Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.09.2002, Az.: 2 A 315/01
Anbaulast; Baulast; Ermessen; Garage; Grenzabstandsbaulast; Jahresfrist; Rücknahme; Verwaltungsakt; Verzicht
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 25.09.2002
- Aktenzeichen
- 2 A 315/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43610
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs 2 BauO ND
- § 92 Abs 3 BauO ND
- § 48 Abs 1 VwVfG
- § 48 Abs 4 VwVfG
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Verfahrenskosten einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte und der Beigeladene zuvor jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer zu Gunsten seines Grundstücks eingetragenen Baulast durch den Beklagten.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks M. in L. (Gemarkung H. Flur , Flurstück ). Das Nachbargrundstück M. (Flurstück ) gehört dem Beigeladenen. Am 11.08.1982 wurde zu Lasten dieses Grundstücks im Baulastenverzeichnis von H. eine Anbaubaulast eingetragen ( Baulastenbl . Nr. ). Der Kläger errichtete eine auf der Grenze gelegene Garage, die höher als 3 m war. Da der Kläger an dieser Garage an der Grenzwand zum Grundstück des Beigeladenen auch eine brennbare Außenverkleidung angebracht hatte, wurde unter dem 03.03.1986 zusätzlich im Baulastenblatt Nr ... eine Grenzabstandsbaulast eingetragen. Damals war beabsichtigt, dass der Beklagte gleichzeitig auf die entgegenstehende Anbaubaulast verzichtet, was bis heute nicht geschehen ist. Am 07.04.1999 stellte der Beigeladene einen Bauantrag mit dem Ziel, auf der von der Abstandsbaulast geschützten Grundstücksfläche eine Garage errichten zu dürfen. Der Kläger lehnte es ab, gemäß § 92 Abs. 3 Satz 2 NBauO den Verzicht auf die Baulast zu beantragen.
Nach Anhörung des Klägers nahm der Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2000 die Eintragung der zugunsten des Flurstücks , Flur , Gemarkung H., im Baulastenverzeichnis von H. unter der Baulastenblatt Nr. ... eingetragenen Grenzabstandsbaulast gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG zurück. Zur Begründung führte der Beklagte an, die Eintragung einer Baulast stelle einen Verwaltungsakt dar. Die Grenzabstandsbaulast sei rechtswidrig eingetragen worden, da eine Grenzabstandsbaulast und eine Anbaubaulast nicht an gleicher Stelle nebeneinander bestehen könnten und die Anbaubaulast rechtmäßig in das Baulastenverzeichnis eingetragen worden sei. Von der Rechtswidrigkeit der Eintragung habe er erst im Rahmen des Bauantragsverfahrens zum Neubau einer Garage auf dem belasteten Nachbargrundstück Kenntnis erhalten. Die Rücknahme sei mithin innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG erfolgt. Anzumerken sei, dass nach der heutigen Rechtslage die Eintragung einer Grenzabstandsbaulast nicht mehr erforderlich sei, da gemäß § 12 Abs. 3 NBauO mit nachbarlicher Zustimmung eine größere Höhe als 3 m zugelassen werden könne. An Außenwandverkleidungen bei Gebäuden geringer Höhe würden zudem gemäß § 12 Abs. 5 DVNBauO keine Anforderungen mehr gestellt.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, zu dessen Begründung er u.a. anführte, die Eintragung in das Baulastenverzeichnis sei ein Realakt, nicht aber ein Verwaltungsakt. Die Eintragung sei lediglich Wirksamkeitsvoraussetzung für die zuvor abgegebene öffentlich-rechtliche Willenserklärung des Grundstückseigentümers. Außerdem sei die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG nicht eingehalten worden. Denn dem Beklagten sei bereits 1983 bekannt gewesen, dass beide Baulasten nicht gleichzeitig eingetragen werden könnten. Nach einem Aktenvermerk vom 27.07.1983 sei deshalb auch vorgesehen gewesen, die Anbaubaulast zu löschen. Da dieser Umstand nicht beachtet worden sei, liege auch ein Ermessensfehler vor.
Die Bezirksregierung Braunschweig wies mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2001 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 19.04.2001 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung vertieft er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und macht ergänzend geltend. § 48 Abs. 1 VwVfG sei angewandt worden, um § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO zu umgehen. Ermessensgerecht sei aufgrund des Vermerks vom 27.07.1983 lediglich der Verzicht auf die Anbaubaulast. Sein privates Interesse am Fortbestand der Grenzabstandsbaulast sei nicht gewürdigt worden. Eine größere Abstandsfläche sei aufgrund der besseren Licht-, Sicht- und Luftverhältnisse ein Privileg. Er hätte das Grundstück nie gekauft, wenn er davon hätte ausgehen müssen, dass direkt an der Grenze eine Garage gebaut werde. Er habe nämlich nicht wie in einer Reihenhaussiedlung leben wollen. Deshalb habe er auch auf den Fortbestand der Grenzabstandsbaulast vertraut. Der Neubau einer Garage innerhalb der Abstandsfläche bedeute eine Wertminderung seines Grundstücks.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2000 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.03.2001 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er tritt den Ausführungen des Klägers im Einzelnen entgegen. Er hebt vor allem hervor, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG eingehalten zu haben. Die Frist werde erst in Lauf gesetzt, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit ihrer Entscheidung erkenne und ihr sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien. Dieses sei erst frühestens mit Eingang des Bauantrages am 07.04.1999 der Fall gewesen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich der Argumentation des Beklagten angeschlossen. Er macht geltend, unter „normalen Umständen“ einen Anspruch auf die Baugenehmigung für die Garage zu haben. Da in der unmittelbaren Nachbarschaft eine Grenzbebauung mit Garage üblich sei, liege andernfalls auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie der Bezirksregierung Braunschweig verwiesen. Diese Unterlagen haben dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat die zugunsten des Flurstücks , Flur , Gemarkung H. im Baulastenverzeichnis von H. unter dem Baulastenblatt Nr. ... eingetragene Grenzabstandsbaulast zu Recht gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen. Der Bescheid des Beklagten vom 21.03.2000 i.d.F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.03.2001 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Eintragung der Baulast in das Baulastenverzeichnis ist ein Verwaltungsakt, weil der Gesetzgeber die Wirksamkeit der Baulast an die konstitutive Eintragung im Baulastenverzeichnis gebunden hat, um den Schwierigkeiten zu begegnen, die aus fehlerhaften Baulastenerklärungen bei nur deklaratorischer Bedeutung der Eintragung entstanden seien (Nds. OVG, Urt. v. 26.05.1989 – 6 A 147/87 – E 41, 406; Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, Kommentar, 7. Aufl., § 92, Rn. 26). Mit der Baulast wird die Bebauungsmöglichkeit eines Grundstücks in der Regel zu Lasten eines anderen erweitert. Auch bei der hier in Rede stehenden Grenzabstandsbaulast gemäß § 9 Abs. 2 NBauO wird die Rechtsstellung des Bauherrn erst durch die Entstehung der Baulast verbessert. Obwohl der Baulastübernehmer durch seine Erklärung die Einschränkung der Bebaubarkeit seines Grundstücks selbst veranlasst hat, wird dieser Einschränkung doch erst mit dem Entstehen der Baulast dauerhaft wirksam (Große-Suchsdorf, a.aO., § 92, Rn. 26). Entgegen der Auffassung des Klägers ist die öffentlich-rechtliche Willenserklärung des Grundstückseigentümers nach § 92 Abs. 1 Satz 1 NBauO für das Entstehen der Baulast nicht konstituierend, so dass die Eintragung nicht lediglich eine letzte Voraussetzung für deren Wirksamkeit darstellt.
Die Eintragung der Grenzabstandsbaulast nach § 9 Abs. 2 NBauO am 03.03.1986 aufgrund der Eintragungsverfügung vom 27.10.1983 (vgl. Bl. 61 BA C: 03.03.1986) war rechtswidrig. Sie war mit der bereits unter dem Baulastenblatt Nr. 8 eingetragenen Anbaubaulast nach § 8 Abs. 2 NBauO nicht zu vereinbaren.
Der Beklagte hat das ihm nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Er hat sich dabei zutreffend an den Voraussetzungen für den Verzicht auf eine Baulast gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO orientiert (vgl.: ausdrücklich im Widerspruchsbescheid). Danach kann die Bauaufsichtsbehörde auf die Baulast verzichten, wenn ein öffentliches und privates Interesse an der Baulast nicht mehr besteht. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn insoweit darauf abgestellt wird, dass nach der heutigen Rechtslage die Eintragung einer Grenzabstandsbaulast wegen der brennbaren Außenwandverkleidung gemäß § 12 Abs. 5 DVNBauO nicht mehr erforderlich ist. Die Grenzabstandsbaulast ist damals nur eingetragen worden, um die Verwendung von Holz am Giebel der Garage zu ermöglichen. Der Kläger hatte 1983 nicht vor, eine Grenzgarage auf dem Nachbargrundstück zu verhindern. Zwei auf benachbarten Grundstücken unmittelbar aneinander grenzende Garagen vermitteln ferner noch nicht den Eindruck einer Reihenhaussiedlung. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger heute behauptet, er hätte das Grundstück nie gekauft, wenn er von einer Grenzgarage auf dem Nachbargrundstück hätte ausgehen müssen. Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers, welches einer Aufgabe seines rechtlichen Vorteils entgegensteht, ist nicht zu erkennen. Ebenso wenig besteht noch ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Grenzabstandsbaulast. Um dem Nachbarn zu ermöglichen, wie andere Bauherren eine Garage auf der Grundstücksgrenze errichten zu können (vgl. § 12 NBauO), ist es ermessengerecht, die Grenzabstands- und nicht die Anbaubaulast zu löschen. Aus der ursprünglichen, in dem Vermerk des Beklagten vom 27.07.1983 dokumentierten Absicht, die Anbaubaulast aufzuheben, resultiert heute angesichts der geänderten Rechtslage keine Verpflichtung des Beklagten, im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG so zu verfahren, wie damals geplant.
Mit dem Erlass des Bescheides vom 21.03.2000 hat der Beklagte die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG eingehalten. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Erkennt eine Behörde nachträglich, dass sie den beim Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes vollständig bekannten Sachverhalt unzureichend berücksichtigt oder unrichtig gewürdigt und deshalb rechtswidrig entschieden hat, beginnt die Jahresfrist nicht etwa bereits mit dem Erlass des Verwaltungsakts, sondern frühestens mit dem Zeitpunkt, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit ihrer Entscheidung erkannt hat. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG unterwirft die zuständige Behörde einer Jahresfrist, weil der Behörde die Notwendigkeit einer Entscheidung über die Rücknahme bewusst und diese Entscheidung infolge vollständiger Kenntnis des hierfür erheblichen Sachverhalts auch möglich geworden ist. Die Jahresfrist dient der im Interesse der Rechtssicherheit nötigen Klarstellung, ob ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen wird und von welchem Zeitpunkt an der jeweilige Einzelfall durch Rücknahme des Verwaltungsaktes endgültig abgeschlossen ist (std. Rspr. BVerwG, Beschl. v. 19.12.1984, - BVerwGr. Sen. 1 u. 2.84 – BVerwGE 70, 356, Urt. v. 24.01.2001 – 8 C 8/00 – DVBl. 2001, 1221).
Dass die Grenzabstandsbaulast rechtswidrig eingetragen worden ist, hat die Beklagte erst nach Eingang des Bauantrags des Beigeladenen am 07.04.1999 erkannt. Den Verwaltungsvorgängen des Beklagten sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Beklagte nach der Eintragung am 03.03.1986 aufgrund der Verfügung vom 27.10.1983 über das Bestehen zweier sich gegenseitig ausschließender Baulasten reflektiert hat. In dieser Zeit hat auf Seiten des Beklagten niemand über den rechtswidrigen Zustand nachgedacht. Hierfür gab es auch keinen Anlass, da bauliche Veränderungen auf den Grundstücken des Klägers und des Beigeladenen nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nicht vorgenommen wurden. Die Jahresfrist hat auch nicht deshalb früher begonnen, weil dem Beklagten das Rechtsproblem vor der Eintragung bekannt war. Aus diesem Grund darf nicht an den Aktenvermerk vom 27.07.1983 angeknüpft werden. Die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG kann nicht vor dem Erlass des aufzuhebenden Bescheides beginnen (Nds. OVG, Urt. v. 13.03.2002 – 2 LB 247/01 -).
Die Rücknahme einer Baulast nach § 48 VwVfG ist nicht durch den in § 92 Abs. 3 S. 2 NBauO geregelten Verzicht ausgeschlossen. Der Verzicht ist keine die Rücknahme ausschließende speziellere Regelung. Eine bestandskräftig eingetragene, nicht nichtige Baulast, für die von Anfang an keine öffentlichen und privaten Interessen bestanden, kann zurückgenommen werden (Große-Suchsdorf, a.a.O., § 92, Rn. 63). Dasselbe gilt, wenn die Eintragung der Baulast rechtswidrig war, weil diese mit einer anderen Baulast kollidierte. Dann besteht im Übrigen auch kein öffentliches und privates Interesse an der Eintragung. Selbst wenn man annehmen wollte, die Rücknahme stelle eine unzulässige Umgehung des Verzichts dar, so könnte die Aufhebung der Baulast deshalb hier auch „nur“ auf einen Verzicht nach § 92 Abs. 3 S. 1 NBauO gestützt werden (s.o. zur Änderung der Rechtslage bzgl. Garagenhöhe und Brandschutz).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig.
Gründe, die Berufung gemäß §§ 124 a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, sind nicht ersichtlich.