Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.08.2022, Az.: 1 LA 111/20

Begründung; Dachform; Dachneigung; Neubaugebiet; örtliche Bauvorschrift; Photovoltaikanlage; regenerative Energien; Sonnenkollektoren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.08.2022
Aktenzeichen
1 LA 111/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 19.05.2020 - AZ: 2 A 127/18

Fundstellen

  • DÖV 2022, 1007
  • ZfBR 2022, 809

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

An die Begründung einer örtlichen Bauvorschrift i.S.d. § 84 Abs. 3 NBauO sind inhaltlich keine überspannten Erwartungen zu stellen. Es reicht aus, dass hinreichend bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten erkennbar sind.

Ist das Ziel der örtlichen Bauvorschrift (auch) die Förderung der Nutzung regenerativer Energien, reicht es zur Rechtfertigung einer vorgegebenen Dachneigung - jedenfalls im Neubaugebiet - aus, dass sich andere Dachneigungen typischerweise als ungünstiger darstellen.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 19. Mai 2020 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 40.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen eine bauordnungsrechtliche Verfügung, mit der ihm die Beklagte aufgegeben hat, das Dach seines Hauses den Vorgaben der örtlichen Bauvorschriften entsprechend zurückzubauen.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße (Flurstück D., Flur E. der Gemarkung F.). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 051 „An der Fuhseaue“ der Gemeinde A-Stadt, in Kraft getreten am 12. Februar 2014, der die Voraussetzungen für die Erweiterung der Ortschaft F. im Südwesten am Übergang zur freien Landschaft schuf. Für das Klägergrundstück ist ein allgemeines Wohngebiet mit maximal zwei Vollgeschossen in offener Bauweise festgesetzt, wobei die Höhe der baulichen Anlage 10 m nicht überschreiten darf. Die in den Bebauungsplan aufgenommene örtliche Bauvorschrift enthält in § 3 Vorgaben zu der Gestaltung der Dachformen:

„Für die Dächer der Hauptgebäude sind nur Sattel- und Krüppelwalmdächer sowie gegeneinander versetzte Pultdächer zulässig.
Ein Satteldach im Sinne dieser Festsetzung ist ein Dach, das aus zwei Dachflächen mit gemeinsamem horizontalen First und senkrechten Giebelflächen gebildet wird.
… [Definitionen ‚Krüppelwalm‘ und ‚gegeneinander versetztes Pultdach‘]
Für die Dachflächen ist nur eine beidseitig gleiche Dachneigung von 32°-47° zulässig.
Hiervon ausgenommen sind Dächer von Garagen und Nebenanlagen. …“

Nach Erwerb des zunächst unbebauten Grundstücks zeigte der Kläger unter dem 30. Januar 2015 die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage an. In der Baubeschreibung wird unter dem Stichpunkt Dach „Mansarddach, Dachneigung 70° und 32°, Pfanneneindeckung lt ÖBV“ angegeben. Im Anschluss entstand entsprechend der Bauvorlagen ein Einfamilienhaus, dessen Dach im oberen Teil Satteldach (Firstrichtung West-Ost, Neigung 32°) ausgebildet ist. Hieran schließt sich der größere Teil der Dachfläche (Neigung 70°) an, der sowohl auf der Nord- als auch auf der Südseite durch ein Zwerchhaus mit Satteldach umgeben von zwei Gauben unterbrochen wird. Der Abschluss des Daches hat eine Neigung von 45°.

Die Gemeinde überprüfte das Gebäude im April 2016 und stellte einen Verstoß gegen die örtliche Bauvorschrift fest, gegen den der Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 2017 vorging. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, die örtliche Bauvorschrift sei hinreichend begründet und damit wirksam. Das streitgegenständliche Dach widerspreche mit seinem 70° geneigten Teil der örtlichen Bauvorschrift und die Anordnung sei nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere liege kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor.

II.

Der dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich, es genügt, wenn sich diese auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens als offen darstellen. Das ist hier nicht der Fall.

Ohne Erfolg wendet sich der Kläger gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die maßgebliche, auf § 84 Abs. 3 NBauO beruhende örtliche Bauvorschrift sei wirksam. Die Gemeinde A-Stadt verfolgt mit der Vorschrift hinreichend bestimmte städtebauliche, baugestalterische oder ökologische Absichten (vgl. zu den Anforderungen Senatsurt. v. 18.9.2014 - 1 KN 123/12 -, BauR 2015, 452 = BRS 82 Nr. 21 = juris Rn. 56 m.w.N.). Aus der Begründung, an deren Inhalt keine überspannten Anforderungen zu stellen sind (vgl. Wiechert/Lenz, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 84 Rn. 57), ergibt sich in mehr als nur ausreichender Deutlichkeit, dass es der Gemeinde um die Gestaltung des sensiblen Übergangs zwischen dem bebauten Ortsteil und der Fuhseniederung bzw. der freien Landschaft geht. Ausgehend von bereits vorhandenen Gestaltungselementen (geneigte Dächer) soll die örtliche Bauvorschrift durch Vorgaben zur Gestaltung der Dachformen, der Dacheindeckung und der Einfriedungen an diesem Übergang ein „angemessenes Erscheinungsbild“ gewährleisten. In der Gesamtschau der Regelungen und der Begründung geht es neben der eine gewisse Einheitlichkeit voraussetzenden Harmonie der Bebauung auch um die Förderung des gemeindlichen Ziels der Nutzung regenerativer Energien mittels Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen. Der Einwand des Klägers, diese benötigten ohnehin selbstständige Tragkonstruktionen, die ggf. mit der erforderlichen Neigung zur Sonne ausgeführt werden könnten, dürfte jedenfalls für die von ihm u. a. gewählte Dachneigung von 70° nicht zutreffen. Jedenfalls stellen sich andere als die von der Gemeinde vorgegebenen Dachneigungen mit Blick auf die Nutzung erneuerbarer Energien typischerweise als ungünstiger dar; das reicht zur Rechtfertigung einer örtlichen Bauvorschrift für ein Neubaugebiet, in dem Bauplätze in Kenntnis der Vorgaben erworben werden, aus. Auch die Beschränkung auf drei bestimmte Dachformen begegnet vor diesem Hintergrund keinen Bedenken. Diese entsprechen bzw. ähneln den in der Ortschaft F. typischerweise vorhandenen geneigten Dächern. Soweit der Kläger dies bestreitet, liegen die von ihm für vielgestaltige Dachformen angeführten Beispiele ganz überwiegend außerhalb der Ortschaft F. mit Ausnahme des Gebäudes G. Str. 5. Ein einzelnes Gebäude mit abweichender Dachgestaltung vermag die Annahme der Gemeinde, geneigte Dächer seien typisch, indes nicht zu widerlegen, sondern bestätigt sie im Gegenteil. Das gilt auch dann, wenn man die auf den im Internet verfügbaren Luftbildern erkennbaren (wenigen) weiteren Gebäude mit abweichenden Dachformen berücksichtigt.

Der Kläger hat auch nicht aufgezeigt, dass die Rückbauverfügung - entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts - ermessensfehlerhaft ergangen ist. Zwar verläuft die Fuhse westlich des Baugebiets. Dies ändert aber nichts daran, dass sein Grundstück im Süden an die freie Landschaft, die in die Fuhseniederung übergeht, angrenzt. Wie die von der Beklagten eingereichten Fotos zeigen, ist das Dach trotz der Lärmschutzwand sowohl von Süden als auch von Osten deutlich wahrnehmbar. Daher fördert die Rückbauverfügung jedenfalls das Ziel, den Übergang zwischen Bebauung und freier Landschaft harmonisch zu gestalten. Dies stellt der Kläger mit seinem Vortrag, auch auf dem vorhandenen Dach seien in beträchtlichem Umfang Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen technisch möglich, nicht in Frage.

Die Einschätzung der Nachahmungsgefahr seitens des Beklagten ist nicht ermessensfehlerhaft. Abgesehen davon, dass die von dem Kläger zitierte „Nachahmungsgefahr über das Baugebiet hinaus“ lediglich die sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid gegebene Begründung, die sich eindeutig auf das von der streitgegenständlichen Bauvorschrift umfasste Baugebiet bezieht, ergänzt, hat der Beklagte mit Blick auf für die Dachform ähnliche Vorgaben machende örtliche Bauvorschriften im Gemeindegebiet nachvollziehbar eine insoweit weitergehende negative Vorbildwirkung dargelegt. Wenn der Kläger vorträgt, von ihm beispielhaft genannte „Gebäude neuzeitlicher Bauart“ mit seinem Dach ähnelnden Dachformen belegten, dass die Gemeinde keine einheitliche Gestaltung der Dachformen anstrebe, verkennt er, dass viele der örtlichen Bauvorschriften im Gemeindegebiet neueren Datums sind und daher auf bereits errichtete Gebäude nicht anzuwenden waren. Dies gilt, wie der Antragsgegner dargelegt hat, für die vom Kläger benannten Gebäude, die - sofern sie überhaupt im räumlichen Geltungsbereich einer örtlichen Bauvorschrift liegen - überwiegend von der örtlichen Bauvorschrift „A-Stadt - Alter Ortskern“ (zulässig nur Sattel- und Krüppelwalmdächer mit beidseitig gleicher Neigung zwischen 30°-50°, s. § 2) aus dem Jahr 2010, im Fall der G. Str. 5 von der örtlichen Bauvorschrift „F. - Alte Neubaugebiete“ (zulässig nur Sattel- und Krüppelwalmdächer, gegeneinander versetzte Pultdächer mit beidseitig gleichen Dachneigungen von 30°-50°, s. § 2 (1) Dachformen) aus dem Jahr 2008 erfasst werden.

Es liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ein solcher Verstoß erfordert ungeachtet des Grundsatzes, dass Gleichheit im Unrecht grundsätzlich nicht gewährleistet ist, dass die Bauaufsichtsbehörde bei einem bauaufsichtlichen Einschreiten systemwidrig ein Vorgehen gegen vergleichbare Verstöße unterlässt (vgl. Senatsbeschl. v. 17.12.2021 - 1 LA 91/20 -, BauR 2022, 459 = NordÖR 2022, 127 = juris Rn. 29 m.w.N.). Davon kann hier keine Rede sein. Selbst wenn man nicht mit dem Verwaltungsgericht annehmen wollte, dass die Flachdachgaube des Gebäudes A-Straße 31 der örtlichen Bauvorschrift (noch) entspricht, unterscheidet sich der hingenommene Verstoß - unterstellt es handelt sich um einen solchen - deutlich von dem hier vorliegenden. Betroffen ist nicht die Grundform des Daches, sondern allenfalls ein Element; der Verstoß wäre mithin weit weniger schwerwiegend.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).