Sozialgericht Hannover
Urt. v. 25.10.2002, Az.: S 29 P 3/01

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
25.10.2002
Aktenzeichen
S 29 P 3/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35663
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2002:1025.S29P3.01.0A

In dem Rechtsstreit

gegen

Krankenkasse, - Pflegekasse -,

Die 29. Kammer des Sozialgerichts Hannover

hat auf die mündliche Verhandlung

vom 25. Oktober 2002

durch die Richterin Cordes,

und die ehrenamtlichen Richter, Herrn Thümler und Herrn Kahle, Vorsitzende,

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1. Die Bescheide der Beklagten vom 06. Januar 2000 und 18. Oktober 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2001 werden aufgehoben.

    2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu bescheiden.

    3. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin, Jahrgang 1917, leidet unter einem Zustand nach mehrmaligen Schlaganfall mit Halbseitenlähmung. Sie erhält Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe III und begehrt die Kostenbeteiligung für den Einbau eines Treppenliftes im Außenbereich.

2

Mit Schreiben vom 28.November 1999 stellte die Klägerin einen Antrag auf Kostenbeteiligung für ein entsprechendes Hilfsmittel unter Beifügung einer ärztlichen Verordnung sowie eines Kostenvoranschlages. Mit Bescheid vom 06.Januar 2000 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, aufgrund des bestehenden schlechten Allgemeinzustandes und der dadurch bedingten Bettlägerigkeit sei die beantragte Maßnahme derzeit nicht als medizinisch sinnvoll anzusehen. Am 13.Januar 2000 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie machte geltend, dass sie nicht bettlägerig, sondern im Rollstuhl mobilisiert sei. Ohne den Treppenlift könne sie das Haus jedoch seit Beginn der häuslichen Pflege am 25.Oktober 1999 nicht verlassen.

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Dies sei jedoch für die regelmäßig stattfindende ambulante Physiotherapie oder Arztbesuche unbedingt notwendig. Bisher sei die Klägerin samt Rollstuhl die Haustreppe heruntergetragen worden. Dieser Zustand sei unerträglich, da die Klägerin hierdurch einem erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sei. Die Beklagte holte sodann das nach Hausbesuch erstellte MDK-Gutachten vom 07.März 2000 ein, wonach ein Umtausch des vorhandenen Therapierollstuhls gegen einen Standard-Rollstuhl anzuraten sei, da die Versicherte in Verbindung mit einem Scalamobil mit Hilfe des Ehemannes die ambulanten Termine selbständig per Fußweg aufsuchen könne. Die Behandlungsmöglichkeiten seien dadurch drastisch erweiterbar. Nachdem von Seiten der Beklagten ein Scalamobil zur Verfugung gestellt wurde, erfolgte mit Schreiben vom 04.Juli 2000 die Mitteilung durch die Klägerin, dass der Ehemann das Scalamobil nicht bedienen könne. Die Klägerin begehrte weiterhin die Versorgung mit einem Treppenlift. Die Beklagte holte daraufhin das MDK-Gutachten vom 11. September 2000 ein, wonach die krankengymnastischen Behandlungen in der Wohnung stattfänden; auch der Arzt würde Hausbesuche machen. Daher sei das Verlassen der Wohnung aus medizinischen Gründen nur noch sporadisch erforderlich. Am 18 Oktober 2000 erging der Ablehnungsbescheid, gegen den die Klägerin am 06.November 2000 Widerspruch erhob. Sie wies darauf hin, dass sie bei folgenden Gelegenheiten das Haus verlassen müsse: ambulante Physiotherapie, ambulante Ergotherapie, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte.

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Bereits vor Erlass des Widerspruchsbescheides vom 23.Februar 2001 verfolgt die Klägerin ihr Ziel mit der am 8.Januar 2001 erhobenen Klage ihr Ziel weiter und bezieht sich zur Begründung im wesentlichen auf ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren.

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Die Klägerin beantragt,

1. die Bescheide der Beklagten vom 06. Januar 2000 und 18.Oktober 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.Februar 2001 aufzuheben,

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2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung auf den im laufenden Klageverfahren am 23.Februar 2001 erlassenen Widerspruchsbescheid und ist der Ansicht, dass die häusliche Pflege durch die Treppenliftanlage weder ermöglicht noch erheblich erleichtert noch eine möglichst selbständige Lebensführung wiederhergestellt werde So sei das Verlassen der Wohnung aus medizinischen Gründen nur vereinzelt erforderlich; Spazierfahrten seien keine Verrichtung im Sinne des Elften Buches des Sozialgesetzbuches, Pflegeversicherung (SGB XI) Im übrigen sei keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin eingetreten, so dass der Anspruch aufgrund des bereits bewilligten Zuschusses für den Badezimmerumbau bereits verbraucht sei.

9

Nachdem die Klägerin im Verfahrensverlauf erneut einen Schlaganfall erlitten hat, hat die Beklagte den Arztbrief des Prof. Dr.H vom 23. Januar 2002 eingereicht, wonach sich zur Sicherstellung der weiteren Versorgung im häuslichen Umfeld als Alternative zum Scalamobil die Installation eines Treppenliftes anbiete. Das Gericht hat anschließend Beweis erhoben durch Einholung von ,- Stellungnahmen der behandelnden Ergotherapeutin Eickmeyer-Koch vom 18.Juni 2002, des Ehemannes der Klägerin vom 19.Juni 2002, des Hausarztes Dr.K vom 9.August 2002 sowie der Krankengymnastin Frau N vom 16.August2002.

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Außer den Gerichtsakten haben die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Der Außentreppenlift ist für die Klägerin eine zuschussfähige Maßnahme zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes, die Beklagte hat im Wege der Neubescheidung noch -unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens - über die Gewährung eines Zuschusses der Höhe nach zu entscheiden.

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Gem. §- 40 Abs.4 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch, Pflegeversicherung (SGB XI) können die Pflegekassen subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt, wenn dadurch im Einzelfall die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird. Die Höhe der Zuschüsse ist unter Berücksichtigung der Kosten der Maßnahme sowie eines angemessenen Eigenanteiles in Abhängigkeit von dem Einkommen des Pflegebedürftigen zu bemessen. Die Zuschüsse dürfen einen Betrag in Höhe von 2557 Euro je Maßnahme nicht übersteigen.

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Ein vorrangiger Anspruch zu Lasten anderer Leistungsträger kommt nicht in Betracht. Hinsichtlich der Krankenversicherung hat das Bundessozialgericht (Urteil vom 6.August 1998, B 3 KR 14/97 R = SozR 3-2500 § 33, Nr.30) entschieden, dass technische Hilfen, die fest mit einem Gebäude verbunden sind oder sonst der Anpassung des individuellen Umfeldes an die Bedürfnisse des Behinderten dienen, keine Hilfsmittel nach § 33 Abs.1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, Krankenversicherung (SGB V) sind. Der Außentreppenlift kommt aber auch als Hilfsmittel der Pflegeversicherung nicht in Betracht. Zu den technischen

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Hilfsmitteln nach § 40 Abs.3 SGB XI zählen aber jedenfalls nicht die Umbaumaßnahmen in der Wohnung oder der dauerhafte Einbau von Geräten, die ein weitgehend selbständiges Wohnen des Behinderten ermöglichen sollen; wie im Bereich der Krankenversicherung ist die Abgrenzung grundsätzlich nach beweglichen und fest einzubauenden Gegenständen zu treffen (vgl. BSG, Entscheidung vom 28.Juni 2001, B 3 P 3/00 R = SozR 3-3300 § 40 Nr.6) Im Hinblick auf die feste Verbindung von Gebäude und Außentreppenlift scheidet eine Einordnung als Hilfsmittel aus.

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Der Außentreppenlift ist geeignet, eine wesentliche Besserung des Wohnumfeldes' der Klägerin zu bewirken. Dabei zählt auch der Eingangsbereich des Hauses zum individuellen Wohnumfeld Durch den Treppenlift wird die möglichst selbständige Lebensführung der Klägerin in einem wesentlichen Punkt wiederhergestellt (§ 40 Abs.4 Satz 1 2.Alternative SGB XI). Zur selbständigen und selbstbestimmten Lebensführung gehört es, das Haus jederzeit verlassen zu können. Zur Begründung bezieht sich die Kammer auf die schriftlichen Angaben des Ehemannes der Klägerin, wonach die Klägerin das Verlassen der Wohnung allein nur unter bestimmten Voraussetzungen wie der Versorgung mit einem elektrischen Rollstuhl bewerkstelligen kann. Mittels des Außentreppenliftes ist die Klägerin jedoch mit Hilfe ihres ständig anwesenden Ehemannes, das; Haus jederzeit zu allen möglichen Anlässen zu verlassen Sie ist nicht mehr darauf angewiesen, dass nur sporadisch zur Verfügung stehende Hilfspersonen wie Sohn und Tochter der Klägerin, ein Nachbar oder ein Zivildienstleistender anwesend sind und das Scalamobil bedienen können. Soweit die Beklagte einwendet, ein Verlassen der Wohnung aus medizinischen Gründen sei nur sporadisch erforderlich, kann diesem Einwand nicht gefolgt werden. So hat die Ergotherapeuten E angegeben, dass ein Außentreppenlift notwendig sei, da vorgesehen sei, die Klägerin zusätzlich zu den Hausbesuchen an in der Praxis festinstallierten Geräten zu behandeln. Die Krankengymnastin N hat mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht aufgrund der in der Praxis zur Verfügung stehenden Geräte und Therapiebänke die Therapie in der Praxis effektiver als häusliche Behandlungen sei. Da diese therapeutischen Behandlungen derzeit intensiv jeweils zwei Mal wöchentlich stattfinden, ist von einem häufigen Verlassen der Wohnung aus medizinischen Gründen auszugehen. Zudem ist auch ein Verlassen der Wohnung zum Zwecke des Spazierganges berücksichtigungsfähig, denn nach der Rechtssprechung des BSG (Entscheidung vom 28.Juni 2001, B 3 P 3/00 R = SozR 3-3300 § 40 Nr.6) kommt es auf eine Verrichtungsbezogenheit der entsprechenden Pflegetätigkeiten bei § 40 Abs.4 Satz 1 2.Alt. SGB XI nicht an. Der begehrte Zuschuss für den Einbau des Außentreppenliftes und der bereits am 29.März 2000 bewilligte Zuschuss für den Badezimmerumbau sind rechtlich als Durchführung von zwei "Maßnahmen" iS des § 40 Abs.4 Satz 1 und 3 SGB XI anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BSG (Entscheidung vom 3.November 1999, B 3 P 6/99 R = SozR 3- 3300 § 40 Nr.2) ergibt sich aus dem Wortlaut des § 40 Abs.4 Satz 1 und 3 SGB XI und den der Bestimmung zugrundeliegenden Vorstellungen des Gesetzgebers, dass nach Sinn und Zweck der Regelung alle in einem bestimmten Zeitpunkt (der zB der Zeitpunkt der Beantragung des Zuschusses sein kann) aufgrund des objektiven Pflegebedarfes notwendigen und vom Grundsatz her bezuschussungsfähigen Einzelmaßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen in ihrer Gesamtheit rechtlich "eine Maßnahme" iS des § 40 Abs.4 Satz 3 SGB XI darstellen. Die Gewährung eines zweiten Zuschusses kommt danach erst in Betracht, wenn sich die Pflegesituation objektiv ändert (zum Beispiel Hinzutreten einer weiteren Behinderung oder altersbedingte Ausweitung des Pflegebedarfes eines Behinderten) und dadurch erst im Laufe der Zeit Schritte zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes erforderlich werden, die bei der Durchführung der ersten Umbaumaßnahme (bzw der Beantragung des ersten Zuschusses) noch nicht notwendig waren. Vorliegend ist aufgrund des weiteren Schlaganfalles der Klägerin im Januar 2002 eine Veränderung der gesundheitlichen Situation eingetreten. Nach den Angaben des Prof. Dr.H in dem Arztbrief vom 23.Januar 2002 ist es dadurch zu einer eindeutigen Verschlimmerung der vorbestehenden Halbseitenlähmung links gekommen; es entwickelt sich eine massive spastische Tonuserhöhung mit Flektionsstellung des linken Beines. Hierdurch ist nach Angaben dieses Arztes eine Mobilisation in einen normalen Rollstuhl nicht mehr vorstellbar. Der Ehemann sei ferner nicht in der Lage, ein Scalamobil ausreichend sicher zu bedienen. Um eine Versorgung im häuslichen Umfeld sicherzustellen, biete sich als Alternative die Installation eines Treppenlifters an. Die Kammer ist der Auffassung, dass es sich der Hilfebedarf der Klägerin nach dem weiteren Schlaganfall im Januar 2002 objektiv geändert hat und jedenfalls ab diesem Zeitpunkt der Einbau eines Außentreppenliftes notwendig geworden ist.

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Nach § 40 Abs.4 Satz 1, 2 SGB XI steht die Höhe des Zuschusses im Ermessen der Beklagten.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.