Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.03.2006, Az.: 3 U 26/06
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 06.03.2006
- Aktenzeichen
- 3 U 26/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 42131
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2006:0306.3U26.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - AZ: 8 O 159/05
Fundstellen
- MDR 2006, 1243-1244 (Volltext mit red. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2006, 444-446
- VuR 2008, 39 (amtl. Leitsatz)
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 8. Dezember 2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, weil die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordert.
Gründe
I.
Die Klägerin beantragt festzustellen,
dass die Beklagte aus einem bei ihr geführten Kredit- und Girokonto keine Ansprüche gegen die Klägerin hat.
Der frühere Lebensgefährte der Klägerin, B., unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto. Unter dem 18. Juli 2002 unterzeichnete die Klägerin neben B. einen "Ergänzungsantrag" zum Girokonto als "2. Kontoinhaber" (Anlage B 1). Am gleichen Tag unterzeichneten die Klägerin und B. einen Kreditvertrag (K 2) im Folgejahr einen weiteren Kreditvertrag über einen Nettokreditbetrag von 8.455,50 € (K 3).
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ein Girovertrag zwischen ihr und der Beklagten sei nicht zu Stande gekommen. Die Kreditverträge seien wegen krasser wirtschaftlicher Überforderung sittenwidrig. Die Valuta sei für Zwecke des B. verwendet worden. Sie selbst habe bei Abschluss der Darlehensverträge mit Ausnahme des Erziehungsgeldes über kein eigenes Einkommen verfügt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Durch den "Ergänzungsantrag" sei die Klägerin Vertragspartner des Girovertrages geworden. Weitergehende Erklärungen seien nicht erforderlich gewesen. Weder der Girovertrag noch die Darlehensverträge seien wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin hinsichtlich der Darlehensverträge echte Mitdarlehensnehmerin oder Mithaftende gewesen sei und welchen Zwecken die Darlehen dienten. Ebenso könne die Frage der krassen Überforderung dahinstehen, weil die Verträge nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung geschlossen worden seien und somit die Möglichkeit der Restschuldbefreiung bestehe.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie meint, die Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens habe auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit keinen Einfluss.
II.
Der Senat hält die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO für gegeben. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Berufung der Klägerin Aussicht auf Erfolg hat.
1. Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, dass durch den "Ergänzungsantrag" die Klägerin Partei des Girovertrages, der vorher nur zwischen B. und der Beklagten bestanden hatte, wurde. Den genannten "Ergänzungsantrag" hat die Klägerin als "2. Kontoinhaber" unterschrieben. Sie hat wie B. das Konto auch benutzt. In welchem Umfang dies geschehen ist und ob sie die "Service-Karte" der Beklagten, die sie beantragt hatte, auch mitgenutzt hat, ist ohne Belang.
2. Auch hinsichtlich der Darlehensverträge ist die Berufung ohne Aussicht auf Erfolg.
a) Der Senat kann sich allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts anschließen, auch für den Fall einer krassen finanziellen Überforderung fehle es an der Sittenwidrigkeit, wenn der Schuldner die Möglichkeit der Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung habe. Der Senat hat im Beschluss vom 24. August 2005 (3 W 119/05, NJW-RR 2006, 131) der Auffassung zugeneigt, dass die Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz und der Restschuldbefreiung ohne Bedeutung für die Folgen einer krassen finanziellen Überforderung ist. Die Möglichkeit der Restschuldbefreiung, die ein jahrelanges Wohlverhalten des Schuldners voraussetzt, soll schwerlich dazu dienen, die Folgen eines sittenwidrigen Verhaltens der Banken zu egalisieren. Die Restschuldbefreiung verfolgt vielmehr den Zweck, dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Zu bedenken ist dabei auch, dass die Frage der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB sich bereits bei Abschluss des Vertrages stellt, wohingegen sich die Frage der Restschuldbefreiung erst Jahre später stellt und in keiner Weise die Frage der Sittenwidrigkeit noch beeinflussen kann. Die Ansicht des Senats zur fehlenden Bedeutung der Möglichkeit der Restschuldbefreiung insoweit wird nicht nur vom OLG Frankfurt (NJW 2004, 2392 [OLG Frankfurt am Main 24.03.2004 - 23 U 65/03]), sondern auch vom LG Mönchengladbach (NJW 2006, 67 [LG Mönchengladbach 12.05.2005 - 10 O 333/04]) geteilt.
b) Die Frage, ob die Klägerin Mitdarlehensnehmerin oder lediglich Mithaftende ist, hat das Landgericht - aus seiner Sicht konsequent - dahingestellt sein lassen. Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin echte Mitdarlehensnehmerin geworden ist.
Echter Mitdarlehensnehmer ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat in der Vergangenheit angeschlossen hat, nur, wer ein eigenes - sachliches und/oder persönliches - Interesse an der Kreditaufnahme hat und als im Wesentlichen gleichberechtigter Partner über die Auszahlung sowie die Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf (vgl. nur BGH, MDR 2002, 1202 f.). Ob diese Voraussetzungen im konkreten Einzelfall erfüllt sind, beurteilt sich ausschließlich nach den für die finanzierende Bank erkennbaren Verhältnissen auf Seiten der (Mit-)Darlehensnehmer (ebenda).
Dabei entspricht es weiter der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die kreditgebende Bank es nicht in der Hand hat, etwa durch eine im Darlehensvertrag gewählte Formulierung wie z. B. "Mitdarlehensnehmer" oder dergleichen einen bloß Mithaftenden zu einem gleichberechtigten Mitdarlehensnehmer zu machen und dadurch den Nichtigkeitsfolgen des § 138 Abs. 1 BGB zu entgehen. Maßgeblich ist vielmehr der wirkliche Parteiwille bei Abschluss des Darlehensvertrages. Dieser ist gegebenenfalls im Wege der Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Zu den vom Bundesgerichtshof anerkannten Auslegungssätzen gehören die Maßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung und die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner (vgl. BGH, WM 2005, 418, 419 [BGH 25.01.2005 - XI ZR 325/03]).
Was den Vertragswortlaut angeht, so spricht dieser dafür, dass die Klägerin echte Mitdarlehensnehmerin wurde. Der Vertrag enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin eine Verpflichtung eingehen sollte, die anders zu beurteilen wäre als diejenige des B. Daneben hatte die Klägerin ein eigenes Interesse an der Kreditaufnahme. Es mag sein, dass die Kredite insbesondere für Reparaturen und andere Arbeiten am Pkw des B. bestimmt waren. Die Klägerin lebte freilich mit B. zusammen. Dass sie den Pkw nicht auch genutzt hätte (etwa weil sie über einen eigenen verfügte), hat sie nicht behauptet. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Pkw im Alleineigentum des B. stand (vgl. auch BGH, WM 2004, 1083 [BGH 23.03.2004 - XI ZR 114/03]).
Die Frage nach der von der Klägerin behaupteten krassen finanziellen Überforderung stellt sich mithin nicht. Die Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrages wegen krasser finanzieller Überforderung eines echten Mitdarlehensnehmers kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie bleibt es jedem voll Geschäftsfähigen unbenommen, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die ihn überfordern. Zu einem derart unvernünftigen Verhalten darf die kreditgebende Bank zwar nicht raten, muss den Kreditnehmer davon aber auch nicht abhalten. Ob für - erkennbar - unerfahrene Kreditnehmer insoweit eine Ausnahme gilt, kann dahingestellt bleiben. Eine solche Unerfahrenheit ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.
c) Die Berufung der Klägerin hätte aber auch dann keine Aussicht auf Erfolg, wenn man zu ihren Gunsten davon ausginge, dass sie lediglich Mithaftende geworden wäre.
Dabei hat der Senat in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass auch eine Verpflichtung des Mithaftenden auf nicht mehr als 20. 000 DM der Anwendung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften und Mithaftungen naher Angehöriger nicht entgegensteht (vgl. zuletzt NJW-RR 2006, 131 [OLG Celle 24.08.2005 - 3 W 119/05] m. w. N.). Das LG Mönchengladbach hat sich unlängst dieser Auffassung ausdrücklich angeschlossen (NJW 2006, 67, 68 [LG Mönchengladbach 12.05.2005 - 10 O 333/04]). Damit ist freilich für den einzelnen Fall noch nichts darüber gesagt, ob tatsächlich eine krasse finanzielle Überforderung vorliegt. Bei einseitig verpflichtenden Verträgen wie Bürgschaft- und Mithaftungsverträgen zwischen Banken und privaten Darlehensnehmern tritt bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit im objektiven Bereich an die Stelle eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (es fehlt bei einseitig verpflichtenden Verträgen an einem Leistungsaustausch) ein krasses Missverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner nahe stehenden Bürgen oder Mithaftenden. Da für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrages der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend ist, ist die Frage der krassen finanziellen Überforderung nach den Verhältnissen bei Vertragsschluss zu beurteilen. Dabei hat es nicht ohne Weiteres mit dem Hinweis sein Bewenden, die krasse finanzielle Überforderung liege immer dann vor, wenn der Verpflichtete außer Stande sei, die laufenden Zinsen auf Dauer aufzubringen (BGHZ 146, 37, 42; BGH, WM 2005, 418, 420 [BGH 25.01.2005 - XI ZR 325/03]). Zu fragen ist viel-mehr auch nach der Schul- und Berufungsausbildung und sonstigen Fähigkeiten, die für die anzustellende Zukunftsprognose (vgl. BGH, MDR 2005, 699, 700 [BGH 25.01.2005 - XI ZR 28/04]) von Bedeutung sein können. Wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten hat der Senat zwar in der Vergangenheit bereits auf § 309 Abs. 1 Nr. 2 InsO abgestellt (z. B. 3 W 119/03, OLGR 2004, 311), wo der Gesetzgeber die Vermutung aufgestellt hat, dass sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners während des gesamten Insolvenzverfahrens und der anschließenden Frist bis zur gesetzlichen Restschuldbefreiung nicht ändern. Vorliegend aber ist seitens der Klägerin nur vorgetragen worden, dass sie zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme lediglich Erziehungsgeld bezogen habe. Im Übrigen fehlt es vollständig an Vortrag, sodass die anzustellende Zukunftsprognose offen bleibt. Ohne Vortrag kann gerade in Anbetracht der relativ geringen Forderungshöhe nicht ohne Weiteres eine krasse finanzielle Überforderung der Klägerin unterstellt werden. Die genannte Vermutung nach § 309 Abs. 1 Nr. 2 InsO soll lediglich dem Umstand Rechnung tragen, dass sich eine zukünftige Entwicklung nie sicher voraussagen lässt. Der Sinn der Vorschrift in dem hier relevanten Zusammenhang besteht aber nicht darin, erforderlichen Vortrag zu ersetzen.
III.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, zu diesem Beschluss Stellung zu nehmen bis 24. März 2006 oder - schon aus Kostengründen - ihre Berufung zurückzunehmen.