei Maßnahmen der Eingliederungshilfe für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, vorgeht. Die Abgrenzung zwischen Satz 1 und Satz 2 von § 10 Abs. 2 SGB VIII hängt allein von der Art der mit einer Jugendhilfeleistung konkurrierenden Sozialhilfeleistung ab. Ist letztere von der in § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII bezeichneten Art, so gilt der Vorrang der Sozialhilfe, ist diese aber eine andere Sozialhilfeleistung, so ergibt sich aus § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII der Vorrang der Jugendhilfe (s. BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 - Az.: 5 C 26.98 -, BVerwGE 109, 325, 329). Zu Recht nehmen daher die Beteiligten die Zuständigkeit des Beklagten als Träger der Sozialhilfe gemäß §§ 96 ff. BSHG, § 1 Nds. AG BSHG an, da nach dem eben Ausgeführten eine Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG in Rede steht.
Der streitgegenständlichen Beteiligung der Eltern des Klägers an den Kosten dieser Maßnahme der Eingliederungshilfe steht § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist den in § 28 BSHG genannten Personen die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung einschließlich der Vorbereitung dazu. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Bei der Übernahme der Kosten der heilpädagogisch-therapeutischen Maßnahmen für in Gestalt der ambulanten Autismustherapie in dem Therapiezentrum des Vereins für heilpädagogische Hilfe in Bersenbrück handelt es sich um eine solche „erweiterte“ Hilfe gemäß §§ 39, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten wird dem Sohn der Kläger durch die in Rede stehende Maßnahme nicht „lediglich“ Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach §§ 39, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 55 SGB IX gewährt.
Die ambulante Autismustherapie war in der Zeit vom 1. Juni 2000 bis zum 30. April 2002
- das Gericht ist in zeitlicher Hinsicht bei der Überprüfung von laufenden Leistungen der Sozialhilfe auf den Zeitraum bis zum Ergeben der letzten Behördenentscheidung (hier: Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 23. April 2002) begrenzt - als heilpädagogische Maßnahme erforderlich und geeignet, dem Sohn der Kläger im Alter zwischen zehn und zwölft Jahren den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht - er besucht im Einvernehmen der Beteiligten die heilpädagogische Johannesschule in Ewinghausen - jedenfalls zu erleichtern. Dies genügt für die Annahme einer Verpflichtung des Beklagten, die in Rede stehende Leistung der Eingliederungshilfe auf der Grundlage der §§ 39, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung zu gewähren (Nds. OVG, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - 12 ME 657/02 -, V.n.b., den Beteiligten bekannt). Gemäß § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG auch heilpädagogische Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht (auch nur) zu erleichtern.
Dabei legt die Kammer zugrunde, dass der Sohn der Kläger in der von ihm besuchten heilpädagogisch ausgerichteten Schule in besonderer und auf sein autistisches Leiden ausgerichteten Weise zusätzliche Hilfe erhält. Dadurch wird aber nicht ausgeschlossen, dass er als Folge der ambulanten Autismustherapie in die Lage versetzt wird, die Schule erfolgreicher zu besuchen (in diesem Sinn für eine vergleichbare Fallgestaltung im Hinblick auf eine sog. Petö-Therapie: Nds. OVG, Urteil vom 11. Oktober 2000 - 4 L 6857/99 - insoweit nicht durch das Revisionsurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2002 - 5 C 36.01 -, ZfSH-SGB 2002, 602 ff. beanstandet). Aus der Stellungnahme der Schule vom 27. Mai 2002 ergibt sich eindeutig, dass der Betreuungsbedarf von wegen seines Autismusleidens durch die schulische Betreuung nicht gedeckt wird. Auch aus dem Entwicklungsbericht der Einrichtung, in der die ambulante Autismustherapie durchgeführt wird, folgt, dass diese für eine Förderung und Erleichterung des Schulbesuchs von geeignet und erforderlich ist. Die Förderziele und die Fortschritte der Therapie, die der Bericht des Therapiezentrums vom 3. Mai 2002 beschreibt, belegen, dass bei seinen schulischen Erfolgen ohne die ambulante Autismustherapie erheblich beeinträchtigt würde. Überdies betont dieser Entwicklungsbericht zu Recht die Notwendigkeit der begleitenden Arbeit mit den Klägern. Die ambulante Autismustherapie für K.-W. verringert seine individuellen Barrieren nicht nur im kognitiven, sondern auch im sozialen Bereich in einer Weise, die durch schulische Fördermaßnahmen nicht geleistet werden kann. Dabei stellt die Kammer maßgeblich darauf ab, dass die ambulante Therapie die Autonomie von stärkt, ihn also befähigt, nicht nur fremdbestimmt durch Bezugspersonen wie Klassenlehrer oder Eltern, sondern in eigener Entscheidung sich zu verhalten. Daneben trägt die Therapie - auch insoweit wird auf den überzeugenden Bericht der Einrichtung vom 3. Mai 2002 Bezug genommen - entscheidend dazu bei, dass er überhaupt sein intellektuelles und kognitives Leistungsvermögen ausschöpfen kann, indem sie seine Tendenz zu Wutanfällen u. a. infolge seiner behinderungsbedingten geringen Frustrationstoleranz abbaut. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass durch die ambulante Therapie in seiner Kommunikationsfähigkeit ganz maßgeblich gestärkt wird. Für ihn ist es nach dem Entwicklungsbericht der Einrichtung vom 3. Mai 2002 mittlerweile möglich, Gespräche und Fragen nicht nur abzublocken, sondern 20 Minuten verbal zu kommunizieren und sich Fragen nicht nur zu verschließen. Es liegt auf der Hand, dass der Zugewinn in diesem Bereich der Schulbesuch ganz wesentlich erleichtert. Aufgrund dieser Merkmale ist die ambulante Autismustherapie wegen ihrer gewichtigen, den Schulbesuch fördernden und erleichternden Wirkungen nicht lediglich den allgemeinen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft i.S.v. §§ 39, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BSHG, §§ 55 ff. SGB IX zuzuordnen. Der auch vom Beklagten bejahte Anspruch des Sohnes der Kläger auf Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten der ambulanten Autismustherapie richtet sich mithin auf eine Leistung nach §§ 39, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung, bei der seinen Eltern gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG nur die Aufbringung der Mittel für die Kosten des Lebensunterhalts, nicht aber ein Beitrag zu der Leistung der Eingliederungshilfe zuzumuten ist.
Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung folgt weiter, dass § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG nicht die Annahme „sperrt“, Eingliederungshilfe zu einer angemessenen Schulbildung dürfe nicht heilpädagogische Maßnahmen umfassen. Zwar erwähnt lediglich § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG heilpädagogische Maßnahmen, bei deren Gewährung im Rahmen der Eingliederungshilfe den in § 28 BSHG genannten Personen nur die Kosten des Lebensunterhalts zuzumuten sind. Aus § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG lässt sich aber insbesondere durch die Konkretisierung der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung in § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck der Regelung nach entnehmen, dass hierunter heilpädagogische Maßnahmen nicht fallen würden. Insofern ist der Gesamtzusammenhang der Regelung anders zu verstehen als bei der Versorgung des Behinderten mit Körperersatzstücken sowie mit orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln. Insofern trifft § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG eine abschließende Regelung, da nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Versorgung mit Hilfsmitteln (beispielsweise einer Schreibmaschine für Blinde) auch dann keine Maßnahme der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung ist, wenn diese Geräte ausschließlich dem Schulbesuch dienen sollen (BVerwG, Urteil vom 5. Juni 1975 - V C 5.74 -, FEVS 24, 95). § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG hat anders als § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG nicht den Charakter einer prägenden Spezialregelung. Anders als § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSHG für die Versorgung mit Hilfsmitteln regelt § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BSHG nicht eigenständig und abschließend die Eingliederungshilfe durch heilpädagogische Maßnahmen. Aus der Eingliederungshilfeverordnung - beispielsweise § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung - und dem Umstand, dass Eingliederungshilfe durch heilpädagogische Maßnahmen auch für Menschen jenseits des Vorschulalters geeignet und erforderlich sein kann, ergibt sich, dass § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG keine prägenden Spezialregelung ist. Hinzu kommt, dass nach der Systematik des Gesetzes eine solche prägende Spezialregelung für bestimmte „Arten“ von Eingliederungshilfe ihren Platz in § 40 BSHG haben müsste.
Der Einordnung der hier in Rede stehenden Eingliederungshilfe für den Sohn der Kläger als Maßnahme der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung setzt nicht voraus, dass diese ärztlich verordnet oder vom Amtsarzt des Beklagten als Maßnahme nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG bejaht worden ist. Anders als die Gewährung heilpädagogischer Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG), setzt die Gewährung von Hilfe zu einer angemessenen Schulausbildung durch Übernahme der Kosten einer heilpädagogischen Maßnahme nicht voraus, dass „nach allgemeiner ärztlicher oder sonstiger fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch eine drohende Behinderung im Sinne des § 39 Abs. 1 BSHG verhütet werden kann oder die Folgen einer solchen Behinderung beseitigt oder gemildert werden können“ (§ 11 Satz 1 Eingliederungshilfeverordnung). Dieser Annahme steht bereits der eindeutige Wortlaut von § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung entgegen, der ein prognostisches Urteil über die Eignung der heilpädagogischen Maßnahme nach dem Maßstab der allgemeinen oder sonst fachlichen Erkenntnis nicht fordert. Auch aus der Entstehungsgeschichte der §§ 11 und 12 Eingliederungshilfeverordnung und der sie tragenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen ergibt sich eine solche Anforderung für die hier in Rede stehende Maßnahme nicht (vgl. dazu im Einzelnen: BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2002 - Az.: 5 C 36/01 - FEVS 53, 499).
Zudem gebietet § 83 BSHG und sein allgemeiner Rechtsgedanke, die ambulante Autismustherapie für den Sohn der Kläger im Rahmen der §§ 79 ff. BSHG als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung zu werten. § 83 BSHG lautet:
„Kann dieselbe Leistung gleichzeitig nach mehreren Bestimmungen gewährt werden, für die unterschiedlichen Einkommensgrenzen maßgeblich sind, so wird sie nach der Bestimmung gewährt, für welche die höhere Einkommensgrenze maßgeblich ist.“
Diese Vorschrift ist hier zwar nicht unmittelbar anwendbar, da hier nicht unterschiedliche Einkommensgrenzen für dieselbe Leistung in Rede stehen. Aus ihr kann aber der allgemeine Grundsatz entnommen werden, dass die für den Behinderten und den Personenkreis von §§ 28 f. BSHG günstigste Hilfe zu gewähren ist (s. Nds. OVG, Beschluss vom 17. Dezember 2002, 12 ME 657/02 - den Beteiligten bekannt -, m.w.N.; für einen anderen Fall analoger Anwendung von § 83 BSHG, s. LPK, Kommentar zum BSHG, 6. Aufl. 2003, § 83 Rz.: 9 m.w.N.). § 83 BSHG erweist, dass das Gesetz dem Hilfesuchenden die ihm günstigste Unterordnung seines Falles unter das Bundessozialhilfegesetz gewährleisten will (BVerwG, Urteil vom 31. August 1966 - Az.: V C 185/65 -, BVerwGE 25, 28).
Der Einordnung der streitgegenständlichen Maßnahme der Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte mit dem bestandskräftigen Hilfebescheid für den Sohn der Kläger vom 28. Juni 2000 als Rechtsgrundlage § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 BSHG angegeben hat. Es erscheint zunächst überhaupt zweifelhaft, ob dieser Teil der Begründung des angefochtenen Bescheides in Bestandskraft erwächst. Diese Annahme erscheint jedenfalls dann lebensfremd, wenn sie damit verbunden wäre, dass Personen gemäß § 28 BSHG sich wegen der Bestandskraft eines Hilfebescheides und einer Festlegung der „Hilfeart“ nicht mehr gegen einen Kostenbescheid wehren könnten. Für die Kläger und ihren Sohn bestand nicht Anlass, den Hilfebescheid des Beklagten vom 28. Juni 2000 anzufechten, da er ihnen wunschgemäß Eingliederungshilfe gewährte. Zudem erscheint die Annahme einer Bestandskraft für Festlegung im Bescheid, dass Hilfe gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 BSHG gewährt werde, im Hinblick auf den Wortlaut des Kostenbescheides nicht gerechtfertigt. Der Hilfebescheid vom 28. Juni 2000 teilt den Klägern ausdrücklich mit, dass der Bescheid über einen Eigenanteil gesondert ergeht. Damit war den Klägern zugleich mitgeteilt, dass die Festlegung der „Hilfeart“ in dem Bescheid vom 28. Juni 2000 als solche erst mit den angekündigten Bescheid über den Kostenbeitrag belastende Wirkung entfalten wird. Erst gegenüber diesen Bescheid bestand ein Rechtsschutzbedürfnis an der „Anfechtung“ und mithin an einer (auch gerichtlichen) Überprüfung, nach welcher Vorschrift sich die Hilfe für den Sohn der Kläger beurteilt. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, dass die Art der Eingliederungshilfe sich materiell nicht nach dem „Etikett“ des Hilfebescheides, sondern nach der tatsächlichen Hilfe beurteilt (s. beispielsweise BVerwG, Urteil vom 31. August 1966, s. o.).
Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären. Dies ist dann der Fall, wenn von dem Standpunkt einer verständigen Partei mit Berücksichtigung der konkreten Umstände, insbesondere der persönlichen Fähigkeiten der Betroffenen und der Schwierigkeiten der Sache, eine angemessene Rechtsverfolgung anderweitig nicht möglich wäre (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. September 1982, NVwZ 1983, S. 346).
Im vorliegenden Verfahren waren schwierige rechtliche und tatsächliche Fragen des Sozialhilferechts zu beantworten. Es war den Klägern nach ihren persönlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, das Verfahren selbst zu führen (s. allgemein BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1987, NVwZ 1987, 883 [BVerwG 13.02.1987 - BVerwG 8 C 35.85]).