Sozialgericht Hannover
Urt. v. 22.10.2002, Az.: S 4 KR 1207/01
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 22.10.2002
- Aktenzeichen
- S 4 KR 1207/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35661
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2002:1022.S4KR1207.01.0A
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten, die anlässlich der Umrüstung eines Pkw zum Behindertenfahrzeug entstanden sind.
Die 1991 geborene Klägerin ist familienversichertes Mitglied bei der Beklagten und schwerst mehrfachbehindert. Sie leidet u. a. an einer spastischen Tetraparese, schwerster mentaler Retadierung, cerebralem Anfallsleiden, Skoliose sowie Hüftluxation beidseits. Es ist weder eine verbale noch nonverbale Kommunikation mit der Klägerin möglich. Darüber hinaus ist die Klägerin bei geringsten Anlässen von Knochenbrüchen bedroht. Sie ist auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen und wurde mit einem solchen von der Beklagten versorgt. Aufgrund ihrer Körpergröße und ihres Gewichtes ist es nicht möglich, sie bei Fahrten mit einem Kraftfahrzeug aus dem Rollstuhl auf den Autositz zu heben. Daher muss sie bei Fahrten im Rollstuhl sitzen bleiben. Dies machte eine entsprechende Vorrichtung in dem Kraftfahrzeug der Eltern der Klägerin notwendig. Im August 2000 beantragte sie bei der Beklagten unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung die Gewährung des Umbaus des elterlichen Pkw zu einem Behindertenfahrzeug mit Auffahrrampe und Rollstuhlstandplatz. Nach den von der Klägerin vorgelegten Kostenvoranschlag sollte ein entsprechender Umbau DM 14.430,40 kosten.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid mit der Begründung ab, der Umbau des Pkw in ein Behindertenfahrzeug unterfalle nicht der Leistungspflicht der gesetzlichen Kranken- oder Pflegekasse.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie damit begründete, auf den behindertengerechten Pkw angewiesen zu sein, um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Ihr inzwischen erreichtes Körpergewicht würde im Zusammenhang mit ihrer schweren Behinderung eine für jede Pflegeperson unzumutbare Belastung darstellen, wenn die Klägerin - wie bisher - in den Autokindersitz gehoben werden müsse. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 04.05.2001 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 01 06.2001 Klage erhoben, zu deren Begründung sie sich im wesentlichen auf ihren Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren bezieht. Zwar werde der Wagen in der Regel nicht benötigt, um sie zur Schule oder zur Krankengymnastik zu bringen, denn insoweit sei ein Fahrdienst eingesetzt. Er spiele jedoch eine Rolle bei dem Aufsuchen des Kinderkrankenhauses, des Hausarztes sowie der Sanitätshäuser. Auch sei ihr mit dem Fahrzeug eine Freizeitgestaltung wie die Gleichaltriger möglich, so z.B. ein Besuch im Zoo oder Freizeitpark.
Zeitgleich zum Widerspruchsverfahren hat die Klägerin gleichfalls bei der Beigeladenen, dem zuständigen Sozialhilfeträger, heute Region Hannover, einen Antrag auf Kostenzuschuss zu dem Umbau des Pkw gestellt. Dieser gewährte mit Bescheid vom Januar 2001 Eingliederungshilfe für die durchgeführte Umbaumaßnahme in Höhe von DM 11.818,96. Bei der Klägerin verblieb ein Eigenanteil in Höhe von DM 2.611,44.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten, die anlässlich des Pkw-Umbaus entstanden sind, abzüglich des gewährten Kostenzuschusses des Sozialamtes, zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen. Sie hält ihre Bescheide für zutreffend. Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie ist der Auffassung, der kostenauslösende Umbau des elterlichen Pkw erfülle die Voraussetzungen an ein für die Klägerin gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderliches Hilfsmittel der Krankenversicherung. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehöre für ein Kind u.a., an Veranstaltungen im Kreise Gleichaltriger teilnehmen und damit zu gesunden Kindern aufschließen zu können. Im Sinne der BSG-Rechtsprechung vom 06.08.1998 sei die Ermöglichung eines höheren Grades an Mobilität durch den Einsatz eines geeigneten Hilfsmittels bei Kindern nicht vorrangig als Ausgleich für die fehlende körperliche Fähigkeit anzusehen, sondern verschaffe im Sinne eines "mitmachen können" erst die erforderlichen Voraussetzungen für die weitere Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die anlässlich des Umbaus des Pkws entstanden sind, denn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind nicht erfüllt.
Die Beklagte hat die Leistung nicht zu Unrecht i.S.d. § 13 Abs. 3, 2. Alternative SGB V abgelehnt. Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- und Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind.
Der Umbau eines Kfz in einen behindertengerechten Pkw gehört nicht zu den von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldeten Leistungen, weil er nicht zu dem Leistungsumfang des § 33 SGB V zählt. Das Gesetz definiert sächliche Mittel nur dann als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Aus der weiten Formulierung, dass ein Hilfsmittel auch den Zweck haben kann, eine Behinderung auszugleichen, folgt nicht, dass neben der Behinderung als solcher auch sämtliche direkten und indirekten Folgen einer Behinderung auszugleichen wären, denn damit würde der Bereich der medizinischen Rehabilitation verlassen. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung deutlich gemacht (zuletzt in: Urteil vom 23.07.2002, Az. B 3 KR 3/02 R), dass der Leistungsumfang des § 33 SGB V allein die medizinische Rehabilitation betrifft, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche und soziale Rehabilitation, die auch die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfassen kann, ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungsträger. Hieran hat sich auch durch die Einführung des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" nichts geändert. Die Rechtsprechung hat dies so konkretisiert, dass bei einem unmittelbar auf den Ausgleich der beeinträchtigten Organfunktion selbst gerichteten Hilfsmittel, ohne weiteres anzunehmen ist, dass eine medizinische Rehabilitation vorliegt. Hingegen werden nur mittelbar oder nur teilweise die Organfunktionen ersetzende Mittel nur dann als Hilfsmittel i.S. der Krankenversicherung angesehen, wenn sie die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern allgemein im gesamten täglichen Leben beseitigen oder mildern und damit ein Grundbedürfnis des täglicher Lebens betreffen. Dazu gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen wie das Gehen und Stehen, und zum anderen das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens umfasst (BSG Urteil vom 16.09.1999, Az. B 3 KR 8/98 R).
Die behindertengerechte Ausstattung eines Kfz gleicht zwar weitgehend die beeinträchtigte Funktion der Gliedmaßen aus, wie sie zum Führen eines Kfz erforderlich ist. Sie setzt aber nicht unmittelbar am Körper an, sondern am zu bedienenden Gerät. Dieser mittelbare Ausgleich wäre deshalb nur dann zur Begründung der Leistungspflicht der Beklagten ausreichend, wenn er der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dienen würde Das ist aber nicht der Fall.
Bezogen auf den speziellen Fall der Benutzung eines Kraftfahrzeuges hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 06.08.1998, Az. B 3 KR 3/97 R) ausdrücklich ausgeführt, dass die dadurch erlangte Bewegungsfreiheit nicht mehr zum Basisausgleich beim Grundbedürfnis der Fortbewegung zählt und somit nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen gehört. Wenn es Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, dem durch Krankheit oder Behinderung beeinträchtigten Menschen die eigenständige und unabhängige Erfüllung seiner vitalen Lebensbedürfnisse zu ermöglichen, kann ihre Leistungspflicht nicht an den Besitz eines Kfz anknüpfen und dazu führen, es für den Behinderten nutzbar zu machen. Dieser Rechtsauffassung schließt sich die erkennende Kammer an. Keinen Unterschied macht es zudem, ob die selbständige Nutzung des Pkw oder das "Mitfahren" durch den behindertengerechten Umbau ermöglicht werden soll, denn letztendlich ist nur darauf abzustellen, dass die Fortbewegungsmöglichkeit mit einem Kraftfahrzeug über das hinausgeht, was die gesetzliche Krankenversicherung als Basisaugleich bei einer eingeschränkten Mobilität zu leisten hat.
Hinsichtlich des Grundbedürfnisses der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums, um das es im vorliegenden Fall im wesentlichen geht, ist darüber hinaus zu beachten, dass insoweit nur ein Basisausgleich Aufgabe der medizinischen Rehabilitation ist. Es ist hingegen nicht ihre Aufgabe, ein vollständiges Gleichziehen mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten des Gesunden zu gewährleisten. Die Klägerin wurde durch die Beklagte mit einem Rollstuhl versorgt; der Basisausgleich der - im Verlust der Gehfähigkeit bestehenden - Behinderung ist durch diese Versorgung in ausreichender Weise erfolgt. Soweit die Rechtsprechung die Sicherung eines größeren Bewegungsradius als Aufgabe der medizinischen Rehabilitation betrachtet hat, beruht dies allein auf Besonderheiten des Einzelfalles, nämlich darauf, dass es um die Integration körperlich behinderter, jedoch geistig gesunder Jugendlicher ging (BSG, Urt. v. 16.09.1999, Az. B 3 KR 8/98 R, Urt. v. 16.04.1998, Az. B 3 KR 9/97 R). Zentraler Gesichtspunkt dieser Überlegungen ist, dass bei Kindern und Jugendlichen auch die Möglichkeit, spielen bzw. allgemein an der üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger teilnehmen zu können, als Bestandteil des sozialen Lernprozesses anzusehen ist, weil in diesem Lebensabschnitt davon entscheidend abhängt, ob gesellschaftliche Kontakte aufgebaut und aufrechterhalten werden können. Die entwicklungsbedingt notwendige Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen im Kreise Gleichaltriger stellt somit ein Grundbedürfnis dar, welches von der gesetzlichen Krankenkasse zu leisten ist.
Soweit die Klägerin auf dieses höhere Integrationsbedürfnis von Kindern und Jugendlichen verweist, lasst sich daraus nichts für den vorliegenden Fall zu ihren Gunsten herleiten, denn § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V verlangt die Erforderlichkeit des Hilfsmittels im Einzelfall, d.h., es ist auf die individuellen Verhältnisse des Betroffenen abzustellen. Im Sinne eines Grundbedürfnisses und eines Basisausgleiches lässt sich bei der behinderten Klägerin mit einem behindertengerechten Pkw wegen des besonderen Grades ihrer Behinderung eine Isolation jedoch nicht weiter abwenden. Auch wenn die Klägerin durchaus in der Lage ist, sich durch Mimik, Gestik und Körpersprache zu äußern, geht es ihn ihrem Fall nicht um ein vergleichbares Integrationsbedürfnis wie bei einem 14jährigen querschnittsgelähmten Jungen, der mit Gleichaltrigen zusammen größere Entfernungen selbständig zurücklegen möchte. Entgegen dieses Sachverhaltes ist es der Klägerin aufgrund ihrer Behinderung nicht möglich, selbständig an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger teilzunehmen; zu eigenständigen Aktivitäten außerhalb ihres Wohnumfeldes ist sie nicht in der Lage. Der Gesichtspunkt der Integration in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher kann deshalb in ihrem Falle keine Geltung beanspruchen.
Die soziale Kommunikation und Integration ist dadurch gewährleistet, dass die Klägerin in ihrer Familie lebt und dadurch im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Gelegenheit zur Kommunikation mit ihren Eltern und der Schwester besitzt. Darüber hinaus besucht die Klägerin eine behindertengerechte Schule, so dass auch insoweit der Isolation entgegengewirkt wird. Die Nutzung des Pkw, die der Klägerin durch den behindertengerechten Umbau ermöglicht wird, betrifft lediglich die Teilnahme an dem Teilbereich der gemeinsamen Aktivitäten der Familie, bei dem der Gebrauch eines Kraftfahrzeuges Voraussetzung ist. Überwiegend dürfte es sich hierbei - wie auch von der Klägerin vorgetragen - um Freizeitaktivitäten handeln. Hieraus folgt, dass nur ein Ausschnitt des allgemeinen Lebens betroffen ist; nur hier würde sich das Hilfsmittel auswirken. Ein Grundbedürfnis der Klägerin betrifft es hingegen nicht. Darüber hinaus wird der behindertengerechte Pkw auch nicht benötigt, um den Schulbesuch der Klägerin sicherzustellen, denn insoweit ist ein Fahrdienst eingesetzt. Dass der behindertengerechte Pkw als zusätzliche Leistung zum Fahrdienst der Klägerin eine verbesserte Termingestaltung ermöglicht, berührt gleichfalls kein Grundbedürfnis, welches von der Krankkasse abzudecken ist.
Letztendlich besteht auch kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte als Pflegekasse, denn gemäß § 40 Abs. 1 SGB XI können Pflegehilfsmittel grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Betätigungen beansprucht werden, die für die Lebensführung im häuslichen Umfeld erforderlich sind. Die Teilnahme an den von der Klägerin angeführten Freizeitgestaltungen fällt hingegen nicht in die Risikosphäre der Pflegeversicherung. Auch soweit der Pkw benötigt wird, um mit der Klägerin Ärzte aufzusuchen, kann dies keinen Anspruch auf Kostenerstattung begründen. Zwar zählt die Begleitung des Pflegebedürftigen beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung aus diesen Anlässen zu den in den Risikobereich der Pflegeversicherung fallenden Hilfeleistungen; hieraus ergibt sich jedoch noch keine Verpflichtung der Pflegekasse, den behindertengerechten Umbau eines Pkw zu leisten, denn bei einem Versicherten der sozialen Pflegeversicherung, der zugleich gesetzlich krankenversichert ist, tritt in einem derartigen Fall allein die Leistungspflicht der Krankenversicherung ein: Für gesetzlich Krankenversicherte haben die Krankenkassen die Kosten für Fahrten, die im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind, zu übernehmen, § 60 SGB V. Wegen der vorrangigen Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Transportmaßnahmen, die im Zusammenhang mit Maßnahmen der Krankenbehandlung anfallen, scheidet eine Leistungspflicht der sozialen Pflegeversicherung somit aus (BSG Urteil vom 11.04.2002, Az. B 3 P 10/01 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).