Landgericht Hildesheim
Urt. v. 08.12.2005, Az.: 8 O 159/05
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 08.12.2005
- Aktenzeichen
- 8 O 159/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50890
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG - 06.03.2006 - AZ: 3 U 26/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der frühere Lebensgefährte der Klägerin, ..., unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto (Nr. ...). Die Klägerin unterzeichnete neben ... als „zweiter Kontoinhaber“ am 18. Juli 2002 eine mit „Ergänzungsantrag CitiOne Girokonto“ überschriebene Urkunde. Wegen des weiteren Inhalts dieser Urkunde wird auf die Anlage B 1 verwiesen. Ebenfalls am 18. Juli 2002 unterzeichneten die Klägerin und ... einen Kreditvertrag. Dieser Vertrag hatte einen Nettokredit der Beklagten von 4.392,75 € zum Gegenstand; er war in 36 Monatsraten zurückzuzahlen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Anlage K 2 verwiesen. Am 19. Juni 2003 unterzeichneten die Klägerin und ... einen weiteren Kreditvertrag. Der von der Beklagten gewährte Nettokredit belief sich auf 8.455,50 €; die Laufzeit betrug 72 Monate. Zur näheren Sachdarstellung wird auf die Anlage K 3 verwiesen. Streitig ist, wer Empfänger dieser beiden Darlehen war und für welche Zwecke die Valuta jeweils verwendet wurde.
Das Girokonto wies per 17. Mai 2005 einen Sollsaldo von 6.542,11 € auf. Mit Schreiben vom 12. Juli 2005 erklärte die Beklagte wegen „erheblicher Zahlungsrückstände“ die fristlose Kündigung des unter der Kundennummer ... gewährten Kredits. Zugleich stellte sie einen Betrag von 7.704,39 € gegenüber der Klägerin zur sofortigen Rückzahlung fällig.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei weder aus dem Girovertrag noch aus den Kreditverträgen vom 18. Juli 2002 und 19. Juni 2003 zu Zahlungen an die Beklagte verpflichtet. Der Ergänzungsantrag zum Girovertrag vom 18. Juli 2002 sei rechtlich unerheblich. Ein Girovertrag zwischen den Parteien sei dadurch nicht zustande gekommen. Die Kreditverträge seien wegen krasser wirtschaftlicher Überforderung der Klägerin sittenwidrig und damit nichtig. Die Darlehensvaluta sei jeweils ausschließlich für Zwecke ... verwendet worden, nämlich für die Ablösung eines Kredits bei der ...-Bank sowie für Arbeiten an einem ... gehörenden Pkw. Die Klägerin habe bei Abschluss der Darlehensverträge über kein eigenes Einkommen - mit Ausnahme des Erziehungsgeldes - verfügt.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass der Beklagten aus dem bei ihr geführten Kredit- und Girokonto zu Konto- und Kunden-Nr. ... keinerlei Ansprüche gegen die Klägerin zustehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, auch die Klägerin sei Vertragspartnerin des Girovertrages geworden. Die Klägerin habe ebenso wie ... über das Girokonto ihren gesamten Zahlungsverkehr abgewickelt. Keiner der Kreditverträge sei wegen wirtschaftlicher Überforderung der Klägerin als sittenwidrig anzusehen. Die Klägerin, von Beruf Verwaltungsfachangestellte sei nur vorübergehend, nämlich nach der Geburt ihrer Tochter, ohne ausreichendes Einkommen gewesen. Von dem Darlehen vom 18. Juli 2002 seien nur 3.100,00 € an die ...-Bank geflossen; im Übrigen sei die Valuta auf das Girokonto überwiesen worden. Mit dem Darlehen vom 19. Juni 2003 sei das Darlehen vom 18. Juli 2002 abgelöst worden. Der Rest - 5.000,00 € - sei auf das Girokonto gebucht worden. Darüber hinaus seien die Grundsätze über die Sittenwidrigkeit von Bürgschaften und Mithaftungsübernahmen naher Angehöriger usw. im Hinblick auf §§ 286 ff. InsO nicht anwendbar.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagten stehen gegenüber der Klägerin Ansprüche sowohl aus dem Girovertrag als auch aus dem Darlehensvertrag vom 19. Juni 2003 zu.
Die Klägerin ist dadurch, dass sie den „Ergänzungsantrag CitiOne Girokonto“ am 18. Juli 2002 als „zweiter Kontoinhaber“ unterschrieb, sowohl Kontoinhaber (Mitinhaber) des Girokontos als auch Vertragspartner des Girovertrages geworden. Der Inhalt dieser Urkunde ist ausreichend, um den Abschluss eines - formfrei möglichen - Girovertrages zu begründen. Weitergehende Erklärungen in schriftlicher Form waren nicht erforderlich. Auch wenn die Parteien es nicht ausdrücklich vereinbart haben, so bestehen doch keine vernünftigen Zweifel daran, dass durch die Unterschrift der Klägerin die vertragstypischen Rechte und Pflichten eines Girovertrages (vgl. § 676 f BGB) begründet wurden. In Vollzug dieses Vertrages führte die Beklagte das Girokonto anschließend auch für die Klägerin und schrieb ihr u. a. die eingehenden Zahlungen der Stadt ... wegen des Erziehungsgeldes gut. Die Klägerin nahm diese Leistungen entgegen; sie nutzte mithin das Girokonto für eigene Zwecke. Ein Girovertrag zwischen den Parteien liegt daher vor.
Weder der Girovertrag noch die Darlehensverträge vom 18. Juli 2002 und 19. Juni 2003 sind wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Es kann dahinstehen, ob die Klägerin hinsichtlich der Darlehensverträge echte Mitdarlehensnehmerin oder nur Mithaftende war. Offen bleiben kann auch, welchen Zwecken die Darlehen jeweils dienten und an wen und in welcher Höhe die Valuta jeweils ausgezahlt wurde. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin durch den Abschluss der Darlehensverträge sowie durch die möglicherweise auf dem Girokonto erfolgte Einräumung eines Überziehungskredits wirtschaftlich krass überfordert wurde. Diese Fragen können dahinstehen, weil die wirtschaftliche Überforderung kein Kriterium wäre, um die Sittenwidrigkeit zu begründen.
Nach Auffassung der Kammer kann die Überforderung eines Bürgen oder Mithaftenden nur dann zur Nichtigkeit des Bürgschafts- bzw. Darlehensvertrages führen, wenn die Inanspruchnahme aus diesen Verträgen zu einer Überschuldung führt, deren Ende für den Bürgen/Mithaftenden nicht absehbar ist, möglicherweise bis an sein Lebensende anhält. Nur in diesen Fällen („lebenslänglicher Schuldturm“) ist es gerechtfertigt, dem Bürgschaftsvertrag bzw. der Haftungsübernahme wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Wirksamkeit zu versagen. So liegt der Fall hier indessen nicht. Die Klägerin muss nicht befürchten, wegen der ohnehin nicht erheblichen Verbindlichkeiten aus den Darlehensverträgen auf unabsehbare Zeit verschuldet zu sein. Beide Verträge wurden nach Inkrafttreten der seit 1. Januar 1999 geltenden Insolvenzordnung geschlossen. Diese sieht in den §§ 286 ff. die Möglichkeit der Restschuldbefreiung vor. Sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. insbesondere §§ 287, 290 und 295 InsO) und das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erteilt, wird der Schuldner von den Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern auf Dauer befreit (§§ 286, 301 InsO). Diese Möglichkeit steht auch der Klägerin offen. Sie hat es in der Hand, das Verbraucherinsolvenzverfahren herbeizuführen und dabei einen Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen. Die Verbindlichkeiten aus den streitgegenständlichen Darlehensverträgen müssen also nicht zwangsläufig die Klägerin in Zukunft ihr Leben lang belasten. Entsprechendes gilt für die Verbindlichkeiten aus dem Girovertrag. Steht einem vermögenslosen Bürgen/Mithaftenden die Möglichkeit der Restschuldbefreiung offen, so bewirkt die Bürgschaft/Haftungsübernahme keine Überforderung, die einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB begründet. Einer Inhaltskontrolle solcher Verträge bedarf es damit nicht mehr (vgl. Medicus, JuS 1999, 833, 836; Zöllner WM 2000, 1, 5; Kapitza NZI 2004, 14, 15; Unger EWiR 2004, 691; aA OLG Frankfurt a. M. NJW 2004, 2392, 2393).
Nach dem Schreiben der Beklagten vom 17. Mai 2005 (Anlage K 6) beträgt der Saldo des Girokontos zu Gunsten der Beklagten 6.542,11 € nebst Zinsen. Im Zeitpunkt der Kündigung des Darlehensvertrages vom 19. Juni 2003, d. h. am 12. Juli 2005, belief sich der offene Betrag auf 7.704,39 € (vgl. Anlage K 7). Es ist nicht ersichtlich, dass diese Verbindlichkeiten durch ... mittlerweile jeweils vollständig getilgt worden sind.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.