Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 13.11.2003, Az.: 7 A 3693/01
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 13.11.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 3693/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40729
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2003:1113.7A3693.01.0A
Amtlicher Leitsatz
Zur gegenwärtigen Situation der Mandingo und der allgemeinen politischen und humanitären Lage in Liberia
Angehörige des Volksstamms der Mandingo werden in Liberia nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch verfolgt.
Der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist nicht anzuwenden, wenn sich der Ausländer während einer Gruppenverfolgungssituation nur besuchsweise in seinem Heimatland aufgehalten hat.
Wegen der Bürgerkriegsereignisse und der mangelhaften Versorgungslage in Liberia liegen die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht (mehr) vor.
Tenor:
...
Tatbestand
Der am 3. Februar 19.. in Voinjama (Liberia) geborene Kläger, beantragte am 8. Juni 2001 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Am 20. Juni 2001 ist er vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu seinen Ausreisegründen angehört worden. Er legte hierbei eine Arbeitsbescheinigung von Care International in Guinea vom 31. Dezember 2000, ein Schreiben dieser Organisation vom 15. Dezember 2000, Dienstkleidung der Organisation (Mütze/T-Shirt) sowie einen Dienstausweis vor.
Der Kläger hat im Wesentlichen angegeben: Er gehöre zur Volksgruppe der Mandingo und sei liberianischer Staatsangehöriger. Seine Mutter stamme aus Guinea. Er habe Anfang des Jahres 2000 versucht, Unterlagen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft von Guinea zusammenzustellen. Zu einer Antragstellung sei es aber nicht mehr gekommen. Er sei bereits als Kind zu seiner Großmutter nach Guinea gegangen. Die Mutter, die in Liberia geblieben sei, habe ihn besucht. Sein Wohnort Gueckedou liege nur 40 km von der liberianischen Grenze entfernt. Er sei sehr oft in Liberia gewesen, um seinem 1989 verstorbenen Vater zu besuchen. Er habe sich dann dort immer ein bis zwei Wochen aufgehalten. Er sei nach Deutschland gekommen, weil man ihn verdächtigt habe, die guineischen Rebellen zu unterstützen. Er sei deshalb von Militärs der Republik Guinea festgenommen worden. Mit Hilfe eines Freundes sei ihm die Flucht aus dem Militärlager Kissidougon und anschließend nach Deutschland gelungen. In Liberia seien die Mandingo nicht sehr gut angesehen. Die Rebellen der ULIMO seien mehrheitlich Mandingo. Sein Bruder sei 1995 nach Liberia zurückgekehrt. Seitdem habe er ihn nicht mehr gesehen und auch nichts mehr von ihm gehört.
Mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bzw. Unanfechtbarkeit des Bescheides zu verlassen und anderenfalls seine Abschiebung nach Liberia angedroht. Ferner könne er auch nach Guinea abgeschoben werden. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Es sei nicht glaubhaft, dass man ihn in einem Lager der guineischen Armee inhaftiert habe. In Bezug auf Liberia habe er keine persönlichen Schwierigkeiten vorgetragen. Auch wegen seiner Volkszugehörigkeit brauche er dort keine Verfolgung zu befürchten, da er sich nicht politisch betätigt habe. Am 5. November 2001 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22. Oktober 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Liberia vorliegen; hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich Liberia vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Bescheid des Bundesamtes.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte verhandelt und entschieden werden, obwohl die Beteiligten nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen sind. Sie sind rechtzeitig und ordnungsgemäß geladen worden (§ 102 Abs. 1 und 2 VwGO).
Bei verständiger Würdigung seines Begehrens (§ 88 VwGO) ist auf Grund des Wortlauts der in der Klageschrift enthaltenen Anträge davon auszugehen, dass der Kläger, neben einer Asylberechtigung, die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG lediglich bezüglich Liberia nicht aber auch hinsichtlich Guinea begehrt.
Die so verstandenen Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
1.a.
Bei der Prüfung einer Asylberechtigung (Art. 16 a Abs. 1 GG) ist auf das Land der Staatsangehörigkeit des Ausländers, hier also Liberia, abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. August 1996 - 9 C 172.95 - BVerwGE 101, 328335). Mithin bedarf es auch in diesem Zusammenhang keiner Prüfung, ob dem Kläger, wie er beim Bundesamt vorgebracht hat, in Guinea Verfolgungsmaßnahmen drohen.
b.
Der Kläger braucht in Liberia nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung zu befürchten, weil er dem Volk der Mandingo angehört.
Die vom Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200203 f.; Urteil vom 30. April 1996 - 9 C 170.95 - BVerwGE 101, 123124 f.) entwickelten strengen Anforderungen, welche die Annahme einer Gruppenverfolgung voraussetzen, sind nicht erfüllt. Erforderlich ist eine bestimmte Verfolgungsdichte. Die zu berücksichtigenden Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausgeweitet haben, dass für jeden Gruppenangehörigen die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Hierbei ist u.a. ein Vergleich der Zahl der Gruppenmitglieder mit den festgestellten Verfolgungsfällen von Bedeutung.
Die Mandingo sind eine der ethnischen Minderheiten Liberias. Sie sind als Handelstreibende tätig (vgl. Auskunft des UNHCR an das VG Ansbach vom 20. März 2001), vorwiegend in den Counties Lofa und Nimba beheimatet (vgl. Auskunft von Dr. Korte an das VG Ansbach vom 16. März 1999) und überwiegend moslemischen Glaubens (vgl. Auskunft von amnesty international an das VG München vom 11. Oktober 2000).
Die Mandingo haben den im September 1990 ermordeten früheren Präsidenten Samuel Doe gegen die damaligen Rebellen der NPFL von Charles Taylor unterstützt, von denen sie rücksichtslos verfolgt worden sind. Nachdem die NFPL Monrovia erobert hatten, haben geflüchtete Gefolgsleute von Doe in Sierra Leone die Rebellenorganisation ULIMO gegründet, die sich hauptsächlich aus Angehörigen der Krahn und Mandingo zusammensetzte. Diese konnte in der Folgezeit im Lofa County erhebliche Gebiete erobern. Sie spaltete sich im Dezember 1995 in die ULIMO-J, die von Roosvelt Johnson geführt und von den Krahn dominiert wurde, sowie die ULIMO-K der Mandingos unter Alhaji G. V. Kromah, einem früheren Vertrauten von Samuel Doe. Die ULIMO-K terrorisierte in den Counties Lofa und Nimba die ethnische Gruppen der Lorma, Dan und Mano (vgl. Auskunft des UNHCR a.a.O.; Dr. Korte a.a.O.). Mithin wies bereits der Bürgerkrieg von 1989 bis 1997 Merkmale einer ethnischen Konfrontation auf (vgl. Auskunft des Instituts für Afrikakunde an das VG Hamburg vom 19. Juli 1999).
Nachdem Charles Taylor im Juli 1997 die Präsidentschaftswahlen gewonnenen hatte, wurden die Mandingo Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt (vgl. Auskunft des UNHCR an das VG Ansbach vom 28. Juli 2003).
Dr. Korte (a.a.O.) hat berichtet, dass die Mandingo nach der Rückkehr in ihre Heimatgebiete auf Wut, Hass und Rachegefühle der von der ULIMO-K unterdrückten Ethnien gestoßen seien. Es sei noch nicht abzusehen, ob sich Angehörige der Mandingo dort wieder sicher fühlen könnten. Es sei schwer auszumachen, ob die gegen die Mandingo gerichteten Handlungen, wie Brandanschläge auf deren Häuser und Moscheen, gezielte staatliche Aktionen oder auf andere Interessen zurückzuführen seien.
Ähnlich hat das Institut für Afrikakunde (a.a.O.) berichtet, dass es seit der Wahl Taylors schwere Übergriffe anderer Volksstämme gegen die Mandingo gegeben habe. Ob es sich um direkte staatliche Verfolgung oder verselbständigt handelnder Akteure, deren Taten aber von Regierungsstellen allenfalls halbherzig nachgegangen worden sei, handele, sei kaum feststellbar. Im März 1999 sei zudem Mandingo-Führer Kromah der Vorbereitung einer Verschwörung bezichtigt worden. Das gespannte Verhältnis zwischen Taylor und Kromah beinhalte auf Grund der Zugehörigkeit des Letzteren zur Ethnie der Mandingo die erhebliche Gefahr pauschaler Übergriffe gegen diese Volksgruppe.
Auch amnesty international (Auskünfte vom 4. Oktober 1999 an das VG Ansbach und vom 13. Oktober 1999 an das VG Hamburg) hat davon berichtet, dass die Mandingo Übergriffen anderer Ethnien, aber auch staatlicher Sicherheitskräfte ausgesetzt seien. Nachdem die Stadt Voinjama im April 1999 von bewaffneten Personen angegriffen worden sei, sei eine erhebliche Anzahl von Zivilisten durch die Sicherheitskräfte getötet und misshandelt worden.
Ab Anfang 1999 operierte in Liberia, zunächst von guineischem Staatsgebiet aus, eine Rebellenorganisation namens LURD (Liberia United für Reconstruction and Developement). Dies führte zu einer Fortsetzung des Bürgerkrieges. Bis Ende 2002 waren die Kämpfe allerdings auf den Westen des Landes (Lofa County) beschränkt. Die Rebellen der LURD sind vor allem Mandigo, die zum Teil schon bei der ULIMO-K mitgewirkt hatten (vgl. Auskunft des UNHCR vom 28. Juli 2003 a.a.O.).
Das Auswärtige Amt gab in einer Auskunft an das VG München vom 22. Mai 2000 an, dass es dennoch keine Anhaltspunkte für eine gezielte Verfolgung von Angehörigen des Mandingo-Volkes gebe. In der späteren Auskunft an das VG Ansbach vom 5. Dezember 2000 ist allerdings ausgeführt, dass Angehörige des Stammes der Mandingo bei einer Rückkehr nach Liberia mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hätten. Wie diese im Einzelfall aussehen würden, könne allerdings nicht allgemein vorausgesagt werden.
Das Institut für Afrikakunde hat in der Auskunft vom 14. November 2000 an das VG Ansbach ausgeführt, dass u.a. die Mandingo präventiv unter dem Verdacht stünden, der Taylor-Regierung feindlich gegenüber zu stehen. Es bestehe ein sehr hohes Risiko politischer Verfolgung, die zum Teil mit äußerst brutalen Methoden vollzogen werde. Amnesty international berichtete in der Auskunft vom 11. Oktober 2000 an das VG München, dass die Volksgruppe der Mandingos immer noch Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte und Angehörige anderer Ethnien würden. Der UNHCR (Auskunft vom 21. August 2000 an das VG München) gab an, dass den Mandingo wegen der Ereignisse grundsätzlich großes Misstrauen entgegengebracht werde. Dieses münde häufig in Diskriminierungen und auch körperliche Übergriffe. Es seien Inhaftierungen und Misshandlungen aus dem Ausland zurückkehrender Mandingo festzustellen, die jedoch mit einer Ausnahme auf Intervention des UNHCR freigelassen worden seien. Dies zeige jedoch die weit verbreitete Voreingenommenheit gegenüber dieser Volksgruppe. Der UNHCR hat in der Auskunft vom 20. März 2001 an das VG Ansbach angegeben, dass eine systematische Verfolgung von Angehörigen der Krahn und Mandingo nach seiner Beobachtung nicht stattfinde. Vereinzelt würden Angehörige dieser Stämme sogar Schlüsselpositionen wie die eines Ministers einnehmen. Es könne aber bereits der geringste Verdacht einer Zusammenarbeit mit den Rebellen genügen, um Verfolgungsmaßnahmen auszulösen. Daneben gebe es Spannungen mit den Lorma, sowie den Mano und Gio, so dass eine Rückkehr der Mandingo in die Counties Lofa und Nimba nicht zumutbar sei.
Amnesty international (Auskunft vom 18. Juli 2001 an das VG Ansbach) hat in der Folgezeit ausgeführt, dass die Mandingo schwersten Übergriffen ausgesetzt seien. Seit Februar 2001 sei eine Intensivierung der Kämpfe im Lofa-County zu verzeichnen. Mehrere Hundert Personen, meistens Mandingo, seien als Reaktion auf Vorstöße der Rebellen von der berüchtigten Anti-Terror-Einheit ATU gefoltert und in nicht offiziellen Haftzentren in Erdlöchern gefangen gehalten worden. Sie seien hierbei unmenschlich be- und misshandelt worden.
Das Bundesamt (Liberia - Aktuelle Lage, Flüchtlingssituation, Juni 2002, S. 18) hat unter Bezugnahme auf die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf die ethnische Färbung der von der Regierung Taylor während des Bürgerkrieges begangenen Greueltaten hingewiesen. Viele Liberianer litten allein deswegen unter Benachteiligung und Verfolgung, weil sie der Ethnie der Mandingo angehörten.
Nach der Auskunft des Instituts für Afrikakunde vom 20. Dezember 2002 an das VG Ansbach müssen u.a. die Mandingo mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen rechnen. Da die Staatsorgane mit einem erheblichen Maß an Willkür und Unberechenbarkeit vorgingen, sei das Verfolgungsrisiko allerdings schlechthin nicht kalkulierbar.
Dr. Korte schätzte die Situation der Mandingo in der Auskunft an das VG Ansbach vom 5. Januar 2003 nach wie vor als unsicher ein.
Amnesty international (Auskunft vom 5. Mai 2003 an das VG Ansbach) hat später ausgeführt aus, dass liberianische Regierungskräfte Angehörige der Mandingo allein auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit beschuldigten, die Angriffe der Rebellenorganisation LURD zu unterstützen. Sie seien vielfältigen Diskriminierungen, willkürlichen Verhaftungen und Gewalttätigkeiten ausgesetzt. Jeder der verdächtigt werde ein "Dissident" zu sein, sei gefährdet. Tausende Männer und Jungen, viele davon Mandingos, würden in illegalen Haftzentren willkürlich und ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und gefoltert.
Ab Ende 2002 weitete sich der Bürgerkrieg aus. Im Februar 2003 wurde im Osten und Südosten des Landes zusätzlich die Rebellenorganisation MODEL (Movement for Democracy in Liberia) aktiv. Im März 2003 haben Kämpfer der LURD die Außenbezirke von Monrovia erreicht. Im Frühsommer gelang es ihnen einen erheblichen Teil der Stadt einzunehmen. An den Kämpfen vermochte auch ein am 17. Juni 2003 in Accra geschlossener Waffenstilstand zunächst nichts zu ändern.
Der UNHCR äußerte zu dieser Situation in der Auskunft vom 28. Juli 2003 an das VG Ansbach, dass im liberianischen Konflikt, der durch gravierende Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet sei, die ethnische Komponente eine wichtige Rolle spiele. Angehörige der Mandingo gerieten besonders leicht in den Verdacht, die Rebellengruppierungen zu unterstützen. Die liberianische Regierung sehe sich von Gegnern umzingelt, so dass hierfür der geringste Anlass ausreiche.
Unter dem Eindruck der katastrophalen humanitären Lage begann am 4. August 2003 eine Intervention von Truppen der ECOWAS. Am 11. August 2003 trat Charles Taylor von seinem Amt zurück, übergab dieses seinem bisherigen Vizepräsident Moses Blah und verließ Liberia. Am 18. August 2003 haben die Bürgerkriegsgruppen, die politsichen Parteien Liberias und andere soziale Gruppen des Landes in Accra eine Friedensvereinbarung unterzeichnet, die das sofortige Ende des Bürgerkrieges vorsieht. Moses Blah sollte danach die Macht am 14. Oktober 2003 an eine Übergangsregierung abgeben. Die Abhaltung freier Wahlen ist im Oktober 2005 vorgesehen. Zum Präsidenten der Übergangsregierung ist kurze Zeit später der Geschäftsmann und Vorsitzender der Liberia Action Party Gyude Bryant bestimmt worden. Vizepräsident soll Wesley Johnson werden, ein Oppositionspolitiker und Universitätsprofessor. Im September 2003 kontrollierten die Regierungstruppen das Gebiet in und um Monrovia und Zentral-Liberia. Etwa zwei Drittel des Landes wurden von der LURD (im Westen) und der MODEL (im Osten) beherrscht (vgl. UN - Generalsekretär, Bericht vom 11. September 2003).
Am 1.Oktober 2003 mündete der Einsatz der ECOWAS-Soldaten in eine Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen (UNMIL) ein. Bis Anfang 2004 sollen insgesamt 15 000 UN-Soldaten und 1.000 Polizisten stationiert werden, die die Kontrolle über das ganze Land ausüben. Derzeit sind etwa 4 500 Militärs im Lande. Als heimlicher Präsident Liberias gilt der UN-Beauftragte für Liberia, der US-Amerikaner Jacques Klein (vgl. FAZ vom 1. Oktober 2003; FR vom 9. Oktober und 24. September 2003; IRIN vom 27. Oktober und 3. November 2003). Die Friedenstruppen haben inzwischen begonnen, Hauptverkehrsstraßen und einige große Städte zu kontrollieren. Es herrscht für liberianische Verhältnisse ein relativer Frieden. Es kommt aber immer noch an vielen Orten zu Scharmützeln zwischen den verfeindeten Gruppen (Die Welt vom 15. Oktober 2003; IRIN vom 16., 23. und 27. Oktober 2003; UNHCR vom 21. Oktober 2003) . Am 14. Oktober 2003 ist Gyude Bryant entsprechend dem Friedensabkommen von Accra als Präsident vereidigt worden (vgl. Die Welt vom 15. Oktober 2003; FAZ vom 16. Oktober 2003). In der Übergangsregierung sind die Bürgerkriegsparteien, die politischen Parteien und weitere relevante soziale Gruppen des Landes vertreten (vgl. IRIN vom 16. Oktober 2003; BBC-News vom 16. Oktober 2003).
Unter Berücksichtigung der Entwicklung der politischen Lage in Liberia seit dem Rücktritt und der Ausreise Charles Taylors am 11. August 2003 ist nicht mehr davon auszugehen, dass Angehörigen des Volksstammes der Mandingo allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass den Verfolgungsmaßnahmen ein jahrelanger auch ethnisch begründeter Bürgerkrieg zu Grunde liegt. Ansatzpunkt für Übergriffe der Sicherheitskräfte der Regierung Taylor ist der Umstand gewesen, dass sich die Rebellengruppe LURD vorwiegend aus dem Stamm der Mandingo rekrutiert. Angesichts des in Liberia unter Überwachung durch UN-Truppen eingekehrten relativen Friedens, welcher nur noch durch Scharmützel marodierender Truppen gestört wird, besteht für einen Vorwurf, die bisherigen Rebellen zu unterstützen, wenig Grund. Die Friedensvereinbarung von Accra ist durch die Einsetzung einer von allen Beteiligten gebildeten Übergangsregierung einen großen Schritt vorangekommen. Die Regierungstruppen, denen die Übergriffe in erster Linie zuzurechnen waren, kontrollieren nur noch einen kleinen Teil des Landes in und um Monrovia. Gerade in diesen Gebieten ist die UN-Schutztruppe besonders präsent. Von systematischen Übergriffen gegen die Mandingo ist seither auch nichts mehr bekannt geworden. In den Siedlungsgebieten der Mandingo im Norden und Westen des Landes herrscht die von dieser Volksgruppe dominierte Rebellenorganisation LURD. Zu berücksichtigen ist auch, dass der UNHCR (Auskunft vom 20. März 2001 an das VG Ansbach) und das Auswärtige Amt (Auskunft vom 22. Mai 2000 an das VG München) schon zu Zeiten als der Bürgerkrieg noch nicht wieder die Schärfe der Auseinandersetzungen der Jahre 2002/2003 angenommen hatte, keine systematische Verfolgung der Mandingo festzustellen vermochten. Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass zusätzlich ein Verdacht, eine Rebellengruppe zu unterstützen, hinzutreten musste. Bei der derzeit vorhandenen grundsätzlichen Friedensbereitschaft aller Bürgerkriegsparteien kann eine höhere Gefahr nicht angenommen werden.
c.
Der Kläger kann sich nicht auf den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab berufen. Die Privilegierung erfasst nur Vorverfolgte, die unter dem Druck politischer Verfolgung aus ihrem Heimatland ausgereist sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1993 - 9 C 45.92 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166, S. 403404). Der Kläger hat indes Liberia nach seinen Angaben beim Bundesamt (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 2 f.) bereits als Kind, also in den 1960er oder 1970er Jahren, verlassen und lebt seither in Guinea.
Soweit der Kläger beim Bundesamt (vgl. a.aO., S. 3) vorgebracht hat, dass er noch häufiger seinen Vater besucht habe, vermag dies nichts zu ändern. Bei einem bloßen besuchsweisen Aufenthalt im Heimatland scheidet die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs in der Regel, so auch hier, aus. Denn dann ist eine dort bestehende Verfolgungssituation nicht, wie erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97101), die Motivation für die Ausreise gewesen.
2.
Es liegen jedenfalls für erwachsenen Männer wie dem Kläger wegen des Bürgerkriegs und der mangelhaften Versorgungssituation in Liberia auch kein Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vor.
Da es sich um Gefahren handelt, denen die Bevölkerung in diesem Staat allgemein ausgesetzt ist, muss die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG beachtet werden. Grds. sollen in diesen Fällen Abschiebungen allein durch Entscheidungen der obersten Landesbehörden nach § 54 AuslG ausgesetzt werden. Eine Ausnahme gilt im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG allerdings dann, wenn der Ausländer im Falle seiner Rückkehr sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzungen ausgeliefert würde. Erforderlich ist, dass eine besonders gravierende Gefährdung der betroffenen Rechtsgüter mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit unmittelbar, d.h. ohne wesentliche Zwischenschritte nach der Ankunft, eintreten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 19 m.w.N.).
Liberia ist eines der ärmsten Länder der Welt. 75 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Nur etwa ein Viertel hat Zugang zu sauberem Trinkwasser und weniger als 40 % zu akzeptablen sanitären Anlagen. In Liberia sind derzeit etwa ein Drittel der Bevölkerung, entsprechend eine Millionen Menschen, von ihren angestammten Wohnsitzen vertrieben; davon befindet sich etwa die Hälfte innerhalb des Landes, die andere in den Nachbarstaaten (Bericht des UN-Generalsekretärs vom 11. September 2003, S. 7) .
Der Grund hierfür ist, dass in Liberia seit 1989 mit Unterbrechungen Bürgerkrieg herrscht. Nach der Wahl Charles Taylors zum Präsidenten im Juli 1997 begann zwar eine Zeit relativer Ruhe. Ab Anfang 1999 bis Ende 2002 musste er sich aber im nördlichen Lofa County wieder gegen die aus Guinea einsickernden Rebellen der LURD (Liberia United for Reconstruction and Developement) zur Wehr setzen (vgl. Auskunft des UNHCR an das VG Ansbach vom 28. Juli 2003) .
Ab Ende 2002 weitete sich der Bürgerkrieg immer weiter aus. Im Februar 2003 wurde im Osten und Südosten zusätzlich die Rebellenorganisation MODEL (Movement for Demo- cracy in Liberia) aktiv. Im März 2003 haben Kämpfer der LURD die Außenbezirke von Monrovia erreicht. Im Frühsommer gelang es ihnen einen erheblichen Teil der Stadt einzunehmen. An den Kämpfen vermochte auch ein am 17. Juni 2003 in Accra geschlossener Waffenstillstand zunächst nichts zu ändern (vgl. UNHCR a.a.O.).
Der UNHCR (a.a.O.) hat die Verhältnisse während der von März bis August 2003 andauernden Kämpfe in und um Monrovia als humanitäre Katastrophe bezeichnet. Zehntausende, die aus Angst vor früheren Kämpfen in der Umgebung von Monrovia gelebt haben, flüchteten daraufhin weiter in das Stadtgebiet. Anfang Juni 2003 sind die Mitarbeiter der UN-Organisationen und humanitären Nichtergierungsorganisationen evakuiert worden. Während der Kampfhandlungen sind 600 bis 1000 Zivilisten getötet worden. Etwa 200 000 Personen sind durch die Kämpfe gezwungen worden, ihre Unterkünfte zu erlassen. Die sanitären Bedingungen wurden als unerträglich bezeichnet und die Ausbreitung von Cholera und Diarrhoe stand zu befürchten. Es herrschte akute Lebensmittel- und Trinkwasserknappheit, die medizinische Grundversorgung war nicht gewährleistet und die Stromversorgung fiel manchmal für Tage aus. Schätzungsweise 400 000 weitere Menschen befanden sich in Flüchtlingslagern außerhalb des Großraums Monrovia. Alle Konfliktparteien haben sich dort an Plünderungen beteiligt.
Der liberianische Bürgerkrieg hat sich zudem insgesamt durch gravierende Menschenrechtsverletzungen in erschreckender Größenordnung ausgezeichnet. Es gibt Berichte über extralegale Tötungen, Folter, sexueller Gewalt, Fälle von Verschwindenlassen und willkürlicher Verhaftung unter extrem harten Bedingungen durch alle Konfliktparteien. Der UNHCR appellierte damals, Abschiebungen nach Liberia zunächst für sechs Monate auszusetzen.
Ähnlich hat amnesty international (Auskunft vom 5. Mai 2003 an das VG Ansbach) darauf hingewiesen, dass die humanitäre Situation, speziell die Versorgungslage, in Liberia völlig unzureichend gewesen sei. Neben den 450 000 Binnenflüchtlingen seien Zehntausende auf der Suche nach Schutz und Nahrung durch das Land geirrt und in das Kreuzfeuer der kämpfenden Parteien geraten. Höchstens 30 % der Bedürftigten erreichten Hilfslieferungen. Die Flüchtlingslager seien zudem ständig Zielscheibe der Rebellen. Sie töteten und entführten Flüchtlinge, stählen Lebensmittel und vergewaltigten Frauen. Es sei zu bezweifeln, ob Rückkehrer ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt werden könnten.
Wegen der politischen Lage ab Anfang August 2003 bis zum heutigen Zeitpunkt wird auf die diesbezüglichen Ausführungen unter 1 b verwiesen.
Seit dem Ende der Kämpfe in Liberia sind die humanitären Hilfsorgansiationen wieder im Land. Über den Hafen in Monrovia treffen ständig neue Hilfsgüter und Nahrungsmittel ein. Auch wenn die Not noch groß ist, haben sich die Lebensbedingungen für die verhungernden Menschen in den letzten Wochen deutlich verbessert (vgl. Die Welt vom 15. Oktober 2003).
Bereits bis Mitte September 2003 waren durch das Engagement des Welternährungsprogramms die Verhältnisse von 400 000 vertriebenen Personen in Monrovia und Umgebung in Bezug auf die Nahrungsmittelversorgung und der Verringerung der Seuchengefahr stabilisiert (vgl. Bericht des UN-Generalsekretärs vom 11. September 2003, S. 8).
Wer Geld hat kann auch auf dem freien Markt zu allerdings stark überhöhten Preisen Lebensmittel und Konsumgüter erwerben (vgl. Die Welt vom 25. September 2003; FR vom 24. September 2003). Auch in den nördlichen Gebieten Liberias blühen die Märkte langsam wieder auf. Die Flüchtlingslager in Totota werden vom Welternährungsprogramm versorgt (FR a.a.O.)
Die in Liberia tätigen humanitären Organisationen planen, die Hilfsmaßnahmen räumlich auszuweiten. Das Welternährungsprogramm hat nach einer zweiwöchigen Unterbrechung Ende Oktober 2003 die Nahrungsmittelunterstützung für Gebiete außerhalb von Monrovia wieder aufgenommen. So wird über Hilfen für Lager in Totota, Salala und Kakata, nördlich von Monrovia, berichtet. In Bezug auf die Stadt Voinjama im Lofa County wird angegeben, dass die meisten Haushalte gewisse Nahrungsmittelvorräte hätten und in der Lage gewesen seien, zwei bis drei Mahlzeiten pro Tag zu gewährleisten (vgl. IRIN vom 27. Oktober 2003). Der UNHCR hat dort festgestellt, dass die Menschen trotz aller erheblicher Schwierigkeiten einen gutem Gesundheitszustand aufweisen und keine Anzeichen von Unterernährung vorhanden waren (vgl. Bericht vom 21. Oktober 2003).
In Buchanan, einer Hafenstadt gut 100 km südlich von Monrovia, hat das Welternährungsprogramm Ende September 2003 mit Hilfslieferungen für hungernde Menschen begonnen. Auch sonst gibt es dort zu sehr hohen Preisen Nahrungsmittel. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen betreibt ein Krankenhaus, welches allerdings ohne Elektrizität auskommen muss (vgl. IRIN vom 24. Oktober 2003). In Buchanan und Monrovia sind zudem Brunnen für die Trinkwassergewinnung desinfiziert worden (vgl. IRIN vom 21. Oktober 2003).
Durch die Unterstützung von UNICEF haben in sechs Counties im Umkreis von Monrovia die Schulen wieder eröffnet (vgl. IRIN vom 3. November 2003).
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