Landgericht Braunschweig
Urt. v. 18.01.2005, Az.: 6 O 1373/03
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 18.01.2005
- Aktenzeichen
- 6 O 1373/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 41965
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGBRAUN:2005:0118.6O1373.03.0A
In dem Rechtsstreit
der ..., Klägerin
Prozessbevollmächtigte: ...
gegen
die ..., Beklagte
Prozessbevollmächtigte: ...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 16.11.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht ..., den Richter am Landgericht ... und die Richterin am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, das Betreiben einer Mobilfunksendeanlage zu unterlassen.
Die Klägerin wohnt in ... Auf dem Dach des Hauses ... betreibt die Beklagte eine Mobilfunksendeanlage, welche die derzeit gültigen Personenschutzgrenzwerte einhält. Dies ergibt sich aus einer Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde - Außenstelle Braunschweig - vom 16.10.2001 für deren Einzelheiten auf die Anlage A1 Bezug genommen wird.
Die Klägerin behauptet, dass sie und ihre Familienangehörigen wegen der Strahlung dieser Anlage mit gesundheitlichen Langzeitschäden zu rechnen hätten, darunter:
Entgleisungen der Biorhythmik in den Stammhirnregionen
aktiver Eingriff in das Unterbewusstsein
Entgleisungen des Informationssystems
Reduktion der Immunreaktion von Zellen um 90 %
Steigerung der Krebsgefährdung verminderte Melatoninproduktion
Schwächung der körpereigenen Abwehr gegen Bakterien, Pilze, Viren und Krebszellen
Kopfschmerzen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Potenzprobleme, Herzrhythmusstörungen, Schwindelattacken, Reizbarkeit, reduzierte geistige Leistungsfähigkeit, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisverlust, Haarausfall, Appetitlosigkeit, Melancholie, Halluzinationen, Psychosen, Abfall der Lymphozyten, grauer Star, Sterilität, Fehlgeburten, generelle frühere Kindersterblichkeit
gehäufte Gehirntumorbildung
gehäufte Infektanfälligkeit des Hals- und Rachenraums, der Luftwege, sowie der harnableitenden Organe.
Die Klägerin behauptet, dass die Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) millionenfach überhöht seien. Sie berücksichtige nur die thermische Wirkung der von der Mobilfunksendeanlage ausgehenden Strahlung, nicht aber die weitaus gefährlichere athermische Wirkung. Sie meint, dass die gesundheitsschädigenden Auswirkungen der athermischen Strahlung erwiesen sei. Der Gesetz- und Verordnungsgeber erfülle deshalb mit der 26. BImSchV hinsichtlich dieser Strahlung, (gepulste elektromagnetische Felder) nicht das ihm obliegende Vorsorgeprinzip zum Schutz der Bevölkerung. Die BImSchV sei deshalb verfassungswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bestehe eine Pflicht der staatlichen Organe, für die grundrechtlich geschützte Gesundheit eine Risikovorsorge zu betreiben. Zwar sei es richtig, dass die Festlegung von Vorsorgegrenzwerten ins Feld der Politik gehöre. Wenn diese versage, müssten die Gerichte die Grundrechte wahren und durchsetzen.
Die Klägerin stützt sich für ihre Auffassung von der Gefährlichkeit athermischer Strahlung auf Material aus Presse, Rundfunk und Wissenschaft, für das im Einzelnen auf die Anlagen 2 bis 42 Bezug genommen wird. Von besonderer Bedeutung hält sie die Forschungsergebnisse des Professors ... von der Universität ... vom 24.03.2003, welcher der Presse als erstes Ergebnis seiner Untersuchungen mitgeteilt habe, dass es unter dem Einfluss von Magnet- oder Hochfrequenzfeldern, wie sie auch im Mobilfunk betrieben würden, zu Schäden an der DNA komme, er aber derzeit noch nicht schlussfolgern wolle, ob bei Menschen und Tieren dadurch wirklich Krebs entstehe, weil die Reparaturkräfte des Körpers diese Schäden offenbar beheben könnten. Trotz der Reparatur des Körpers sei aber nicht auszuschließen, dass an einzelnen Zellen eine Restschädigung zurück bleibe, auch wenn die Zelle zunächst normal funktioniere.
In der von der Europäischen Union in Auftrag gegebenen sogenannten "Reflex-Studie", die von Professor ... geleitet werde, sei ebenfalls herausgefunden worden, dass die Strahlung von Sendeanlagen Genschäden in Form von DNA-Brüchen, Mutationen und Chromosomenaberrationen an Menschen verursache. Die Untersuchungen seien im Doppel-Blind-Verfahren nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen durchgeführt worden und hätten von anderen Wissenschaftlern reproduziert werden können, so dass sie als wissenschaftlich anerkannt, bewiesen und gesichert gelten müssten. Ob durch die Schäden an der DNA bei allen betroffenen Menschen tatsächlich Krebs entstehe, könne die Reflex-Studie mit letzter Sicherheit noch nicht schlussfolgern, weil die Reparaturkräfte des Körpers diese Schäden offenbar beheben könnten. Die beabsichtigte Veröffentlichung der Studie sei von der EU-Kommission verboten worden.
Die Klägerin bezieht sich ferner auf die Ergebnisse der sogenannten "Naila-Studie", nach der sich für die Bevölkerung innerhalb eines Umkreises von 400 m um die untersuchte Sendeanlage herum das Risiko, an einem Krebsleiden neu zu erkranken, gegenüber dem außerhalb liegenden Wohnbereich in den Jahren 1999 bis 2004 verdreifacht habe.
Die Klägerin ist ferner der Auffassung, dass die Beklagte aufgrund der vorgelegten neuesten Forschungsergebnisse die Beweislast dafür trage, dass die von Mobilfunksendeanlagen ausgehende Strahlung in Bezug auf eine Gesundheitsgefährdung unwesentlich sei.
Sie beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Betrieb der von ihr auf dem Dach des Hauses ... installierten Mobilfunksendeanlage zu unterlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung dass die Grenzwerte der 26. BImSchV die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten in verfassungskonformer Weise umsetze. Sie lägen 50 Mal unter den Werten, bei denen biologische Wirkungen aufgrund von Erwärmung (thermische Wirkungen) nachweisbar seien. Dadurch sei auch der Schutz von Schwangeren, Kindern und Alten gewährleistet. In der Verordnung seien auch die sogenannten athermischen Wirkungen berücksichtigt. Bei der Festsetzung der Grenzwerte habe man alle nationalen und internationalen Erkenntnisse berücksichtigt. Seitdem habe sich der Erkenntnisstand nicht verändert. Die von der Klägerin vorgelegten Gutachten erbrächten keinen Nachweis für eine akute Gesundheitsgefahr, sondern gingen über Hinweise auf die Möglichkeit einer Gefahr nicht hinaus. Es bestehe kein Erfordernis zur Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Beklagte sieht sich in Übereinstimmung mit der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Argumentation der Parteien wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Unterlassung des Betreibens der Mobilfunksendeanlage auf dem Dach ... gegen die Beklagte aus den §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, 823 Abs. 1, 906 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu. Die Klägerin ist nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB verpflichtet, die von dieser Sendeanlage ausgehende Strahlung zu dulden, denn sie wird durch sie nur unwesentlich beeinträchtigt. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Regel vor, wenn die nach Rechtsverordnungen festgelegten Grenzwerte nicht überschritten werden. Für die von Mobilfunksendeanlagen verursachte Strahlung werden in der 26. BImSchV vom 16.12.1996 Grenzwerte zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch elektromagnetische Felder festgesetzt. Diese Grenzwerte werden von der Anlage eingehalten.
Die Klägerin stützt sich zu Unrecht darauf, dass die Grenzwerte der 26. BImSchV nur für thermische Reaktionen, nicht aber für athermische Reaktionen Bedeutung hätten.
Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 13.02.2004 (WuM 04, 217, 218) bereits zurückgewiesen. Er hat dort ausgeführt, dass sich der Verordnungsgeber bei der Festlegung der Grenzwerte an den thermisch bedingten Reaktionen orientiert habe, weil diese bereits bei geringeren Feldstärken als nachgewiesene athermische Reaktionen einträten. Daraus folgt, dass nachweisbare athermische Reaktionen von den Grenzwerten mit erfasst sind. Aber selbst wenn man unterstellt, dass bei der Festlegung der Grenzwerte athermische Reaktionen der Mobilfunkstrahlung nicht berücksichtigt worden wären, so sind diese im Bericht der Strahlenschutzkommission von 04.07.2001 berücksichtigt worden, der sich damit beschäftigt, ob an den Grenzwerten der 26. BImSchV festgehalten werden könne. So sind in dem Anhang über die wissenschaftliche Begründung für Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung unter A 2 und A 3 wissenschaftliche Studien seit 1998 über die gesundheitlichen Auswirkungen niederfrequenter elektrischer und magnetischer Felder bewertet worden.
Dabei handelt es sich überwiegend um die athermischen Wirkungen der Mobilfunkstrahlung.
Unter 4 des Kommissionsberichtes wird festgestellt, dass keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse im Hinblick auf nachgewiesene Gesundheitsbeeinträchtigungen vorlägen, die eine Veränderung der Grenzwerte erforderlich machten.
Die für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutsamste Frage, die auch von der Klägerin in das Zentrum ihrer Argumentationen gestellt wird, ist daher, ob noch neuere, von ihr in Bezug genommene wissenschaftliche Studien begründeten Anlass geben können, in eine Beweiserhebung darüber einzutreten, ob zum Schutz gegen Gesundheitsgefahren niedrigere Grenzwerte notwendig seien. Dies ist nicht der Fall. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2002, 1638 [BVerfG 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01] - 1640) und des Bundesgerichtshofes zur gerichtlichen Prüfungspflicht der geltenden Grenzwerte anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bei elektromagnetischer Strahlung kann ein Verstoß gegen Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) wegen unzureichender Gesundheitsvorsorge nur dann vorliegen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen hat oder die getroffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben. Hierzu muss nach der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes dargelegt werden, dass ein wissenschaftlich begründeter Zweifel an der Richtigkeit der in der 26. BImShV festgelegten Grenzwerte dahin besteht, dass ein fundierter Verdacht einer Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder unterhalb der Grenzwerte der Verordnung besteht. Das kann der Fall sein, wenn auf neue Forschungsansätze hingewiesen wird, die zu einer anderen Sicht der Dinge führen könnten. Die von der Klägerin in Bezug genommenen Studien vermitteln keine verlässlichen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine veränderte Risikobewertung von Gesundheitsgefährdungen.
Die Klägerin selbst gibt Äußerungen der Professoren ... und ... wieder, die aus ihren Forschungsergebnissen und möglichen Genschäden durch Mobilfunkstrahlung zurzeit nicht den Schluss ziehen, dass diese bei Menschen und Tieren wirklich Krebs hervorrufen.
Beide sprechen davon, dass die Reparaturkräfte des Körpers derartige Genschäden wieder beheben. An diesen Äußerungen erweist sich, dass verlässliche Aussagen über eine Gesundheitsgefährdung noch nicht gemacht werden können, vielmehr weitere Forschungen erforderlich sind, um zu verlässlichen Aussagen zu gelangen. Wenn Professor ... weiter geäußert hat, dass trotz Reparatur des Körpers nicht auszuschließen sei, dass an einzelnen Zellen eine Restschädigung zurückbleibe, so hat auch diese Aussage keinen Verlässlichkeitswert, weil sie nicht einmal als Vermutung gelten kann und der wissenschaftliche Beleg fehlt.
Auch die Naila-Studie hat keinen ausreichenden Verlässlichkeitswert. Die Klägerin trägt dazu vor, dass in der Gemeinde Naila in Oberfranken die Krankenunterlagen von eintausend Patienten in den Jahren 1994 bis 2004 untersucht worden seien, die in dieser Zeit in einem Abstand bis zu 400 m um eine seit 1993 betriebene Mobilfunksendeanlage gewohnt haben. Die beteiligten Wissenschaftler seien zu dem Ergebnis gekommen, dass sich innerhalb des 400 m-Umkreises das Risiko einer Krebsneuerkrankung gegenüber dem außerhalb liegenden Wohnbereich in den Jahren 1999 bis 2004 verdreifacht habe. Aus der in Bezug genommenen Studie ergibt sich allerdings, dass es sich um eine statistische Arbeit über hausärztlich betreute Patienten handelt.
Es handelt sich offenbar um eine erste Studie dieser Art, denn die Autoren führen an, dass es bisher keine publizierte Langzeitstudie am Menschen für den Frequenzbereich von 900 bis 1.800 MHz gebe. Der Aussagewert statistischer Studien kann bekannter Maßen von recht unterschiedlicher Qualität sein. Je weniger differenziert die Vergleichszahlen gewonnen werden, um so geringer ist der Erkenntniswert. Die vorgelegte Studie enthält überhaupt keine Aussage darüber, inwieweit die Patienten anderen Krebsrisikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen, ungesunder Ernährung und Übergewicht ausgesetzt waren. Es ist offensichtlich auch nicht berücksichtigt, in welchem Umfang in den räumlichen Vergleichsbereichen Krebserkrankungen aufgetreten sind, die nicht den an der Studie beteiligten Hausärzten, sondern nur Fachärzten und Krankenhausärzten bekannt geworden sind. Darüber hinaus handelt es sich um eine erste Langzeitstudie, die eine gewisse Aussagekraft erst dann erhalten kann, wenn sie durch Wiederholungsstudien gleicher Art bestätigt wird. Diese Voraussetzung gilt schon im Bereich der exakten Wissenschaften, um so mehr hat sie im Bereich statistischer Erhebungen zu gelten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.