Sozialgericht Hannover
Urt. v. 10.12.2002, Az.: S 44 KR 1314/01

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
10.12.2002
Aktenzeichen
S 44 KR 1314/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 35657
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2002:1210.S44KR1314.01.0A

In dem Rechtsstreit

...

Kläger

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte

gegen

Bundesversicherungsanstalt für Angestellte,

vertreten d. d. Geschäftsführung,

Beklagte

1.Frau A

2.Bundesanstalt für Arbeit vertr. d. d. Direktor des Arbeitsamts Hameln,

Süntelstraße 6, 31785 Hameln,

3.Deutsche Angestellten-Krankenkasse vertr. d. d. Vorstand,

Nagelsweg 27-35, 20097 Hamburg,

Beigeladene,

hat das Sozialgericht Hannover - 44 Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom

10. Dezember 2002 durch die Richterin Karger und die ehrenamtlichen Richter

Herr Seeßelberg und Herr Müller, für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. sind von der

    Klägerin zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen wegen einer an die Beigeladene zu 1) gezahlten Sonderzuwendung.

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Die Klägerin betreibt eine Firma ... .Für Bürotätigkeiten beschäftigte sie als Industriekauffrau die Beigeladene zu 1), die am 31. Dezember 1994 eine Einmalzahlung in Höhe von 100.000,- DM für die Neueinrichtung der EDV, insbesondere der EDV-gestützten Buchhaltung, erhielt. Die Zahlung erfolgte auf Grund einer am 12. Dezember 1994 zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) geschlossenen "Vereinbarung über die Zahlung einer Sonderzuwendung". Darin ist vorgesehen, dass die Beigeladene zu 1) einmalig zum 31. Dezember 1994 eine Zuwendung in Höhe von 100.000,- DM erhält, die von ihr selbst versteuert werden soll. Der Anlass der Zuwendung wird nicht genannt.

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Im Januar 1996 führte das Finanzamt St eine Lohnsteueraußenprüfung bei der Klägerin durch, in deren Anschluss mit Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 02. April 1996 unter anderem wegen der Sonderzuwendung an die Beigeladene zu 1) eine Lohnsteuernachforderung erfolgte. Im Rahmen einer Betriebsprüfung im Februar 2000 nahm die Beklagte auf die Feststellungen des Finanzamts Bezug und forderte mit Bescheid vom 17. Februar 2000 Sozialversicherungsbeiträge (Beiträge zur Kranken-, Renten- und

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Arbeitslosenversicherung) in Höhe von 17.427,92 DM nach. Dabei bewertete sie die Sonderzuwendung als dem Kalenderjahr 1994 zuzuordnendes einmalig gezahltes Arbeitsentgelt. Obwohl sich die Nachforderung auf das Jahr 1994 beziehe, seien die Beitragsansprüche noch nicht verjährt, denn die Klägerin habe auf Grund des Lohnsteuerhaftungsbescheids des Finanzamts mit der Beitragspflicht rechnen müssen und die Beiträge daher vorsätzlich vorenthalten, so dass die Verjährungsfrist dreißig Jahre betrage.

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Zur Begründung ihres gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruchs vom 15. März 2000 führte die Klägerin aus, bei der Sonderzuwendung handele es sich nicht um Arbeitsentgelt aus einer abhängigen Beschäftigung, sondern um die Vergütung einer von der Beigeladenen zu 1) neben ihrem eigentlichen Arbeitsverhältnis ausgeübten selbständigen Tätigkeit, für die von der Klägerin keine Sozialversicherungsbeiträge abzuführen seien. Die Beigeladene zu 1) sei bei der Neueinrichtung der EDV außerhalb ihrer arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit und unabhängig von Weisungen der Klägerin tätig geworden. Zumindest seien die Beitragsansprüche aber nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist von vier Jahren verjährt, da sie stets darauf vertraut habe, dass auf die Sonderzuwendung keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssten, und mithin nicht vorsätzlich gehandelt habe.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 01. Juni 2001, der Klägerin zugestellt am 12. Juni 2001, wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheides als unbegründet zurück. Ergänzend führte sie aus, die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) sei nicht selbständig ausgeübt worden, denn die Beigeladene sei in den Geschäftsräumen der Klägerin tätig geworden und habe kein unternehmerisches Risiko getragen, da sie weder eigenes Kapital noch eigene Betriebsmittel eingesetzt habe. Die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit in der Buchhaltung und die Neueinrichtung der EDV seien als einheitliches Beschäftigungsverhältnis anzusehen.

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Die Klägerin hat am 12. Juli 2001 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.

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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2000 in der Gestalt des

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Widerspruchsbescheides vom 01. Juni 2001 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

11

Sie nimmt auf die angefochtenen Bescheide Bezug, die ihrer Auffassung nach zu Recht ergangen sind.

12

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als Anfechtungsklage gern § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn bei der an die Beigeladene zu 1) gezahlten Sonderzuwendung handelt es sich um beitragspflichtiges Arbeitsentgelt aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis und der Beitragsanspruch der Beklagten ist noch nicht verjährt.

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Zum Arbeitsentgelt zählen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung. Der aus einer selbständigen Tätigkeit erzielte Gewinn wird demgegenüber gem. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IV als Arbeitseinkommen bezeichnet Beschäftigung i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV die nichtselbständige Beschäftigung, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

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Wesentliches Merkmal einer nichtselbständigen Tätigkeit ist die persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber. Diese ist gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die Weisungsgebundenheit kann bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt sein, darf aber nicht vollständig fehlen. Selbständig tätig ist im Gegensatz dazu, wer über die eigene Arbeitskraft bzw. über Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen kann, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestaltet und ein eigenes Unternehmerrisiko trägt. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgeblich ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, Urteil v. 09.12.1981 - 12 RK 4/81 - SozR 2400

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§ 2 Nr. 19; Urteil v. 17.05.2001 - B 12 KR 34/00 R - SozR 3-2400 § 7 Nr. 17).

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In Anwendung dieser Kriterien ergibt sich für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) bei der Neueinrichtung der EDV, dass diese nicht selbständig ausgeübt wurde, sondern Teil des zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) bestehenden abhängigen Beschäftigungsverhältnisses war. Dafür spricht zunächst, dass die Beigeladene die Neueinrichtung der EDV in den Geschäftsräumen der Klägerin vorgenommen hat und ihr die erforderlichen Arbeitsmittel, wie insbesondere die Software, von der Klägerin zur Verfügung

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gestellt wurden. Die Beigeladene zu 1), die kein Gewerbe angemeldet hatte und ähnliche Tätigkeiten bisher nicht am Markt für Dritte angeboten hat, trug damit kein eigenes Unternehmerrisiko.

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Zudem bestand ein enger Zusammenhang zwischen der im Rahmen des bereits zuvor begründeten Beschäftigungsverhältnisses geschuldeten Tätigkeit zu den Aufgaben bei der Neueinrichtung der EDV. Auch wenn die Beigeladene zu 1) im Jahre 1994 noch nicht in der Buchhaltung der Klägerin tätig war, so war sie jedenfalls mit allgemeinen Büroarbeiten betraut und auf diese Weise bereits mit der Büroorganisation und den internen Geschäftsabläufen der Klägerin vertraut. Bei der Neueinrichtung der EDV bestanden dieselben organisatorischen Bedingungen wie im Rahmen der sonstigen Bürotätigkeit und mithin auch eine Eingliederung in den Betrieb.

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Die Bezeichnung der geleisteten Zahlung in Höhe von 100.000,- DM als Sonderzuwendung spricht im Übrigen dafür, dass auch die Klägerin und die Beigeladene zu 1) eine Verbindung zwischen den Aufgaben bei der Neueinrichtung der EDV und den sonstigen Bürotätigkeiten der Beigeladenen zu 1) gesehen haben, denn der Bezeichnung nach sollte die Zuwendung als Sonderzahlung wie eine pauschale Überstundenvergütung über die sonst von der Klägerin geschuldete Vergütung hinausgehen.

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Schließlich ist die geschuldete Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) in der Vereinbarung über die Zahlung einer Sonderzuwendung ihrem Inhalt nicht näher beschrieben, was bei der Beauftragung eines Selbständigen, zumindest mit einer Kurzbezeichnung des Auftragsgegenstands, typischerweise zu erwarten wäre.

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Gegenüber diesen Gesichtspunkten verlieren die für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit sprechenden Gesichtspunkte, wie der Umstand, dass die Beigeladene zu 1) die Sonderzuwendung selbst versteuern sollte und in der Einteilung ihrer Arbeitszeit frei war, an Bedeutung. Ihnen kann im Rahmen einer Gesamtbewertung unter Abwägung aller einschlägigen Gesichtspunkte kein maßgebliches Gewicht zukommen.

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Der damit für die Sonderzuwendung begründete Anspruch auf Zahlung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung konnte von der Beklagten auch noch mit dem am 17. Februar 2000 erlassenen Beitragsbescheid geltend gemacht werden, denn er war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt. Für den Anspruch der Beklagten auf Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge gilt die dreißigjährige Verjährungsfrist, da die Klägerin die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat

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Gem. § 25 Abs. 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind.

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Für das Eingreifen der dreißigjährigen Verjährungsfrist ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, ausreichend, dass der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Vorsatz liegt insbesondere nahe, wenn zwischen steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Behandlung einer an den Arbeitnehmer geleisteten Zahlung eine bekannte oder ohne weiteres erkennbare Übereinstimmung besteht. Der Annahme von Vorsatz kann in diesem Fall allenfalls entgegenstehen, dass es sich um einen kleinen Betrieb handelt, bei dem der Arbeitgeber die Beitragsberechnung ohne Fachpersonal selbst vornimmt (vgl. BSG, Urteil v. 30.03.2000 - B 12 KR 14/99 R - SozR 3-2400 § 25 Nr. 7).

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Bei der an die Beigeladene zu 1) gezahlten Sonderzuwendung handelt es sich um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, das steuerrechtlich und beitragsrechtlich gleich behandelt wird. Spätestens mit Erlass des Lohnsteuerhaftungsbescheids im April 1996 war der Klägerin bekannt, dass jedenfalls das Finanzamt die Sonderzuwendung als Arbeitsentgelt und nicht als Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit einstufte. Auch wenn die Klägerin, die nach Angaben der Beigeladenen zu 1) bereits im Jahre 1994 etwa 17 bis 18 Beschäftigte hatte und über Bürofachpersonal verfügte, den Lohnsteuerhaftungsbescheid zunächst angefochten hat, ist davon auszugehen, dass sie jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Der damit noch vor Ablauf der kurzen Verjährungsfrist von vier Jahren bis Ende 1998 eingetretene bedingte Vorsatz führt dazu, dass der Beitragsanspruch der Beklagten erst nach Ablauf von dreißig Jahren verjährt (vgl. BSG, Urteil v. 30 03.2000, a. a. O.).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG m der bei Klageerheburig geltenden Fassung Da die Beigeladene zu 1) selbst keinen Antrag gestellt hat und lediglich mittelbar am Verfahren beteiligt war, erscheint es angemessen, ihre außergerichtlichen Kosten der unterlegenen Klägerin aufzuerlegen.