Sozialgericht Hannover
Urt. v. 08.10.2002, Az.: S 44 KR 36/01

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
08.10.2002
Aktenzeichen
S 44 KR 36/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35656
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2002:1008.S44KR36.01.0A

In dem Rechtsstreit

der Frau ...

Klägerin,

Prozessbevollmächtigte(r):

Sozialverband VdK Niedersachsen - Bremen e. V.,

gegen

Krankenkasse, vertr. d. d. Vorstand,

Beklagte,

hat das Sozialgericht Hannover - 44. Kammer - auf die mündliche Verhandlung

vom 8. Oktober 2002 durch die Richterin Karger und die ehrenamtlichen Richter Chuchra

und Prüße für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine ambulante Kur.

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Die im Jahre 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 06. Juli 2000 beantragte sie die Durchführung einer ambulanten Vorsorgeleistung in einem anerkannten Kurort. Der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. F gab als antragsrelevante Diagnosen Zustand nach Poliomyelitis sowie nach Fuß- und Knieoperation und degenerative Veränderungen der Wirbelsäule an. Der Kurantrag enthält den Zusatz, dass nach einer Carcinom-Operation die weitere Durchführung von Krankengymnastik nicht mehr möglich gewesen sei und dass diese nur unter begleitender Anwendung von Lymphdrainage wieder aufgenommen werden könne. Die Klägerin hatte zuletzt vom 16. Februar bis zum 15. März 1999 an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen, die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte getragen worden war.

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Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein, der sich in seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2000 gegen die Bewilligung des Antrags der Klägerin aussprach, weil die vertragsmedizinischen Maßnahmen am Wohnort in Form von Krankengymnastik und Lymphdrainage noch nicht ausgeschöpft seien. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 31. Juli 2000 ab. Dabei führte sie unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK aus, dass die Voraussetzungen für eine ambulante Vorsorgeleistung nach § 23 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V nicht gegeben seien.

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Mit Schreiben vom 08. August 2000 legte die Klägerin Widerspruch ein, zu dessen

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Begründung sie im wesentlichen ausführte, dass eine Thermalbadbehandlung am Wohnort nicht möglich sei. In der Zeit vom 05. bis zum 26. August 2000 nahm sie auf eigene Kosten ambulante Behandlungsmaßnahmen in Form von Rückenmassagen, Elektrotherapie, Lymphdrainage und Krankengymnastik im Kurort Bad F in Anspruch. Nach dem Bericht der Badeärztin Dr. M vom 26. August 2000 wurden daneben Bewegungsbäder in der Schwefel-Kochsalztherme und Trockengymnastik durchgeführt. Die dabei entstandenen Kosten in Höhe von 389,75 DM (199,28 €) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten geltend.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2000 wies die Beklagte den Widerspruch

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der Klägerin als unbegründet zurück. Da die Behandlungsmöglichkeiten am Wohnort nicht ausgeschöpft gewesen seien, seien weder die Voraussetzungen einer Vorsorgeleistung nach § 23 Abs. 2 SGB V noch die einer Rehabilitationsmaßnahme nach § 40 Abs. 1 SGB V erfüllt, für die zudem die Wartefrist von vier Jahren seit der letzten Kur nicht eingehalten sei.

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Die Klägerin hat am 04. Januar 2001 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass es zur Erhaltung ihrer ohnehin stark eingeschränkten Mobilität erforderlich sei, jährlich einmal eine Intensivbehandlung zur Kräftigung der Muskulatur und zur Förderung der Beweglichkeit durchzuführen, die in Verbindung mit Bewegungsbädern in Thermalwasser am wirkungsvollsten sei. Wohnortnah sei eine solche Behandlung nur in Salzhemmendorf möglich. Angesichts ihrer Mobilitätseinschränkungen sei die dort ansässige Einrichtung für sie jedoch nur unter

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unzumutbar großem Aufwand zu erreichen. Sie legt ein Attest vom 23. Oktober 2000 vor, in dem Dr. F Einschränkungen der Beweglichkeit und einen Erschöpfungszustand verbunden mit einer Depression beschreibt.

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Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2000 in der Gestalt des; Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2000 aufzuheben,

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2. die Beklagte zu verurteilen, ihr die während der ambulanten Kur in Bad F vom 05. bis zum 26. August 2000 für therapeutische Maßnahmen entstandenen Kosten in Höhe von 199,28 € zu erstatten.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung nimmt sie auf ihren Widerspruchsbescheid Bezug und benennt zwei

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medizinische Badebetriebe in Hannover, die geeignet gewesen seien, die Behandlung der Klägerin vor Ort zu übernehmen.

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Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht einen Befundbericht von

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Dr. F vom 18. April 2001 eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4

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Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Rahmen einer ambulanten Kur in der Zeit vom 05. bis zum 26. August 2000 für die Inanspruchnahme therapeutischer Maßnahmen entstandenen Kosten in Höhe von 199,28 €.

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Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruches gem. § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die ihm dadurch entstanden sind, dass seine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und sich der Versicherte die Leistung deshalb selbst beschafft hat. Der in diesen Fällen gegebene Kostenerstattungsanspruch tritt gem. § 13 Abs. 1 SGB V an die Stelle des an sich begründeten Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung und kann deshalb nur bestehen, soweit die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind (vgl. Bundessozialgericht - BSG - Urteil v. 16.09.1997, BSGE 81, 54, 55 f.). Im Zeitpunkt der Inanspruchnahme therapeutischer Maßnahmen im Rahmen des Kuraufenthalts in Bad F hatte die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf die Gewährung ambulanter Kurmaßnahmen als Sach- bzw. Dienstleistung.

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Ein Anspruch auf Gewährung ambulanter Vorsorgeleistungen in einem anerkannten Kurort gem. § 23 Abs. 2 SGB V war schon deshalb nicht begründet, weil es sich bei den von der Klägerin in Anspruch genommenen Leistungen nicht um medizinische Vorsorgeleistungen handelt. Unter medizinischen Vorsorgeleistungen sind nach § 23 Abs. 1 SGB V Maßnahmen zu verstehen, deren Zweck darauf gerichtet ist, vorbeugend zu wirken, indem eine Schwächung der Gesundheit beseitigt oder eine Krankheit verhütet wird Soweit die Klägerin Rückenmassagen, Elektrotherapie, Lymphdrainage und Krankengymnastik erhalten hat, hatten diese Leistungen aber keinen vorbeugenden Charakter, sondern verfolgten den Zweck, der bei der Klägerin bereits eingetretenen Schwächung der Gesundheit entgegenzuwirken bzw. die bereits vorhandenen Krankheitsbeschwerden zu lindern. Sie dienten damit nicht der Vorsorge, sondern der Krankenbehandlung bzw. der Rehabilitation.

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Die Klägerin hatte aber auch keinen Anspruch auf die Bewilligung ambulanter Rehabilitationsleistungen. Nach

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§ 40 Abs. 1 SGB V kann die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag besteht, erbringen, sofern eine ambulante Krankenbehandlung nicht ausreicht, um insbesondere eine Behinderung zu beseitigen, zu bessern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Die von Dr. F im Attest vom 23. Oktober 2000 und im Befundbericht vom 18. April 2001 beschriebene Vielfacherkrankung der Klägerin, ihre eingeschränkte psychische Belastbarkeit und die vorhandenen Mobilitätseinschränkungen sprechen dabei für das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen es des § 40 Abs. 1 SGB V im Zeitpunkt der Durchführung der ambulanten Kur in Bad F.

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Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Klägerin bereits im Vorjahr vom 16. Februar bis zum 15. März 1999 an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme des Rentenversicherungsträgers teilgenommen hat. Nach § 40 Abs. 3 S 4 SGB V können ambulante und stationäre Rehabilitationsleistungen von den Krankenkassen nicht vor Ablauf von vier Jahren nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden sind. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn die vorzeitige Leistung aus medizinischen Gründen dringend erforderlich ist.

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Mit der vierjährigen Wartezeit nach Durchführung der letzten Rehabilitationsmaßnahme werden die Anforderungen an den Rehabilitationsbedarf des Versicherten vor Ablauf der Wartezeit erheblich verschärft. Der Versicherte muss größere Anstrengungen unternehmen, Therapiemaßnahmen im Rahmen ambulanter Krankenbehandlung in Anspruch zu nehmen, als ihm dies bei erstmaliger Beantragung einer Rehabilitationsmaßnahme zugemutet werden kann. Die vorzeitige Bewilligung von Rehabilitationsleistungen ist nur möglich, wenn andernfalls, dass heißt bei Durchführung der Kur erst nach Ablauf der Wartezeit, erhebliche gesundheitliche Schäden oder Nachteile zu befürchten wären (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand: April 2002, § 40 SGB V, Rdn. 6).

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Gegen ein in diesem Sinn zu verstehendes dringendes Bedürfnis der vorzeitigen

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Inanspruchnahme ambulanter Rehabilitationsleistungen spricht vorliegend, dass vor Durchführung der ambulanten Kur kein Versuch unternommen wurde, die aus Sicht des behandelnden Arztes Dr. F erforderlichen Therapiemaßnahmen im Rahmen ambulanter Krankenbehandlung durchzuführen. So hätte die Klägerin Krankengymnastik kombiniert mit Lymphdrainage auch vor Ort in H erhalten können. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang vorträgt, sie sei auf Bewegungsbäder in Thermalwasser angewiesen, wie sie wohnortnah nur in einer Einrichtung in Salzhemmendorf angeboten würden, ist dem entgegenzuhalten, dass nach Auskunft der Beklagten auch zwei Heilmittelerbringer in Hannover solche Bewegungsbäder anbieten. Da diese Heilmittelerbringer nach Angabe der Beklagten zugleich auch Lymphdrainage und Krankengymnastik durchführen, war es der Klägerin trotz Mobilitätseinschränkung und verminderter psychischer Belastbarkeit zumutbar, zunächst die Angebote vor Ort zumindest versuchsweise auszuschöpfen. Ohne einen solchen Versuch können Bedenken gegen die Qualität der vor Ort angebotenen Leistungen nicht durchgreifen und die strengeren medizinischen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme vor Ablauf der vierjährigen Wartezeit nicht als erfüllt angesehen werden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG in der zum Zeitpunkt der Klageerhebung geltenden Fassung.