Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 24.10.2002, Az.: S 4 KR 728/02 ER
Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ; Unterbringung in einer Tagesstätte
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 24.10.2002
- Aktenzeichen
- S 4 KR 728/02 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28446
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2002:1024.S4KR728.02ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 93 BSHG
- § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG
- § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG
- § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX
Fundstelle
- br 2003, 231-232 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat das Sozialgericht Hannover - 4. Kammer -
am 24. Oktober 2002
durch
die Vorsitzende, ...
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Erstattung von Kosten, die anlässlich der Unterbringung des Antragsstellers in einer Tagesstätte anfallen.
Der 1953 geborene Antragsteller ist versicherungspflichtiges Mitglied bei der Beklagten. Er leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, die sich u.a. durch Halluzinationen äußert. Aufgrund der Erkrankung ist für den Antragssteller seit September 2001 eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung sowie Gesundheitssorge eingerichtet. Nach einem im Januar 2002 durchgeführten Suizidversuch befand sich der Antragssteller in stationärer Behandlung des Niedersächsischen Landeskrankenhauses in Wunstorf. Um nach der Entlassung aus der stationären Behandlung einen unmittelbaren Übergang in die Tagesstätte für psychisch Behinderte der Lebenshilfe Nienburg sicherzustellen, beantragte der Betreuer des Antragstellers im Mai 2002 bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse Niedersachsen-Bremen die Kostenübernahme für die Unterbringung in dieser Tagesstätte. Hierbei handelt es sich ausweislich der Leistungsvereinbarung über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen gem. § 93 BSHG, die zwischen der Tagesstätte sowie dem Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben geschlossen wurde, um eine Einrichtung i. S. von § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG; sie erbringt Leistungen der sozialen Eingliederung nach § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX. Das dort tätige Personal besteht aus Sozialarbeitern, Sozialpädagogen, Heilerziehungspflegern u.ä.
Die Landwirtschaftliche Alterskasse Niedersachsen-Bremen erkannte ihre Leistungsverpflichtung nicht an und leitete die Antragsunterlagen an die Landwirtschaftliche Krankenkasse Niedersachsen-Bremen weiter. Diese lehnte ihrerseits eine Kostenübernahme mit Bescheid vom Juni 2002 ab und leitete den Antrag am gleichen Tag an den beigeladenen Sozialhilfeträger weiter.
Hiergegen erhob der Antragssteller Widerspruch, den er damit begründete, dass die Weiterleitung des Antrages von der Landwirtschaftlichen Alterskasse an die Antragsgegnerin gemäß § 14 Abs. 2 S. 3 SGB IX die Zuständigkeit der Antragsgegnerin qua Gesetz begründet habe. Diese sei nunmehr in der Leistungspflicht, eine weitere Verweisung an einen anderen Leistungsträger sei nicht möglich.
Um im Interesse des Antragsstellers den nahtlosen Übergang vom Krankenhaus in die Tagesstätte sicherzustellen, half die Antragsgegnerin dem Widerspruch ohne Rücksicht auf die Zuständigkeit insoweit ab, als dass sie zunächst für einen Monat die Kostenübernahme der Unterbringung zusicherte. Gleichzeitig wurde gegenüber dem Beigeladenen der Erstattungsanspruch angemeldet. Mit Schreiben vom 17.06.2002 erklärte der Beigeladene seine grundsätzliche Zuständigkeit für die Kostenentscheidung anlässlich der Unterbringung in der Tagesstätte, lehnte jedoch die Kosten Übernahme unter Hinweis auf die Vermögensverhältnisse des Antragsstellers ab; erst nach Prüfung eines Sozialhilfegrundantrages sowie weiterer Belege könne eine endgültige Entscheidung darüber getroffen werden, ob die Kosten zu übernehmen seien.
Soweit dem Widerspruch durch die vorläufige Kostenübernahme für einen Monat seitens der Antragsgegnerin nicht abgeholfen wurde, wurde der Widerspruch mit Schreiben des Antragsstellers vom Juli 2002 aufrechterhalten. Dieser war der Auffassung, die Antragsgegnerin müsse aufgrund ihrer durch § 14 SGB IX begründeten Zuständigkeit solange vorläufig für die andauernden Kosten der Unterbringung aufkommen, bis eine endgültige Klärung mit dem an sich zuständigen Leistungsträger herbeigeführt worden sei. Dem Betreuer sei es nicht möglich, an den Beigeladenen die von diesem angeforderten Belege über die Vermögenslage des Antragsstellers zu übermitteln, weil sich die Betreuung nicht auf die Vermögenssorge erstrecke. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03.09.2002 zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 29.09.2002 Klage und beantragte gleichzeitig im Wege des Einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Antragsgegnerin zur vorläufigen Zahlung der laufenden Kosten der Unterbringung in der Tagesstätte bis zur endgültigen Klärung mit dem an sich zuständigen Leistungserbringer zu verpflichten.
Gründe
II.
1.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist unbegründet, denn es besteht kein Anordnungsanspruch des Antragsstellers gegenüber der Antragsgegnerin auf vorläufige Zahlung der Unterbringungskosten der Tagesstätte, weil aufgrund summarischer Prüfung eine Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren nicht feststellbar ist.
a)
Zunächst stehen dem Anspruch formelle Gesichtspunkte entgegen, denn die Antragsgegnerin ist nicht die zuständige Behörde, die für die Unterbringungskosten des Antragsstellers aufkommen muss.
Der Antragssteller ist in einer Tagesstätte untergebracht, die eine teilstationäre Einrichtung i.S. von § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG darstellt. Diese erbringt für die Teilnehmer Leistungen der sozialen Eingliederung nach § 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i.V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX, also Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Für diese Leistung ist gemäss § 5 Nr. 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX der Träger der Sozialhilfe der zuständige Rehabilitationsträger. Die gesetzlichen Krankenkassen sind für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zuständig, § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr. 1 u. Nr. 3 SGB IX, die im vorliegenden Fall jedoch vom Antragssteller nicht in Anspruch genommen werden.
Die Zuständigkeit der Antragsgegnerin lässt sich entgegen der Auffassung des Antragsstellers auch nicht gemäss § 14 Abs. 2 S. 3 SGB IX dadurch begründen, dass die Antragsgegnerin der zweitangegangene Rehabilitationsträger ist.
Ziel des § 14 SGB IX ist es zwar, durch ein auf Beschleunigung gerichtetes Zuständigkeitsklärungsverfahren die möglichst schnelle Leistungserbringung zu sichern und zu verhindern, dass Zuständigkeitsstreitigkeiten der Leistungsträger oder Rehabilitationsträger untereinander auf dem Rücken des Sozialleistungsberechtigten ausgetragen werden. Diese Regelung kann jedoch nicht dazu führen, dass ein Leistungsträger, der unter keinen Gesichtspunkten für die Leistung zuständig ist, für diese Leistung aufkommen muss. § 14 SGB IX stellt eine vorläufige Zuständigkeitsverteilung unter solchen Leistungserbringern her, bei denen aufgrund gesetzlicher Regelung zumindest die Möglichkeit der letztendlichen Zuständigkeit begründet sein kann, so z.B. bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation u.a. zwischen Krankenkasse, Träger der gesetzlichen Unfall- oder Rentenversicherung (§ 5 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 SGB IX). Hingegen ist es nicht Zweck des § 14 SGB IX eine weitere, bisher nicht vom Gesetz vorgesehene Zuständigkeit eines Leistungsträgers zu begründen.
Für diese Sichtweise spricht § 14 Abs. 6 SGB IX: Nach dieser Vorschrift ist es dem leistenden Rehabilitationsträger, der weitere Leistungen zur Teilhabe zwar für erforderlich hält, für diese Leistungen jedoch nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann gewährt, Absatz 1 Satz 2 entsprechend anzuwenden, d.h., er kann den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zuleiten. An dieser Regelung wird deutlich, dass § 14 SGB IX lediglich an bestehende Zuständigkeitsregelungen anknüpft, nicht jedoch eine eigene originäre Zuständigkeit qua Gesetz begründet: Sofern eine Zuständigkeit nach § 6 Abs. 1 SGB IX nicht besteht, darf der betreffende Rehabilitationsträger den Antrag weiterleiten (vgl. Benz, SGb 11/2001, S. 611 ff.).
Darüber hinaus ist zu beachten, dass zwischen den im vorliegenden Rechtsstreit beteiligten Leistungsträgern kein Zuständigkeitsstreit besteht, denn der Beigeladene hat wiederholt ausdrücklich seine Zuständigkeit anerkannt. Der Grund, weshalb dieser bisher keine Leistungen erbracht hat, liegt ausschließlich im materiellen Recht des Bundessozialhilfegesetzes, denn der Antragssteller hat bisher nicht seine Vermögensverhältnisse gegenüber dem Beigeladenen offengelegt. § 14 SGB IX, der eine reine Zuständigkeitsregelung darstellt, kann nicht dazu führen, dass unter Umgehung der materiellen Rechtslage ein unzuständiger Leistungsträger zur Leistung verpflichtet wird, wenn der an sich zuständige Leistungserbringer die Leistung aufgrund der materiellen Rechtslage ablehnt.
b)
Darüber hinaus stehen dem Anspruch auch materielle Rechtserwägungen entgegen, denn dem Antragssteller steht für seinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin keine Anspruchsgrundlage zur Seite. § 78.2 SGB IX stellt ausdrücklich fest, dass die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten. Das für die Antragsgegnerin geltende Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) enthält jedoch keine Anspruchsgrundlage für Leistungen der sozialen Eingliederung.
2.
Schließlich steht dem Antragssteller auch kein Anordnungsgrund zur Seite, denn es droht ihm nicht unmittelbar die Entlassung aus der Tagesstätte, wenn die Frage der Kostenerstattung nicht unverzüglich geklärt wird. Seitens der Tagesstätte wurde gegenüber dem Betreuer lediglich geäußert, man halte die bisher ungeklärte Kostenfrage für problematisch und werde zu einem - nicht konkretisierten - Zeitpunkt an den Antragssteller selbst zur Kostenerstattung herantreten. Ob und wann dies geschieht ist ebenso wie die Schlussfolgerung des Betreuers, dass der Antragssteller in diesem Fall die Tagesstätte sofort verlassen werde - lediglich Spekulation, die vor dem Hintergrund der geringen Erfolgsaussicht der Hauptsache nicht zu der Begründetheit des Einstweiligen Rechtsschutzverfahrens führen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.