Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.11.2003, Az.: 12 B 3833/03
Abgaberückstände; Geschäftsführer; Gewerbeuntersagung; GmbH; Insolvenz; juristische Person; Sanierungskonzept; Steuerschulden; Unzuverlässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 12.11.2003
- Aktenzeichen
- 12 B 3833/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48259
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 12 GewO
- § 35 GewO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Sperrwirkung des § 12 GewO in Insolvenzverfahren umfasst nicht das vom Geschäftsführer der insolventen GmbH nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Einzelperson ausgeübte Gewerbe.
Gründe
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Untersagung der selbständigen Ausübung des Gewerbes “... ” im Bescheid des Antragsgegners vom 13. Oktober 2003 ist zulässig, aber nicht begründet.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers entfällt, weil die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Gewerbeuntersagung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügenden Begründung im Bescheid vom 13. Oktober 2003 angeordnet hat. Die Begründung, es sei während eines möglichen Rechtsmittelverfahrens mit weiteren Ausfällen an öffentlichen Abgaben zu rechnen, genügt diesen Anforderungen.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen die Gewerbeuntersagung ist nicht begründet, wenn das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Verwaltungsaktes das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung nicht überwiegt. Bei dieser Interessenabwägung sind mit der im vorläufigen Rechtschutzverfahren gebotenen Zurückhaltung auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.
Nach allen gegenwärtig erkennbaren Umständen wird der Widerspruch des Antragstellers gegen die Gewerbeuntersagung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben und rechtfertigt deshalb nicht den Vorrang seines Interesses an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vor dem besonderen öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Verfügung. Dabei wertet der Einzelrichter das an das Gericht gerichtete Schreiben vom „9.10.03“, hier eingegangen am 20. Oktober 2003 und am selben Tag an den Antragsgegner weitergeleitet, als gleichzeitig eingelegten Widerspruch gegen die Gewerbeuntersagung. Dem hat der Antragsgegner in seiner Antragserwiderung vom 28. Oktober 2003 nicht widersprochen, sondern ausdrücklich den Widerspruch des Antragstellers erwähnt.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller aber nach der für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung zu Recht das von ihm ausgeübte Gewerbe (s.o.) untersagt. Die Gewerbeuntersagung stützt sich auf § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Diese Regelung ist trotz des gegen die K-GmbH, deren Geschäftsführer der Antragsteller ist, eröffneten Insolvenzverfahrens anwendbar. Nach § 12 GewO finden Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ermöglichen, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, während eines Insolvenzverfahrens und während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 der Insolvenzordnung angeordnet sind sowie während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans (§ 260 Insolvenzordnung) keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Diese Sperrwirkung des § 12 GewO erfasst unmittelbar den Gewerbetreibenden selbst. Ob die Schutzwirkung dieser Vorschrift auch zugunsten des die GmbH vertretenen Geschäftsführers eingreift (vgl. hierzu Hahn, GewArch 2000, 361; Pinegger , GewArch 2001, 24; Marcks, in Landmann/Rohmer, GewO, Bd. 1, Stand: 1. Februar 2003, § 12 Rdnr. 13) kann hier dahinstehen, da dem Antragsteller das von ihm nach Einleitung des Insolvenzverfahrens gegen die GmbH begonnene Gewerbe, das er als Einzelperson ausübt, untersagt wird. Die gewerberechtliche Untersagungsvorschrift des § 35 GewO ist nach § 12 GewO während des laufenden Insolvenzverfahrens nur unanwendbar in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde, so dass der Gewerbetreibende nicht die Möglichkeit erhalten soll, eine neue gewerbliche Tätigkeit aufzunehmen. Die Sperrwirkung des § 12 GewO erfasst also lediglich das bei laufendem Insolvenzverfahren ausgeübte Gewerbe. Dies gilt auch für den Geschäftsführer eines als juristische Person handelnden Gewerbetreibenden. Das Insolvenzverfahren gegen die GmbH, deren Geschäftsführer der Antragsteller ist, ist bereits im Oktober 2002 eingeleitet worden. Im September 2003 hat der Antragsteller als Einzelperson das oben genannte Gewerbe angemeldet, das er nunmehr auch allein ausübt. Dieser Fall wird von § 12 GewO weder unmittelbar noch mittelbar erfasst, so dass § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO anwendbar bleibt.
Nach § 35 Abs. 1 Nach § 35 Abs. 1 S. 1 ist die Ausübung eines Gewerbes zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung insbesondere zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist.
Der Antragsteller ist als gewerberechtlich unzuverlässig anzusehen. Derjenige Gewerbetreibende ist in diesem Sinne unzuverlässig, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Die Annahme der Unzuverlässigkeit kann aus einer lang andauernden wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit abzuleiten sein, die infolge des Fehlens von Geldmitteln eine ordnungsgemäße Betriebsführung im Allgemeinen und die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten im Besonderen verhindert, ohne dass – insbesondere durch die Erarbeitung eines tragfähigen Sanierungskonzeptes – Anzeichen für eine Besserung erkennbar sind. Steuerrückstände sind geeignet, einen Gewerbetreibenden als unzuverlässig erscheinen zu lassen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind. Auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 1996 – 1 B 250.96 –, Buchholz 451.20, § 35 GewO Nr. 65 und Beschluss vom 09. April 1997 – 1 B 81.97 –, Buchholz 451.20, § 35 GewO Nr. 67).
Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit setzt weder ein Verschulden noch einen Charaktermangel voraus, so dass es ohne Bedeutung ist, welche Ursachen zur Überschuldung oder wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit des Gewerbetreibenden geführt haben. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftverkehrs muss von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, dass er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit unabhängig von den Gründen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten seinen Gewerbebetrieb einstellt; dies ist nur dann abweichend zu beurteilen, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 146.80 –, BVerwGE 65, 1, 5; Marcks, aaO., § 35 Rdnr. 30 mit weiteren Nachweisen). Ein Ermessen ist der Behörde dabei nicht eingeräumt.
Nach diesen Grundsätzen ist der Antragsteller gewerberechtlich unzuverlässig. Er ist aus den im Bescheid genannten Gründen nicht in der Lage, seine Steuerschulden und Abgabenrückstände zu begleichen. Er ist seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Außerdem hat er sich § 266 a, § 53 StGB wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in neun Fällen strafbar gemacht. Im Einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Dem Hinweis des Antragstellers im gerichtlichen Verfahren, er „würde monatlich 400,- € an das Finanzamt zahlen“, lässt sich nicht entnehmen, dass er die Zahlungen in den letzten Monaten bereits aufgenommen hat. Den Nachweis einer freiwilligen Zahlung über die Begleichung der ohnehin fälligen laufenden Steuern hat er nicht geleistet. Er hat auch zwischenzeitlich keine Vereinbarung mit dem Finanzamt dahingehend getroffen, die Steuerrückstände in angemessener Zeit auszugleichen. Vielmehr ist das Finanzamt - wie sich aus den vom Antragsgegner überreichten Verwaltungsvorgängen ergibt - nicht bereit, eine Vereinbarung zu treffen, u.a. weil der Antragsteller in der Vergangenheit Tilgungsvereinbarungen wiederholt nicht eingehalten habe. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers ist deshalb aller Voraussicht nach nicht zu erwarten, dass er auf der Grundlage eines tragfähigen Sanierungskonzeptes die vorhandenen Steuerrückstände wird beachtlich zurückführen können.
Die Untersagung des von dem Antragsteller ausgeübten Gewerbes ist zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich. Die fehlende gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Antragstellers begründet schwerwiegende Gefahren für die Allgemeinheit. Insbesondere wird durch § 35 Abs. 1 S. 1 GewO das Vermögen der öffentlichen Hand als betroffenes Rechtsgut geschützt (vgl. Marcks, a.a.O., § 35 Rdnr. 76). Diese Gefahren können nur durch die völlige Untersagung der Gewerbeausübung abgewehrt werden.