Landgericht Hildesheim
Urt. v. 11.02.2005, Az.: 7 S 272/04
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 11.02.2005
- Aktenzeichen
- 7 S 272/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50889
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Burgdorf - 30.09.2004 - AZ: 13 C 429/04
- nachfolgend
- BGH - 17.02.2006 - AZ: V ZR 49/05
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das am 30.09.2004 verkündete Urteil des Amtsgerichts Burgdorf teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Unter Abweisung der Klage im Übrigen werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger 600,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 494,77 € seit dem 21.06.2004 sowie auf weitere 106,00 € seit dem 21.07.2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben die Kläger als Gesamtschuldner 77 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 23 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung und Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird hinsichtlich der Entscheidung über die Unterhaltungskosten bei Bestehen einer Grunddienstbarkeit zugelassen.
Gebührenstreitwert für die Berufung: bis 1.200,00 €.
Tatbestand:
I.
Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Kläger verfolgen mit der Berufung ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter.
Sie sind der Ansicht, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft die Klage auf Ersatz der Hälfte der Kosten für die Reparatur des Abwasserkanals abgewiesen habe. Bei einer gemeinsamen Nutzung einer Notleitung, wie im vorliegenden Fall, seien die Kosten der Unterhaltung entsprechend zu teilen. Die anteilige hälftige Unterhaltungspflicht ergebe sich aus der analogen Anwendung der §§ 1020 Satz 2, 1021 Abs. 2 Satz 2 BGB. Darauf, dass der Abwasserkanal als Anlage nicht allein von den Klägern „gehalten“ werde im Sinne des § 1021 BGB, komme es im Rahmen einer analogen Anwendung unter Berücksichtigung des Sinn und Zweckes der Bestimmung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht an.
Die Regelung entspreche im Übrigen auch allen weiteren Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, die bei einer gemeinsamen Nutzung eine Kostenteilung vorsehen.
Daneben bestehe ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für die Reparatur des Abwasserkanals unter dem Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftrag.
Die Kläger hätten entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch einen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, sich neben den Klägern zur Hälfte an allen Kosten zu beteiligen, die mit der Wiederherstellung eines unbefestigten Weges zur Ausübung des Wegerechts der Beklagten auf dem Grundstück der Kläger in Zusammenhang stehen.
Wenn das Wegerecht, das 1920 für eine unbebaute Wiese eingetragen worden sei, durch Auslegung zum Fahrrecht erweitert werde, so dürfe dies nicht einseitig geschehen. Es habe vielmehr auch eine durch Auslegung zu ermittelnde Erweiterung der Pflichten gemäß § 242 BGB i.V.m. Artikel 14 GG zu erfolgen. Unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben treffe die Beklagten als Berechtigte auch eine Unterhaltspflicht nach § 1020 Satz 2 BGB. Einer solchen Pflicht stehe nicht entgegen, dass es den Beklagten am alleinigen Nutzungsrecht an dem Weg fehle. Bei der unbefestigten Zufahrt handele es sich zudem um eine Anlage im Sinne des § 1020 BGB. Die durch Nutzung entstandenen Schäden am Weg seien anteilig, mindestens hälftig, aus § 280 BGB zu ersetzen. Daneben erfolge die Pflicht zur hälftigen Kostentragung aus § 748 BGB. Denn den Parteien stehe aufgrund des Eigentums der Kläger und des Wegerechts der Beklagten jeweils ein dingliches Nutzungsrecht an dem Weg zu.
Die Kläger beantragen,
1. unter Abänderung des am 30.09.2004 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Burgdorf die Beklagten zu verurteilen, an die Kläger 600,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 494,77 € seit dem 21.06.2004 und auf weitere 106,00 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, sich neben den Klägern zur Hälfte an allen Kosten zu beteiligen, die mit der Wiederherstellung des unbefestigten Weges zur Ausübung des Wegerechts der Beklagten auf dem Grundstück der Kläger im Zusammenhang stehen,
3. sowie die Revision zuzulassen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil.
Hinsichtlich der Kosten der Kanalreparatur behaupten die Beklagten, dass Ursache für die Verstopfung des Abwasserkanals eine Verwurzelung im Bereich des Grundstücks der Kläger gewesen sei. Da die Störung ausschließlich vom Grundstück der Kläger ausgegangen sei, seien diese allein zur Beseitigung verpflichtet. Insoweit habe es sich bei der Beseitigung der Verstopfung des Abwasserkanals um ein eigenes Geschäft der Kläger gehandelt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
1. Die Kläger haben gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 600,77 € aus einer analogen Anwendung des § 748 BGB sowie aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683 Satz 1, 677 BGB).
a) Nach der Rechtsprechung finden die Vorschriften der §§ 718, 719 BGB über das Notwegerecht auch für Versorgungsleitungen Anwendung (BGH NJW 1981, 1036 [BGH 30.01.1981 - V ZR 6/80]). Die Herstellungs- und Unterhaltungspflicht trifft grundsätzlich den Notwegberechtigten (BGH NJW-RR 1995, 911, 913 [BGH 06.04.1995 - III ZR 27/94]).
Nutzen der Notwegberechtigte und der Duldungsverpflichtete die Leitung gemeinsam, so sind die Unterhaltungskosten zwischen den Nutzern nach den Grundsätzen der Gemeinschaft in analoger Anwendung des §§ 748 BGB zu teilen (Staudinger-H. Roth, BGB, 2002, § 917, Rdnr. 35; Erman-A. Lorenz, BGB, 11. Aufl., § 917, Rdnr. 7).
b) Daneben sind auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Aufwendungsersatz aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag erfüllt. Die Maßnahmen der Kläger zur Schadensermittlung und Schadensbeseitigung stellen sich zugleich als eigenes und fremdes Geschäft dar. Dass es sich bei den Reparaturmaßnahmen auch um ein fremdes Geschäft handelt, folgt schon daraus, dass die Herstellungs- und Unterhaltungspflicht grundsätzlich den Notwegberechtigten trifft (BGH a.a.O.). Die Reparatur entsprach auch dem Interesse der Beklagten unter Berücksichtigung ihres wirklichen und mutmaßlichen Willens.
Da die Kläger den Abwasserkanal mitbenutzen, besteht ein Aufwendungsanspruch in Höhe der hälftigen Kosten der Schadensermittlung und Schadensbeseitigung.
c) Dem Anspruch der Kläger steht eine - bestrittene - Verursachung des Schadens am Abwasserkanal durch Baumwurzeln auf dem Grundstück der Kläger nicht entgegen.
Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Störereigenschaft zu bejahen sei, wenn Wurzeln eines Baumes in das Erdreich des Nachbargrundstückes hinüberwachsen (BGH NJW 2004, 34, 35), folgt für den vorliegenden Sachverhalt kein Anspruchsausschluss. Der Bundesgerichtshof hat für die Feststellung einer Störereigenschaft im nachbarrechtlichen Bereich darauf abgestellt, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung halte (BGH a.a.O.).
Soweit auf dem Grundstück der Kläger Büsche und Bäume stehen, hält sich die Nutzung im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung. Vortrag dazu, dass die Wurzeln der Bäume, die Beschädigungen verursacht haben sollen, in unmittelbarer Nähe zu der beschädigten Abwasserleitung stehen, fehlt. Vielmehr ist der Bereich des Rohrverlaufes gepflastert. Da nicht festgestellt werden kann, dass die Störung auf einem pflichtwidrigen Unterlassen der Kläger beruht, scheidet eine Alleinverantwortlichkeit der Kläger für den Schaden an dem Abwasserkanal aus.
Die Kläger haben somit Anspruch auf Erstattung der Hälfte der Kosten gemäß Rechnung des Klempner- und Installateurmeister … vom 24.10.2003 und vom 22.03.2004.
2. Der Zinsanspruch ist aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 2, 288 Abs. 1, 291 BGB begründet.
3. Keinen Erfolg hat die Berufung, soweit sie sich gegen die Abweisung der Feststellungsklage richtet.
Ein Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, sich neben den Klägern zur Hälfte an allen Kosten zu beteiligen, die mit der Wiederherstellung des unbefestigten Weges zur Ausübung des Wegerechts in Zusammenhang stehen, besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
a) Er ergibt sich nicht aus § 1020 Satz 2 BGB.
aa) Insoweit fehlt es schon an einer Anlage im Sinne des § 1020 Satz 2 BGB. Eine Anlage ist eine von Menschenhand geschaffene künstliche Einrichtung, die der Grundstücksbenutzung dient (BGH NJW 2002, 678 [BGH 23.11.2001 - V ZR 419/00]). Anlage im Sinne dieser Vorschrift kann ein befestigter Weg sein (OLG Celle MDR 2000, 81). Im vorliegenden Sachverhalt besteht die Zufahrt lediglich aus zwei festgefahrenen Fahrspuren. Dieser Zustand stellt noch keine Anlage im Sinne der Vorschrift dar.
bb) Nach der herrschenden Ansicht liegt zudem ein „Halten einer Anlage“ im Sinne des § 1020 Satz 2 BGB nur dann vor, wenn dem Dienstbarkeitsberechtigten die ausschließliche Befugnis zur Benutzung zusteht (OLG Köln NJW-RR 1996, 16; OLG Hamm MDR 2003, 737 [OLG Hamm 03.04.2003 - 5 U 16/03]; Palandt-Bassenge, BGB, 64. Aufl., § 1020, Rdnr. 3; Staudinger-J. Mayer, a.a.O., § 1020, Rdnr. 14 m.w.N.); denn bei Anwendung des § 1020 Satz 2 BGB im Fall eines Mitbenutzungsrechts des Eigentümers des dienenden Grundstücks käme es zu einer vom Gesetzgeber bewusst nicht normierten Aufteilung der Unterhaltspflicht (vgl. Staudinger a.a.O.).
b) Auch eine analoge Anwendung des § 748 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung aus (Staudinger-J. Mayer a.a.O.). Vielmehr ist jeder der Beteiligten in seinem Interesse gehalten, den Weg so zu unterhalten, wie es für seine Belange erforderlich ist (Staudinger a.a.O.; OLG Köln, NJW-RR 1996, 16; KG Berlin OLGZ 372, 374).
c) Ein Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Hälfte der Unterhaltungskosten der Zufahrt zu tragen, ist auch nicht aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 242 BGB begründet.
Das Befahren der Zufahrt mit Kraftfahrzeugen durch die Beklagten stellt keine rechtswidrige Nutzung der Zufahrt dar. Der konkrete Inhalt der Grunddienstbarkeit ist durch Auslegung zu ermitteln. Der ursprüngliche Inhalt einer Grunddienstbarkeit kann sich entsprechend den wechselnden Bedürfnissen ändern. Ein Wegerecht ist in der Regel dahingehend auszulegen, dass auch die Nutzung mit gebrauchsüblichen Fahrzeugen zu bejahen ist. Im Übrigen dulden die Kläger die Nutzung der Zufahrt als Fahrweg.
Dass die Schäden an der unbefestigten Zufahrt durch eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten entstanden sind, haben diese zudem selbst nicht vorgetragen.
d) Ein feststellungsfähiger Anspruch aus dem Gesichtspunkt einer Geschäftsführung ohne Auftrag besteht im vorliegenden Sachverhalt deshalb nicht, weil die Beklagten deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass eine Wiederherstellung des unbefestigten Weges - unter ihrer Kostenbeteiligung - nicht ihrem Willen entspreche.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Die auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten gerichtete Klage, dass die Beklagten verpflichtet seien, sich zur Hälfte an allen Kosten zu beteiligen, die mit der Errichtung und Unterhaltung eines befestigten Weges im Zusammenhang stehen, haben die Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz dahingehend zurückgenommen, dass lediglich die Wiederherstellung eines unbefestigten Weges begehrt werde. Im Hinblick auf die teilweise Klagerücknahme in Bezug auf die Feststellungsklage ist der Gegenstandswert in I. Instanz auf insgesamt 2.600,00 € und in II. Instanz auf insgesamt bis 1.200,00 € bemessen worden.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
IV.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache war gemäß §543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Revision zuzulassen. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zur Kostenpflicht für die Unterhaltung eines Weges bei bestehender Dienstbarkeit ist, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht entschieden. Sie ist für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung und wird nicht einheitlich beantwortet (vgl. OLG Köln MDR 1990, 1013 [OLG Köln 15.06.1990 - 20 U 216/89]).