Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 12.09.2002, Az.: 3 A 168/01
Befreiung; Darlehen; Dispositionskredit; Einkommen; Rundfunkgebühren
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 12.09.2002
- Aktenzeichen
- 3 A 168/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43607
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 1 RdFunkGebBefrV ND
- § 76 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei der Rundfunkgebührenbefreiung sind Leistungen aus der Inanspruchnahme eines Dispositionskredits nicht als Einkommen anzurechnen, wenn sie nicht in angemessener Zeit zurückgezahlt werden können.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 28.11.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 02.05.2001 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin Rundfunkgebührenbefreiung für die Monate Dezember 2000 bis Februar 2002 einschließlich zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht.
Sie ist Studentin an der Fachhochschule H.. Am 23.10.2000 stellte sie beim Beklagten einen Antrag auf Rundfunkgebührenbefreiung. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 28.11.2000 lehnte der Beklagte diesen mit der Begründung ab, das anrechenbare Einkommen übersteige den für eine Befreiung nach der Befreiungsverordnung maßgeblichen Freibetrag. Dagegen hat die Klägerin unter Beifügung neuer Unterlagen am 07.12.2000 Widerspruch erhoben. Mit Bescheid vom 02.05.2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung trug er vor, die Klägerin habe das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht gemäß § 5 Abs. 4 BefrVO glaubhaft gemacht. Aufgrund ihrer eigenen Angaben habe sie bis einschließlich Februar 2001 über ein monatliches Gesamteinkommen aus Bafög-Leistungen in Höhe von 790,00 DM verfügt. Nach Erhöhung der Bafög-Leistungen stehe ihr seit März 2001 ein Betrag in Höhe von 1.140,00 DM zur Verfügung. Obwohl diese Beträge unter der für die Befreiung aus finanziellen Gründen maßgeblichen Freibetragsgrenze lägen, könne ihr keine Rundfunkgebührenbefreiung gewährt werden, da diese Angaben nicht als vollständig angesehen werden könnten. Bedenken gegen die Vollständigkeit der Angaben bestünden insbesondere, da die Klägerin bis Februar 2001 dem von ihr angegeben Einkommen monatliche Belastungen von jeweils insgesamt 797,32 DM (410,00 DM Miete, 35,00 DM Stromkosten, 96,32 DM Kranken- und Pflegeversicherung, 50,00 DM Telefongebühren, 100,00 DM Fahrtkosten, 28,00 DM Studiengebühren, 78,00 DM Kraftfahrzeugversicherung und Steuer) gegenübergestellt habe. Für den Zeitraum ab März 2001 sei eine monatliche Gesamtbelastung von 1.052,32 DM (510,00 DM Miete, 40,00 DM Stromkosten, 96,32 DM Kranken- und Pflegeversicherung, 60,00 DM Telefongebühren, 225,00 DM Fahrtkosten, 28,00 DM Studiengebühren, 35,00 DM Studienmaterial, 78,00 DM Kraftfahrzeugversicherung und Steuer) angegeben worden. Somit überschritten die von der Klägerin geltend gemachten monatlichen Belastungen deren verfügbares Gesamteinkommen um 7,32 DM bzw. verbleibe ihr seit März 2001 ein monatliches Resteinkommen von lediglich 87,68 DM. Dementsprechend sei nicht plausibel, woraus der weitere Bedarf des täglichen Lebens (wie z.B. Lebensmittel, Bekleidung, Hygieneartikel, Freizeitaktivitäten etc.) bestritten werde. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass die Klägerin über weiteres nicht angegebenes Einkommen verfüge.
Dagegen hat die Klägerin am 25.05.2001 Klage erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter. Zur Begründung verweist sie darauf, dass ihr – außer den Bafög-Leistungen und einer monatlichen Gutschrift für Autowerbung in Höhe von 50,00 DM – keinerlei weitere Einnahmequellen zur Verfügung stünden. Etwaige Disparitäten bezüglich festgestellter Ausgaben und zur Verfügung stehendem realen monatlichen Einkommen beruhten auf Ausgleichszahlungen im Rahmen eines bestehenden Dispositionskredites der M -Bank Gesellschaft H. Zur Zeit werde der Dispositionskredit bei 4.300,00 DM ausgeschöpft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 28.11.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 02.05.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie für den Zeitraum von Dezember 2000 bis Februar 2002 einschließlich von der Zahlung der Rundfunkgebühren zu befreien.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist weiterhin darauf, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 BefrVO nicht glaubhaft gemacht habe. Aus den im Klageverfahren vorgelegten Kontoauszügen ergebe sich eine Inanspruchnahme des Dispositionskredites zwischen dem 15.02.2001 und dem 28.08.2001 in Höhe von 3.011,57 DM. Daraus errechne sich innerhalb von 6 1/2 Monaten eine durchschnittliche monatliche Heranziehung von Einkünften aus dem Dispositionskredit für die Lebenshaltungskosten von 463,31 DM. Unter Berücksichtigung der gezahlten Bafög-Leistungen habe die Klägerin daher über ein anrechenbares Monatseinkommen von 1.373,31 DM verfügt, welches über dem bis einschließlich Juni 2001 geltenden Freibetrag von 1.294,32 DM bzw. dem ab 01.07.2001 geltenden Freibetrag von 1.310,82 DM liege. Bei nunmehr nachgewiesener Ausschöpfung und Überschreitung ihres Dispositionskreditrahmens sei zu vermuten, dass ihr keine diesbezügliche weitere Inanspruchnahme möglich sei. Es sei nicht ersichtlich, woraus nunmehr die Lebenshaltung gezahlt werde.
Die Klägerin hat ihr Teilnehmerkonto in Bezug auf die Bereithaltung eines Fernsehers zu November 2001 abgemeldet; eine Abmeldung in Bezug auf das verbliebene Radio erfolgte zu März 2002.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage hat Erfolg. Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten für die Monate Dezember 2000 bis Februar 2002 einschließlich ein Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu.
Der Anspruch ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Nr. 7 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht – BefrVO – vom 03.09.1992 (Nds. GVBl. S. 239 ff.). Danach werden von der Rundfunkgebührenpflicht Personen befreit, deren monatliches Einkommen zusammen mit dem Einkommen der Haushaltsangehörigen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt sich aus dem 1 1/2-fachen des Regelsatzes der Sozialhilfe (§ 22 BSHG) für den Haushaltsvorstand, dem 1-fachen des Regelsatzes der Sozialhilfe für sonstige Haushaltsangehörige und 30 v.H. des Regelsatzes der Sozialhilfe für jede dem Haushalt angehörende Person, die das 65. Lebensjahr vollendet hat oder erwerbsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist und den Kosten für die Unterkunft. Die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht sind glaubhaft zu machen (§ 5 Abs. 4 Satz 1 BefrVO).
Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin in Anbetracht des Inhalts der Akten und des Vortrags in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht, im umstrittenen Zeitraum von Dezember 2000 bis Februar 2002 einschließlich ein monatliches Einkommen gehabt zu haben, welches die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überstieg. Sie hat insbesondere glaubhaft gemacht, neben dem bewilligten Bafög-Höchstleistungssatz in Höhe von 1.140,00 DM bzw. 582,87 EUR und einer Einnahme in Höhe von 50,00 DM bzw. 25,56 EUR monatlich für Autowerbung keinerlei anrechenbare Einkünfte gehabt zu haben. Sie hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, nach dem Abschluss einer Ausbildung und einer Zeit der Arbeitslosigkeit sich zu einem Studium entschlossen zu haben. Sie hat ausgeführt, dieses unbedingt zu Ende führen zu wollen, obwohl sie in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Eltern sie nicht finanziell unterstützen können, finanzielle Probleme erwartet habe, die auch eingetreten seien. Sie hat dargelegt, wegen der für Studenten besonders günstigen Konditionen in Bezug auf die Gewährung eines Dispositionskredites zu dem Finanzdienstleister M gewechselt zu haben, um die Möglichkeiten des Dispositionskredites ggf. auszunutzen. Sie hat glaubhaft gemacht, was auch durch die lückenlos vorgelegten Kontoauszüge belegt wird, über ihr Einkommen hinausgehende Ausgaben durch eine Inanspruchnahme des großzügig und ohne Sicherheiten gewährten Dispositionskredites bestritten zu haben. Ebenso hat sie nachvollziehbar geschildert, aufgrund von Krankheiten und anderen Schwierigkeiten nicht wie von ihr ursprünglich geplant neben dem Studium gejobbt und so keinerlei Ausgleich des über 5.000,00 DM hinaus in Anspruch genommenen Dispositionskredites vorgenommen und nunmehr mit der M eine ratenweise Rückzahlungsvereinbarung geschlossen zu haben.
Der Dispositionskredit ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht als bei der Prüfung der Befreiungsvoraussetzungen zu berücksichtigendes Einkommen anzusehen. Zwar können Darlehen grundsätzlich auch Einkommen im Sinne des § 76 BSHG, welcher gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 BefrVO auch für die Bestimmung des Einkommens bei der Rundfunkgebührenbefreiung gilt, darstellen, wenn sie konkret für den Sozialhilfebedarf gewährt werden (vgl. LPK, Kommentar zum BSHG, § 76 Rn. 7). Aber dem Sozialhilferecht liegt ein an den tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen orientierter Einkommensbegriff zugrunde (vgl. LPK, a.a.O.: § 76 Rn. 2). Es kommt also auf die tatsächliche soziale Situation des Antragstellers an. Darlehen sind deshalb nur dann als Bedarfsdeckung (und damit als Einkommen) anzusehen, wenn sie im Einzelfall in angemessener Zeit (nach einer kurzen Zeit der Illiquidität) zurückgezahlt werden können. Regelmäßig beseitigt aber ein Darlehen nicht die Notlage, sondern verschleiert sie nur (vgl. LPK, a.a.O.: § 2 Rn. 10; VG Braunschweig, Urt. v. 29.08.2000 – 3 A 3344/98 - / VG Braunschweig, Urt. v. 15.02.2001 – 3 A 277/99 - unter Berufung auf das Bundesverwaltungsgericht).
Im vorliegenden Verfahren ist in keinster Weise ersichtlich, dass die Klägerin das aufgenommene Darlehen (Dispositionskredit) in angemessener Zeit zurückzahlen konnte; vielmehr ist seit der Eröffnung des Kontos bei der M nach und nach ein Soll von über 5.000,00 DM entstanden, auf das die Klägerin keinerlei Zahlungen geleistet hat. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung ist auch nicht erkennbar, aus welchen Einkünften diese Zahlungen möglich gewesen sein sollten. Vor diesem Hintergrund kann der ausgenutzte Dispositionskredit nicht als Einkommen im Sinne von § 76 BSHG betrachtet werden.
Das der Klägerin danach im umstrittenen Zeitraum zur Verfügung stehende Einkommen in Höhe von insgesamt 1.190,00 DM bzw. 608,44 EUR überschreitet die maßgebliche Einkommensgrenze jedenfalls nicht. Das Gericht verzichtet insoweit auf eine exakte Bezifferung für jeden Monat des umstrittenen Zeitraumes. Auszugehen ist für die Ermittlung der Einkommensgrenze jedenfalls vom 1 1/2-fachen des maßgeblichen Regelsatzes, d.h. hier 825,00 DM bzw. 421,82 EUR für den Zeitraum von Dezember 2000 bis Juni 2001 einschließlich und einer Summe in Höhe von 841,50 DM bzw. 430,25 EUR für den Zeitraum von Juli 2001 bis Februar 2002. Die von der Klägerin zu entrichtende und hier maßgebliche Bruttokaltmiete (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 17.09.1997 – 12 L 5418/96 -) für die im umstrittenen Zeitraum von ihr gemieteten vier Wohnungen betrug ausweislich der vorliegenden Unterlagen jedenfalls mehr als 365,00 DM bzw. 186,62 EUR, weshalb die Einkommensgrenze für den gesamten umstrittenen Zeitraum über dem Einkommen der Klägerin lag.
Nach alledem ist der Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Rundfunkgebührenbefreiung für die Monate Dezember 2000 bis Februar 2002 einschließlich zu bewilligen. Der Bescheid des Beklagten vom 28.11.2000 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 02.05.2001 ist aufzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.